Abenteuer eines Randbauern

von ChessBase
07.06.2010 – 'Das Leben ist eine Art Schachspiel', glaubt manch einer sich die Vorgänge auf diesem Planeten im Allgemeinen oder auch konkret in bestimmten Situationen erklären zu können. Während die Einen (meist sind es allerdings die Anderen) als Könige der Gesellschaft an oberster Stelle stehen, werden andere z.B.: ungewollt zum Gegenstand eines Bauernopfers. Und während jene auf dem Brett eine zentrale Rolle spielen, muss manch einer bis zum Ende am Rande seinen Platz einnehmen - z.B. Auf h7. In seinem Einakter "Abenteuer eines Bauern auf dem Schachbrett" hat Othmar Plöckinger dem kleinen Mann, hier dem Randbauern h7, ein Denkmal gesetzt. Peter Münder hat sich diese "giftige Parabel", verlegt beim Berenkamp-Verlag, gründlich angeschaut. Zum Berenkamp-Verlag...Zum Randbauern...

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UNTERHALTSAME NÖRGELEIEN EINES FRUSTRIERTEN RANDBAUERN
Rezension von Peter Münder

Othmar Plöckingers Einakter „Abenteuer eines Bauern auf dem Schachbrett“, 2007 im Theater Darmstadt uraufgeführt und inzwischen im Innsbrucker Berenkamp Verlag als Buch erschienen, ist ein brillanter Monolog einer Schachfigur über Gott und die böse, intrigante Welt imbeziler Schachfiguren
Von Peter Münder

Das turbulente Zentrum, in dem die Schlacht um Königsbauern, Springergabeln und dominierende Läufer-Diagonalen geschlagen wird, ist weit entfernt vom frustrierten, namenlosen Randbauern auf H7. Der hockt als völlig entnervter Erfüllungsgehilfe und Befehlsempfänger auf seinem Außenseiter-Feld und lästert über den dämlichen , aber dominierenden König, über bockige Springer, nichtsnutzige Läufer und darüber, dass er als vermeintlich tumber Bauerntölpel sich nie in Szene setzen oder spielentscheidend ins Match eingreifen darf. Sein größtes, existenzielles Problem: Er darf sich von seinem “verfluchten Fleck“ auf H7 der Dame seines Herzens nie auf Tuchfühlung nähern- wer kann so ein Schicksal schon gleichmütig ertragen?

Zum emotional aufwühlenden, dramatischen Duell zweier Schach-Titanen am Brett, von Stefan Zweig in seiner „Schachnovelle“ so mitreißend beschrieben und in Verfilmungen und Bühnenversionen bearbeitet, bildet dieser Monolog des Salzburger Gymnasial-Lehrers Othmar Plöckinger einen extremen Gegenpol: Denn hier wird nicht die weltanschauliche Diskrepanz zweier Großmeister und ihrer unterschiedlichen Sozialisationsprozesse elaboriert, sondern einfach nur- sozusagen aus der Stammtischperspektive - über den Lauf der Welt aus der Sicht eines zur Untätigkeit verdammten Statisten genörgelt. Plöckinger präsentiert uns diese mit viel Witz und Scharfsinn gewürzten Sentenzen als griffige Parabel: Ist die Welt nicht ein undurchschaubares Schachspiel, das man selbst gern spannender und amüsanter gestalten würde? Doch das ist dem voyeuristischen Statisten auf H7 leider nicht gegeben, weil seine Rolle von der Umwelt nicht gebührend gewürdigt wird. Immerhin gerät der Mann auf H7 darüber ins Grübeln, welche Figuren es früher wohl noch im Spiel gegeben haben könnte: Hatte ihm sein Nachbar, der Bauer auf G7, nicht von Kühen und Bäumen erzählt, die früher auch mitgespielt hatten? Und munkelte man nicht lange Zeit, es habe sogar Krokodile und Einhörner beim Schach gegeben?

Der 45jährige Salzburger Othmar Plöckinger hatte 2003 den Roman „Gübichingen“ veröffentlicht und mit seiner Studie über die deutsche Rezeption von Hitlers „Mein Kampf“ Aufsehen erregt: Die angebliche Indifferenz der Deutschen gegenüber diesem umstrittenen Nazi-Manifest hält Plöckinger nämlich für eine schönfärberische Legende. Diese anti-autoritäre Sichtweise des vielseitigen Autors lässt sich auch beim H7-Bauer ausmachen. Wenn er das Schicksal des ewig unterprivilegierten Bauern beklagt, der nicht einmal rückwärts gehen darf wie die anderen Figuren und sogar noch- wie demütigend!!!- „en passant“ geschlagen wird, dann hört sich dies an wie larmoyantes Querulantentum. Doch die bissigen Sottisen gehen allmählich nahtlos über in eine gesellschaftskritische Attitüde: “Im Vorbeigehen geschlagen! Nicht im Kampf, im ehrlichen, mannhaften Streit, nicht von Angesicht zu Angesicht! Nein! Im Vorbeigehen! Gibt es etwas Grausameres, frage ich Sie? Und ich antworte Ihnen: Ja, es gibt noch Grausameres- denn wir können nur von Unseresgleichen so geschlagen werden, en passant! Ein Bauer- gedemütigt und geschlagen von einem anderen Bauern, zum Gaudium der hohen Herren!“

So wird aus dem frustrierten Gezeter zunehmend ein Reflektieren über die eigene Existenz und das desolate H7- Schicksal: „Dann ist das hier also das Leben, das ganze Leben? Dieses kleine Feld? Sonst nichts? Zuvor in einem finsteren Sarg, stumm und regungslos, König neben Turm, Läufer neben Pferd, und ich, der Bauer, neben der Dame. Und danach kehren wir wieder dorthin zurück, in die Dunkelheit und Stille unserer Gräber?“

Zur ( weißen) Dame seines Herzens kann er als schwarze Randexistenz nicht finden, vom dümmlich-arroganten König fühlt er sich verhöhnt- ist es da ein Wunder, dass der H7- Mann paranoid wird und anfängt, auf den König einzudreschen? Mit dem Fluch „Verräterpack!“ und „Nimm dies, du elender Betrüger!“ endet dieser Exkurs in die abgelegene, exotische H7-Randzone, die sich als streckenweise als buntes Panoptikum, dann aber auch als allegorische Darstellung eines tragikomischen Bauern-Alltags darstellt.

Plöckinger hat einen bestechenden, amüsanten Mix aus nörgelndem Underdog-Greinen und hellsichtig-bissigen Exkursen fabriziert, die auf mitreißende und anrührende Weise- wohl zum ersten Mal überhaupt- das Schicksal des kleinen Mannes auf dem Schachbrett darstellen. „Lakonisch, ironisch und absolut sehenswert“ urteilten die „Darmstädter Kulturnachrichten“. Nicht nur für Schachspieler empfehlenswert!
 


Othmar Plöckinger: Die Abenteuer eines Bauern auf dem Schachbrett... nebst einer Schilderung seiner Liebe zur Dame seines Herzens, welche ihm mehrfachen Tod und somit wenig Freude einbrachte, und einer Erläuterung der Frage, wie das Schachspiel entstanden sei.
Berenkamp Verlag Innsbruck. 111 S., 14,50 Euro

 


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