1. Damenschachturnier in Berlin
Von André Schulz
Fotos: André Schulz, Dagobert Kohlmeyer
Am vergangenen Freitag Nachmittag durften zahlreiche Zuschauer in
Berlin die Wiedergeburt einer alten Tradition erleben. Das Neue Deutschland
initiierte und finanzierte ein Schachturnier. Zu Beginn des Turnierschachs waren
die Tageszeitungen überall in der Welt erste Anlaufstelle für das Schach. Jede
Zeitung, die etwas auf sich hielt, beinhaltete auch eine Schachspalte, die in
regelmäßigen Abständen erschien. Da war es nur natürlich, wenn man durch die
Organisation eines Turniers auch gleich selbst für die Nachrichten sorgte, die
dort erscheinen konnten.
Von den Turnieren, die in Deutschland mit Zeitungen in Verbindung standen, war
das „Eliteturnier“ 1928 wohl das berühmteste. Es wurde vom 11.bis 29.Oktober im
Berliner Café König, einem der großen Schachcafés jener Zeit durchgeführt.
Organisator war Jacques Mieses, der das Turnier für seine Zeitung, das berühmte
Berliner Tageblatt, in Szene setzte. Der Preisfonds in Höhe von 10.000 Mark
und Mieses Geschick brachte ein sehr starkes Feld zusammen, heute würde man das
Superturnier nennen.
1 2 3 4
5 6 7 Marks
1 Capablanca ** ½½ ½½ ½½
1½ 11 11 8½ 2000 I
2 Nimzowitsch ½½ ** ½0 ½½
01 11 1½ 7 1400 II
3 Spielmann ½½ ½1 ** ½0
11 ½0 ½½ 6½ 1000 III
4 Tartakower ½½ ½½ ½1 **
00 ½0 1½ 5½ 800 IV
5 Rubinstein 0½ 10 00 11
** 01 0½ 5 600
6 Réti 00 00 ½1 ½1
10 ** ½½ 5 500
7 Marshall 00 0½ ½½ 0½
1½ ½½ ** 4½ 450
Berlin Tageblatt 1928: Capablanca, Spielmann, umgeben von
Tartakower, Reti, Marshall, Rubinstein und Nimzowitsch
Nach drei Runden musste Tarrasch wegen Krankheit
zurücktreten und ist deshalb in der Tabelle nicht aufgeführt. In seinen
Erinnerungen an Dr. Emanuel Lasker berichtet Salo Flohr, wie er das Turnier
als Schachkorrespondent für eine Prager Zeitung besuchte und vor lauter
Begeisterung vergaß, in welchem Hotel er sich einquartiert hatte.
"Ich kam nach Berlin als kleiner, unbekannter Berichterstatter von Prager
Zeitungen zum Turnier des „Berliner Tageblatts“. Meine Aufregung, bald einen
lebendigen Lasker, Capablanca, Tarrasch, Nimzowitsch, Rubinstein, Marshall usw.
kennenzulernen, war unbeschreiblich. Ich begab mich schleunigst ins Café
„König“, wo ich alle die von mir jungem Schächer vergötterten Helden sofort nach
dem Foto erkannte. Aber: Beim Morgengrauen stellte ich mir die Frage: Wo wohne
ich eigentlich? In der großen Aufregung klopfte mein Schachherz so stark, daß
ich nach der Ankunft im Blitztempo ein Hotelzimmer nahm, den Koffer ablegte und
ohne zu sehen, wie das Hotel heißt, in welcher Straße es liegt, schleunigst ins
Café „König“ eilte. Was nun, kleiner Schächer? Ich ging zur Polizei, wo ich um
Hilfe bat. Man sah mich etwas komisch an. Um mich für ganz verrückt zu halten,
schien ich zu jung. Die Berliner Polizei erwies sich auf der Höhe, und man fand
das Hotel, wo ich mich angemeldet hatte. Hätte man es nicht gefunden, wäre es
auch keine solche Katastrophe, denn in meinem Köfferchen hatte ich
wahrscheinlich, wie man so in Berlin sagt, „einen alten Hut“.
Warum damals Dr. Emanuel Lasker nicht mitspielte, erklärt
Flohr uns auch:
"Im Café „König“ sah ich damals Dr. E. Lasker nicht. Er interessierte sich
damals wenig für Schach, was bei ihm manchmal der Fall war. Aber ich fand ihn in
einigen Tagen doch, wenn ich mich richtig erinnere, im Café „Trumpf“. Ich hatte
Geduld, wartete bis zwei oder drei Uhr morgens, und gemeinsam mit einer Gruppe
von seinen Freunden und Partnern begleiteten wir Lasker zu Fuß nach Hause. Es
waren keine Schach-, sondern Bridgepartner."
Später wurde auch der von Alfred Seppelt durchgeführte
Berliner Sommer, von 1981 bis 1997 von Berliner Zeitungen zumindest zeitweilig
unterstützt, bis das Turnier mangels Sponsor schließlich ad acta gelegt wurde (Artikel
in der Berliner Zeitung...).
In Bezug auf die Schachberichterstattung haben mit dem
Neuen Deutschland und der TAZ zumindest zwei große Berliner Tageszeitungen die
Tradition gepflegt. In beiden Blättern gibt es regelmäßig Artikel oder
Interviews über Schachturniere oder Themen, die mit Schach im Zusammenhang
stehen. Nun ist das Neue Deutschland den einen konsequenten Schritt weiter
gegangen und hat eine kleines Schachturnier organisiert.
Ausgangspunkt für diese Idee war die Eröffnung der
Laskerausstellung im Frühling des Jahres, wo in den Räumen der
Lasker-Gesellschaft im Dorlandhaus u.a. eine kleine Schaupartie zwischen dem
Freiburger Kabarettisten und früheren Bundesligaspieler Matthias Deutschmann und
der Ex-Weltmeisterin Susan Polgar via Internet gezeigt wurde. ND-Geschäftsführer Olaf Koppe sah, mit welchem Interesse das Nichtfachpublikum an der
Partie Anteil nahm und sprach den Vorstand der Lasker-Gesellschaft Stefan Hansen
an: "Können wir das nicht auch machen?"
Stefan Hansen, Dorland-Geschäftsführer und geschäftsführender
Vorstand der Lasker-Gesellschaft
Mit Raj Tischbierk und seiner Zeitschrift "Schach" wurde
ein geeigneter Co-Organisator gewonnen. Das Projekt nahm seinen Anfang und wurde
schließlich am Freitag realisiert.
Raj Tischbierek fungiert als Schiedrichter
Man entschied sich für ein Frauenschachturnier, das mit
vier Spielerinnen in einer Vorrunde und einer anschließenden K.o.-Runde gespielt
werden sollte. "Die Frauen spielen ebenfalls sehr attraktives Schach, kommen
aber in Bezug auf Turniere immer etwas zu kurz," begründete Gastgeber Paul
Werner Wagner die Entscheidung für ein Frauenturnier. Da das Turnier an einem
Spätnachmittag durchgeführt werden sollte, wurde mit Schnellschachbedenkzeit
gespielt.
Mit den beiden Deutschen Elisabeth Pähtz und Melanie Ohme, der Schweizer
Meisterin Monika Seps und der ukrainischen Olympiasiegerin Inna Gaponenko bekam
man ein spielstarkes und interessantes Turnier zusammen.
Elisabeth Pähtz hat sich inzwischen als klare Nummer Eins im deutschen Schach
etabliert. Die 21-jährige Hauptgefreitin (sagt man so?) der
Bundeswehr-Sportkompanie kann bereits auf einen Jugend- und einen
Juniorenweltmeistertitel blicken. Zur Zeit ist sie Nummer 25 in der
Weltrangliste - der Trend geht weiter nach oben.
In der Bundesliga ist sie neben
Almira Skripchenko und Eva Moser eine von drei Frauen, die dort überhaupt
spielen dürfen. Im Interview erklärte sie kürzlich, dass mit etwas Glück sogar
der WM-Titel greifbar sei.
Die Leipzigerin Melanie Ohme hat gerade bei der Jugendweltmeisterschaft in der
Altersgruppe U16 den sechsten Platz belegt.
"Wenn ich nicht in der letzten Runde
verloren hätte, wäre es vielleicht die Vizeweltmeisterschaft geworden."
Zusammen
mit Maria Schöne, Sarah Hoolt und Judith Fuchs gehört sie zu einer neuen
Generation junger Spielerinnen, die von Bundestrainer Bönsch gerade für den
C-Kader nominiert wurden. Einige von ihnen werden sicher bei der Schacholympiade
2008 Dresden teilnehmen.
Monika Seps ist beste Schweizer Spielerin und gehört auch bei den Männern zu den
Topspielern das Landes.
Die 21-jährige vertrat ihr Land bereits bei
Europameisterschaften und Schacholympiade vertreten und in den letzten beiden
Jahren eine ordentlichen Leistungssprung gemacht. "Die Schwachen werden
versuchen die Starken zu schlagen, im Schnellschach ist alles möglich,"
formulierte sie ihr Turnierziel.
Ansonsten wolle sie anspruchvolles Schach
spielen.
Das die übrigen Spielerinnen kaum über 20 waren, kam der ukrainischen
Nationalspielerin Inna Gaponenko mit gerade 30 Jahren schon die Rolle der
ältesten Teilnehmerin zu.
Gaponenko ist Schachprofi, spielt in mehreren Ligen
und hat sich außerdem um ihre 7-jährige Tochter zu kümmern. In ihrem Heimatland
hat sie Platz 80 in der Gesamtrangliste inne. In der Frauenrangliste ist sie
hinter Lahno und Zhukova die Nummer Drei.
Etwa 100 Zuschauer fanden den Weg in den Leuschnerdamm, wo
die Lasker-Gesellschaft im Dorlandhaus residiert. Damit dürften die
durchschnittlichen Zuschauerzahlen der Weltmeisterschaften von San Luis oder
Elista wohl locker übertroffen sein. Vielleicht ist es doch günstig für den
Zuschauerzuspruch, wenn man ein Schachturnier in einer Millionenstadt spielt,
oder zumindest in der Nähe einer solchen. Dann können Zuschauer per S-Bahn oder
Taxi kommen und müssen nicht auf den Charterflug warten. Nicht auszudenken, wenn
hier einmal ein Kandidatenwettkampf oder dergleichen stattfinden würde.
Die Spielerinnen zogen viele Fotografen an
Harald Fietz hat Hunger
Die Partien wurden per DGT-Bretter auf eine Leinwand über
die Spielerinnen projiziert. In einem Nebenraum waren sie ebenfalls zu sehen und
wurden dort von GM Thomas Pähtz kommentiert.
Elisabeth Pähtz mit Vater Thomas
ChessBase besorgte die
Übertragungstechnik und
schickte außerdem ein Live-Videobild in den Fritzserver.
Die Zuschauer, neben Lesern des Neuen Deutschland
auch eine
Reihe Schachprominenter aus Berlin, sahen vier junge Damen, die zumeist
freundlich lächelten und sich auf dem Brett mit ihren Figuren dabei gleichzeitig an
die Gurgel sprangen. Es floss viel Blut: Nur zwei der insgesamt zehn Partien
endeten remis und das auch erst nach z.T. Langem Kampf.
Nach der Vorrunde lagen die beiden "Starken", Gaponenko
und Pähtz tatsächlich an der Tabellenspitze, die beiden "Schwachen" mussten um
die restlichen Plätze kämpfen. Melanie Ohme hatte zuvor etwas Pech, dass sie ein
Remis-Turmendspiel mit Minusbauer gegen die routinierte Elisabeth Pähtz nicht halten konnte.
Melanie Ohme im Pech
Im Finale zwischen Gaponenko
und Pähtz hatte die Erfurterin zunächst die besseren Chancen, verdarb aber ein
gewonnenes Endspiel zum Remis. In der zweiten Partie überschritt Gaponenko dann
in unübersichtlicher Stellung die Zeit. Elisabeth Pähtz wurde Turniersiegerin.
Im kleinen
Finale gewannen Ohme und Seps je eine Partie und man einigte sich auf einen
geteilten dritten Rang.
Vorrunde (10+5)
Endrunde (20+10)
Die Partien zum Nachspielen...
Die Spielerinnen erhielten
neben einem Blumenstrauß als Prämie Reisegutscheine, die die Firma
GIS-Reisen gespendet hatte.
Am Ende wurde den zahlreichen Zuschauern von 16 bis 21 Uhr ein sehr netter Schachnachmittag
geboten. Zwischendurch gab es Zeit
für ein Buffet und anregenden Gedankenaustausch. Auf den Brettern
wurde zudem ordentlich Spannung geboten und mancher hatte großen Spaß beim
Mitdenken. Last, but not least hatte das Turnier mit der Ausstellung "Schach und
Musik" eine schöne Kulisse. Für einen reibungslosen Ablauf sorgte Susanne
Poldauf von der Lasker-Gesellschaft. Die Künstlerin Sybille Waldhausen hatte
dort auch einige ihrer "schwebenden Schachobjekte ausgestellt". Die schmalen auf
Schachfeldern montierten und sich Wind bewegenden Figuren weisen auf die
Bewegung der Gedanken im Schach hin und erinnern an indische
Schattenspielmarionetten und damit an die Herkunft des Schachs (Figuren können
über die Laskergesellschaft erworben werden.).
Sybille Waldhausen
Das alles zusammen ist allemal
bessere und anregendere Unterhaltung als irgendein Kinofilm oder sogar
mittelmäßiges Theater.
Wann ist das nächste Turnier?
Links:
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Zeitschrift Schach...
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