"Vier Partien sind wie russisches Roulette"

von ChessBase
03.05.2011 – Am Donnerstag beginnen in Kasan die Kandidatenwettkämpfe. Acht Spieler haben es geschafft, sich in dem komplizierten Ausscheidungsmodus mit verschiedenen Turnieren bzw. einer Turnierserie - World Cup und Grand Prix - oder durch Vorberechtigungen für die Kandidatenwettkämpfe zu empfehlen. Diese werden nun in drei Stufen hintereinander durchgeführt. Bei vier Partien im Viertel- und Halbfinale kann ein einzelner Partieverlust schon entscheidend sein. Neben den schachlichen Qualitäten werden die Nerven mitentscheiden. "Vier Partien sind wie russisches Roulette," meint Artur Jussupov in seiner Prognose für die Matches. Auf dem Fritzserver werden die Partien live kommentiert und das Tagesgeschehen in "Round up" -Shows zusammengefasst (Für Premiummitglieder kostenlos). Prognose...

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Artur Jussupow: „Vier Partien sind wie russisches Roulette“
Der frühere WM-Kandidat und seine Tipps für die bevorstehenden Matches in Kasan

Von Dagobert Kohlmeyer

In dieser Woche beginnt im russischen Kasan das schachliche Hauptereignis des Jahres. Spieler und Begleiter-Teams reisten am Dienstag in der tatarischen Metropole an, am Mittwoch erfolgt die Eröffnung des Kandidatenturniers. Ab Donnerstag ermitteln die acht Supergroßmeister dann den Herausforderer des amtierenden Weltmeisters Viswanathan Anand (Indien). Dabei gibt es diese reizvollen Paarungen: Weselin Topalow (Bulgarien) – Gata Kamsky (USA), Wladimir Kramnik (Russland) – Teimur Radjabow (Aserbaidschan), Levon Aronjan (Armenien) – Alexander Grischuk (Russland) und Boris Gelfand (Israel) – Shakryar Mamedjarow (Aserbaidschan).  

Zum großen Bedauern der Schachöffentlichkeit fehlt in dem illustren Teilnehmerfeld der Kronprinz Magnus Carlsen aus Norwegen, über dessen Rückzug aus dem laufenden WM-Zyklus auf dieser Web-Seite schon hinreichend informiert wurde. Und noch zwei  pikante Details: Gata Kamsky hat tatarische Wurzeln und damit in Kasan quasi ein Heimspiel. Die beiden Hauptfavoriten Levon Aronjan und Wladimir Kramnik treffen, wenn sie die erste Runde überstehen, bereits im Halbfinale aufeinander!   

Gespielt werden in den ersten beiden Durchgängen des Kandidatenturniers jeweils vier Partien. Bei einem 2:2 geht es in den Tiebreak. Im Finale ab (19. Mai) werden dann sechs Partien ausgetragen. Spätestens am 26. Mai steht der WM-Gegner 2012 von Vishy Anand fest. Der Preisfonds beträgt insgesamt 500.000 Euro, von denen die FIDE wie üblich ihre Prozente kassiert. Netto liegen nach Aussage der Veranstalter 420.000 Euro im Topf. Die Verlierer der ersten Runde (Viertelfinale) erhalten je 30.000 Euro, wer im Halbfinale ausscheidet, bekommt je 60.000 Euro, und die beiden Finalisten nehmen je 90.000 Euro mit nach Hause. Das ganz große Geld macht dann natürlich im nächsten Frühjahr noch einmal der WM-Herausforderer. Wobei der Spielort des Kampfes um die Krone bislang nicht feststeht, nachdem die attraktive Weltstadt London wegen Querelen mit der FIDE ihre Offerte als Ausrichter des WM-Finales wieder zurückgezogen hat. Der Weltschachbund wartet jetzt auf neue Gebote.

Als ich überlegte, wer für unsere Leser in Deutschland zu den bevorstehenden Duellen von Kasan einen ganz profunden Tipp abgeben könnte, fiel mir spontan Artur Jussupow ein. Wenn jemand so viele Kandidatenkämpfe wie er bestritten hat, darunter drei Halbfinales, dann weiß er, wovon er spricht. Artur, du hast das Wort!

 

 

Topalow – Kamsky

Der Favorit ist Weselin Topalow. Ich gebe ihm 60:40 Prozent Gewinnchancen, mehr aber nicht.

Denn ich weiß aus meiner eigenen Erfahrung, dass es sehr schwer ist, den gleichen Gegner zweimal hintereinander zu besiegen. Das ist mir nie gelungen. Der Holländer Jan Timman hat seinerzeit bei mir zurückgeschlagen. Es war im WM-Kandidaten-Halbfinale 1992. Ich glaube, Gata Kamsky wird sehr, sehr motiviert sein.

Er möchte sich für seine Niederlage gegen Topalow von 2009 in Sofia revanchieren. Eine Überraschung ist hier nicht ausgeschlossen. Auch wenn Kamsky fast zehn Jahre pausiert hat, schaffte er es, wieder an die Weltspitze zu kommen. Nicht ganz nach vorn, aber es ist schon bemerkenswert, wie er sich präsentiert. Und er ist ein Kämpfer mit starken Nerven, der sich offensichtlich in großartiger Form befindet. Das zeigt sein kürzlicher Sieg bei der USA-Landesmeisterschaft. Gata spielt wieder auf Topniveau – Hut ab! Er wird in Kasan viele Anhänger haben.

Kramnik – Radjabow

Ich weiß nicht, in welchem physischen Zustand Wladimir Kramnik sich befindet. Wenn bei ihm alles normal läuft, dann ist er der Favorit.

Auch hier würde ich 60:40 tippen. Mit einem gesundheitlichen Handicap wird Kramnik es jedoch gegen den jungen, hungrigen Teimur Radjabow sehr schwer haben.

Mir ist nicht bekannt, was im März beim Amber Turnier in Monaco mit Wladimir los war, ob er sich nur schlecht fühlte oder Formschwankungen hatte. Natürlich wollte er nichts von seinen Vorbereitungen zeigen. Kramnik hat ja eine große Matcherfahrung. Diese spricht selbstverständlich klar für ihn. Das Problem bei diesem Format sind ganz eindeutig die wenigen Partien. In nur vier Spielen kann fast alles passieren. Das ist beinahe wie russisches Roulette. Es gibt deshalb gar keine Garantie, dass der stärkere Spieler sich durchsetzt. Er kann eine Partie verlieren, und die drei anderen werden remis. Dann scheidet er eben aus.

Aronjan – Grischuk

Der Armenier ist für mich der klarste Favorit des ganzen Turniers.

Seine Gewinnchancen stehen 70:30 Prozent. Aber auch hier gilt: Man darf Alexander Grischuk nicht unterschätzen. An einem guten Tag kann der Moskauer Großmeister jeden schlagen.

Doch Levon Aronjan spielt sehr stabil, verliert kaum eine Partie und hat seine Superklasse in den letzten Jahren in vielen Turnieren bewiesen. Zuletzt gewann er ganz souverän vor Magnus Carlsen in Monte Carlo. Aronjan sollte, wenn nichts Überraschendes passiert, dieses Match für sich entscheiden. Er betreibt Schach sehr ernsthaft, und ich erwarte den armenischen Vorkämpfer auch im Finale des Kandidatenturniers. Levon ist mit 28 Jahren im besten Schachalter. Seine Favoritenstellung ist eindeutiger als die von Kramnik und Topalow, weil man nicht genau weiß, in welcher Verfassung sich diese beiden Großmeister derzeit befinden.

Gelfand – Mamedjarow

Das wird ein sehr interessanter Kampf zweier Schach-Generationen, bei dem ich die Chancen mit 50:50 ansehe. Für den Turniersenior Gelfand mit seinen fast 43 Jahren spricht die große Erfahrung in Kandidatenkämpfen, für Mamedjarow die Jugend und sein frisches, ideenreiches Spiel.

Dort könnte es durchaus in den Tiebreak gehen. Gelfand ist aber auch im Schnellschach sehr stark, so dass ich keine eindeutige Prognose über den Sieger wagen möchte.

Beide Großmeister sind ungefähr gleich einzuschätzen. Die kurze Distanz in diesen Duellen ist eine gewisse Chance für die Außenseiter. Deswegen kann in diesem WM-Zyklus fast alles passieren, und beinahe jeder kann dort gewinnen.  

Fazit

Ein ideales Reglement der Kandidatenkämpfe gibt es wahrscheinlich nicht. Die von der FIDE vorgegebene kurze Distanz für die jeweiligen Duelle an der Wolga kann auf der einen Seite kritisiert werden. Sie sorgt aber nach unserer Meinung und der vieler Schachfreunde natürlich auch zweifellos für zusätzliche Spannung. Doch der frühere WM-Kandidat sowie heutige Meistertrainer und Buchautor Artur Jussupow betont noch einmal: „Das Ganze kann unter Umständen sehr schnell zu einer Art von russischem Roulette werden!“  

 

 

 


Die ChessBase GmbH, mit Sitz in Hamburg, wurde 1987 gegründet und produziert Schachdatenbanken sowie Lehr- und Trainingskurse für Schachspieler. Seit 1997 veröffentlich ChessBase auf seiner Webseite aktuelle Nachrichten aus der Schachwelt. ChessBase News erscheint inzwischen in vier Sprachen und gilt weltweit als wichtigste Schachnachrichtenseite.

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