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UNTERHALTSAME NÖRGELEIEN EINES FRUSTRIERTEN RANDBAUERN
Rezension von Peter Münder
Othmar Plöckingers Einakter „Abenteuer eines Bauern auf dem Schachbrett“, 2007
im Theater Darmstadt uraufgeführt und inzwischen im Innsbrucker Berenkamp Verlag
als Buch erschienen, ist ein brillanter Monolog einer Schachfigur über Gott und
die böse, intrigante Welt imbeziler Schachfiguren
Von Peter Münder
Das turbulente Zentrum, in dem die Schlacht um Königsbauern, Springergabeln und
dominierende Läufer-Diagonalen geschlagen wird, ist weit entfernt vom
frustrierten, namenlosen Randbauern auf H7. Der hockt als völlig entnervter
Erfüllungsgehilfe und Befehlsempfänger auf seinem Außenseiter-Feld und lästert
über den dämlichen , aber dominierenden König, über bockige Springer,
nichtsnutzige Läufer und darüber, dass er als vermeintlich tumber Bauerntölpel
sich nie in Szene setzen oder spielentscheidend ins Match eingreifen darf. Sein
größtes, existenzielles Problem: Er darf sich von seinem “verfluchten Fleck“ auf
H7 der Dame seines Herzens nie auf Tuchfühlung nähern- wer kann so ein Schicksal
schon gleichmütig ertragen?
Zum emotional aufwühlenden, dramatischen Duell zweier Schach-Titanen am Brett,
von Stefan Zweig in seiner „Schachnovelle“ so mitreißend beschrieben und in
Verfilmungen und Bühnenversionen bearbeitet, bildet dieser Monolog des
Salzburger Gymnasial-Lehrers Othmar Plöckinger einen extremen Gegenpol: Denn
hier wird nicht die weltanschauliche Diskrepanz zweier Großmeister und ihrer
unterschiedlichen Sozialisationsprozesse elaboriert, sondern einfach nur-
sozusagen aus der Stammtischperspektive - über den Lauf der Welt aus der Sicht
eines zur Untätigkeit verdammten Statisten genörgelt. Plöckinger präsentiert uns
diese mit viel Witz und Scharfsinn gewürzten Sentenzen als griffige Parabel: Ist
die Welt nicht ein undurchschaubares Schachspiel, das man selbst gern spannender
und amüsanter gestalten würde? Doch das ist dem voyeuristischen Statisten auf H7
leider nicht gegeben, weil seine Rolle von der Umwelt nicht gebührend gewürdigt
wird. Immerhin gerät der Mann auf H7 darüber ins Grübeln, welche Figuren es
früher wohl noch im Spiel gegeben haben könnte: Hatte ihm sein Nachbar, der
Bauer auf G7, nicht von Kühen und Bäumen erzählt, die früher auch mitgespielt
hatten? Und munkelte man nicht lange Zeit, es habe sogar Krokodile und Einhörner
beim Schach gegeben?
Der 45jährige Salzburger Othmar Plöckinger hatte 2003 den Roman „Gübichingen“
veröffentlicht und mit seiner Studie über die deutsche Rezeption von Hitlers
„Mein Kampf“ Aufsehen erregt: Die angebliche Indifferenz der Deutschen gegenüber
diesem umstrittenen Nazi-Manifest hält Plöckinger nämlich für eine
schönfärberische Legende. Diese anti-autoritäre Sichtweise des vielseitigen
Autors lässt sich auch beim H7-Bauer ausmachen. Wenn er das Schicksal des ewig
unterprivilegierten Bauern beklagt, der nicht einmal rückwärts gehen darf wie
die anderen Figuren und sogar noch- wie demütigend!!!- „en passant“ geschlagen
wird, dann hört sich dies an wie larmoyantes Querulantentum. Doch die bissigen
Sottisen gehen allmählich nahtlos über in eine gesellschaftskritische Attitüde:
“Im Vorbeigehen geschlagen! Nicht im Kampf, im ehrlichen, mannhaften Streit,
nicht von Angesicht zu Angesicht! Nein! Im Vorbeigehen! Gibt es etwas
Grausameres, frage ich Sie? Und ich antworte Ihnen: Ja, es gibt noch
Grausameres- denn wir können nur von Unseresgleichen so geschlagen werden, en
passant! Ein Bauer- gedemütigt und geschlagen von einem anderen Bauern, zum
Gaudium der hohen Herren!“
So wird aus dem frustrierten Gezeter zunehmend ein Reflektieren über die eigene
Existenz und das desolate H7- Schicksal: „Dann ist das hier also das Leben, das
ganze Leben? Dieses kleine Feld? Sonst nichts? Zuvor in einem finsteren Sarg,
stumm und regungslos, König neben Turm, Läufer neben Pferd, und ich, der Bauer,
neben der Dame. Und danach kehren wir wieder dorthin zurück, in die Dunkelheit
und Stille unserer Gräber?“
Zur ( weißen) Dame seines Herzens kann er als schwarze Randexistenz nicht
finden, vom dümmlich-arroganten König fühlt er sich verhöhnt- ist es da ein
Wunder, dass der H7- Mann paranoid wird und anfängt, auf den König
einzudreschen? Mit dem Fluch „Verräterpack!“ und „Nimm dies, du elender
Betrüger!“ endet dieser Exkurs in die abgelegene, exotische H7-Randzone, die
sich als streckenweise als buntes Panoptikum, dann aber auch als allegorische
Darstellung eines tragikomischen Bauern-Alltags darstellt.
Plöckinger hat einen bestechenden, amüsanten Mix aus nörgelndem Underdog-Greinen
und hellsichtig-bissigen Exkursen fabriziert, die auf mitreißende und anrührende
Weise- wohl zum ersten Mal überhaupt- das Schicksal des kleinen Mannes auf dem
Schachbrett darstellen. „Lakonisch, ironisch und absolut sehenswert“ urteilten
die „Darmstädter Kulturnachrichten“. Nicht nur für Schachspieler empfehlenswert!
Othmar Plöckinger: Die Abenteuer eines Bauern auf dem
Schachbrett... nebst einer Schilderung seiner Liebe zur Dame seines Herzens,
welche ihm mehrfachen Tod und somit wenig Freude einbrachte, und einer
Erläuterung der Frage, wie das Schachspiel entstanden sei.
Berenkamp Verlag Innsbruck. 111 S., 14,50 Euro