XXXIX Torneos de Ajedrez:
Jose Raul Capablanca in memoriam
La Habana-Miramar
39. Jose-Raul-Capablanca-Gedenkturnier
Havanna-Miramar 2004
Ein Vor-Ort-Bericht vom Schach-Touristen GM Henrik Teske, Oberaudorf
Endstand Elite Gruppe

Die Partien zum Nachspielen...
Das jährlich stattfindende
Traditionsturnier des kubanischen Schachverbandes findet in diesem Jahr im etwas
älteren Hotel Neptuno-Triton in Havanna-Miramar (dt.: Meeresblick) statt.

Hotel Triton
Aus den oberen Etagen bietet
sich dem Gast ein herrlicher Rundblick auf das Geschäfts-, Hotel und
Botschaftsviertel, sowie auf die einen Steinwurf entfernte Karibische See und
abends auf das Lichtermeer der kubanischen Metropole, deren Zentrum ca. 3 km
entfernt liegt. In unmittelbarer Nachbarschaft befindet sich das Panorama-Hotel
- ein Hotelkomplex mit einer interessanten Architektur. Das Gebäude ist von
außen betrachtet ein gigantischer Glaspalast. Der Innenraum des Gebäudes ist
hohl. Bei Außentemperaturen von je nach Jahreszeit 10(Winter) bis 40
(Hochsommer) Grad ist er angenehm klimatisiert. Die Balkons der Zimmer sind in
das Gebäudeinnere gerichtet, wo sich auch ein Fahrstuhl befindet.

Panorama Hotel
Auch nur ein paar Schritte sind
es bis zum Hotel Melia. In den beiden Nachbarhotels besteht Internetverbindung -
allerdings nicht gerade zum Schnäppchenpreis. Für einen Stunde in der Cyberwelt
sind ab 6 USD zu berappen. Aber wie überall, gibt es auch in diesem Fall
kubanische Lösungen - Man kennt jemanden, der jemanden kennt. Internationale
Kommunikation ist eine Achillesferse des Karibikstaates. Telefonieren kann man
nicht empfehlen: 4 USD für Gespräche nach Europa - immerhin Rabatte auf 2,70 USD
um den Muttertag - sind nun wirklich kein Schnäppchen. Mit den richtigen
Verbindungen und guten Spanischkenntnissen gibt´s für jedes Problem in Kuba auch
günstigere Lösungen - leider habe ich die kubanische Variante für die Versendung
von Bildberichten leider erst kurz vor meiner Abreise aus Havanna erfahren und
konnte sie nicht mehr realisieren.
In allen Touristenhotels gibt
es internationale Fernsehprogramme
Über das Weltgeschehen bleibt
der Tourist durch Deutsche Welle, CNN, TV Espanya informiert. Die Bevölkerung
wird nur mit den Programmen des Kubanischen Fernsehens versorgt. In Cubavision
und TV Rebelde wird man über das Weltgeschehen informiert, gelegentlich mit
Berichten von CNN und TV Espanya. Die Renner sind aber Soapoperas,
Musiksendungen Marke Viva/MTV und Liveübertragungen von Sportereignissen. Die
Straßenfeger sind Beisbol, Boxen und Frauen-Volleyball.
Aber auch Leichtathletik und Schach(!) stehen hoch im Kurs: Jens-Uwe hat im
Kubanischen Fernsehen sogar einen Schachkurs gefunden. Und auch beim Turnier
waren die Fernsehkameras auf die einheimischen Stars Lazaro Bruzon - kubanischer
Jugend-Sportler des Jahres 2000 nach dem Gewinn der Jugend-WM - und Lenier
Dominguez gerichtet. Ganz so extrem wie in Deutschland sind die Medien
allerdings nicht. Und eine Boulevard-Presse gibt es auch nicht. Sonst hätte der
Nationalheld sicher die Titelseiten gefüllt. Zusammen mit dem chilenischen
Kuba-Experten Ivan Morovic hatte er sich mit zwei Freundinnen getroffen, die
ihre Papiere vergessen hatten, und war prompt in eine Polizeikontrolle geraten,
die sich eine Weile hinzog.
Dia del madre - Muttertag
Anders als in Spanien am ersten
Maisonntag, wird der Muttertag in Kuba wie in Deutschland am zweiten Sonntag im
Mai gefeiert. Da die meisten Kubaner spanischstämmig sind (ca. 70 % der
Bevölkerung), werden an diesem Tag die Messen in den katholischen Kirchen sehr
gut besucht. So auch die Messe in der Stadtkirche von Miramar. Sie ist übrigens
ein echtes Prunkstück, welches sich durchaus mit der weit bekannteren Kathedrale
von Havanna messen kann.

Die Kathedrale

Iglesia de Miramar

Alte amerikanische Autos sind in Kuba typisch
Für das Elite-Turnier war am
Muttertag ein Ruhetag vorgesehen. Allerdings hatte Jens-Uwe Maiwald das Pech,
gegen Spitzenreiter Viacheslav Ikonnikov die wegen verspäteter Anreise des
Russen verlegte Partie vom ersten Spieltag nachholen zu müssen. Thomas Luther
und ich nutzten den Nachmittag für einen kleinen...
Ausflug nach Habana-Vieja
(Altstadt von Havanna)
Mit dem Taxi ging´s an den
berühmten Hotels Nacional und Habana Libre im Stadtteil Habana-Vedado vorbei,
die Küstenstraße Malecon entlang bis zum Tunel de la Bahia. Von hier aus hat man
einen herrlichen Blick auf die Festung Castillo del Morro und den
Hafen und kann das berühmte Museo de la Revolution, die Kathedrale und
das
Capitolio (heute
Kunstmuseum, früher Regierungssitz wie sein großer Bruder in Washington) zu Fuß
erreichen.

Capitolio in Havanna
Das Leben in Kuba: Sozialismus
unter Palmen
Typisch für das Leben in Kuba
und insbesondere in Havanna sind extreme Kontraste. Geradezu Parallelwelten
auf engstem Raum. Auf 500 Quadratmetern findet man tiptop renovierte
historische Luxusvillen, Baustellen und gelegentlich aber auch noch bewohnte
Abrisshäuser.

Havanna Alt und Neu
Die Architektur ist ein Abbild
der kubanischen Lebensverhältnisse. Diese werden noch immer vor von der
gravierenden finanz- und wirtschaftspolitischen Entscheidung von 1994
beherrscht, den bis dahin verbotenen Besitz ausländischer Währung zuzulassen.
Trotz US-Embargo und
Helms-Burton-Gesetz fassten die kubanischen Strategen den kühnen Entschluss, den
USD zum offiziellen Zahlungsmittel zu erklären. Dadurch floss viel ausländisches
Kapital nach Kuba, insbesondere durch Geldtransfers von (von mir geschätzten ca.
3 Mio.) Auslandskubanern und die Öffnung für den Tourismus. Von einem Tag auf
den anderen waren Kubanische Peso nur noch Tauschwährung mit zu Anfang extremem
Kursverlust. Auch die gesamte Arbeitswelt wurde durch diesen massiven Eingriff
radikal verändert. Die Putzfrau im Touristenhotel verdiente plötzlich mehr als
der Hochschulprofessor, der Arzt oder Arbeiter und Ingenieure in der Energie-
oder Trinkwasserversorgung.
Ausländische Touristenführer
zensieren sich selbst
Insofern ist es nur ein eher
irreführender Teil der Wahrheit, wenn man in Reiseführern lesen kann, dass der
Durchschnittskubaner ca. 15 USD im Monat verdient. Wer wie Martin Boriss und
Jens-Uwe Maiwald das erste Mal in Kuba ist und dem Reiseführer glaubt, dem geht
es wie im alten DDR-Witz: Das Politbüro rätselt: "Der Durchschnittsverdienst
sind 800 (DDR-) Mark. Aber 1000 Mark werden ausgegeben?! Und wie die Leute ihre
Wochenendhäuser finanzieren, kriegen wir auch noch raus!!"
Bevölkerung und Staat vereint -
zuweilen auch in der Schattenwirtschaft
Inzwischen hat fast jeder
Haushalt geregelte oder halblegale Nebengeschäfte. Die Haupteinnahmen stammen
aus dem Tourismus (Trinkgelder, Privattaxis, Privatfahrten mit Staatstaxis- und
Bussen, Privatvermietungen.) Leider wird aber in der größten Not auch
"Volkseigentum privatisiert" (vor allem Zigarren) und "am Mann gearbeitet".
Insbesondere hier sind die Augen des Gesetzes - Sicherheitspersonal und
Angestellte der staatlichen Unternehmen - meist nicht fern. Sie weisen auf die
geltende Rechtslage hin, haben aber genügend Fingerspitzengefühl und
gelegentlich auch finanzielles Eigeninteresse, bei Bagatellen wegzuschauen. Der
Staat machte es im Zweifelsfall nicht anders. Kontaktaufnahmen von kubanischen
Bürgern zu Ausländern werden in verschiedenen Graduierungen unterbunden. Wenn
die freiwilligen Leistungen des Touristen aber noch mehr einbringen, aufgehoben.
Nach einer Eheschließung kann man sich mit seiner Verwandtschaft gefahrlos in
der Öffentlichkeit bewegen. Um Missverständnissen vorzubeugen, sollte man
allerdings die entsprechenden Dokumente bei sich tragen. Irgendwie erinnert
alles ein wenig an die Kindheit: Bürger und Staat sitzen im gleichen Boot und
spielen "Räuber und Gendarm". Von Zeit zu Zeit werden extreme Auswüchse von
"Geschäftstüchtigkeit" durch "semanas decisivas" (entscheidende Wochen)
begradigt.
Des Weiteren steht "Fidel" (Castro), wie der Staat von seinen Bürgern praktisch
synonym genannt wird, vor allem an der Kasse der Supermärkte und Geschäfte. Denn
dort ist das Preisniveau ähnlich wie in Deutschland, was natürlich in keinem
Verhältnis zu den Erzeugerpreisen steht. Trotzdem sind die Geschäfte voller
Menschen. Frisches Obst und Gemüse von sehr guter Qualität bekommt man auf den
Straßenmärkten oder in Wohngebieten auch direkt von angrenzenden
Landwirtschaften zu etwa einem Fünftel des deutschen Preises.
Um auch für sehr arme Bürger eine Grundversorgung zu garantieren, gibt es noch
immer Lebens- und Arzneimittelkarten. Ich habe mich mit vielen Kuba-Experten und
Einheimischen unterhalten. Und alle sind sich einig. Obwohl viele Kubaner mit
den aktuellen Lebensverhältnissen unzufrieden sind, erkennen sie einen
deutlichen Aufwärtstrend in den letzten Jahren. Viele touristische Einrichtung
sind neu gebaut oder modernisiert worden. Viele schöne alte Bürgerhäuser in den
Innenstädte werden gleichfalls renoviert. Ein Mobiltelefonnetz wurde aufgebaut.
In den großen Städten gibt es Internetcafes. Wurde man 1997 auf Schritt und
Tritt mit den unglaublichsten Geschichten angebettelt, so erlebt man dies
heutzutage weit weniger als in Madrid oder München! Aggressive Zigarrenhändler
nerven aber auch ganz schön. Bürger (und Touristen) spüren zunehmend das
Interesse des Staates, die wirtschaftliche Erholung zu nutzen, um die
Schattenwirtschaft wieder zurückzudrängen.
Z.B. ist nun ohne Rechnung nur noch die zollfreie Ausführung von 23 Zigarren
gestattet. Die teureren Formate sind in Boxen zu 25 Zigarren erhältlich. Ein
deutscher Tourist erzählte mir, man habe ihm 2 Kisten am Flughafen abgenommen.
Besonders wütend war er, dass man ihm sagte, er könne die Ware nach bis zu 30
Tagen dort wieder abholen! :-))
Das bilaterale Verhältnis von
Kuba und USA
... hat durch die Verschärfung
der Regelungen für Besuche und Geldtransfers durch die Bush-Regierung (US-Bürger
dürfen nur noch einmal in 3 Jahren Kuba besuchen und der Höchstsatz für
Geldtransfers wurde ebenfalls auf ein Drittel reduziert.) erheblichen Schaden
genommen. Die kubanische Bevölkerung war durch diese Ankündigung stark
verunsichert. Noch am gleichen Tag war am Supermarkt in Miramar die Hölle los -
lange Schlangen an den Kassen, was sich aber schon am nächsten Tag wieder
normalisierte. Auch bezüglich Internet und email brodelte die Gerüchteküche.
Denn für 1-2 Tage war der Service stark eingeschränkt.
Vor allem bei Electronic-Gütern wird von den Kubanern ein sofortiger Anstieg der
Preise um etwa 30 Prozent erwartet. Welchen Kubaner man auch fragte, alle waren
extrem sauer auf den amerikanischen Präsidenten. Trotzdem sind sicher nicht alle
freiwillig zur Großdemonstration am 14. Mai 2004 nach Havanna gekommen. Falls
doch, ist es sicher ein tolles Geschäft, kubanische Flaggen und rote Hemden zu
produzieren. Die Demo wurde natürlich im kubanischen Fernsehen gezeigt.
Fotomontagen, die den amerikanischen Präsidenten in Naziuniform zeigen und ihn
als Faschisten zu titulieren, trägt aber nicht gerade zur Deeskalation bei.
Was die Neuregelungen betraf,
konnte ich die Kubaner nur damit trösten, daß diese sicher von einem
demokratischen Präsidenten zurückgenommen würden. Ob allerdings die Preise bei
neuen Signalen aus Washington ebenso schnell auf den alten Stand zurückkehren
werden? Erst in Deutschland erfuhr ich von Castros Ankündigung, den Warenverkehr
auf Dollarbasis prinzipiell stark einschränken zu wollen.
Unterschiedliche Zahlungsmittel
Der 1:1 zum USD gehandelte Peso
cubano convertible ist kaum noch im Umlauf. Die Inlandswährung Peso cubano
spielt praktisch keine Rolle mehr. Touristen sie kaum zu Gesicht. Sein Wert ist
in den letzten 3 Jahren von 1:20 auf 1:26 im Vergleich zum Dollar gefallen.
Nützlich ist er vor allem für Inlandstelefonate, die am Tag vergleichsweise
teuer sind, nach 19 Uhr nur noch die Hälfte und nach 23 Uhr nur noch ein Zehntel
kosten. Auf die Einführung des Euros hat Kuba sofort reagiert. So ist er in
Touristenorten wie Varadero teilweise gültiges Zahlungsmittel!
Unsere Männer in Havanna
... sind in diesem Jahr Thomas
Luther und Roman Slobodjan, die schon reichlich Kuba-Erfahrungen gesammelt
haben, sowie Jens-Uwe Maiwald und Martin Borriss, die ihre Premiere feiern. Bei
Roman läuft´s nach Startschwierigkeiten besser. Die anderen beginnen ihn langsam
zu beneiden. Im Scherz hat man ihn schon aufgerufen, schlechter zu spielen, um
es auf die Bedingungen schieben zu können.

Roman Slobodjan

Jens-Uwe Maiwald

Martin Boriss mit Havanna

Thomas Luther gegen Lazaro Bruzon
Kubaner dominieren in allen
vier Turnieren
Im Elite-Turnier gibt es ein
Kopf-an-Kopf Rennen zwischen den beiden Spitzenspielern Lenier Dominguez und
Lazaro Bruzon, der den direkten Vergleich gewinnen konnte. Aber auch in den
anderen Turnieren liegen die Kubaner vorn. Ein Hauptgrund dürfte die
Bedenkzeitregelung sein. Gespielt wird mit der FIDE-Bedenkzeit 90 min + 30 s /
Zug. Da fast alle Kubaner auch in Spanien aktiv sind, haben sie gerade in
Schnellpartien immense Erfahrung und mit ihrem eher taktisch orientierten Stil
häufig das glücklichere Händchen. Spanischsprachige Informationen rund ums
Schach auf der Antilleninsel und seit ein paar Tagen auch einige kommentierte
Partien des Turniers sowie einen Download finden Sie auf der Seite des
Kubanischen Schachverbandes unter
www.inder.co.cu. Unter /capablanca/ wird man über das Turnier
informiert.

Leinier Dominguez
Ein eigener Sache
Ich bin wie immer seit 1999 nur
auf Urlaub in Kuba. Ltur hatte für den Rail&Fly Frankfurt - Varadero mit 299,-
Euro in so günstiges Angebot, das ich nicht ablehnen konnte. Als ich das Leiden
der deutschen Spieler nicht mehr mit ansehen konnte - Spaß, natürlich geplant -
reiste ich in die Provinzstadt Cienfuegos, den Geburtsort von Jose Raul
Capablanca, weiter. Von dort aus fuhr ich dann über die Touristenhochburg
Varadero wieder nach Deutschland. Ein kleinen Bildbericht über das typische
Leben in Wohngebieten und in der Touristenhochburg folgt demnächst.
Henrik
Teske