Noch zwei Tage: Das Kandidatenturnier in Berlin beginnt
So, nun geht es bald los. Schon seit Wochen scharrt die Schachgemeinde nervös mit den Füßen und blickt erwartungsvoll nach Berlin. Das Kandidatenturnier 2018 ist das bedeutendste Turnier in Berlin seit dem Krieg, wahrscheinlich sogar seit dem Ersten, jedenfalls in Bezug auf ein Turnier mit "langer" Bedenkzeit. 2015 gab es ja hier schon die Schnellschach - und Blitzschach-Weltmeisterschaft. Mit Magnus Carlsen, der sich so schön und für das live übertragende norwegische Fernsehen telegen über eine Niederlage ärgerte. Carlsen ist hier nicht dabei. Er kann sich das Turnier in Ruhe aus der Ferne anschauen und die Schwächen seines nächsten Gegners analysieren. Denn der wird hier ja gesucht.
Moskau- New York, Berlin- London - das waren die Stationen der letzten Kandidatenturniere und Weltmeisterschaften. Offenbar möchte Agon das große internationale Schach aus den stillen Winkeln und nicht digitalisierten Zonen raus und in die Metropolen hineinbringen. Im Hintergrund steht eine adäquate Vermarktung. Lässt sich das Spitzenschach wie andere Sportarten auch (Fußball! Tischtennis?) über Sponsoren so verkaufen, so dass man die Unkosten wieder rein bekommt und vielleicht noch etwas übrig bleibt? Eine offene Frage. Bisher war Schach sehr von Mäzenen abhängig, die nicht aufs Geld gucken mussten. In Russland kommt das Geld ebenso aus der Erde wie in den Staaten am Golf. Oder sonst woher.
Schachstadt Berlin
In Berlin gibt es keine solchen Mäzene, hier kommt das Geld nicht aus der Erde, sondern zum Beispiel aus Hamburg und Bayern, im Länderfinanzausgleich. Aber Berlin ist eine Metropole, eine große Bühne für internationale Events, denen man Aufmerksamkeit verschaffen möchte. Berlin ist "arm, aber sexy", wusste schon der frühere Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit. Seitdem ist es sogar noch sexyier geworden. Und Berlin ist eine große Schachstadt, mit etwa 50 Schachvereinen, darunter die Berliner Schachgesellschaft von 1826, der älteste noch existierende deutsche Schachklub. Es gibt sie immer noch - ein bisschen.
Bei der Blitz- und Schnellschachweltmeisterschaft 2015 verkaufte Agon fleißig Eintrittskarten, war dann aber vom Andrang in der Bolle-Meierei doch überrascht. Man konnte gar nicht alle Besucher gleichzeitig in den Spielsaal lassen und es gab an den Eintrittstoren zurecht Maulerei. Mal sehen, wie es diesmal ist. Wahrscheinlich viel besser, denn im Kühlhaus steht mehr Fläche für das Schachturnier zur Verfügung, außerdem sind ja nicht so viele Spieler da, die den Platz wegnehmen. 5000 Quadratmeter stehen zur Verfügung, auf sechs Stockwerken.
Fünf Stockwerke im Kühlhaus (Bild: Worldchess)
Schach aus der Vogelperspektive
Vogelperspektive (Bild: Worldchess)
Der Spielsaal und die Zuschauerplätze sind recht futuristisch aufgebaut. Die Spieler sitzen offenbar um einen Würfel herum verteilt an vier Tischen im 1. Stock. Die Zuschauer können von oben auf die Spieler hinunter sehen. Sitzplätze scheint es - außer für die Spieler - keine zu geben.
Der Spielsaal im 1. Stock (Bild: Worldchess)
Im 3. Stock kann man die Partien über Bildschirme verfolgen, analysieren und selber spielen. Im 4. Stock werden die Pressekonferenzen durchgeführt, nach den Partien. Hier sitzen vermutlich auch die Kommentatoren. Für das internationale Publikum kommentiert Judit Polgar, mit wechselnden Co-Kommentatoren. Für das deutschsprachige Publikum übernimmt Ilya Zaragatzki diese Aufgabe, ebenfalls mit wechselnden Co-Kommentatoren. Und im 5. Stock ... hier kommt wohl man normalerweise gar nicht hin, außer als VIP.
Über die Firma Ticketmaster hat Agon drei Arten von Karten zum Verkauf angeboten, in den Kategorien Weiß, Silber und Gold. Die Preise reichen von ca. 17 Euro (White) bis 107 Euro (Gold). Am ersten und letzten Tag sind die Karten doppelt so teuer. Laut Agon sind die meisten der Karten aber bereits verkauft. Der Unterschied der Kategorien wird auf der Ticketbörse nicht recht erklärt, aber vermutlich sind für die Leute auf den "billigen Plätzen" nicht alle Stockwerke zugänglich.
Kommt sie oder kommt sie nicht?
Die Eröffnungsgala wird in großem Stil durchgeführt. Mit Hilfe einer Eventagentur hat Agon alles, was Rang und Namen im deutschen Schach hat, und darüber hinaus auch noch ein paar Leute mehr, zur Gala am Freitag Abend eingeladen. Schon zur Eröffnung der Schnellschach- und Blitz-WM vor zweieinhalb Jahren ließ sich Agon nicht lumpen und fuhr auch eine Reihe von Berliner Prominenten auf, die es gewohnt sind, auf einem roten Teppich und vor einer Fotosponsorenwand zu stehen und in die Kamera zu lächeln. Das ist gut, denn mancher Schachgroßmeister wirkt im Blitzlichtgewitter etwas ungelenk. Schach kann etwas Glamour gut gebrauchen. In seiner Pressemitteilung hat Agon einige der geladenen Top-Gäste vorgestellt. Nun sind "wir haben eingeladen" und " es wird kommen" zwei paar Schuhe. Man wird sehen, wer die Einladung am Ende annimmt und sich bei der Eröffnung in Berlin zeigt. Unter den erhofften Gästen befindet sich zum Beispiel Sophia Loren. Sophia Loren, Schach? Aber ja! Sophia Loren spielte in den Drehpausen ihrer Filme gerne auch mal Schach. Es kursieren Fotos, auf denen sie beim Schach mit Marlon Brando zu sehen ist. Charlie Chaplin redet von der Seite rein. Die Bilder entstanden offenbar am Rande des Films "Die Gräfin von Hongkong". Das ist allerdings schon etwas her: 1967, Hoffentlich erinnert sie sich noch daran.
Die Kandidaten
Das Kandidatenturnier in Berlin könnte ein schöner Event werden. Agon hat zumindest alles dafür hergerichtet. Nun hängt es an den Spielern, ob sie aus dem Turnier vielleicht einen sportlichen Krimi machen. Hier noch einmal die Namen der acht Spieler. Agon stellt sie auf der offiziellen Seite zum Turnier in Zeichnungen vor.
Mariya Yugina hat sich ebenfalls an gezeichneten Portraits versucht. Urteilen sie selbst, welche Version ihnen besser gefällt.
Die acht Spieler, sortiert nach Elo
Shahkriyar Mamedyarow, 32 Jahre, Aserbaidschan, Elo 2809, Weltrangliste: 2.
Vladimir Kramnik: Weltmeister 2000-2007, 42 Jahre, Russland, Elo 2800, Weltrangliste: 3.
Wesley So: 24 Jahre, USA, Elo 2799, Weltrangliste: 4.
Levon Aronian: 35 Jahre, Armenien, Elo 2794, Weltrangliste: 5.
Fabiano Caruana: 25 Jahre, USA, Elo 2784, Weltrangliste: 7.
Ding Liren: 25 Jahre, China, Elo 2769, Weltrangliste: 11.
Alexander Grischuk: Russland, 34 Jahre, Elo 2767, Weltrangliste: 12.
Sergey Karjakin: 28 Jahre, Russland, Elo 2763, Weltrangliste: 13.
Einer wird gewinnen
Als Favorit wird von vielen Levon Aronian angesehen. Levon Aronian hat schon bei einigen Kandidatenkämpfen und -turnieren teilgenommen und war immer einer der Favoriten, konnte seine Rolle aber nie bestätigen. Sind es die Nerven? Von allen acht Kandidaten ist der Armenier aber der "Berlinerste". Er hat hier in Berlin gelebt und für Berliner Bundesligamannschaften gespielt. Viele Berliner Schachfreunde kennen ihn noch aus dieser Zeit werden ihm die Daumen drücken.
Beim letzten Kandidatenturnier galt Fabiano Caruana vielen als aussichtsreichster Kandidat. Doch am Ende setzte sich Serey Karjakin durch. Vielleicht kann Caruana sich in diesem Jahr qualifizieren? Auch Wesley So wird bisweilen als Mit-Favorit gehandelt. Der in den USA beheimatete Pilippine setzt bisweilen zu wahren Höhenflügen an, doch es fehlt manchmal auch etwas an Beständigkeit.
Als Zweiter der Weltrangliste ist natürlich Shakhriyar Mamedyarov einer Favoriten. Im letzten Jahr zeigte seine Formkurve deutlich nach oben. Sein Schach sei "erwachsener geworden," urteilte der Aseri im Interview selbst. Mit Ding Liren ist erstmals ein Chinese im Topf. Mit der Mannschaft hat Ding schon alles erreicht. Kann er auch im Einzel nachlegen?
Drei Russen sind dabei: Vladimir Kramnik, der von allen vielleicht den größten Schachverstand hat. Kramnik war aber schon Weltmeister und ist mit 42 Jahren nicht mehr der jüngste. Drei Wochen Turnier, 14 Partien, sind eine lange Distanz.
Sergey Karjakin war nach seinem Erfolg vor zwei Jahren in Russland schon Everybody's Darling. Hat er die Energie, den Erfolg zu wiederholen, Schließlich ist da noch Alexander Grischuk. Bei den letzten Kandidatenkämpfen, die in Matches ausgetragen wurden, schaffte er es bis ins Finale. Von den meisten wird Grischuk aber immer nur als Außenseiter gehandelt.
My Path to the Top
Auf dieser DVD schildert seine Karriere von seinen Anfängen bis zum Gewinn der Weltmeisterschaft. Mit Humor und Charme erinnert er sich an seine Erfolge und wichtige Momente seiner Laufbahn. Seine Partiekommentare sind Musterbeispiele strategischen Denkens.
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Kandidatenturnier im Internet
Agon hat beim vergangenen Kandidatenturnier in Moskau und bei der Weltmeisterschaft in New York die Auffassung vertreten, dass sie als Organisator das exklusive Recht an den Notationen besitzen. Für die Zuschauer im Internet hat Agon einen bezahlten Live-Stream und Live-Kommentar angeboten. Ausgewählte Partner, wie ChessBase, durften die Notationen ebenfalls zeigen. Gegen Firmen, die gegen das von Agon beanspruchte Recht verstießen, hat Agon prozessiert, aber die Prozesse alle verloren. Nun hat Agon bekannt gegeben, dass sie einer Übertragung der Partienotationen mit einer 5-minütigen Verzögerung auf anderen Plattformen zustimmt.
Natürlich werden die Partie bei Playchess alle zu sehen sein. Daniel King wird in Video-Zusammenfassungen die Höhepunkte vom Tage zeigen. Auch der ChessBase-Partner Spiegel-online wird wieder alles geben und auf seiner Plattform mit großer Reichweite Schach noch populärer machen.
Zeitplan: (Bild: Worldchess)
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