Nach vier Jahren, die der Meisterschaftsgipfel in Magdeburg stattfand, sollte er in diesem Jahr in Braunschweig durchgeführt werden. Nun wurde er vom Deutschen Schachbund abgesagt. Wie kam es dazu?
Zuerst einmal: Nachdem der Gipfel über Jahre in Magdeburg war, hatten wir uns vor über einem Jahr beworben und wollten den Gipfel als Niedersächsischer Schachverbandes in Braunschweig haben. Wir wollten mit der Durchführung 2023 Erfahrung sammeln und dann 2024 im Rahmen des Gipfels unser 100-jähriges Verbandsjubiläum feiern.
Zwei Meisterschaftsgipfel waren also geplant?
Grundsätzlich wollten wir die Gipfel 2023 und 2024 durchführen. Der Deutsche Schachbund hat nun aufgrund der aktuellen Ereignisse abgesagt. Man kann ja in allen Medien nachlesen, dass dem Deutschen Schachbund die Finanzen durcheinander geraten sind, dass er in finanzielle Schieflage geraten ist oder weiter gerät, und das hat dem DSB ein gewisses Unwohlsein vermittelt. Die Nachricht hat sich aber auch herumgesprochen. Die Stadt Braunschweig, bei der wir eine gewisse Fördersumme beantrag haben, hat uns mitgeteilt, dass sie zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine Förderung vornehmen möchte. Das bedeutet, jemand anderes hätte den Ausfall von weit über 60.000 Euro stemmen müssen. Das wäre der Deutsche Schachbund als Veranstalter gewesen. Ich verstehe gut, dass der Schachbund in der jetzigen Situation sagt: Ich mute meinen Mitgliedern eine weitere Ausgabe in dieser Höhe nicht zu. Deswegen hat er gesagt: Wir machen das nicht. Und der Niedersächsische Schachverband hat gesagt, wir wollen das jetzt nicht mehr, denn im nächsten Schritt wäre der Niedersächsische Schachverband dann vielleicht mit dem wirtschaftlichen Risiko selbst beauftragt worden. Das wäre für Niedersachsen völlig ungangbar gewesen.
Das sind die finanziellen Risiken, von denen der Schachbund in seiner Presseerklärung schreibt…?
Ja. Als NSV haben wir erwartet, dass der Schachbund die Ausfälle prinzipiell und über den ganzen Verlauf der Veranstaltung über seine Konten abfedert. Zum jetzigen Zeitpunkt ist der DSB gut erklärbar dazu nicht bereit. Ich kann die Absage verstehen. Ich schaue da jetzt nicht im Groll auf den DSB. Der NSV hätte aber in keinster Weise als Bürge auftreten können. Der Etat des NSV ist kleiner als die Kosten für den Meisterschaftsgipfel.
Was kostet die Durchführung eines Meisterschaftsgipfels?
Das kostet mit allem Drum und Dran brutto ungefähr 300.000 Euro. Da ist dann alles mit drin, Saalmiete, die Gelder, die von den Landesverbänden kommen, Die Zahlungen der teilnehmenden Senioren, etc. 300.000 Euro sind das Volumen. Davon waren ca. 110.000 Euro Finanzierung durch Fördergelder angedacht.
Wer hätte den Rest der Kosten bezahlt?
Das wären planmäßige Einnahmen gewesen. Die Veranstaltung wäre am Ende im Bereich Plus-Minus Null gelandet. Durch den Ausfall der Förderung der Stadt Braunschweig war nun aber kalkulatorisch von vorneherein ein Minus klar.
Wir war die Aufgabenverteilung bei der Organisation zwischen dem Schachbund und dem Niedersächsischen Schachverband?
Der NSV, also vor allem ich als Präsident und durch meine Nähe zu Braunschweig, klärt die Förderung durch die Stadt Braunschweig und die Lotto-Stiftung, organisiert die Veranstaltungsräume und die Hotels. Das ist auch alles passiert. Bis vor einer Woche, war die Veranstaltung auch weitgehend safe, auch wenn die Förderung durch die Stadt Braunschweig kein Selbstgänger ist. Es ist schließlich ein politischer Akt. Auch wenn wir spät in die Abschlussplanung gegangen sind, da wir, man kann es nachlesen, erst Ende Januar die Durchführung des Masters klären konnten. Aufgrund der derzeitigen Situation die man ja auch in Braunschweig in den Gazetten nachlesen kann, möchte die Stadt Braunschweig jetzt aber kein Geld in eine Veranstaltung des Deutschen Schachbundes investieren.
Hätte es die Förderung denn gegeben, wenn der Deutsche Schachbund sein Defizit nicht bekannt gegeben hätte oder noch besser nicht gehabt hätte?
Ich bin mir da nie hundert Prozent sicher, da Politik- und Verwaltungsebenen ihre Entscheidungen nicht treffen, indem sie mir alles erzählen, aber wir waren bis letzte Woche Donnerstag schon der Ansicht, dass die Finanzierung safe ist.
Nachdem nun der Gipfel als Ganzes abgesagt ist, wird es denn wenigstens Teile der Veranstaltung, einige der Meisterschaften in Braunschweig geben? Die Absage aller Meisterschaften ist ja durchaus eine Katastrophe.
Da ist jetzt relativ schwierig, das eins zu eins zu übertragen, besonders auf die Schnelle. Der Gipfel wäre als Deutsche Meisterschaft anerkannt gewesen und war dadurch überhaupt durch die Stadt Braunschweig förderungsfähig gewesen. Ob das für einzelne Teile auch gilt, wäre zu prüfen. Man hat dann ja auch unterschiedliche Locations. Der größte Kostenblock für den Gipfel war die Bereitstellung des Veranstaltungsortes, die Stadthalle Braunschweig. Die rechnet sich nur für den ganzen Gipfel mit um die 1000 Teilnehmern. Die Stadthalle Braunschweig für kleine Veranstaltungen nutzen zu wollen, wäre illusorisch. Ich gestehe aber, die letzten Tage standen für uns unter Hochdruck vor allem unter der Frage, wie kann man das Ganze wirtschaftlich bewältigen und dann, wie kommt man ohne wirtschaftlichen Schaden raus, wenn man absagt. Wir sind nicht auf die Frage eingestiegen, ob wir uns auf andere Veranstaltungen bewerben.
Entstehen denn nun durch die Absage des Gipfels Kosten, wegen Reservierungen, etc.
Ich gehe davon aus, dass keine Kosten entstehen. Ich habe die Verträge seinerzeit so gestaltet, dass die Absage jetzt noch ohne wirtschaftlichen Schaden möglich ist. Es entstehen aber Enttäuschungen. In Braunschweig ist man natürlich auch nicht glücklich, dass die Veranstaltung nicht stattfindet. Neben der Sportförderung gibt es ja auch noch die Hotellerie, die Marketing GmbH, den Stadtsportbund, mit dem wir zusammengearbeitet haben, etc. Kosten entstehen nicht, weil wir gerade noch rechtzeitig absagen. Das meinte ich mit „Hochdruck“.
Im Hintergrund steht das beim Schachbund entstandene Defizit, das sich offenbar in den letzten Jahren angehäuft hat. Als Außenstehender wundert man sich, wie ein so großes Defizit unbemerkt entstehen kann. Haben Sie als früherer Vizepräsident Finanzen des DSB eine Erklärung?
Auch als Insider wundert man sich, ich darf das mal so ehrlich sagen. Vor nicht allzu langer Zeit habe ich noch ein Interview gegeben, in dem ich sagte, der Deutsche Schachbund sei keine Bank. Das basierte auf den hohen Kapitalrücklagen, die der DSB seinerzeit auswies. Zum jetzigen Zeitpunkt ist das Geld ja auch noch nicht weg. Die Aussage, der DSB sei pleite, stimmt ja nicht. Der DSB hat eine sehr negative Jahresbilanz 2022 und eine sehr negative Haushaltsprognose 2023. Das sind erst einmal die Fakten. Warum das so ist, erschließt sich mir nicht, ohne dass ich Einsicht in alle Unterlagen hätte, aber die werde ich nicht bekommen. Was ich durch die öffentliche Sitzung weiß, ist dass der Meisterschaftsgipfel 2022 ein Haupttreiber für die Kosten war. Das erklärt sich auch mit dem, was ich vorhin erzählt habe. Wenn man mit etwa 120.000 Euro Fördergeldern rechnet und man hat diese Gelder nicht, hat man ungefähr in dieser Höhe ein Minus gemacht.
Wie wurde die Nachricht von dem Defizit von den Landesverbänden aufgenommen?
Erst einmal mit bassem Erstaunen. Es gab eine reine Informationsveranstaltung, bei der über die Vorschläge des DSB hinaus noch keine Diskussion stattfand. Es wird weitere Videokonferenzen geben. Natürlich gibt es Reaktionen der Verbände: Empörung, Entsetzten, Erstaunen. Es ist eben unvorstellbar, dass ein Verband, der eben noch 600.000 Euro Kapital ausgewiesen hat, jetzt kundtun muss, dass er in wirtschaftliche Schieflage geraten ist.
Einige Landesverbände, so konnte man lesen, haben während der Pandemie auch stattliches Kapital angehäuft, weil es in dieser Zeit kaum Veranstaltungen geben konnte, während die Einnahmen weiterliefen. Gibt es Ideen von den Landesverbänden, dem Bundesverband notfalls beizuspringen?
Die entscheidenden Fragen müssen auf dem Bundeskongress im Mai geklärt werden. Geht man auf diese Weise auf das Thema heran? Geht man mit Sparmaßnahmen heran? Es ist aber ja kein irreparabler Schaden entstanden. Die Rücklage ist größtenteils aufgebraucht. Aber alles ist ja noch steuerbar, zum Bespiel durch Sparmaßnahmen. Die Absage des Gipfels ist ja im Prinzip schon eine Ausgabenreduzierung auf Seiten des DSB. Zum jetzigen Zeitpunkt ist der DSB weder pleite noch zahlungsunfähig. Der DSB ist in einer gefährlichen Richtung, aber durch Sparmaßnahmen kann man gegensteuern und der DSB muss das auch tun.
DSB-Präsident Ullrich Krause hat die Verantwortung dafür übernommen, dass das Defizit entstanden ist und dass es erst jetzt entdeckt wurde. Als Konsequenz wird er sich nicht mehr zu Wiederwahl stellen. Die Frage stellt sich: Wer wird sich zu Wahl stellen? Hat Michael S. Langer Ambitionen, DSB-Präsident zu werden?
Ich habe kürzlich in einem anderen Kontext schon gesagt, dass ich unfassbar viele andere ehrenamtliche Aufgaben habe, die ich auch gerne mache. Daran hat sich nichts geändert. Ich fühle in meinem Setting als Präsident des Niedersächsischen Schachverbandes sehr wohl, in meiner Tätigkeit beim Landesportbund und der ehrenamtlichen Tätigkeit beim Norddeutschen Rundfunk, plus Vizepräsident bei der ChessSports Association, plus noch das eine oder andere auf Bezirks- und Vereinsebene. Ich sehe keinen zeitlichen Korridor, irgendetwas davon zugunsten des DSB abzubauen. Ich möchte gerne so weitermachen wie bisher. In bestimmten Projekte oder Sachfragen werde ich den DSB aber gerne inhaltlich unterstützen. Präsident werden möchte ich nicht.
Vielen Dank für das Interview.
Das Interview wurde am 1. März per Zoom mündlich geführt und dann transkribiert.
Die Fragen stellte André Schulz.
Presseerklärung des Niedersächsischen Schachverbandes...