Ein ganz normales Wunderkind: Magnus Carlsen
im Film
Von Johannes Fischer

The Prince of Chess: A Fascinating Film
about the World's Youngest Chess Grand Master, von
Øyvind Asbjørnson, DVD, Englisch und Norwegisch, Gesamtspielzeit inklusive
Bonusmaterial 1h 35 Minuten, Main Island Productions 2005, ca. 19,95€.
Jedes Jahr im Januar schaut die Schachwelt nach
Wijk aan Zee. Auch das diesjährige Schachfestival verspricht wieder Spannung: In
der A-Gruppe möchte Veselin Topalov seine Position als Weltmeister und neue Nr.
1 verteidigen, Gata Kamsky setzt sein Comeback fort, und Newcomer wie Levon
Aronian und Shakhriyar Mamedyarov wollen sich in der Weltspitze beweisen. Für
Furore sorgen auch die Wunderkinder, allen voran Sergej Karjakin aus der Ukraine
und Magnus Carlsen aus Norwegen. Sergej Karjakin feierte am 12. Januar seinen
16. Geburtstag, liegt mit einer Elo-Zahl von 2660 auf Platz 42 der Weltrangliste
und wurde im August 2002 im Alter von 12 Jahren und 7 Monaten der jüngste
Großmeister aller Zeiten. In Wijk spielt er in der A-Gruppe.

Magnus Carlsen ist zehneinhalb Monate jünger als Karjakin, wurde am 30. November
2005 15 Jahre alt, bringt 2625 Elo-Punkte auf die Waage und wurde im Alter von
13 Jahren, 3 Monaten und 27 Tagen Großmeister, hinter Karjakin der zweitjüngste
Großmeister aller Zeiten. In Wijk spielt Carlsen im B-Turnier. Beide können und
beide wollen möglichst bald Weltmeister werden. Wer da bessere Chancen hat, ist
schwer zu sagen. Mehr öffentliche Aufmerksamkeit bekommt jedenfalls Magnus
Carlsen. Nach dem Buch Wunderjunge von Carlsens Trainer Simen Agdestein
gibt es jetzt einen Dokumentarfilm über das norwegische Wunderkind, The
Prince of Chess. Beschwingt und unterhaltsam zeigt er Schachspieler als
kluge, zurückhaltende, freundliche Leute und Schach als einen Sport, der für
begabte Kinder aus intakten Familien wie geschaffen ist.

Schach gelernt hat Magnus mit achteinhalb von
seinem Vater, einem Vereinsspieler. Die Augen des Vaters leuchten, als er sich
daran erinnert, wie er das Talent seines Sohnes erkannte und wie schnell Magnus
besser spielte als er selbst. Etwa vier Jahre später, als ihr Sohn schon auf dem
Weg zum Großmeister ist, machen die Eltern ein Jahr Pause in ihrem Beruf,
verkaufen ihr Auto, vermieten die Wohnung und reisen mit Magnus und seinen drei
Schwestern von Turnier zu Turnier, um die Schachkarriere des Wunderkinds zu
fördern. Die Stimmung in der Familie ist gut, und wenn Magnus gewinnt, freuen
sich alle. Eine seiner Schwestern erklärt gut gelaunt: "Wenn Magnus gut steht,
bin ich immer aufgeregt. Ich wünsche mir, dass er gewinnt."

Beim Schach wirkt Carlsen konzentriert und ernst,
im Kreise seiner Familie unbekümmert und vergnügt. Wüsste man nicht, dass er
eines der größten Schachtalente der Welt ist, würde er wirken wie viele andere
Jungen in seinem Alter. Er liest Comics, langweilt sich beim Sightseeing und
kickt in der Jugendmannschaft für seinen lokalen Fußballverein als Ausputzer,
obwohl er lieber weiter vorne im Sturm spielen würde. Den Rummel um seine Person
nimmt er gelassen. Auf die Bemerkung eines Journalisten, dass manche Leute
schöne Schachpartien für Kunstwerke halten, entgegnet er: "Ja, man kann das so
sehen." Und ergänzt nach einer kurzen Pause: "Heutzutage kann man fast alles als
Kunst betrachten." Über seine Einstellung zum Gegner sagt er: "Ich denke vor
einer Partie nicht daran, meinen Gegner zu töten, ich denke daran, ihn in einer
Schachpartie zu besiegen." Aber Carlsen weiß, wie gut er ist, und es ist kein
Scherz, wenn zu Beginn eines Schnellschachturniers in Reykjavik mit ernsthafter
Kinderstimme erklärt: "Gegen Kasparow wird es schwer, aber gegen Karpow rechne
ich mir Chancen aus."
Eine realistische Einschätzung. Später im Turnier
gewinnt er gegen Karpov, verliert jedoch den Mini-Wettkampf gegen Kasparov, wenn
auch unerwartet knapp. In der ersten Partie steht Carlsen auf Gewinn, aber am
Ende rettet sich Kasparov ins Remis. Der Film zeigt lange Ausschnitte von dieser
Partie, und wer sich je gefragt hat, wie es aussieht, wenn Kasparov am Brett
Grimassen schneidet, bekommt hier eine Antwort.


All das spielt später, als die beiden gemeinsam
trainieren, keine Rolle mehr. Kasparov wirkt freundlich, entspannt, wie ein
Vater, der seinem Sohn Dinge erklärt, die beiden wichtig sind. Carlsen erklärt
hinterher, nie hätte ihm Schach so viel Spaß gemacht wie während des Trainings
mit Kasparov. Ohnehin ist der Ex-Weltmeister auf der DVD sehr präsent. Die
Dokumentation über Magnus Carlsen ist zwar der Hauptfilm, aber als Bonusmaterial
gibt es neben drei Carlsen Partien zum Zuschauen noch einen weiteren
Leckerbissen: ein vierzig Minuten langes Interview mit Garry Kasparov. Der
Ex-Weltmeister spricht über Schach in der Sowjetunion, seine Entwicklung, die
Förderung junger Talente und die Schwierigkeit, als einstiges Wunderkind gegen
eine neue Generation von Wunderkindern zu spielen. Dieses Interview macht
deutlich, welchen Verlust das Schach durch Kasparovs Rückzug aus der
Turnierarena erlitten hat. Er wirkt konzentriert, wach, voller Energie, und mit
seinem Charisma und seiner eloquenten Intelligenz signalisiert er stets, dass
Schach wichtig ist, sehr wichtig sogar, was man ihm ohne weiteres glaubt.

Entscheidende Szenen des Films sind mit
Mozart-Musik untermalt. Nicht, weil 2006 Mozart Jahr ist, sondern weil Magnus
laut Nigel Farndale vom Sunday Telegraph der "Mozart des Schachspiels"
ist, ein griffiger Vergleich, der schnell die Runde macht. So ahnt man bereits
Böses, als bei dem Bericht über die Weltmeisterschaft 2004 in Libyen Mozarts
Requiem erklingt. Carlsen trifft in der ersten Runde auf Levon Aronian, der
Aufsteiger des Jahres 2005, was aber in Libyen noch kaum einer ahnt. Die beiden
Partien im klassischen Schach enden Remis, im Schnellschach unterliegt der
Norweger knapp. Hinterher erklärt Aronian, dass Carlsen gute Chancen hatte, zu
gewinnen und ergänzt: "Ich war beeindruckt. Sehr beeindruckt."
In der ersten Runde der Kandidatenwettkämpfe für
die WM 2007 trifft Carlsen wieder auf Aronian. Da hat der Norweger die Chance
zur Revanche. Aber erst einmal wird er versuchen, in Wijk aan Zee gut
abzuschneiden. Um den Anschluss an Karjakin nicht zu verpassen.
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