Die Russische Meisterschaft:
"Higher League" in St.Petersburg
Von Misha Savinov
Seit 1899, als die erste
Russische Meisterschaft organisiert wurde – Sieger Michail Tschigorin – hat die
Veranstaltung viele Höhen und Tiefen erfahren. Manchmal war die Meisterschaft
sogar stärker besetzt als das Kandidatenturnier, so 1973. Manchmal wurde sie von
fast allen starken Spielern ignoriert wie 1984. Auch das Format änderte sich im
Laufe der Zeit häufig, von komplizierten mehrstufigen Qualifikationsturnieren
bis hin zum liberalen Schweizer System. Das klassische System war natürlich das
Rundenturnier, bei dem jeder gegen jeden antritt. Meist nahmen eine gleiche
Anzahl eingeladener bzw. vorqualifizierter und qualifizierter Spieler teil.
Die Russischen Meisterschaften
neuerer Zeit hatten mit vielen Schwierigkeiten zu kämpfen, besonders in den
frühen 90ern. 1994 wurde sie von dem neuen Star Peter Svidler gewonnen, vor den
Mitbewerbern Mikhail Ulibin und Sergey Rublevsky. In den folgenden Jahren nahmen
fast alle Topspieler teil, Svidler (jetzt schon vierfacher Meister), Khalifman,
Bareev, Morozevich, Dreev, Sakaev, nur nicht die drei Weltmeister Karpow,
Kasparov und Kramnik. Das Schweizer System war den Elitespielern nicht angenehm,
nicht zu sprechen von den (für sie) recht schmalen Preisgeldern und vielleicht
noch anderen Gründen.
Erst 2004, nach vielen Jahren
der Brutalität des Schweizer System und kurzem Flirt mit einer K.O.-Lotterie,
sind die Organisatoren der Russischen Meisterschaften wieder zum guten alten
Rundenturnier zurück gekehrt, wodurch man wieder die besten Spieler zur
Teilnahme bewegen konnte, dadurch Aufmerksamkeit in den Medien bekam, dadurch
Sponoren gewinnen konnte, dadurch die besten Spieler einladen konnte, usw....
Auf der obersten Stufe der
Leiter der Russischen Meisterschaften steht nun das Superfinale, das mit etwa $
300.000 Preisgeld so attraktiv ist, dass man Kasparov, Kramnik, Karpov, Svidler,
Grischuk, Bareev und Morozevich für die Teilnahme interessieren konnte. Hinzu
kommen sechs Qualifikanten. Das Turnier wird im herbst stattfinden. Datum und
Ort stehen noch nicht fest.
Ein Stufe darunter sind zwei
Qualifikationsturniere angesiedelt, eins in Tomsk und eins in – St. Petersburg.
Es wäre nicht richtig, sie nur als Qualifikationsturniere zu beschreiben.
Angesichts der Stärke der Teilnehmer und der Preisgelder sind sie weit mehr als
das, eine unabhängige „Higher League“ der Russischen Meisterschaft. Die
eigentlichen Qualifikationsturniere waren schon zuvor gespielt worden.
St. Petersburg, die frühere
Hauptstadt des Russischen Reiches, ist eine 5-Millionen-Stadt, die heute, am 27.
Mai, ihr 301-jähriges Bestehen feiert und 1998 Gastgeber der Russischen
Meisterschaften war. Es war eins der stärksten Schweizer-System-Turniere
überhaupt und Alexander Morozevich gewann im Stichkampf. Diesmal ist Alexander
Dreev (2689) der Elo-Favorit, gefolgt von Alexander Khalifman (2668) und
Konstantin Sakaev (2665). Das Preisgeld beträgt $50,000, von denen $10,000 auf
den ersten Preis entfallen. Hauptsponsor ist die Viking Bank.
Die Spieler wohnen und spielen
im St.Petersburg-Hotel, das am Neva-Ufer liegt. Von der Spielhalle hat man einen
großartigen Blick auf den Fluss.
Die Spielehalle
Runde 1
Alexey Ustaev, der Präsident
der St. Petersburger Schachföderation und der Viking Bank machte den ersten Zug
des Turniers. Alexey Dreev war mit dessen Wahl sehr zufrieden, nämlich mit 1.d4.
Als er zuletzt etwas anderes als diesen Zug probierte, 1.e4, folgte ein
fünfzügiges Remis gegen Peng Xiaomin 1999.
Dreev gewann seine erste Partie
gegen den Moskauer Spieler GM Alexander Riazantsev auf überzeugende Weise und
demonstrierte dabei ein besseres positionelles Verständnis und die bessere
Endspieltechnik. Was vielleicht noch wichtiger is. Alexey Dreev zeigte sich auch
physisch bestens vorbereitet. Obwohl er der ältere der beiden Spieler war, sah
er nach der 53-zügigen Schlacht nicht im Mindesten müde aus. Von den anderen
Favoriten gewannen nur Sergey Volkov und Vladimir Epishin, beide mit den
schwarzen Steinen. Pawel Tregubov, erster Europameister der ECU, hätte mit
diesen gleich ziehen können, doch er stellte in gewonnener Stellung gegen GM
Vladimir Belov eine Figur ein und machte Remis.
Der jüngste Teilnehmer ist der
13-jährige IM Ian Nepomniashchy. 2002 schlug er Magnus Carlsen und wurde U12
Europameister. Er hielt seine Partie gegen against GM Yevseev remis. Ian
besitzt großes Selbstvertrauen und qualifizierte sich durch seinen Sieg bei der
Russischen U18-Meisterschaft.
Ian Nepomnjaschij
Das Treffen zwischen dem
Meister von Moskau 2003 und dem von St.Petersburg 2004, Najer gegen Loginov,
endete mit einem Sieg von Weiß.
Najer - Loginov
Najer war sehr aggresiv im
Mittelspiel und bekam nach dem Opfer des b-Bauern einen starken Angriff. Loginov
verteidigte sich zäh, verlor seinen Mehrbauern und einen weiteren Bauern,
opferte einen Springer und erzeugte ernste technische für seinen Gegner. In der
kritischen Phase wurde Loginov zweimal durch ein Piepen der Uhr am Nachbartisch
gestört. Beim zweiten Piep rief er „Macht die Uhr aus!“ und machte dabei den
entscheidenden Fehler, indem er die Gelegenheit zum forcierten Remis verpasste.
Runde 2
Zu seinem Pech verpasste Valery
Loginov in der zweiten Runde gleich noch ein Remis. Valery ist ein starker und
angesehner Großmeister, aber manchmal macht er ganz fürchterliche Fehler. Bei
der diesjährigen St. Petersburger Meisterschaft akzeptierte Loginov ein Remis
nach einer Pattkombination in Folge eines Turmopfers, doch in Wirklichkeit war
der gegnerische König gar nicht Patt. Etwas Ähnliches passierte in seiner Partie
gegen Burmakin. In einem theoretischen Remisendspiel gab er seinen Freibauern
auf, um Patt zu forcieren. In Wirklichkeit war es Matt in 1.
Analyse mit Burmakin (li.)
Alexey Dreev gewann seine
zweite Partei. GM Alexey Kuzmin fand keinen Weg, um mit Weiß das Spiel im
Meraner auszugleichen. Dreeev startete einen Angriff und gewann in 43 Zügen.
Kuzmin
Alexsander Khalifmans Gegner
war der St. Petersburger GM Sergey Ivanov, der kein Profi ist, sondern als
Ingenieur arbeitet. Er ist als Spezialist der Französischen Verteidigung und
Khalifman war nicht in der Lage, diese zu durchbrechen.
Alexander Khalifman (li.)
Nach zwei Runden ging Vladimir
Epishin (Siege gegen den jungen FM Evgeny Romanov aus Kaliningrad) zusammen mit
Dreev in Führung. Sergey Volkov hatte gegen Evgeny Shaposhnikov gute
Siegchancen, verpasste aber einige gute Möglichkeiten und musste sich mit Remis
begnügen.
Das Turnier ist aber nicht nur
Schauplatz vieler Schlachten am Brett, man kann auch alte Freunde treffen.
Konstantin Landa und Sergey Domatov
Runde 3
Vielleicht hat ja das Symbol
der 1917-Revolution, das Schlachtschiff Aurora, die Spieler zu mehr Kampfgeist
angespornt. In Runde 3 wurden gleich 10 von 17 Partien entscheiden.
Schlachtschiff Aurora
Der kaltblütige Dreev wartete,
bis sein Gegner Epishin einen zu impulsiven Zug machte und regierte darauf
aufmerksam und effektiv. Nach erneuter Demonstration seiner technischen
Fähigkeiten holte er sich den dritten Punkt. Alexander Khalifman kam zu seiner
ersten Gewinnpartie gegen IM Oleg Nikolenko, einen sehr erfahrenen Blitzspieler.
Probleme gegen Khalifman: Nikolenko
Auch Vadim Zvjaginsev, einer
der originellsten Spieler im Feld, gewann seine erste Partie. Er schlug
IM Vladimir Dobrov.
Vadim Zvjaginsev
Die Internet-Berichterstattung
wird von "Shahcom" (
www.ruschess.com) organisiert.
Einige Uhren erwiesen sich als defekt und wurden ausgetauscht, aber Alles in
Allem verläuft die Übertragung ohne Problem.
Support Team der Internet-Mannschaft
Round 4
Blick auf die Spitze von oben.
Volkov – Dreev, eine
Schlüsselpartie, war in dieser Runde die längste. Dreev entschied sie für sich.
Im 30sten Zug verlor Volkov einen Bauern am Damenflügel und musste danach ums
Remis kämpfen, was er aber nicht erreichte.
Alexei Dreev
Im 73.Zug gewann Dreev nach
sorgfältigem Spiel. Dreev ist übrigens einer der wenigen Spieler, die mit
Sekundant angereist sind. Andere sind Ian Nepomniashchy (GM Sergey Janovsky) and
Evgeny Romanov (GM Yury Balashov).
Dreev mit Rainer Filiipenko
Vitaly Tseshkovsky ist
zweimaliger UdSSR-Meister, seine Teilnahme an der diesjährigen Meisterschaft war
etwas überraschend. Ebensowenig hatte man seine his "+2" mit einer Performance
von +2700 bei der letzten Meisterschaft 2003 in Krasnojarsk erwartet. In dieser
Runde spielte er gegen Konstantin Sakaev, einen der Favoriten. Sakaev spielte
auf gewinn, doch sein Figurenopfer beeindruckte den Veteran nicht, der sich den
dritten Punkt und Platz zwei holte.
Das Figurenopfer
Alexander Khalifman schlug Evgeny Alekseev und machte sich
damit zum Mitfavoriten auf den Titel. Khalifman verliert nach schwachem Start
häufig das Interesse an einem Turnier. Aber nach 3/4 wird er um den Titel
kämpfen. Auch . Vladimir Epishin ist nach seinem Sieg über Sergey Ivanov wieder
bei "+2".
FM Evgeny Romanov gewann eine
19-Züge-Miniatur mit Schwarz gegen GM Valery Popov nach einem Eröffnungsunglück
von Weiß, an dem aber sicher nicht der Trainer schuld ist..
Romanov und sein Trainer GM Yury Balashov
Runde 5
Schließlich hat es doch noch
jemand geschafft, den Durchmarsch von Dreev zu stoppen. Natürlich wünsche ich
Alexey, dass er das Turnier gewinnt, aber wenn einer jede Partie gewinnt, ist
das der Spannung etwas abträglich. Ausgerechnet Vitaly Tseshkovsky war es, dem
es gelang den Tabellenführer ein Remis abzunehmen. Er überraschte seinen Gegner
mit dem Wolgagambit und gleich leicht aus.
Dreev gegen Tseshkovsky
Unter den Teilnehmern befinden
sich eine Reihe von Teenagern, die noch Großmeister werden möchten, darunter
Andreikin (14), Romanov (16) und Nepomniashchy (13), die sich bisher sehr gut
geschlagen haben.
Pavel Tregubov: Vor der Anlayse
Eine interessante Partie
lieferten sich Vladimir Dobrov und Valery Popov. Weiß hatte Dame, Springer und
Bauern, Schwarz Dame und vier Bauern. Bald hatte Weiß seinen Vorteil verspielt
und musste ums Remis kämpfen, um am Ende nach 7 Stunden doch noch die Niederlage
hinzunehmen.
Popov
St. Petersburg ist stolz auf
seine “weißen Nächte”. Die Sonne scheint bis in die Abendstunden und direkt in
den Turniersaal hinein.
Die Medien zeigen nur geringes
Interesse am Turnier, soweit ich beobachtet habe. Zwei nationale TV-Sender hatte
Kamera-Teams geschickt und einige Korrespondenten lokaler Zeitungen waren vor
Ort. Auch zuschauer waren nicht sehr viele da. Vielleicht wurde zuwenig Werbung
für das Turnier gemacht. Doch die, die da sind, können bestes Schach auf hohem
Niveau genießen, außerdem die fachmännischen Kommentare von GM Evgeny
Solozhenkin und WIM Irina Sudakova.
St. Petersburg - Stand nach
5 Runden:
Dreev (2689)
- 4,5
Tseshkovsky (2564) - 4,
Epishin (2610) and Khalifman (2668) - 3,5
Andreikin (2418), Landa (2550), Najer (2606), Romanov (2392), Sakaev (2665),
Shaposhnikov (2559), Tregubov (2636), Volkov (2629), Yakovich (2596), Yevseev
(2580) and Zvjaginsev (2654) - 3,
Alekseev (2615), Belov (2543), Danin (2332), Ivanov (2546), Popov (2547) and
Riazantsev (2555) - 2S,
Burmakin (2570), Dolmatov (2573), Ionov (2548), Kurnosov (2543), Kuzmin (2567),
Nepomniashchy (2445), Nikolenko (2520) and Solovjov (2458) - 2,
Dobrov (2443), Gleizerov (2591) and Loginov (2516) - 1,5,
Silivanov (2291) - 1,
Shapovalenko - 0.
Tomsk - Stand nach vier
Runden
1. Timofeev, Artyom 3.5,
2. Khismatullin, Denis 3.0 Inarkiev, Ernesto 3.0 Korotylev, Alexey 3.0 Filippov,
Valerij 3.0,
6. Motylev, Alexander 2.5 Ulibin, Mikhail 2.5 Jakovenko, Dmitry 2.5 Kharlov,
Andrei 2.5 Kornev, Alexei 2.5 Rublevsky, Sergei 2.5 Gajsin, Evgenij 2.5 Dvoirys,
Semen I. 2.5 Shariyazdanov, Andrey 2.5 Rustemov, Alexander 2.5
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