140 Jahre Frank Marshall

von André Schulz
10.08.2017 – Heute vor 140 Jahren wurde Frank Marshall geboren. Marshall war ein geistreicher Schachromantiker, der sich mit vielen glanzvollen Kombinationen in der Schachgeschichte verewigt hat. Zudem hat er die Eröffnungstheorie um einige gefährliche Gambitvarianten bereichert.

ChessBase 17 - Megapaket - Edition 2024 ChessBase 17 - Megapaket - Edition 2024

ChessBase ist die persönliche Schach-Datenbank, die weltweit zum Standard geworden ist. Und zwar für alle, die Spaß am Schach haben und auch in Zukunft erfolgreich mitspielen wollen. Das gilt für den Weltmeister ebenso wie für den Vereinsspieler oder den Schachfreund von nebenan

Mehr...

Romantik!

Frank Marshall wurde am 10. August 1877 in New York geboren. Sein Geburtstag jährt sich heute zum 140sten Mal. 

Als Marshall acht Jahre alt war, übersiedelte die Familie nach Montreal (Kanada). Marshalls Vater war ein recht guter Schachspieler und brachte das Spiel auch seinem Sohn Frank bei, als dieser zehn Jahre alt war. Frank Marshall zeigte sich talentiert und so wurde er von seinem Vater ins Hope Coffee House gebracht, wo sich die besten Schachspieler der Stadt trafen. Mit 13 Jahren war Frank Marshall dann bereist selber der beste Spieler von Montreal, mit 15 Jahren gewann er die Meisterschaft des Montreal Chess Clubs. 1893 weilte William Steinitz zu Besuch in Montreal und gab eine Simultanvorstellung, an der auch Frank Marshall teilnahm. Zwar verlor Marshall die Partie in nur 26 Zügen, wurde aber dennoch vom Ex-Weltmeister gelobt: "Selten hatte ich einen so jungen Gegner, der mir soviel Schwierigkeiten bereitet hat."

Mit 19 Jahren kehrte Marshall in die USA zurück und lebte nun in Brooklyn, das damals noch nicht zu New York gehörte. Er trat in den Manhattan Chess Club und in den Brooklyn Chess Club ein und gewann mit 22 Jahren die Vereinsmeisterschaften beider Clubs. Wohlhabende Mitglieder der beiden Vereine finanzierten Marshall dann eine Reise nach Europa, damit er am Turnier in London 1899 teilnehmen konnte. Für die Teilnahme am A-Turnier war Marshall nicht bekannt genug. So spielte er im Hauptturnier mit und gewann es. Ein Jahr später wurde Marshall beim Turnier in Paris, das am Rande der Weltausstellung im "Grand Cercle" am Boulevard Montmatre organisiert wurde, hinter Lasker und Pillsbury, zusammen mit Marozcy, schon geteilter Dritter. Der Partiegewinn des in Europa bis dato unbekannten Amerikaners über Weltmeister Lasker war dabei eine Sensation und Marshall wurde in den Schachkreisen schlagartig bekannt. 1903 fühlte Marshall sich schon stark genug, um Lasker eine Herausforderung für einen Kampf um die Weltmeisterschaft zu übersenden. Allerdings konnte er die finanziellen Forderungen von Lasker - 5000 Dollar - nicht erfüllen.

1904 gewann Marshall die US-Meisterschaften, nahm den Titel aber wegen der Abwesenheit des erkrankten Pillsbury nicht an. Das Turnier von Cambridge-Springs im gleichen Jahr gewann er mit zwei Punkten Vorsprung vor Lasker und Janowski.

Die Teilnehmer von Cambridge-Springs, Marshall steht vorne rechts

1905 spielte Marshall Wettkämpfe gegen zwei andere mögliche WM-Herausforderer, Janowski und Tarrasch, um sich als Heruasforderer zu empfehlen. Während er gegen Janowski mit 8:4 nach Siegen (bei vier Remis) gewann, unterlag er Tarrasch mit 1:8 (bei acht Remis) deutlich. 1906 gewann Marshall den 15. Kongress des Deutschen Schachbundes in Nürnberg und ließ Tarrasch und Janowski hinter sich.

Da mögliche Wettkämpfe um die Weltmeisterschaft gegen Tarrasch und Maroczy nicht zustande gekommen waren, akzeptierte Lasker, der zu dieser Zeit in den USA lebte, schließlich die Herausforderung von Marshall und hoffte den Wettkampf über US-Sponsoren zu finanzieren. Das Match wurde von Januar bis April 1907, auf acht Gewinnpartien angesetzt, in New York, Philadelphia, Baltimore, Chicago und Memphis ausgetragen und endete für Marshall mit einer vernichtenden Niederlage. Lasker gewann 8:0 (bei sieben Remis).

In der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg lernte Marshall in New York unter anderem den Dada-Künstler Marcel Duchamp kennen. Duchamp wurde während seiner Zeit in New York vom Schachfieber erfasst, befasste sich intensiv mit dem Spiel und gab später sogar seine Karriere als Künstler auf, um Schachprofi zu werden. Duchamp war auch Mitglied des Marshall Chess Clubs. 

Laut den Berechnungen des Statistikers Jeff Sonas erreichte Marshall 1913 seinen Zenit und war hinter Akiba Rubinstein der zweitbeste Spieler jener Zeit in der historischen Weltrangliste. In der Liste der besten Spieler der Schachgeschichte sieht Sonas Frank Marshall auf Platz 29, hinter Tschigorin, vor Leko.

Auch Frank Marshall gehörte 1914 zu den Spielern, die beim Turnier in Mannheim vom Ausbruch des Ersten Weltkrieges überrascht wurden. Im Gegensatz zu den Russen, die wie Aljechin und Bogoljubow interniert wurden, erhielt Marshall als Bürger der anfangs neutralen USA 375 Mark Kompensation und gelangte auf abenteuerlichem Wege über Rotterdam zurück in die USA. 1918 gründete er in New York einen eigenen Schachklub, den Marshall Chess Club.

Das Schachleben in Europa war mit und nach dem Ersten Weltkrieg weitgehend zum Erliegen gekommen. Erst 1925 wurden wieder die ersten großen Turniere gespielt und Marshall begab sich auf in diesem Jahr auf seine erste Europatournee nach dem Krieg. Er spielte unter anderem in Baden-Baden (geteilter Fünfter), Marienbad (geteilter Dritter) und Moskau (Vierter) mit.

Im September/November 1929 wurde die US-Wirtschaft vom Wallstreet Crash getroffen. Mehr als die Hälfte des US-Aktienvermögens war auf einen Schlag vernichtet. Auch das US-Schachleben wurde aus Mangel an Sponsorengeldern schwer getroffen. Marshalls Chess Club geriet ebenfalls in Schwierigkeiten, musste umziehen, überlebte aber mit Hilfe von Gönnern.

Mit der US-Mannschaft gewann Marshall bei den Schacholympiaden 1930 in Hamburg, 1933 in Folkstone, 1935 in Warschau und 1937 in Stockholm viermal die Goldmedaille. Bei der Schacholympiade in Hamburg erzielte er mit 12,5:4,5 ein überragendes Ergebnis. Duchamp, der für Frankreich spielte, war einer der wenigen, dem Marshall ein Remis gönnte.

Vom Eintritt der USA in das Geschehen des Zweiten Weltkrieges wurde der Marshall Chess Club hart getroffen. Viele Mitglieder wurden eingezogen, darunter auch Marshalls Sohn Frank Rice Marshall. 1942 erlitt Raul Capablanca im Marshall Chess Club seinen zweiten Schlaganfall und starb an dessen Folgen am 8. März. Zweieinhalb Jahre später, am 9. November 1944 befand sich Frank Marshall auf dem Weg nach Jersey City, wo er den Abend beim Bingo verbringen wollte. Auf der Straße brach er mit einem Herzanfall zusammen. Jede Hilfe kam zu spät. Am 13. November fand das Begräbnis statt. Der Marshall Chess Club wurde nun bis zu ihrem Tod von Marshalls Witwe Carrie (+1971) geleitet.

Im Laufe der Zeit sind zehn Bücher unter Marshalls Namen erschienen. Zumeist wurden sie von Fred Reinfeld auf der Basis von Marshalls handschriftlichen Notizen in Form und zu Papier gebracht - "My Fifty Years in Chess" ist das bekannteste.

Frank Marshall pflegte einen romantischen Angriffstil, mit dem er viele Spieler überwältigen konnte, mit dem er aber auch bei manchen Defensivkönnern wie an einer Mauer zerschellte. So sind auch seine hohen Wettkampf-Niederlagen gegen Tarrasch und Lasker zu erklären.

Gegen Stepan Lewitzki spielt Frank Marshall 1912 in Breslau einen der verblüffendsten Züge der Schachgeschichte:

 

 

Auch auf eröffnungstheoretischem Gebiet war Marshall sehr kreativ und bereicherte das Eröffnungsspiel mit einigen geistreichen Gambits. Das Marshall-Gambit in der Spanischen Partie gehört heute zum festen Repertoire viele Großmeister. Weitere Varianten im Damengambit, in der Französischen Verteidigung und in der Sizilianischen Verteidigung sind nach ihm benannt.

 

Das "Schachfieber" in Russland nach dem Ersten Weltkrieg wurde im gleichnamigen russischen Stummfilm thematisiert. Farnk Marshall ist dort am Ende in einer Turnierpartie gegen Torre zu sehen:

 

Bis zum Schluss hatte Marshall Freude am Schach und formulierte das so: "Ich spiele seit über 50 Jahren Schach. Ich begann im Alter von zehn Jahren, und ich spiele immer noch gut. In all der Zeit ist glaube ich kein Tag vergangen, an dem ich nicht wenigstens eine Partie gespielt hätte – und ich genieße es immer noch wie am Anfang.“


André Schulz, seit 1991 bei ChessBase, ist seit 1997 der Redakteur der deutschsprachigen ChessBase Schachnachrichten-Seite.

Diskutieren

Regeln für Leserkommentare

 
 

Noch kein Benutzer? Registrieren