„Chess Classic Mainz“-Hans
Walter Schmitt im Austausch für Bobby Fischer in den Knast?
„Als Sportsmann ist er
untadelig gewesen“
Bobby Fischer und kein Ende.
Der ehemalige Schachweltmeister sitzt seit über einem Monat in japanischer
Auslieferungshaft, nachdem die USA seinen Pass für ungültig erklärt haben. Der
61-jährige soll sich in den Vereinigten Staaten vor Gericht verantworten, weil
Fischer 1992 in Jugoslawien 20 Jahre nach seinem spektakulären WM-Sieg über
Boris Spassky gegen den Gegner von 1972 ein Revancheduell austrug und damit
ein internationales Embargo verletzte. Der exzentrische Ex-Champ hat sich
spätestens dann viele Feinde gemacht, als er in Interviews für philippinische
Radiosender die Terroranschläge vom 11. September 2001 begrüßte und Israel
wüst beschimpfte. Zwischenzeitig ist Robert James Fischer aus der
Abschiebezelle auf Tokios Flughafen Narita in ein Internierungslager verlegt
worden.
Währenddessen formieren sich
die Fischer-Freunde. Der alte Rivale Boris Spassky bittet den US-Präsidenten
George W. Bush um Milde. Andernfalls möge auch er verhaftet und mit Fischer in
eine gemeinsame Zelle gesperrt werden – aber bitte mit einem Schachspiel
(ChessBase berichtete). Überraschend hat die Präsidentin des Japanischen
Schachverbandes, Miyoko Watai, eine langjährige Beziehung zu Fischer enthüllt
und angekündigt, die beiden wollten nun heiraten. In Deutschland ruft
Hans-Walter Schmitt aus Bad Soden, Promoter der von Fischer erfundenen
Schachvariante „Chess960“, eine Kampagne „Free Bobby Fischer“ aus und bietet
unter
www.chesstigers.de gleich die passenden Soli-T-Shirts an
(Unterstützer-Preis: 9,60 Euro). Eine Initiative, die ihrerseits auch Kritiker
auf den Plan ruft: Jetzt wird der Fischer-Fan Schmitt in die anti-semitische
Ecke gerückt. Der Autor Dr. René Gralla hat mit Hans-Walter Schmitt
gesprochen.
Sie
haben einen Offenen Brief an den Bundesinnenminister in Sachen Bobby Fischer
gesandt. Was fordern Sie von Otto Schily?
Der Offene Brief enthält
zwei Botschaften. Erstens: weil Fischer deutschstämmig ist, sollte Herr Schily
doch bitte prüfen, ob es nicht möglich ist, Fischer Asyl in Deutschland zu
gewähren. Zweitens: Wir können Fischer im Rhein-Main-Gebiet unterbringen, mein
Verein „Chesstigers“ wird für ihn sorgen; Unterhalt, Kost und Logis für Herrn
Fischer sind gewährleistet.
Gleichzeitig haben Sie eine Kampagne „Free Bobby Fischer“ gestartet und
sammeln dafür Unterschriften.
Auf der Homepage meines
Clubs „Chesstigers“ findet sich ein entsprechendes Formular. Bereits während
des Turniers „Chess Classic Mainz 2004“ Anfang August habe ich unter den
prominenten Teilnehmern Unterstützerlisten herumgehen lassen. Der
FIDE-Weltmeister 2002, Ruslan Ponomarjow aus der Ukraine, hat aus Begeisterung
spontan ein „Free Bobby Fischer“-T-Shirt angezogen. Auf diese Weise sind
allein in der Mainzer Rheingoldhalle vier-, fünfhundert Unterschriften
zusammengekommen.
Auf den
Offenen Brief hat es aus dem Innenministerium eine erste Reaktion gegeben:
Bobby Fischer müsse sich schon persönlich melden, so eine Sprecherin. Ein
berechtigter Einwand – oder eine Ausflucht?
In diplomatischen
Angelegenheiten bin ich leider nicht so bewandert, um das einschätzen zu
können.
Die
Affäre Fischer ist deswegen heikel, weil sich das frühere Schachgenie in den
letzten Jahren vor allem durch anti-semitische Tiraden hervorgetan hat. Haben
Sie, Herr Schmitt, keine moralischen Bedenken, sich mit so einem Mann zu
solidarisieren?
Als Sportsmann ist er
untadelig gewesen: Er hat keine Betrügereien am Brett begangen, er hat keine
schnellen Remisen gemacht, er hat keine heimlichen Absprachen getroffen. Und
vor allem: Während des Kalten Krieges ist er ganz allein gegen die Hegemonie
der sowjetischen Großmeister angetreten. Leider ist es mir erst jetzt
aufgegangen, dass seine anti-semitischen und anti-amerikanischen Ausfälle dazu
führen, dass es Menschen gibt, die mein Engagement für Fischer als
unerträgliche Verletzung religiöser Empfindungen und politischer
Grundansichten ansehen. Das aber ist selbstverständlich niemals meine Absicht
gewesen. Für mich war Bobby Fischer einfach nur ein sportliches Idol. Wegen
Fischer habe ich angefangen, Schach zu spielen. Daher hat bei mir ganz einfach
bloß Dankbarkeit überwogen: etwas zu tun für einen Menschen, der momentan
gehetzt durch’s Leben geht. Und das um so mehr, als wir hier in Mainz, mit
unserer „World New Chess Association“ WNCA, sein „Fischer Random Chess“
propagieren: Fischers neues Schach mit einer variablen Startposition der
Figuren, das wir „Chess960“ nennen. Da kann man doch einfach nicht verleugnen,
dass Bobby Fischer der ursprüngliche Gedankengeber ist. Alles andere wäre
unfair.
Hat aber
nicht der bekennende Anti-Semit Fischer dessen eigene Vision eines
reformierten modernen Schachspiels auf Dauer beschädigt? Wie man es jetzt ja
auch sogar Ihnen vorhält, Herr Schmitt: Ein derart krankes Hirn wie Fischer
könne doch gar keine vernünftige neue Schachvariante entwerfen?!
Das ist eine Art der
Fragestellung, die eigentlich gar nicht legitim ist. Eine gute Idee kann aus
jedem Gehirn kommen. Und die Idee ist nicht per se krank, wenn auch der Mensch
krank ist. Fischers Konzept ist einfach brillant: das Schach von angestaubter
Theorie zu entrümpeln und für frische moderne Ideen zu öffnen.
Dennoch:
Kann man das wirklich sauber trennen - hier der Sportsmann, dort die Person,
die sich als fanatischer Anti-Semit outet?
Für mich bleiben da aber
noch viele Fragen offen. Unter welchen Umständen hat Fischer die Aussagen
gemacht, die ihm vorgeworfen werden; ist er da überhaupt Herr seiner Sinne
gewesen? Womöglich stand er unter Drogeneinfluss?! Außerdem: Jeder begeht
einmal Fehler im Leben. Jeder kommt in emotional schwierige Situationen. Hier
hat auch die Sorgfaltspflicht der Journalisten nicht gewirkt - indem sie die
Tiraden einfach zugelassen und hinterher veröffentlicht haben.
Wie
schätzen Sie Fischer psychologisch ein? Was für ein Mensch ist er?
Da kann ich mir kein
abschließendes Urteil erlauben. Was seine geistige Haltung beziehungsweise
seinen Geisteszustand angeht, würde ich zunächst gerne lieber selber mit ihm
reden. Ich vermute aber, dass er psychisch krank ist.
Möglicherweise geht sein Verhalten heute auf einen Vorfall von 1981 zurück,
als er in Kalifornien irtümlich als Bankräuber verhaftet worden ist.
Bobby Fischer hat in
Extremsituationen, wenn es um Geld im Schachsport oder um verletzte
Persönlichkeitsrechte gegangen ist, immer kompromisslos reagiert. Wenn das
stimmt, dass er in Pasadena, wo er lange Zeit lebte, festgenommen und dabei
gefoltert worden ist, so kann ich es ein bisschen verstehen, dass er das
Vertrauen in den Staat USA verloren hat. Ich meine, dass bei Bobby Fischer ein
gesteigerter Selbstbehauptungswille deutlich wird: Er sagt, was er denkt. Und
das ist falsch.
Obendrein hat er sich zu einer ungeheuerlichen Aussage hinreißen lassen –
indem er die Anschläge vom 11. September 2001 ausdrücklich begrüßt hat!
Wahrscheilich ist das eine
totale Überreaktion auf seine schlechten Erfahrungen gewesen, die Fischer
persönlich in den Vereinigten Staaten gemacht hat. Diese Twin Towers in New
York in die Luft zu jagen, das hat es noch nie gegeben, das war wie eine
Kriegserklärung an die USA. Und so etwas gut zu heißen: Das ist natürlich
unglaublich, so etwas überhaupt auszusprechen. Ich denke wirklich, dass
Fischer eine gespaltene Persönlichkeit ist. Das eine sind seine Verfehlungen,
was seine politischen und religiösen Ansichten angeht; das andere ist seine
sportliche und schachlich wirklich überragende Persönlichkeit.
Mittlerweile wirft man sogar Ihnen, Herr Schmitt, Anti-Semitismus vor: weil
Sie Bobby Fischer unterstützen.
Da gibt es vereinzelte
Anrufe von verwirrten Geistern. Die nicht besser und nicht schlechter sind als
die kurzfristigen Ergüsse von Bobby Fischer in Richtung USA und 11. September.
Ich nehme das nicht zu ernst; ich war nur überrascht davon, weil ich überhaupt
nicht damit gerechnet hatte, derartige Reaktionen mit meiner Aktion „Free
Bobby Fischer“ loszutreten. Vielleicht bin ich zu naiv an das Thema
herangegangen. Ich habe dabei diese ganzen politischen und religiösen
Implikationen überhaupt nicht berücksichtigt. Für mich ist Fischer einfach nur
der größte Weltmeister aller Zeiten gewesen. Deswegen hat mich besonders
gefreut, dass ich viele E-Mails aus den USA, gerade auch aus New York erhalten
habe – und alle sind positiv. Die Absender sagen, dass sie froh seien, dass
ich Bobby Fischer unterstütze, und dass ich den Mut hätte, so etwas zu
organisieren.
Ex-Weltmeister Boris Spassky, Fischers Gegner in den beiden Matches von 1972
und 1992, hat an den US-Präsidenten George W. Bush appelliert, Bobby Fischer
zu begnadigen. Andernfalls solle man auch ihn verhaften.
Das ist eine Unterstützung,
über die ich sehr froh bin. Und wenn sich sogar ein Boris Spassky für die
Freilassung Fischers einsetzt, dann kann das nicht alles falsch sein, was wir
mit unserem Aufruf „Free Bobby Fischer“ machen. So hat inzwischen übrigens
auch der Passauer Bundestagsabgeordnete und innenpolitische Sprecher der
FDP-Bundestagsfraktion Max Stadler den Innenminister Schily in einer
Presseerklärung dazu aufgefordert, Schily möge seine sehr guten Beziehungen
zur US-Regierung für eine baldige Freilassung Fischers einsetzen.
Vielleicht greifen Sie, Herr Schmitt, den Vorschlag von Boris Spassky auf – in
einer anderen Variante: Sie, Herr Schmitt, bieten sich den Amerikanern im
Austausch für Bobby Fischer an. Sie gehen in den US-Knast, und Fischer kommt
frei!
(Lacht)
Das würde keine große Wirkung erzielen, weil ich eine total unwichtige
Persönlichkeit bin. Das wäre
deswegen bloß ein aufgetragener Marketinggag. Marktschreierische
Dinge sind mir einfach zu plump; das möchte ich nicht machen in Bezug auf
einen Menschen, den ich verehre – nicht wegen seiner politischen Meinung,
sondern wegen seiner schachlichen Leistungen. Sollte aber wider Erwarten ein
Austasch tatsächlich der einzige Weg sein, um Bobby Fischer zu helfen – dann
würde ich auch das tun.
Ihr
Tipp, wie die Affäre Fischer ausgeht? Momentan sitzt er ja im
Internierungslager in Japan: Das klingt beunruhigend, könnte aber auch im
Ergebnis positiv sein. Die Unterbringung im Internierungslager deutet nämlich
auf eine längere Verfahrensdauer hin – so dass ein Blitzabschiebung Fischers
an die USA nun eher unwahrscheinlich wird.
Die gesamte Angelegenheit
sieht insgesamt ziemlich dubios aus. Und ich vermute, da ist momentan viel
Taktik im Spiel – wer da welche Strippen hinter den Kulissen zieht. Ich glaube
ziemlich sicher, dass der Fall in den nächsten drei bis fünf Wochen geregelt
sein wird.
Bis
dahin kann ja jetzt der amtierende Weltmeister im von Fischer erfundenen
„Chess960“, der Russe Peter Svidler, per Internet ein paar Partien gegen den
Vater der Idee austragen. Svidler hat schließlich gerade seinen Titel während
der „Chess Classic Mainz 2004“ Anfang August verteidigt – und Bobby Fischer
hat momentan viel Zeit im japanischen Internierungslager.
Daran habe ich noch gar
nicht gedacht. Das wäre tatsächlich eine Möglichkeit.
Interview: Dr. René Gralla