185 Jahre Louis Paulsen

von André Schulz
15.01.2018 – Was haben die Kartoffelzucht und die Schachtheorie gemeinsam? Den Namen Paulsen. Wilfried Paulsen, auch ein starker Schachspieler, war ein Pionier der Kartoffelzucht. Louis Paulsen erfand so gut wie alle Sizilianisch-Systeme, aber nur eines wurde nach ihm benannt. Zeitweise war er der beste Spieler der Welt. Heute vor 185 Jahren wurde Louis Paulsen in Blomberg geboren. (Fotoquelle: Helmut Hartmann-Paulsen)

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Eine Schachfamilie aus Blomberg

Am 15. Januar 1833, heute vor 185 Jahren wurde Louis (eigentlich: Herman Ludwig) Paulsen geboren. Seine Name ist zumindest in deutschen Schachkreisen durch die Sizilianische Paulsen-Variante noch einigermaßen geläufig. Von der Person wissen die meisten aber wohl relativ wenig. Das ist schade, denn Louis Paulsen war zu Beginn der modernen Turniergeschichte zweitweise wohl der beste Spieler der Welt.

Louis Paulsens Vater war Dr. Carl Paulsen (1791-1869). Er hatte ursprünglich Forstwissenschaft studiert, dort promoviert, war dann aber vom Vater zur Bewirtschaftung auf das Familiengut Nassengrund bestellt worden. Auch Carl Paulsen war bereits ein begeisterter Schachspieler und galt zusammen mit Eduard Fischer und "Steuerrath" Zumbusch aus Lemgo als bester lippischer Spieler seiner Zeit. Da er im Schach ein gutes Mittel zum Erlernen von planvollem Denken sah, brachte Carl Paulsen auch seinen Kindern Wilfried, Ernst, Amalie, Louis und Emilie das Schachspiel bei. Louis lernte es schon mit fünf Jahren beim Zuschauen, wenn der Vater gegen seine älteren Brüder spielte. 

Kartoffeln und Schach

1846 begründete Carl Paulsen auf dem Gut Nassengrund, bei Blomberg im Bezirk Detmold-Lippe, eine Kartoffelzuchtanstalt. Später wurde diese von seinem Sohn Wilfried fortgeführt.

Die Kartoffel war im 16. Jahrhundert auf unterschiedlichen Wegen aus Amerika nach Europa gelangt. Zunächst wurde sie in nur als botanische Besonderheit betrachtet, dann erkannte man auch ihren Wert als Nahrungsspender. In Deutschland legte man um 1750 im Oberharz die ersten Kartoffelfelder an. 1756 begann Friederich II. von Preußen den Kartoffelanbau systematisch zu fördern und Anfang des 19. Jahrhunderts beschäftigen die Landwirte sich mit Zuchtversuchen, um den Geschmack zu verbessern und vor allem die Widerstandsfähigkeit zu erhöhen. Carl Paulsens Gut Nassergrund im lippischen Blomburg, damals Fürstentum Lippe, gilt dabei als die älteste deutsche Kartoffelzuchtanstalt.

Karte: Google

Carl Paulsen war allerdings mit seinen Zuchtversuchen nicht erfolgreich. Erst sein Sohn Wilfried erzielte 1864 einen Durchbruch und schuf die neue Kartoffelsorten wie die "Erste von Nassengrund", "Paulsens Juli", "Blaue Riesen" und "Gelbe Paulsen". Dank dieser Züchtungen erlangte Wilfried Paulsen Weltgeltung als Kartoffelhändler und wurde als Pionier der deutschen Kartoffelzüchtung von der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft 1894 mit der Großen Silberne Preismedaille ausgezeichnet. 1895 wurde er zum Ökonomierat ernannt.

Dame schlägt König

Wilfried Paulsen (31.Juli 1828 bis 2. Februar 1901) und Louis Paulsen (15. Juli 1833 bis 18. August 1891) wurden Turnierspieler von beachtlicher Spielstärke, wobei der jüngere Louis Paulsen seinen Bruder Wilfried an Spielverständnis noch deutlich übertraf. Auch die Schwester Amalie (1831–1869) kann so schlecht nicht gespielt haben. In der Mega Database findet man zwei Partien unter dem Namen, den sie nach ihrer Heirat trug, Amalie Lellmann, aus dem Jahr 1858, gespielt auf Gut Nassengrund. Einmal besiegte sie ihren Bruder Wilfried Paulsen, und auch gegen Louis Paulsen ging sie als Sieger vom Brett.

 

Amalie Paulsen-Lellmann war mit ihrem Gatten, einem Arzt, 1855 in die USA ausgewandert. Als sie 1857 den First American Chess Congress besuchte, gelang ihr dort in einer freien Partie ein Sieg gegen Richter Meek, den Vorsitzenden des US-Schachverbandes. Die Partien von 1858 wurden bei einem Erholungsbesuch auf dem elterlichen Gut gespielt. Das erste Frauen-Schachturnier in Deutschland fand übrigens erst im Jahr 1900 statt.

Karrierestart auf dem neuen Kontinent

Schon 1849 war Ernst Paulsen auf eigene Initiative und ohne Einverständnis der Eltern mit dem Weserschiff "Germania" von Erder über Bremerhaven in die Vereinigten Staaten gereist und hatte dort in Dubuque (Iowa) einen Tabakvertrieb aufgebaut. 1853 holte er seinen Bruder Louis nach. In Dubuque pflegten die Brüder, besonders aber Louis Paulsen, auch weiter das Schachspiel. 1857 nahm Louis auf Empfehlung des Meisterspielers W.S. Allison aus Minnesota eine Einladung des Schachclubs von Chicago an und besiegte dort alle Spieler des Vereins.

Zu den ältesten überlieferten Partien von Louis Paulsen gehören jene, die er beim First American Chess Congress 1857 spielte. Zu diesem Vorläufer der US-Meisterschaften, vom Gelehrten und Schachmeister Daniel Willard Fiske organisiert, wurde die 16 besten Spieler der USA eingeladen, darunter bereits Louis Paulsen als Vertreter von Iowa.

1st American Chess Congress

Lithografie des First American Chess Congress, New York 1857, Smith & Wesster; Lithograph und Graveur: http://www.kenilworthchessclub.org/kenilworthian/2005_09_01_archive.html

Das Turnier wurde im K.o.-Modus gespielt, Remisen zählten dabei nicht. Louis Paulsen kam bis ins Finale, unterlag dort aber dem glänzend spielenden Paul Morphy deutlich (-5 =2 +1)

 

Im Rahmen des Turniers machte Paulsen mit einer Blind-Simultanvorstellung auf sich aufmerksam.

Louis Paulsen beim Blindspiel

Er spielte gegen fünf Gegner (Frere aus Brooklyn, Dodge aus New York, Dr. Hawes aus Proidence, Oscanyon aus /Konstantinopel und Heilbuth aus New Orleans), gewann vier Partien und spielte einmal remis. Für seine Leistung erhielt Paulsen vom Veranstalter eine Goldmedaille. Bis dahin galt Phildors Blindsimultan gegen vier Gegner als Rekord. Paulsen steigerte den Rekord dann sukzessive und ein Jahr später trat er in Dubuque gegen 15 Gegner (+ 12 =2 - 1) gleichzeitig im Blindspiel an und stellte damit einen neuen fantastischen Rekord auf. Diesen übertraf Zukertort erst 1876 in London mit 16 Gegnern. Da Blindspiel wurde Paulsens Markenzeichen.

1860 beziehungsweise kehrte Louis Paulsen nach Europa zurück, um nicht im Amerikanischen Bürgerkrieg eingezogen zu werden. Sein Bruder Ernst folgte 1862. Zuvor hatte Louis Paulsen noch Paul Morphy zu einem Wettkampf herausgefordert, doch der lehnte ab. Louis Paulsen begab sich zunächst auf das elterliche Gut Nassengrund, half seinem Bruder Wilfried bei dessen Geschäften als Buchhalter. 1861 reiste er nach England und gewann in Bristol den Congress der British Chess Association. Danach spielte er in London einen Wettkampf gegen den damals schon weltbekannten österreichischen Schachmeister, späteren Banker, Mäzen und Organisator Ignaz von Kolisch. Das Match wurde beim Stand von 16:15 (+6 -7 =18) als Unentschieden (!) vorzeitig abgebrochen. Beide Spieler wollten abreisen. Paulsen reiste über Manchester, wo er eine Blindsimultanvorstellung gab, nach Düsseldorf und war dann mit seinem Bruder Wilfried an der Gründung des Westdeutschen Schachbundes beteiligt.

Beim Internationalen Schachturnier von 1862, im Rahmen der Londoner Weltausstellung vom 16. bis 28. Juni 1862 im St. George's Club, St. James's Club und Divan ausgetragen, wurde Louis Paulsen hinter dem Breslauer Lehrer Adolf Andersson Zweiter. Das Turnier wurde im neuen Modus jeder gegen jeden gespielt. Bei Remis wurde die Partie wiederholt. Erstmals gab es auch eine Bedenkzeitkontrolle. Nach dem Turnier spielten Anderssen und Paulsen einen Wettkampf, der 4:4 endete.

Ende 1862 ging Paulsen zurück nach Deutschland, gab Blindsimultanvorstellungen und spielte eine Reihe freier Partien in Düsseldorf, Leipzig und Berlin. Einen Wettkampf gegen Max Lange ("Max-Lange-Angriff") in Berlin 1864 gewann er mit 6:2. 1869 siegte er zusammen mit Adolf Anderssen beim Norddeutschen Schachkongress, der in Altona gespielt wurde. Altona war bis 1864 noch eine dänische Stadt, nach der dänischen Niederlage im Krieg gegen Preußen gehörte die Stadt nun zum "Norddeutschen Bund". Heute ist Altona ein Stadtteil von Hamburg. Inzwischen war Louis Paulsen auf Gut Nassengrund beruflich stärker eingebunden, da seine Brüder Wilfried und Ernst parallel noch eine Destillerie gegründet hatten, mit der sie den auf Gut Nassengrund gewonnene Spiritus verarbeiteten ("Der gute Nassengrunder"). 1869 erkrankte Paulsen an der Schwarzen Gelbsucht, von der er sich nur mühselig erholen konnte.

Turnierspieler und Schachtheoretiker

1870 war Louis Paulsen auch einer Teilnehmer des berühmten Turniers von Baden-Baden, bei dessen Ende der Preußisch-Französische Krieg ausbrach. Paulsen belegte hier aber nur einen Mittelplatz. Adolf Anderssen siegte vor Wilhelm Steinitz und Gustav Neumann. Der junge Steinitz gewann gegen Paulsen eine Glanzpartie. Gegen Steinitz sah Paulsen stets sehr schlecht aus.

 

In den Jahren danach nahm Louis Paulsen mehrfach an den Kongressen des Westdeutschen Schachbundes teil und gewann das Turnier  1871, 1878 und 1880. Beim ersten Internationalen Schachturnier in Wien, anlässlich der Weltausstellung von 1873 ausgetragen, war Louis Paulsen ebenfalls einer der Teilnehmer und beendete das Turnier als Fünfter bei zwölf Spielern. 1877 gewann Paulsen das Meisterturnier zur Anderssenfeier, vor Anderssen, und auch einen anschließenden Wettkampf mit 5,5:3,5.

 

 

 

Zwar steht Paulsen in der rückwärtigen Betrachtung stets etwas im Schatten des 15 Jahre älteren Anderssen, war dem Breslauer, mit dem die Familie eine langjährige Freundschaft pflegte, aber im Wettkampf überlegen. Anderssen konnte nicht einen der Wettkämpfe gewinnen.

Luis Paulsen (aus: Louis Paulsen und das Schachpiel in Lippe)

Weltbester Spieler

In seiner historischen Weltrangliste sieht der Statistiker Jeff Sonas Louis Paulsen zwischen 1862 und 1865 als weltbesten Spieler, mit einer Bestzahl von virtuellen 2710 Elo (Oktober 1862). Bis ca. 1880 gehörte er fast immer zu den Top Fünf in der Welt.

Würde man eine Liste der inoffizillen Weltmeister vor Wilhelm Steinitz aufstellen, so würde die Rangfolge seiner unmittelbaren Vorgänger wohl so lauten:

Adolf Anderssen
Paul Morphy
Louis Paulsen

Bei der Anderssenfeier 1877 spielte auch Louis Bruder Wilfried mit, der aber nur Letzter wurde. In den ersten drei Kongressen des 1877 in Leipzig gegründeten Deutschen Schachbundes spielten beide Paulsens im gleichen Turnier, außerdem bei einigen anderen Turnieren, und beendeten diese stets in der gleichen Reihenfolge, Louis vor Wilfried. In der Mega Database sind insgesamt sieben direkte Duelle bei Turnieren verzeichnet und offenbar wurden alle ausgekämpft. Louis gewann fünf Partien, zwei endeten remis.

Paulsens letztes großes Turnier vor seinem Tod im Jahr 1891 war der 6. DSB-Kongress in Breslau 1889. Der knapp 30 Jahre jüngere Siegbert Tarrasch gewann, Paulsen wurde noch geteilter Fünfter bis Siebter. Laut den Ausführungen seines Bruders Wilfried führte Louis Paulsen ein bescheidenes und regelmäßiges Leben. Er rauchte nicht, trank nur Wasser, keinen Alkohol, keinen Kaffee, nicht einmal Tee. Am 18. August 1891 starb Louis Paulsen an den Folgen seiner offenbar niemals behandelten Diabetes auf Gut Nassengrund.

Beiträge zur Eröffnungstheorie

Louis Paulsen betätigte sich seinen Einsätzen als aktiver Turnierspieler auch intensiv auf dem Gebiet der Schachtheorie. Er erkannte als einer der ersten die Überlegenheit des Läufers gegenüber dem Springer, besonders im Läuferpaar und leistete auf dem Gebiet der jungen Eröffnungstheorie viele Beiträge. Er verbesserte die schwarze Verteidigung im Evans-Gambit und führte die Idee eines Läuferfianchettos in einigen Varianten ein, z.B. in der Spanischen Partie für Schwarz.

In der von Paulsen bevorzugten Vorstoßvariante gegen die Französische Partie stammt die Idee der Hauptvariante 6.a3 von Louis Paulsen.

 

 

 

Nimzowitsch und Sveshnikov beriefen sich in ihren Untersuchungen zur Vorstoßvariante später auf Paulsen.

Nach Louis Paulsen ist im deutschen Sprachraum die Sizilianische Paulsenvariante benannt. Die Idee, die Route des Läufers f8 mit e7-e6 zu öffnen und diesen dann über c5 oder b4 ins Spiel zu bringen, ist tatsächlich Paulsens Idee und wurde von ihm regelmäßig gespielt. Den Aufbau mit 2...e6 und 4....a6, der heute Paulsen-Variante heißt, hat Louis Paulsen in dieser Form jedoch nie gespielt. International hat sich dafür auch die Bezeichnung Kan-Variante durchgesetzt. Eigentlich müsste die Variante, die heute Taimanov-Variante heißt (mit e6 und Sc6 und Läuferausflug nach b4 oder c5) ) "Paulsen-Variante" heißen. Auch die Idee, den Springer g8 über e7 nach g6 zu führen, wurde schon von Paulsen gespielt. 

1880 "erfand" Paulsen außerdem die heute so genannte Sizilianische Drachenvariante (in der Partie gegen Alexander Fritz).

 

1882 spielte er als Erster die heute Boleslavsky-Variante genannte Idee mit dem Vorstoß e7-e5.

 

1889 zeigte Paulsen zudem als erster Spieler einen Scheveninger Aufbau und realisierte dort schon die Ideen, die für diese Variante heute allgemein bekannt sind.

 

Im Gegensatz zu den meisten seiner Zeitgenossen war Louis Paulsen kein schneidiger Angriffsspieler, sondern setzte auf Prophylaxe und umsichtige Defensive. Wie im Leben, war er auch beim Schach sehr planvoll und wirkte auf seine Zeitgenossen bedächtig. Zum ausgiebigen Verbrauch der Bedenkzeit bei Louis Paulsen gibt es eine Reihe von Anektdoten.

Wilhelm Steinitz gab an, dass er in seiner eigenen Spielauffassung vom Spiel Paulsens, den er erstmals 1862 in London getroffen hatte, sehr beeinflusst worden war.

Fotoquelle, (wenn nicht anders angegeben): Horst Paulussen: Louis Paulsen und das Schachspiel in Lippe, Detmold 1982


André Schulz, seit 1991 bei ChessBase, ist seit 1997 der Redakteur der deutschsprachigen ChessBase Schachnachrichten-Seite.

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