9.11.1985: Kasparov wird Weltmeister

von ChessBase
09.11.2010 – Genau heute vor 25 Jahren endete die 24. Partie des zweiten Wettkampfes zwischen Anatoly Karpov und Garry Kasparov. Nachdem der erste WM-Kampf 1984 ohne Entscheidung abgebrochen worden war, kam es vom 3. September bis zum 9. November 1985 zur Neuauflage in Moskau mit verändertem Reglement. Sieger wurde, wer 12,5 Punkte erreichte (vorher: sechs Gewinnpartien) Kasparov ging mit einem Punkt Vorsprung in die letzte Partie und gewann auch diese mit den schwarzen Steinen: 13:11 für Kasparov, der damit der bis dato jüngste Weltmeister der Schachgeschichte wurde. Danach spielten die beiden noch einige weitere WM-Kämpfe. Insgesamt saßen sie sich in 144 Partien um die Weltmeisterschaft am Brett gegenüber. Dagobert Kohlmeyer lässt 25 Jahre K.u.K. Revue passieren. 25 Jahre K.u.K...

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Vor 25 Jahren: Kasparow stürzte Karpow vom Schachthron
Von Dagobert Kohlmeyer

Der 9. November 1985 gilt als historisches Datum der Schachgeschichte. An diesem Tag gewann Garri Kasparow in Moskau das WM-Match gegen seinen sowjetischen Landsmann Anatoli Karpow mit 13:11 und wurde der bis dahin jüngster Weltmeister aller Zeiten.



Die Schachwelt feierte den 22-jährigen neuen König, der die Fans durch sein ideenreiches Kombinationsspiel verzauberte. Eine zehnjährige Dominanz Karpows auf den 64 Feldern war zu Ende.

Im heutigen Frühprogramm von ARD und ZDF lief ein längerer Beitrag über das damalige Schachduell. Das Schwarz-Weiß-Foto aus meinem Archiv zeigt Karpow bei der Abfahrt nach der letzten Partie. Sein Gesicht spricht Bände.

Ich erinnere mich noch genau an diesen Novembertag, weil ich damals einen Artikel über den Matchausgang für die Zeitung „Deutsches Sportecho“ schrieb, die im Ostteil Berlins herausgegeben wurde. Es war eine Sport-Tageszeitung mit hoher Auflage. Da wir gerade in einen Platten-Neubau gezogen waren und noch keinen Telefonanschluss hatten, musste ich den Text von einer Telefonzelle aus in die Redaktion diktieren. Das waren noch Zeiten...

Nun, die Schachwelt freute sich über den unangepassten neuen Champion, und keiner ahnte damals, dass er das Weltspitzenschach mehr als zwei Jahrzehnte lang dominieren würde.

Die Beziehung zwischen Karpow und Kasparow ist eine Geschichte von großer Rivalität, zu unterschiedlich waren und sind ihre Ambitionen und Ansichten. Auch in politischer Hinsicht.


Kasparov protestiert

Am Schachbrett aber hatten beide höchste Achtung voreinander. In ihren fünf WM-Matches (1984 -1990) spielten sie insgesamt 144 Partien - ein in der Schachhistorie beispielloses Duell. Längster Zweikampf war der erste. Er ging 1984/85 in Moskau über 48 Partien.

Nach fünf Monaten wurde er vom damaligen FIDE-Präsidenten Campomanes beim Stand von 5:3 für Karpow abgebrochen.

Es war der 15. Februar 1985, und die Begründung lautete, beide Spieler seien zu erschöpft. Auf der Pressekonferenz gab es tumultartige Szenen. Am meisten protestierte Kasparow (siehe Foto), weil er am Aufholen war und Karpow nach Meinung vieler Beobachter förmlich in den Seilen hing.

Bis heute ist nicht ganz geklärt, wer Campomanes damals veranlasst hat, das Match abzubrechen. Das UdSSR-Sportkomitee, der KGB? Es gibt verschiedene Verschwörungstheorien. Der Philippino hat das Geheimnis mit ins Grab genommen, er starb in diesem Frühjahr. Die Nachricht von seinem Tod platzte mitten in den WM-Kampf Anand-Topalow in Sofia hinein.

Auch das zweite WM-Duell der beiden K, diesmal über die normale Distanz von 24 Spielen, fand in Moskau statt. Am 9. November 1985 (Michail Tals Geburtstag) stand der 22-jährige Kasparow als neuer und bis dato jüngster Schachkönig fest. Er hatte seinen Vorgänger mit 13:11 entthront. Die Schachwelt feierte den eigenwilligen Rebellen, der so viel frischen Wind in die Turniersäle gebracht hatte.

1986 gab es ein Revanchematch in London und Leningrad, das Kasparow knapp mit 12,5:11,5 für sich entschied.

Ein Jahr später erlebte Sevilla den dramatischsten aller Zweikämpfe. Nach 23 Partien führte Karpow mit 12:11. Ein Remis im Schluss-Spiel hätte ihm gereicht, um den WM-Titel wieder in seinen Besitz zu bringen.

Aber ein falscher Springerzug Karpows in Zeitnot brachte Kasparow auf die Siegerstraße. Mit dem glücklichen Punktgewinn glich er zum 12:12 aus und verteidigte seine Schachkrone. Millionen Spanier verfolgten die letzte Partie live im Fernsehen.

Mit dem WM-Kampf 1990 in New York und Lyon fand die epische WM-Serie der beiden ein Ende.


Auch diesmal triumphierte Kasparow. Wie knapp es immer zwischen beiden zuging, zeigt die Statistik: Von ihren Weltmeisterschafts-Partien gewann Kasparow 21, Karpow siegte 19mal, alle übrigen Spiele endeten remis.


Mutter Klara war immer dabei

Kasparow wurde im Jahre 2000 in London von seinem ehemaligen Schüler Wladimir Kramnik entthront. Dennoch blieb er noch fünf weitere Jahre an der Spitze der Weltrangliste und gewann die meisten Turniere, an denen er teilnahm. Im März 2005 verkündete der wohl stärkste Spieler aller Zeiten dann jedoch im Schachmekka Linares überraschend seinen Rückzug aus den Turniersälen. Die Schachwelt war schockiert. Nach Ansicht der meisten Experten hatte der zu diesem Zeitpunkt knapp 42-jährige Kasparow noch immer genügend Potenzial, um in der Weltspitze den Ton anzugeben.

Rivalen mit Respekt

Vom aktiven Schachsport wechselte Kasparow in die Politik. Seither opponiert er gegen die Mächtigen im Kreml, ob sie nun Putin oder Medwedjew heißen, allerdings mit wenig Erfolg. Karpow findet das politische Engagement seines Widersachers nicht gut, auf schachlichen Feldern respektieren sich die beiden Erzrivalen aber noch immer. Im Herbst 2009 spielten sie in Valencia ein Erinnerungsmatch zum 25. Jahrestag ihres ersten WM-Duells. Kasparow gewann erneut, diesmal ganz überlegen.

„Nie waren wir beide Freunde, doch bei aller Konkurrenz hatten wir immer diplomatische Beziehungen“, sagte mir Karpow Ende 2007 in einem Interview.

Da hatte er den alten Rivalen, der inzwischen Oppositionsführer geworden war, in einem Moskauer Gefängnis besuchen wollen. Diese Geste hat Kasparow sehr berührt und dazu beigetragen, sich im Herbst 2009 in Spanien noch einmal ans Brett zu setzen, obwohl er seine Schachkarriere vier Jahre zuvor beendet hatte. Ein wichtiger Beweggrund dürfte natürlich auch die schöne Geldsumme sein, die beide von den Organisatoren in Valencia für ihr Match erhielten.


Jubiläumswettkampf in Valencia

Kasparow hatte in den Wochen davor mit dem Norweger Magnus Carlsen einen Weltklasse- Sparringspartner. Beide arbeiteten seit Beginn des Jahres 2009 zusammen. Kasparow trainierte Magnus ein Jahr lang, weil er wollte, dass dieser die Nr. 1 der Schachwelt wird. Das hat funktioniert, aber vor ein paar Tagen kam die überraschende Meldung, dass Carlsen aus dem WM-Kandidatenkarussell aussteigt. In einem offenen Brief an FIDE-Präsident Iljumschinow begründete der 19-jährige Großmeister seinen Rückzug damit, dass der gegenwärtige Kandidatenzyklus zu lange (von 2008-2012) daure und mehrfach kurzfristigen Änderungen unterworfen wurde. Vier Monate vor dem eventuellen Beginn in Kazan seien die genauen Bedingungen für die acht Spieler immer noch nicht bekannt, so dass keine vernünftige Vorbereitung möglich wäre. Der Norweger ist auch mit dem Format der Kandidatenkämpfe nicht einverstanden. Er schlägt vor, die Weltmeisterschaft in einem Turnier der acht bis zehn besten Spieler auszutragen, wie es 2005 in San Luis (Argentinien) und 2007 in Mexiko-City geschehen ist. Der gegenwärtige WM-Modus begünstigt nach Ansicht Carlsens den Titelverteidiger. Seine Kritik richte sich aber nicht gegen den amtierenden Schachweltmeister Vishy Anand persönlich, den er sehr schätze. Beide Schachstars spielen in der 1. Bundesliga beim deutschen Meister OSG Baden-Baden. Wie Magnus Carlsen weiter mitteilte, wolle er aber auch künftig an gut organisierten Topturnieren teilnehmen und seine Position als Weltranglistenerster verteidigen. Interessant wäre es zu erfahren, ob Kasparow Carlsens Schritt in irgendeiner Form beeinflusst hat.

Die unendliche Geschichte von K. und K. ging indessen auch im Jahre 2010 weiter. Im März verkündete Anatoli Karpow, dass er bei den anstehenden FIDE-Wahlen gegen Präsident Iljumschinow antreten werde. Das überraschte nicht so sehr, weil es schon länger erwartet worden war. Mit Verblüffung registrierte die Öffentlichkeit aber, dass der 59-jährige Moskauer bei seiner Kampagne von Garri Kasparow unterstützt wurde. Die beiden engagierten sich sehr, waren in vielen Ländern unterwegs und traten auch gemeinsam in Moskau, New York und Berlin auf. In der deutschen Hauptstadt zeigten sie sich gemeinsam mit DSB-Präsident Robert von Weizsäcker, der auf Drängen Kasparows für das Amt des ECU-Präsidenten kandidierte.

Doch alle Mühe half nichts, die Troika hatte keinen Erfolg: Kirsan Iljumschinow bleibt für weitere vier Jahre FIDE-Präsident. Der Amtsinhaber konnte die Wahl gegen seinen Landsmann Karpow klar gewinnen. Es ging dabei gewohnt turbulent zu, doch Iljumschinow hatte sich, wie in früheren Jahren, schon vorher genügend Stimmen gesichert. Er konnte in Ruhe den Tumulten im Saal und auch einem vehementen Auftritt Kasparows zusehen, wohl wissend, dass es am Ende wieder komfortabel für ihn reichen würde. Mit 95:55 Stimmen gab es dann auch ein ähnlich deutliches Ergebnis wie 2006 in Turin, als der Geschäftsmann Bessel Kok Iljumschinows Herausforderer war. Bei den ECU-Wahlen schied von Weizsäcker schon im ersten Wahlgang aus. Der Bulgare Silvio Danailow wurde Präsident der Europäischen Schachunion.

„Karpow und Kasparow - mehr Prestige auf einem Wahlticket ist nicht möglich. Dass selbst die beiden Schachgötter gegen den kalmückischen Regionalfürsten chancenlos blieben, ist bedauerlich, aber im Grunde nicht überraschend“, schrieb die Neue Zürcher Zeitung. Und Schachkolumnist Richard Forster zog daraus als einer der Ersten öffentlich den provokanten Schluss: „So gesehen war die Unterstützung durch den vehementen Putin-Gegner Kasparow für Karpow mehr Handicap als Hilfe.“

Wenn man länger darüber nachdenkt, kann man in der Tat zu der Einsicht kommen, dass an dieser Sache etwas dran ist. So überragend Garri Kasparow als Schachspieler war, so unweigerlich sind bisher alle seine politischen Ambitionen gescheitert. In der Politik braucht man einen kühleren Kopf und mehr Diplomatie, als das Schachgenie sie bisher in seinem Leben gezeigt hat. Während des Berichts von Iljumschinow verließ Kasparow lautstark und demonstrativ den Saal und forderte andere Delegierte auf, es ihm gleichzutun. Ohne Erfolg.

Vielleicht haben die FIDE-Abgesandten – ob nun bestochen, eingeschüchtert oder auch nicht – den beiden Schachzaren, die sich früher erbittert bekämpft haben, ihr diesjähriges Zweckbündnis nicht so recht abgenommen. Sicher haben sie auch nicht vergessen, dass es kein anderer als Kasparow war, der 1993 die Schachwelt gespalten hat, als er gemeinsam mit Nigel Short das damalige Londoner WM-Match in Eigenregie vermarktete.

Iljumschinow reagierte indessen so, wie er es immer tut. Unmittelbar nach der Wahl bot er dem unterlegenen Kontrahenten das Amt des FIDE-Vizepräsidenten an. Karpow sagte mit dem Hinweis, dass er sich nicht in Zeitnot befinde, nicht sofort zu. Einige Tage später lehnte er das Angebot ab. Vereinbart wurde aber schon in Chanty-Mansijsk, dass Anatoli Karpow Botschafter der FIDE beim IOC, bei der UNESCO und der UNICEF werden soll.

Ist die unendliche Geschichte von Karpow und Kasparow damit zu Ende? Wer kann das heute schon mit Sicherheit sagen!

Fotos: Archiv D. Kohlmeyer

 


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