Grand Prix Turnier in Beijing: Europäisches Schach auf chinesisch
Ich bin zur Zeit mit meiner chinesischen Frau auf Familienbesuch in
Beijing. Mir macht es dabei besonderen Spaß, mich auf der Straße und in den
Parks mit Einheimischen im Xiangqi, der chinesischen Variante des Schachspiels,
zu messen. Als mehrfacher Teilnehmer an Xiangqi-Weltmeisterschaften habe ich ein Niveau
erreicht, auf dem ich gegen die chinesischen Amateure etwa 50% erreiche.
Eher zufällig, beim abendlichen Lesen der Chessbase-Seite, erfahre ich von dem Grand
Prix Turnier in Peking. "Hmmm...", das könnte man sich doch mal anschauen. Wo findet es denn
statt? Die Internetseite gibt keinen Aufschluss darüber. Immerhin erfahre ic4h,
dass die Eröffnungszeremonie im New Century Grand Hotel stattgefunden hat. Das
ist nur ca. eine halbe Taxistunde von unserer Wohnung entfernt, für Pekinger Verhältnisse
also vergleichsweise nahe gelegen. Ob da auch das Turnier gespielt wird?
Ein Anruf meiner Frau ergibt die kryptische Antwort, dass das Turnier nicht
dort, sondern “unter der Brücke” ausgetragen wird. Diese Beschreibung ist
allerdings nicht besonders hilfreich. Immerhin findet meine Frau auf der
FIDE-Turnierseite eine Pekinger Telefon-Nummer, mit deren Hilfe wir den Spielort
in Erfahrung bringen - eine Behörde, die neben Schach auch für weitere Spiele wie
Brigde und Go zuständig ist. Und diese liegt sogar noch näher an unserem
Standort. Nach einem einstündigem Spaziergang sind wir schon am Ziel.

Auch 5 Jahre nach den olympischen Spielen sind am Horizont rege
Bautätigkeiten zu entdecken


Der Verkehr läuft auf Pekings Verkehrsadern gerade gut - zu Stoßzeiten keine
Selbstverständlichkeit
Doch wo ist der Eingang? Wo sind die Hinweise auf das schachliche Großereignis? Nichts zu sehen! Und es kommt
noch schlimmer/besser: Als wir durch den immerhin repräsentativen Haupteingang
in das Gebäude gelangen wollen, werden wir von der Empfangsdame nicht etwa
freundlich hereingebeten, sondern zu einem versteckt gelegenen Hintereingang
geschickt. Dort, auf dem Parkplatz, ist erstmals eine Ankündigung des Grand Prix
Turniers auf einem großen Banner zu sehen. Im Eingangsbereich ist sogar eine
Tafel mit der Vorstellung der
Spieler sowie eine aktuelle Tabelle aufgestellt.

Auf dem rückwärtigen Parkplatz findet man ein großes Banner mit dem ersten Hinweis
auf das Turnier

Organisation für verschiedene Denkspiele, darunter auch Schach oder Bridge

Die Spieler

Die aktuelle Tabelle
Doch wo wird nun gespielt? Keine weiteren Hinweise oder Wegbeschreibungen
sind zu sehen. Die Nachfrage meiner Frau ergibt: Im 3.
Stock, Raum 335. Tatsächlich: Vor dem Raum steht ein Wachmann, bei dem wir
sämtliche elektronische Geräte abgeben müssen, und dann sind wir drin. Ein gut
klimatisierter, geräumiger Saal erwartet uns. Vorne links: ein Hauptschiedsrichter, vor uns,
hinter einer Absperrung: die 12 Spieler an den 6 Brettern.
Ein Vorteil des
chinesischen Desinteresses an dem Turnier: Wie selbstverständlich lässt man
uns an der Absperrung vorbei direkt an die Bretter zum Kiebitzen gehen. Ich
fühle
mich wie ein (Schach-)König: endlich unter meinesgleichen ;-) ! Es dauert eine
ganze Weile, bis den Veranstaltern die Unangemessenheit unseres Aufenthalts
auffällt und man uns höflich in den zweiten Stock in den offiziellen
Zuschauer- und Presseraum bittet.

Doch welch Unterschied zu den Turnieren in
London oder Moskau, bei denen mehrere Kameras installiert und eine Menge
interessierte Journalisten und Fans zugegen waren. Hier, außer ein paar mehr
oder weniger gelangweilten Offiziellen, befinden sich lediglich drei oder vier Langnasen, darunter
der Manager von Topalov. Die sich an die Partien anschließenden
Pressekonferenzen sind praktisch nur für das Internetpublikum gedacht. Unter den Anwesenden bin
ich der einzige Schachfreund, der zuhört!


Ich als einziger Zuhörer der offiziellen Nach-Analyse
Dabei sagen die Spieler durchaus
Hörenswertes: So
weist Grischuk im Anschluss an seine Remispartie gegen Giri humoristisch auf
seinen Fehler hin, sich nämlich auf seinen Gegner vorbereitet zu haben. Da Giri mit jeder Farbe
alle Eröffnungen spielt und sich Grischuk auf alles vorbereitet habe, sei
er am Ende mit iner Art
"Kaleidoskop im Kopf" zur Partie erschienen und es habe damit geendet, dass
eine Eröffnung auf dem Brett entstanden sei, die beide noch nie gespielt
hätten.

Grischuk bei seiner launigen Pressekonferenz
Der chinesischen Öffentlichkeit war's aber leider völlig egal...
Peking:

Ein Antik-Markt. Eine gewisse Anzahl von "Langnasen" lässt touristische Bedeutung erahnen

Tradition (vorne) und Moderne (hinten)

Nippes zum Verkauf

Hier werden Maiskolben im Kohleofen gegart und verkauft.

Der mobile Apfelstand

Ein vollautomatische Buchausleihstation

Ein Schläfchen zwischendurch: Chinesen können überall schlafen

Ein paar Gehminuten weiter: Der typische chinesische Garten


Eine Möglichkeit, die Ein-Kind-Politik zu umgehen sind - Zwillinge

Zur Ertüchtigung: Tischtennis...

... oder chinesischer Kampfsport
Bericht und Fotos: Joachim Schmidt-Brauns