20 Jahre Emanuel-Lasker-Gesellschaft

von André Schulz
11.01.2021 – Heute vor 20 Jahren, damals zum 60. Todestag von Emanuel Lasker, wurde in Potsdam die große Lasker-Konferenz durchgeführt und die Emanuel-Lasker-Gesellschaft gegründet. Zum Jubiläum präsentiert der Zeichner Frank Stiefel die mit dem Namen von Lasker verbundene Geschichte. Der Vorsitzende der ELG Thomas Weischede blickt im Interview auf viele Events zurück und berichtet von den Plänen.

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Anlässlich des 60. Todestages von Emanuel Lasker, am 11. Januar 2001 organisierte der Kulturmanager und Lasker-Fan Paul-Werner Wagner in Potsdam zu Ehren des einzigen deutschen Schachweltmeisters eine "Lasker-Konferenz", in der eine Reihe von Referenten das Werk von Emanuel Lasker in allen seinen Facetten vorstellten (s. Galerie) . Am Rande der Konferenz wurde die Emanuel-Lasker-Gesellschaft gegründet.

Diese hat seitdem zahlreiche Anstöße für das Schachkulturleben in Deutschland gegeben und unzählige Schachveranstaltungen durchgeführt. Mit den Auszeichnungen Lasker" und "Viktor"werden herausragende Leistungen auf dem Gebiet der Schachkultur und des Schachspiels gewürdigt. 

Inzwischen hat Paul Werner Wagner die Leitung der Gesellschaft hat Thomas Weischede übergeben.

Heute feiert die Emanuel-Lasker-Gesellschaft ihr 20-jähriges Bestehen. Die Lasker-Gesellschaft hätte ihr Jubiläum sicher gerne anders gefeiert als das jetzt möglich ist. Sobald sich die Situation im Hinblick auf die Corona-Krise normalisiert, wird die Lasker-Gesellschaft aber auch wieder mit Veranstaltungen aktiv werden und hat schon viele Pläne.

Der Zeichner Frank Stiefel hat eine virtuelle Konferenz mit dem meister höchstselbst ins Bild gesetzt und berichtet vom Vergangenen und Zukünftigen.

Anlässlich des Jubiläums lässt der Vorsitzende der Lasker-Gesellschaft Thomas Weischede die Gründungsphase und die vielen Events Revue passieren und spricht über die nächsten Pläne.

Interview mit Thomas Weischede

Die Emanuel-Lasker-Gesellschaft feiert dieses Jahr ihren 20. Geburtstag. Wie wird gefeiert und wie kam es zur Gründung?

Coronabedingt können wir das Ereignis leider nicht mit einer Präsenzveranstaltung begehen. Wir tun dies aber online und möchte alle Schachfreunde einladen, unsere Homepage zu besuchen und mit uns zu feiern. Unsere Homepage bietet dabei ein künstlerisches „Rendevouz mit Lasker“ und – exklusiv in Ellis Schachecke – kommentierte Partien von Lasker.

Zur Gründungsgeschichte muss ich etwas weiter ausholen …

Die Emanuel-Lasker-Gesellschaft ist bekanntlich ein gemeinnütziger Kulturverein, der sich der Förderung des Schachs als Kultur- und Bildungsgut widmet. Dem versuchen wir auf vielen Ebenen mit vielen Helfern und Freunden aus der Schach-, Kultur- und Bildungsszene gerecht zu werden. Vor allem möchten wir damit das Kinder- und Frauenschach fördern und im Sinne unseres Namensgebers Werte wie Toleranz, Zivilcourage und Chancengerechtigkeit vermitteln. Schach ist dabei ein wunderbares Medium, ohne Sprachbarrieren weltweit Menschen mit den unterschiedlichsten sozialen, ethnischen und kulturellen Herkünften im friedlichen Austausch miteinander zu verbinden. Das Schach stärkt nämlich nicht nur individuell intellektuelle Fertigkeiten und soziale Kompetenzen, sondern vernetzt auf friedlichen und unterhaltsamen Wege Menschen und Kulturen ganz im Sinne des Mottos des 1924 gegründeten Weltschachbundes FIDE, der „Gens una sumus“ lautet.

Wir sind etwas jünger als die FIDE. Unsere Geschichte beginnt erst vor 20 Jahren. Damals initiierte unser heutiges Ehrenmitglied Paul Werner Wagner anlässlich des 60 Todestages von Lasker in Potsdam eine internationale Lasker-Konferenz, die zugleich als Auftakt für die Gründung der ELG diente. Auf dieser bahnbrechenden Konferenz wurde nicht nur erstmals umfassend das vielfältige Schaffen von Lasker durch zahlreiche prominente Referenten auf vielfältigste Weise beleuchtet, sondern auch der Versuch gewagt, über die ELG eine institutionelle Brücke vom Schach zur Kultur und Bildung zu schlagen. Laskers Karriere fiel dabei in eine Zeit, die den Wendepunkt hin zum modernen Schach prägt. Er war ab 1894 der Zweite Weltmeister der jüngeren Schachgeschichte und hatte diesen Titel über 27 Jahre hinweg bis 1921 inne, ein bis heute unerreichter Rekord. Selbst nach 1921 gehörte er noch bis ins hohe Alter hinein zur Weltklasse und hat zum Beispiel in den bedeutenden Turnieren von New York 1924 oder Moskau 1936 noch gegen die versammelte Weltelite oder sogar seine Nachfolger als Weltmeister, namentlich Capablanca, Aljechin und Botwinnik Erfolg. Allein sein Einfluss auf das russische Schach, das ab 1946 den Schachsport weltweit dominiert und geprägt hat, ist enorm. Nicht umsonst zählen selbst solche „jungen“ Weltmeister wie Kramnik Lasker zu ihren Vorbildern oder spielen wie der aktuelle Weltmeister Carlsen Eröffnungen, deren Entwicklung und Theorie Lasker vor über 125 Jahren geprägt hat.

Lasker, selbst viel gebildet und Doktor der Mathematik, der zu Einstein eine Duz-Freundschaft unterhielt, hat aber selbst auch immer versucht, über das Schach Brücken in andere Bereiche des menschlichen Schaffens zu schlagen. Dies möchte die ELG aufgreifen und fortführen.

Konkreter Anlass der Gründung war in 2001 war aber auch der Wille, ein von Lasker selbst konzipiertes und genutztes Sommerhaus in Thyrow zu erhalten und als Gedenkstätte zu nutzen. Dies ist der ELG leider trotz vieler Anstrengungen und großer Unterstützung nicht gelungen. Dies ist sehr bedauerlich, schmälert aber die vielen weiteren Erfolge, die wir seit 2001 erzielt haben sicherlich nicht. Diese Erfolge zeigen mir, dass die Zeit damals überreif war, das Experiment zu wagen, Schach auch institutionell mit einer Organisation zu bereichern, die sich ausschließlich diesen Themen widmet.

Keines der Gründungsmitglieder wird in 2001 geahnt haben, ob dieses Experiment gelingen wird und auf welche Reise und Abenteuer die ELG sich begeben würde. Alle einte aber damals sicherlich die Vorstellung, unbekanntes zu erforschen und vermeintlich bekanntes neu zu überdenken. Daraus ergab sich ein gemeinsamer Antrieb und eine Neugier vieler schachaffiner Kulturenthusiasten, deren Kreis im Laufe der Jahre stetig angewachsen ist, so dass sich unter dem Dach der ELG inzwischen alle möglichen Expertisen, Interessen und Fachrichtungen gebündelt haben, die heute noch genauso unternehmungslustig und neugierig sind wie 2001. Vielen Dank also an die Gründungsmitglieder und Paul, deren Initiative all dies erst möglich gemacht hat.

Es gab und gibt viele prominente Mitglieder. Kannst du einige nennen?

Die Liste ist lang, sehr lang. Ohne deren Zustimmung dürfte ich Namen aus datenschutzrechtlichen Gründen gar nicht nennen, so dass ich um Verständnis bitten muss, dass ich dies hier unterlasse. Ich kann aber berichten, dass sich darunter neben ehemaligen Weltmeistern und starken Großmeistern viele Prominente aus Wirtschaft, Wissenschaft, Politik, Sport und Kunst befinden, die übrigens bei der ELG völlig offen und unkompliziert allen anderen Mitgliedern begegnen.

Ich möchte aber trotzdem vier inzwischen verstorbene Ehrenmitglieder nennen, nicht nur, weil dies rechtlich zulässig ist, sondern weil alle symbolisch gesehen gut die gesellschaftliche Bandbreite der Unterstützer widerspiegeln, die man bei der ELG auch heute noch antreffen kann. Zum einem möchte GM André Lilienthal nennen, der selbst in den 40er und 50er Jahren ein Weltklassespieler war und Lasker privat gut gekannt hat. Er hat uns um viele Nuancen aus dem aller Privatesten von Lasker und dem damaligen Weltklasseschach bereichert. Zum anderen möchte ich unseren Altbundespräsident Prof. Dr. Richard von Weizsäcker nennen, der ein großer Freund des Schachspiels war und mit seiner gesamten Persönlichkeit gern die Werte unterstützt hat, für die die ELG steht. Daneben möchte ich noch GM Lothar Schmid und GM Wolfgang Unzicker erwähnen, die das Weltschach und insbesondere das westdeutsche und deutsch-deutsche Schach nach dem Zweiten Weltkrieg jahrzehntelang geprägt haben. Beide waren selbst Weltklassespieler, obwohl sie „Amateure“ waren, also Schach nur neben ihren anspruchsvollen Berufen nachgehen konnten. Beide haben sich aber nicht nur im Schachsport engagiert. So hat Wolfgang Unzicker, der Verwaltungsrichter in München war, viel für den Aufbau des Deutschen Schachsports getan. Sein Pendant auf DDR-Seiten war sicherlich GM Wolfgang Uhlmann, ebenfalls Ehrenmitglied bei uns und ein ganz feiner Kerl, der leider Ende letzten Jahres viel zu früh verstorben ist. Lothar Schmid, der Inhaber des Karl-May-Verlages war, war zudem nicht nur einer der größten Schachsammler, sondern ein erfolgreicher Schachschiedsrichter, der u.a. in diesem Amt bei dem legendären Wettkampf Spasski gegen Fischer 1972 in Reykjavik fungierte. Ohne sein diplomatisches Geschick hätten Fischer oder Spasski diesen Wettkampf sicher nicht zu Ende gespielt. Deswegen wurde er auch zum Schachschiedsrichter des Jahrhunderts gewählt. Es ist ein tolles Gefühl, solche Persönlichkeiten in den Reihen der ELG zu wissen und gemeinsam mit vielen anderen deren Andenken zu bewahren und ihre Vermächtnisse fortzuführen.

Die ELG hat im Laufe der Zeit zahlreiche Events auf die Beine gestellt. Welche waren aus ihrer Sicht die Highlights?

Diese Liste ist ebenfalls lang und wird hoffentlich immer länger. Fast jedes Jahr gab es mehrere Highlights. Zu erwähnen sind sicherlich die oben bereits angeführte Lasker-Konferenz in 2001 sowie die wenig später organisierte Ausstellung zu „Schadows Schachclub von 1803“. In 2004 haben wir zum Beispiel den Schachverein Bamberg besucht und wohnten u.a. der Premiere der Oper „Tom Jones“ von Philidor bei. In 2007 gab es die Ausstellung zu „Schach und Politik“ im Haus der Geschichte in Bonn mit Boris Spasski als Ehrengast. 2008 waren wir im kulturellen Begleitprogramm des WM-Kampfs Anand gegen Kramnik in Bonn und der Schacholympiade in Dresden aktiv. Hochkarätig besetzt und überaus erfolgreich waren auch die alljährlichen Laskertreffen von 2008 bis 2011 oder etwas später das Festivals „Trans-Europa-Schach-Express“, an dem passend zur Verleihung des Friedensnobelpreises an die EU viele Länder beteiligt waren und das zur Gründung unserer Wanderausstellung geführt hat, die seitdem bei vielen Events wie zum Beispiel den alljährlichen zentralen Bundesligaendrunden oder bei dem vermutlich besten aller bisherigen WM-Kandidatenturniere in Berlin zu sehen war.

Weitere Meilensteine waren sodann natürlich die Unterstützung der Lasker-Monographie in 2009, die von der neuen Lasker-Trilogie, deren erster Band in 2018 erschienen ist, noch einmal übertroffen wird. Großer Dank dafür an Dr. Michael Negele und Richard Forster und ihre vielen Mitstreiter, die beides möglich gemacht haben.

Persönlich ist mir besonders gut ein bewegendes Benefiz-Simultan in Erinnerung, das wir Anfang 2015 nach den feigen IS-Morden in Paris zu Gunsten des Projekts House of One im Weltsaal des Auswärtigen Amtes durchführen durften. Es war für mich ein überaus berührender Moment, dort nicht nur den Reden der Vertreter der drei monotheistischen Weltreligionen folgen zu dürfen, sondern selbst im Namen der ELG und sicherlich der gesamten Schachwelt gegen diese Taten mit Worten und einem friedlichen Akt Stellung nehmen zu können. Ohne die Unterstützung unseres heutigen Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier, der damals noch Außenminister war, wäre dieses Event nicht möglich gewesen. Dafür möchte ich ihm heute noch einmal danken. Es mag letztlich nur eine symbolische Geste gewesen sein. Wer für Schach als Kultur- und Bildungsgut eintritt, kann und muss aber auch solche Zeichen setzen. An dem Simultan haben damals neben viele Mitgliedern und Schachfreunden auch zahlreiche Kinder jüdischen, christlichen oder muslimischen Glaubens mit großer Begeisterung und Freude teilgenommen. So etwas öffnet Herz und Seele und verbindet. Dies ist die beste Antwort auf Hass und Gewalt, die nicht nur im Schach nichts verloren haben.

Ich kann hier leider nicht alle Events aufzählen. Besonders war sicherlich jedes einzelne auf seine Art. Sicherlich waren es im Laufe der 20 Jahre ca. 60-70 Veranstaltungen wie weitere Konferenzen, Lesungen, Theaterstücke, Gesprächsrunden, Musikdarbietungen, Ausstellungen usw. Gebündelt haben sich diese Aktivitäten dann in 2018, als weltweit das 150 Geburtsjahr von Lasker gefeiert wurden. Dazu haben wir eine Sonderausgabe der Zeitschrift „KARL“ herausgegeben, die dies auf vielen Seiten im Detail beleuchtet. Ich möchte hier hervorheben, dass wir dieses Jubiläum zum Anlass genommen haben, zwei ganz besondere Ehrungen einzuführen, nämlich die Vergabe eines Lasker für besondere Verdienste um die Förderung von Schach als Kultur- und Bildungsgut und die Vergabe eines Viktor für besondere schachsportliche Leistungen. Das Schaffen solcher Preise war längst überfällig. Aus meiner Sicht handelt es sich in gewisser Weise um „Schach-Oskars“, was auch deren rasch erlangter Stellenwert zeigt. Insgesamt haben wir in 2018 wegen des besonderen Anlasses viele Preise, nämlich acht Lasker und acht Viktor verliehen. Jeder Preisträger und viele andere, die wir damals noch nicht ehren konnten, hatten diese Ehrung schon lange verdient. Der Viktor ist dabei nach unserem Ehrenmitglied Viktor Kortschnoi benannt, der Gast bei vielen unserer Events war.

Abschließend darf ich aus den bisherigen 20 Jahren -hoffentlich ohne allzu sehr auszuschweifen- zwei noch relativ junge Ereignisse und eine „Anekdote“ aus 2008 erwähnen.

Zuerst ist aus 2018 die Vergabe des ersten Viktors an Fabiano Caruana zu nennen, der ihn für den Sieg im GM-Turnier von Baden-Baden erhalten hat. Von der Verleihung gibt es ein Foto von ihm und dem Weltmeister Magnus Carlsen, der in dem Turnier Zweiter geworden ist, mit unserem Preis in der Mitte. Mehr Elopunkte auf einmal geht nicht. Schachsportlich war dies als Auftakt für die Preisverleihungen nicht mehr zu toppen. Beide haben dann 2018 gegeneinander um den WM-Titel gespielt, nachdem Caruana das oben schon erwähnte Kandidatenturnier in Berlin gewonnen hatte.

Zum anderen konnte ich vor kurzem persönlich zur 30-jährigen Feier der Wiedervereinigung auf einem überaus festlichen und berührenden Event in Leipzig, das mein guter Freund und Vorstandskollege Dr. Gerhard Köhler ermöglicht hat, die Lasker 2019 und 2020 an zwei Idole meiner Jugend verleihen, nämlich an Dr. Helmut Pfleger und Vlastimil Hort, die Schach vor über 40 Jahren ins westdeutsche Fernsehen gebracht haben. Darüber haben sich beide sehr erfreut und waren sichtlich gerührt. Ich selbst war nicht minder stolz und bin froh, beide als Ehrenmitglieder in unseren Reihen zu wissen.

Thomas Weischede mit Helmut Pfleger

Die „Anekdote“ stammt von einem Event vom ersten Lasker-Wochenende in 2008. Sie mag symbolisieren, was man bei uns alles erleben kann. Das Event fand im Plenarsaal des vormaligen Bundesverwaltungsgerichts- nach dessen Umzug nach Leipzig dem heutigen Sitz des OVG Berlin-Brandenburg- statt. Die ELG übte sich damals zum Abschluss eines sehr unterhaltsamen Kulturabends noch in einer Live-Partie, die via Internet von den zahlreichen Gästen vor Ort gegen Kasimdschanow gespielt wurde, der bekanntlich kurz vorher selbst FIDE-Weltmeister geworden war und heute Caruana trainiert. Ich habe diese Partie damals zusammen mit unseren gemeinsamen Freund FM Dr. Joachim Wintzer über Mikrofon live und ganz im Geiste von Helmut Pfleger und Vlastimil Hort zu kommentieren versucht -was ebenso vermessen wie unmöglich war- und gleichzeitig die Züge der Zuschauer via Internet übermitteln lassen. Den technischen Support hat damals ChessBase geliefert. Da es eine Schnellschachpartie war, war dies schon rein logistisch eine ziemliche Herausforderung. Beruflich war ich Plädoyers in dem Saal gewohnt. Alles andere war neu, sicherlich nicht nur für Joachim und mich, sondern auch für alle anderen Teilnehmer. Denn niemals zuvor habe ich eine solche emotionale Atmosphäre erlebt, die man am besten mit dem Begriff „Schachfieber“ beschreiben kann. Selbst Gäste, die des Schachspiels kaum oder gar nicht fähig waren, wurden von dem Schauspiel angezogen und fasziniert. Oft konnten sich die zahlreichen Zuschauer -es waren ca. 150 Personen- nicht auf einen Zug einigen, so dass Joachim und ich am Mikro, am Brett und auf der Bühne arg improvisieren mussten. Schräg hinter uns saß Viktor Kortschnoi, der mit unser aller Zügen alles andere als einverstanden war, was er mit immer lauteren gemurmelten Unmut in allen Sprachen, derer er mächtig war, und dies waren viele, auch kundtat. Dabei standen „wir“ gegen einen Weltmeister gar nicht schlecht, sondern sogar durchaus aussichtsreich, erlaubten uns aus Zeitnot aber auch vielfaches Herumlavieren. Dies reichte Viktor natürlich nicht aus. Schach ohne Ehrgeiz war für ihn, der Schach bis in hohe Alter hineingelebt hat wie kein Zweiter -Lasker vielleicht einmal ausgenommen-, ein absolutes Fremdwort. So standen Joachim und ich also vor und teilweise inmitten von zahlreichem Publikum, hatten abertausende von Elo-Punkten vor und hinter uns und versuchten verzweifelt, alles unter einen Hut zu bringen. Die Bedenkzeit wurde dabei natürlich immer knapper. Als es dann zu einer überaus komplexen Stellung kam, in der zwischen vielen Zügen zu wählen war, konnte Viktor nicht mehr an sich halten und rief auf Russisch „Zieht doch endlich f4“. Was soll ich sagen. Es war der stärkste Zug, der nach vielen weiteren Tumulten auf dem Brett zu einer klar vorteilhaften Stellung der „ELG“ führte. Viktor hatte dies im Alter von fast 80 Jahren sofort gesehen. In horrender Zeitnot haben wir dann später zwar doch noch die Partie verloren. Dies war aber längst unwichtig geworden, denn alle durften erleben, wie unterhaltsam aktives „Kampfschach“ sein kann und freuten sich, dabei gewesen zu sein und mitgemacht zu haben. Von diesem Event erzählen alle, die es erleben durften, noch heute. So etwas erlebt man wohl nur bei der ELG.

Du hast von Paul-Werner Wagner die Leitung der ELG übernommen. Seit wann bist du in der Lasker-Gesellschaft aktiv und seit wann leitest du die Gesellschaft?

Ich bin seit 2003 formal dabei und wurde 2019 zum Vorsitzenden im Vorstand gewählt. Paul hatte diese Position von 2001 bis 2019 inne, hat dann aber 2019 nicht noch einmal für den Vorstand kandidiert. Seitdem unterstützt er uns als Ehrenmitglied. Darüber bin ich sehr dankbar. Denn es ist wahrlich nicht leicht, in seine Fußstapfen treten zu dürfen, zumal ich beruflich stark eingebunden bin und noch zahlreiche weitere Ehrenämter auszufüllen habe. Das Wirken für die ELG erfüllt mich aber deswegen mit besonderer Freude, weil wir nicht nur Gutes tun, sondern ich dem Schach, das mir vor allem in der Jugend viel gegeben hat, auf diese Weise etwas zurückgeben kann.

Natürlich habe ich aber schon als Gast an der Lasker-Konferenz in 2001 teilgenommen, auch um dort viele Freunde und ehemalige Mannschaftskameraden wieder zu treffen, wie zum Beispiel Danny King aus unseren gemeinsamen Zeiten in Wuppertal oder einen gewissen André Schulz aus unseren gemeinsamen Zeiten in Bad Godesberg.

Wer ist sonst noch im Vorstand aktiv?

Zurzeit besteht der aktive Vorstand aus Dr. Matthias Kribben, Horst Metzing, Stefan Hansen, Rüdiger Schüttig, Dr. Gerhard Köhler und mir. Diese Namen dürften in der Schachwelt allen bekannt sein. Ich bin sehr froh über unser Team, das untereinander gut harmoniert und freundschaftlich seit vielen Jahren eng miteinander verbunden ist. Wir erfahren aber natürlich viel Unterstützung durch Mitglieder und andere Schachfreunde, die ich alle hier nicht namentlich erwähnen kann. Diese breite Unterstützung ist aber ein Phänomen, das die ELG auszeichnet. Hier treffen sich Gleichgesinnte, die schnell zu Freunden werden und gemeinsam Gutes tun.

Wie finanziert sich die ELG, wie werden die Events finanziert?

Wir finanzieren uns hauptsächlich über Sponsoring und ein bisschen über Mitgliedsbeiträge, weil letztere im Hinblick auf die Kosten unserer Events allein bei weitem nicht ausreichen würden. Ich bin allen Sponsoren und Mitgliedern sehr dankbar. Diese erleben bei uns auch immer, dass wir viel Gutes bewegen können, obwohl wir noch relativ jung.

Der Kreis unserer Unterstützer reicht aber weit über unsere Mitglieder hinaus. Darf ich an dieser Stelle erwähnen, dass jeder weitere Sponsor und jedes weitere Mitglied herzlich willkommen sind?

Gibt es über die Aktivitäten in Deutschland hinaus auch internationale Kontakte und Verbindungen?

Natürlich ist die ELG auch international aktiv. Dies schulden wir schon unseren Namensgeber, der selbst ein Weltbürger war. Viele wissen vermutlich gar nicht, dass er vor dem ersten Weltkrieg nach dem deutschen Kaiser der zweitbekannteste Deutsche in der Welt war.

In 2021 möchten wir zum Beispiel mit einem Event in Berlin die Jubiläen des französischen und österreichischen Schachverbandes feiern, die 2020 bzw. 2021 ihr 100-jähriges Bestehen feiern konnten bzw. können. Ich hoffe, dass es auch endlich gelingt, eine Idee von mir umzusetzen, die ich gern als „Wettkampf der Schachmetropolen“ bezeichne. Die Idee besteht darin, über das Internet als Medium einer breiten Öffentlichkeit zu zeigen, wie erfolgreich Schach Menschen und Städte kulturell verbinden kann. Dazu soll es unterhaltsame Online-Wettkämpfe geben, in denen sich die Metropolen über den Wettkampf hinaus vorstellen können.  Den Auftakt sollen Berlin und Zürich bilden, weil uns mit dem ältesten Schachverein der Welt, der SG Zürich und dort vor allem mit Christian Issler und seinem tollen Team, eine langjährige Freundschaft verbindet. Aufgrund der obigen Jubiläen sollen dann Paris und Wien folgen.

Erwähnen möchte ich hier aber vor allem ein Event, das in 2020 leider Corona zum Opfer gefallen ist, nämlich ein Kulturabend zu „Chess and Crime“ in der irischen Stadt Galway, die 2020 eine der Kulturhauptstädte Europas war. Dieses Event können wir hoffentlich in diesem Jahr nachholen. Unterstützt werden wir dabei übrigens vom irischen Goethe-Institut.

Was sind die Pläne für die weitere Zukunft?

Darüber habe ich oben schon ein bisschen informiert. Natürlich gibt es aber noch viel mehr. Ich möchte daher alle zu einem Besuch auf unsere Homepage einladen. Dort hat der Lasker-Kulturpreisträger von 2018, unser Schachfreund Frank Stiefel, einen humorvollen Rück- und Ausblick veröffentlicht, der mehr und schneller erklärt, was wir in 2021 alles vorhaben. Ich hoffe, Corona steht dem nicht entgegen.

Inhaltlich darf ich vielleicht noch ergänzen, dass die Feierlichkeiten zur Wiedervereinigung künftig alljährlich wiederholt werden sollen, wofür ich meinem guten Freund Dr. Gerhardt Köhler sehr dankbar bin. Dies wird die ELG nach Kräften unterstützen. Eigentlicher Träger dieses Events ist aber die GK Schachstiftung, mit der wir auch bei anderen Events intensiv zusammenarbeiten.

Was siehst Du heute als vordringliche Aufgabe an?

Ich bin fest davon überzeugt, dass das Wirken der ELG diese Welt etwas besser machen dürfte. Ich möchte daher noch mehr Mitstreiter dafür gewinnen, über und mit der ELG das Potential zu fördern, das Schach überall bietet.  Schach erfährt gerade als Sport im Internet und in den Medien mit der fantastischen Netflix-Serie „Queens-Gambit“ einen weltweiten Boom. Im September folgt in den deutschen Kinos die Neuverfilmung der Schachnovelle. Die Zeiten könnten somit schachkulturell kaum besser sein.

Viele wissen, wie Schach dabei helfen kann, intellektuelle und soziale Kompetenzen zu erlangen und zu fördern. Oft weiß man aber nicht, wo und wie man dies persönlich oder allgemein nutzen kann. Vor allem gibt es unter Nichtschachspielern viele Hemmungen, weil sie irrig davon ausgehen, nur gute Schachspieler wären in der Lage, daran mitzuwirken. Dies ist unzutreffend. Schach promoten kann jeder Kulturinteressierte, selbst wenn sie oder er das Spiel nur schwach oder gar nicht beherrscht. Die ELG ist genau der richtige Ort, sich insofern einzubringen. Hier treffen sich Kulturschaffende, Künstler, Wissenschaftler, Sportler und andere Professionen aus allen gesellschaftlichen Schichten und jeden Alters, die die gemeinsame Idee verbindet, mit Schach als Bindeglied zu Kultur und Bildung im obigen Sinne etwas Gutes zu tun und diese Welt ein bisschen besser und vielleicht sogar etwas gerechter zu machen. Schach ist dafür wunderbar geeignet. Je mehr Mitstreiter uns dabei helfen, desto besser-gerade in diesen chaotischen und leider auch sehr von Hass, Gewalt und persönlichen Lastern geprägten Zeiten.

Wenn ich als Schachfreund die Bemühungen der Emanuel-Lasker-Gesellschaft um die Schachkultur unterstützen möchte: Wie kann ich dies tun, also zum Beispiel Mitglied werden und was kostet mich das?

Jeder Hilfe ist natürlich willkommen, mit oder ohne Mitgliedschaft. Man muss nur- wie bei jedem gemeinnützigen Verein- mit unseren Werten übereinstimmen. Falls dem so ist, am einfachsten sofort die Mitgliedschaft beantragen, dann ist der erste Schritt schon getan. Unser Jahresbeitrag liegt bei gerade einmal 65,-€. Daneben gibt es eine kleine Aufnahmegebühr. Details dazu findet man ebenso wie unsere Satzung auf unserer Homepage.

Die Präsentation von Frank Stiefel zum Download...

Zum 20. Geburtstag der Emanuel-Lasker-Gesellschaft...

Die Homepage der Emanuel-Lasker-Gesellschaft...


André Schulz, seit 1991 bei ChessBase, ist seit 1997 der Redakteur der deutschsprachigen ChessBase Schachnachrichten-Seite.

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