03.04.2018 – Am Ostermontag endete das GRENKE Chess Open mit einer Sensation. Vincent Keymer gewann das größte offene Schachturnier Europas mit 8,0 Punkten aus neun Runden. Er startete als Nr. 99 der Setzliste und ließ 49 Großmeister hinter sich, darunter so bekannte Namen wie Etienne Bacrot (Frankreich), Richard Rapport (Ungarn), Alexei Shirov (Lettland) oder Anton Korobov (Ukraine). Der Sieg wird ihm mit einer GM-Norm und einem Geldpreis von 15.000 Euro versüßt. (Foto: Georgios Souleidis)
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Vincent Keymer schreibt mit Open-Sieg in Karlsruhe „Geschichte“
Während die deutschen Großmeister im Topturnier in Karlsruhe als Statisten für Magnus Carlsen&Co. fungieren, stahl ein 13-Jähriger am Ostermontag selbst dem Weltmeister eine Etage tiefer die Show: Vincent Keymer. Der gebürtige Mainzer gewann mit 8:1 Punkten ungeschlagen das mit mehr als 50 Großmeistern und 787 Spielern besetzte größte Open in Europa. „Sensationell“, „unfassbar“ oder „ein fantastischer Erfolg“ lauteten die Vokabeln, die Pressesprecher Georgios Souleidis oder Ullrich Krause, Präsident des Deutschen Schachbundes (DSB), wählten. Nachdem die Erfurterin Elisabeth Pähtz über Ostern in Tiflis Schnellschach-Europameisterin wurde, darf der DSB nun noch mehr von einer goldenen Zukunft träumen – zuletzt war der vor 150 Jahren geborene Emanuel Lasker letzter deutscher Schach-Weltmeister von 1894 bis 1921.
Die Fans feierten Keymer bei der Siegerehrung mit Ovationen und hoffen weiter auf einen deutschen Magnus Carlsen. Schon mit elf Jahren hatte der Deizisauer Bundesligaspieler für Aufsehen gesorgt. Die Marke des Norwegers, der bereits mit 13 Jahren und drei Monaten Großmeister (GM) wurde, kann der Klavierspieler aus einer Musikerfamilie nicht mehr brechen, obwohl ihm jetzt die erste von drei erforderlichen GM-Normen gelang. Dass er aber nun allen Weltmeistern etwas voraus hat, daran lässt sein neuer Trainer Peter Leko keinen Zweifel: „Das ist Geschichte, mit 13 Jahren in so einem Stil das A-Open zu gewinnen!“, geriet der ehemalige Vizeweltmeister aus Ungarn ins Schwelgen.
Vincent keymer umrahmt von Peter Leko und Hans-Walter Schmitt | Foto: Hartmut Metz
Gegen dessen Landsleute Gabor Papp und den vorjährigen U21-Weltranglistenersten Richard Rapport kam Keymer am Schlusstag „mit dem Druck zurecht. Gegen Rapport verteidigte sich Vincent wie ein Computer“, pries Leko seinen abgebrühten Schützling. Das Supertalent fand derweil nach Rapports Figurenopfer für drei Bauern alles „sehr einfach. Ich hatte ja immer nur einzige Züge, um mit meinem König zu flüchten“. Als der Open-Topfavorit dann kleinlaut ein Remis anbot, war das dem Jungspund „wichtig. Denn nun war klar, dass ich gut stehen muss“. Locker ging Keymer mit seinem Läufer mehr zum Gegenangriff über, zwang Rapport zur Aufgabe und holte als erster Spieler acht Punkte in dem Karlsruher Open. „Es ist unglaublich! Das war mein bestes Turnier, das ich jemals spielte“, betonte der Open-Sieger.
Magnus Carlsen beobachtet die Partie zwischen Vincent Keymer und Richard Rapport | Foto: Georgios Souleidis
Anton Korobov, gegen den der 13-Jährige nach zwei mühelosen Auftaktsiegen in Runde drei „erstaunlich leicht“ remisierte, half so die beste Buchholz nicht.Der Ukrainer hatte mit Alexei Shirov schnell Friedensverhandlungen aufgenommen. Dmitry Gordievsky schob sich noch zwischen die beiden auf Platz drei – unfreiwillige Schrittmacherdienste leistete ihm Eric Lobron. Der frühere deutsche Open-Spezialist, der nach 14 Jahren sein Turnier-Comeback feierte, klagte deprimiert: „Ich stand einen Zug lang auf Gewinn. Dass ich das nicht sah ...“ So fiel der 57-Jährige nach seiner starken Leistung noch mit 6,5 Punkten aus den Preisrängen.
Eric Lobron zeigte beim GRENKE Chess Open, warum er früher für die deutsche Nationalmannschaft spielte | Foto: Georgios Souleidis
Die Riege der 21 Akteure mit sieben Punkten führten der Franzose Maxime Lagarde und Falko Bindrich an – der Großmeister der DJK Aufwärts Aachen wurde davon überrascht, hatte er doch wegen der Buchholz einen deutlich schlechteren Platz erwartet, machte aber in der Schlussrunde noch viel Boden gut. Drei deutsche Anwärter auf den GM-Titel – Jonas Lampert (Hamburger SK), Christopher Noe (SC Eppingen) und Michael Fedorovsky (Bayern München) - landeten knapp außerhalb des Geldes und nahmen einträchtig die Plätze 19 bis 21 ein.
Mit ihren 6,5 Zählern durften vor allem der Heusenstammer Hagen Poetsch, dem eine GM-Norm gelang, und Luis Engel zufrieden sein. Der ehemalige deutsche U14-Meister aus Hamburg verbuchte eine IM-Norm und verpasste laut eigener Aussage die GM-Norm angesichts „von einer Performance von 2570 Elo“ nur knapp. Die starke Leistung des hanseatischen Juniors ging angesichts des fantastischen Resultats von Keymer, der laut Turnierchef Sven Noppes wie ein 2800er spielte, unter.
Der 15-jährige Luis Engel erzielte in Karlsruhe seine zweite IM-Norm | Foto: Georgios Souleidis
Keymer ging mit Souleidis für den Grenke-Classic-Videokanal die neun Partien durch, die laut dem Pressechef „ein Erdbeben auslösen“. In Runde zwei ließ sich sein Kontrahent das Matt mit Damenopfer nicht mehr zeigen, bedauerte der 13-Jährige etwas das vorzeitig beendete hübsche Schlussspiel. In Runde fünf gab der Neu-Deizisauer mit Schwarz sein zweites Remis ab gegen den französischen GM Jean-Noel Riff. Danach folgten vier Siege en suite!
Der letztlich zehntplatzierte Italiener Allessio Valsecchi (2510) „lief in meine Vorbereitung. Das war ziemlich fies. Ich hatte festgestellt, dass er taktisch sehr stark ist, aber positionell Schwächen hat“. Taktik ist im Übrigen auch das Steckenpferd Keymers, der gerne Aufgaben löst. In den vergangenen Monaten stellte seine Mutter auch wieder vermehrten Trainingseifer fest, weshalb die Leistungsexplosion absehbar gewesen sei. Das Training mit Leko seit Herbst habe auch seinen Anteil, unterstrich Keymer, der zuvor auch kurzzeitig mit Artur Jussupow zusammengearbeitet hatte.
Gegen Rainer Buhmann hatte er Glück, weil der Hockenheimer nach seinem Läuferopfer auf g7 immerhin ein Dauerschach geben konnte – aber glaubte, er habe einen Mattangriff. Doch bei dem „Blackout“ übersah Weiß den simplen Rettungszug Ld3 nebst Lg6, was alles parierte. Die „Nacht über und morgens war ich nervös. Am Brett war das aber verschwunden“, erlaubte der Turniersieger Einblicke in sein Seelenleben vor der letzten Doppelrunde. Gegen Papp merkte Keymer schnell, dass der Ungar „gewinnen wollte. Er opferte mit Schwarz einen Bauern“ - vergebens wie auch die Opfer von Rapport.
Vincent Keymer kam gegen Gabor Papp zu einem erstaunlich leichten Sieg | Foto: Georgios Souleidis
Eine Sache weiß Hobbyradler Keymer bereits: Von den 15000 Euro Preisgeld kauft er sich kein Fahrrad, denn „ich habe ja erst ein neues bekommen“. Unsicher wird Keymer nur bei der Frage, ob er nach dem historischen Open-Sieg sein Teilnahme-Recht am Topturnier 2019 mit Carlsen nutzt. „Ich weiß nicht, ob ich darauf bestehen soll. Die sind so viel besser.“ Noch.
Vincent Keymer mit dem Siegerscheck | Foto: Georgios Souleidis
Hartmut MetzHartmut Metz ist Redakteur bei den Badischen Neuesten Nachrichten (BNN) mit Hauptsitz in Karlsruhe. Er schreibt außerdem unter anderem für die taz, die Frankfurter Rundschau und den Münchner Merkur über Schach und Tischtennis. Zudem verfasst der FM und Deutsche Ü50-Seniorenmeister 2023 von der Rochade Kuppenheim regelmäßig Beiträge für das Schach-Magazin 64, Schach-Aktiv (Österreich) und Chessbase.de.
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