ChessBase 17 - Megapaket - Edition 2024
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Wer Helmut Pfleger im TV bei einer der zahlreichen Turnieren oder privat gehört
hat, kennt ihn als eloquenten, freundlichen und nachsichtigen Gesprächspartner.
Doch der Schachjournalist Pfleger
kann auch sehr bissig nachfragen, wenn es im Dienste der Öffentlichkeit ist. Bei
der Durchsicht der WDR-Sendung "Schach der Großmeister" von 1985 stolperte ich
über eine sehr interessante Stelle in einer sehr interessanten Zeit, an der
Helmut Pfleger den damaligen Fide-Präsidenten Campomanes befragt.
Wahrscheinlich kann sich nicht jeder sofort an dieses Interview erinnern, so
dass ich ausschnittsweise eine Passage aufgeschrieben habe.
Zur Sendung des WDR wurde Campomanes aus Graz zugeschaltet, wo er wegen des
anstehenden Fide-Kongresses weilte. Thema des Interviews war der anstehende
Wiederholungswettkampf zwischen Karpov und Kasparov. Die Sendung fand 1985
statt, unmittelbar vor dem geplanten Wettkampf zwischen Weltmeister Karpov und
Herausforderer Kasparov. Der WM-Kampf von 1984 wurde unter bis heute ungeklärten
Umständen nach vielen Monaten und unzähligen Partien abgebrochen.
Dr.
Spahn: "Die Weltmeisterschaft 1985, der zweite Teil der Weltmeisterschaft, soll
am 3.September statt finden. Wird es sein, Herr Campomanes?"
Campomanes: "Nun, das ist eine sehr schwierige Frage..."
Dr.Spahn: "... die Schachwelt hat sich darauf vorbereitet, glaube ich..."
Campomanes: "..., alles was wir sagen können, ist, dass dieser Termin anberaumt
worden ist, und ich glaube eigentlich, dass dieses Ereignis stattfinden wird, zu
dem besagten Datum."
Dr.Pfleger: "Ja, aber es ist doch eigentlich eigenartig, dass doch jetzt so kurz
bevor die Weltmeisterschaft beginnen soll, es immer noch eine schwierige Frage
ist, also ob sie nun beginnen wird und manches dafür spricht und so weiter.
Warum ist es eigentlich nicht fest? Und warum gibt es soviel Streitereien? Und
gerade Herr Campomanes war ja da auch sehr angegriffen, jetzt, dass eine
Regelung im Sinne einer "Lex Karpov",
also eindeutig für Karpov getroffen wurde."
Campomanes: "Wer hat diese Attacken geritten? Ich glaube, die einzige Autorität ist hier der Fide-Kongress. Alles, was ich hier sage, ist immateriell."
Dr.Spahn: "Das heißt, der
Fide-Kongress, der morgen in Graz beginnen wird, wird definitiv darüber
entscheiden, ob die Weltmeisterschaft am 3.September stattfinden wird."
Campomanes: "Die Kommissionstreffen beginnen am Sonntag, also am morgigen Tag,
aber die Versammlung selbst beginnt am 28. diesen Monats. Das Zentralkomitee
trifft sich meines Wissens übermorgen und die Dinge werden hier in erster
Instanz einmal beraten, aber der Kongress fällt letzthin die endgültige Entscheidung."
Dr.Pfleger: "Ich finde es ja sehr merkwürdig, dass der leibhaftige Präsident
jetzt auf einmal immateriell sein will und dass jetzt so kurz vor der
Weltmeisterschaft noch über die Regularien entschieden werden soll. Was für mich auch unverständlich ist und war, ist, dass Lothar Schmid, ein
Wunschkandidat ..."
Campomanes: "Entschuldigen Sie, mein Herr, darf ich Sie unterbrechen. Ich bin
nicht hier, um eine gewisse Polemik auszutragen. Ich kann ihnen hier nur
Informationen nach bestem Wissen und Gewissen vermitteln."
Dr.Spahn: "Es geht hier nicht um Polemik, sondern darum, dass die ganze
Schachwelt auf diesen Kampf wartet. Und es wird sicher sehr kompliziert, wenn
man kurz vorher, der Kampf soll ja in ein paar Tagen stattfinden, noch nicht
weiß, wer eigentlich der Oberschiedsrichter sein soll..."
Im Weiteren wurde darüber gesprochen, warum Lothar Schmid nicht
Oberschiedsrichter sein sollte, obwohl beide Kandidaten sich für ihn
ausgesprochen hatten. Auch das wollte Helmut Pfleger ganz genau vom Fide-Präsidenten wissen.
Die Schachöffentlichkeit sympathisierte damals mit dem jungen Herausforderer.
Campomanes wurde unterstellt, er würde insgeheim Weltmeister Karpov
unterstützen. 1978 hatte Campomanes in Baguio City auf den Philippinen den Skandal-Wettkampf zwischen Kortschnoj und Karpov
organisiert. Seitdem pflegte er beste Beziehungen zu Karpov. Er wurde 1982
Nachfolger des Isländers GM Frederick Olafsson als Fide-Präsident.
In seiner Amtszeit wurde der Weltschachverband Fide von einem sehr respektierten
Sportverband zu der unberechenbaren Organisation, die sie heute leider immer
noch ist. Wenn man die damalige Situation mit heute vergleicht, so ist es nicht
besser geworden. Der größte Unterschied besteht darin, dass sich der jetzige
Fide-Präsident gar nicht erst über Vorgänge und Gründe befragen lässt, so dass
Helmut Pfleger heute leider keine Gelegenheit hat, bei peinlichen Details
akribisch nachzuhaken.
Derzeit ist Helmut Pfleger zusammen mit Klaus Bischoff als Kommentator in
Dortmund tätig. Auch dort lädt er sich häufig Gesprächspartner ein und holt so
manches aus ihnen heraus. Den ukrainischen GM Adrian Michailschischin, Teilnehmer beim Open, fragte er einmal, warum er und Beljavski
nun für Slowenien spielen.
Dr. Pfleger: "Adrian, Du und Alexander Beliawski spielen nun für Slowenien. Wie
kommt das?"
Michailschischin: "Nun, es gab Streit mit dem Verband."
Dr. Pfleger: "Aber bist du nicht der Vize-Präsident des Verbandes?"
Michailschischin: "Nun, ja, schon..."
Der WDR begleitet das Dortmunder Turnier mit drei Sendungen. Vielleicht hat
Helmut Pfleger ja heraus gefunden, wann der jetzt von der Schachwelt erwartete
und auf dem Weg der Wiedervereinigung so wichtige Wettkampf zwischen Kramnik und
Leko stattfinden soll.
André Schulz