Abschied von Astana
Bobby Fischer hat bekanntlich einmal gesagt: “Ich glaube nicht an
Psychologie, ich glaube an gute Züge.” Ich habe gerade ein wirklich schweres
Turnier hinter mir, die Mannschafts-WM der Frauen, und suche jetzt einen oder
mehrere Sündenböcke. Und der emotionale Aspekt des Frauenschachs kommt da gerade
recht. Ist das ein plausibler Grund für unser uneinheitliches Spiel? Auf diese
Frage gibt es keine leichte Antwort, aber manchmal verwandelt sich eine Partie
Schach eben in einen Kampf zweier Persönlichkeiten, was natürlich weder gut noch
schlecht ist. Es ist eben einfach so. Wahrscheinlich nicht der schnellste Weg,
um im Schach besser zu werden, aber für das Publikum ist dieser Kampf der
Persönlichkeiten definitiv deutlich unterhaltsamer. Was die Mannschaftskapitäne
betrifft – Leiter einer Frauenmannschaft zu sein, das ist nun wirklich eine
nervenaufreibende Beschäftigung! :) Hut ab vor denen, die sich hier behaupten
können!
Hier zwei Zutaten für ein richtig interessantes Schachrezept:
1. Frauen mit all ihrem Kampfgeist;
2. Mannschaftswettbewerbe –ein weiterer Faktor, der Schach eine andere Dynamik
verleiht, meiner Meinung nach eine sehr reizvolle.
Vielleicht führt Punkt zwei zu Diskussionen, ob Schach ein
Mannschaftssport ist oder nicht…aber das ist ein Thema, das viel zu weit führt,
um es hier zu diskutieren. Aber wenn Sie mich fragen, dann glaube ich, dass
Schach ein Mannschaftssport ist. Oder, um es anders zu sagen: Schach kann ein
Mannschaftssport sein.
Astana!
Die modernen Straßen Astanas...
... mit ihren kühnen Gebäuden, ...
... die
islamische, westliche und futuristische Einflüsse verbinden.
Offensichtlich mag man hier Tulpen!
Das Wahrzeichen der Stadt, der Bajterek-Turm
http://de.wikipedia.org/wiki/Bajterek-Turmdie Einheimischen nennen das
Riesenbauwerk wegen seiner Lollipop-Form manchmal "Chupa-Chups" :)
Der Turm sieht wunderbar aus, aber leider hatte ich keine
Zeit, um ganz nach oben zu klettern.
Der Präsidentenpalast Ak Orda, die offizielle Arbeitsstelle
des kasachischen Präsidenten
http://de.wikipedia.org/wiki/Ak_Orda_Palast
Die Nur-Astana-Moschee
Die Mannschaftsweltmeisterschaft der Frauen in Astana war all das und
mehr! Ein sehr spannendes Turnier voller Überraschungen, Fehler, Leidenschaft
und am Ende ‘glatzköpfiger’ Mannschaftskapitäne, die sich angesichts dessen, was
auf den Brettern geschah, die Haare rauften J.
Ehrlich gesagt, als ich anfing, meine Eindrücke zu notieren, kam mir
wieder zu Bewusstsein, dass es beim Schach nicht nur um Züge, Technik, usw.
geht. Es geht auch darum, Druck auszuhalten, sich aus schwierigen Stellungen zu
befreien, der Gegnerin Fallen zu stellen – anders gesagt: man muss zäh sein. Ist
es so gesehen wirklich eine Überraschung, wenn die Gegnerin, nachdem man eine
schwierige Stellung verteidigt hat, den Druck nicht mehr aushält, ihre
Aufmerksamkeit nachlässt und sie zusammenbricht?! Normalerweise passiert genau
das vor einem Patzer, denn der kommt nicht einfach aus heiterem Himmel.
Natürlich können auch zusätzliche Faktoren, auf die niemand Einfluss hat, eine
Rolle spielen, deshalb möchte ich mich erst einmal auf eine logische Erklärung
für das, was in manchen Partien in Astana passiert ist, beschränken. Übrigens
macht jeder früher oder später die gleichen Erfahrungen. Wie sollte man auch
sonst etwas lernen?
Der Präsident des kasachischen Schachverbands bei seiner
Abschlussansprache
Traditionelle Trachten
Übergabe der Medaillen
Mitglieder der ukrainischen Mannschaft
Mitglieder der russischen Mannschaft
Die junge Mannschaft aus Kasachstan, die sich sehr gut
geschlagen hat
Die türkische Mannschaft
Valentina Gunina und Olga Girya gratulieren sich gegenseitig
zum drittbesten Ergebnis an Brett eins, bzw. zum besten Ergebnis an Brett fünf.
Kateryna Lagno und Natalia Zhukova; beide haben Brettpreise
gewonnen: Lagno gewann den zweiten Preis and Brett eins und Zhukova gewann den
ersten Preis an Brett vier.
Wie oben erwähnt ist eine wichtigsten Zutaten eines attraktiven
Turniers ein zusätzlicher Anreiz, in unserem Fall reichte da schon die Tatsache,
dass dies ein Mannschaftsturnier war; besser noch: ein
Frauen-Mannschaftsturnier!
Als Mitglied der rumänischen Delegation habe ich einmal mehr begriffen,
wie wichtig es ist, seine Gegnerin zu überraschen, die richtige Spielerin
auszuwählen, um mit Weiß oder Schwarz eine bestimmte Variante gegen sie zu
spielen und nicht zuletzt: welchen Unterschied es ausmachen kann, wenn man seine
persönlichen Ziele hinten anstellt und die Mannschaft an erste Stelle setzt. Das
klingt vielleicht idealistisch, kommt aber in der Praxis tatsächlich sehr häufig
vor, trotz allem, was andere vielleicht glauben. Zum Beispiel, wenn man eine
absolute Remisstellung auf dem Brett hat, aber irgendetwas finden und Druck
entfalten muss, da das Ergebnis des Mannschaftskampfs von einem abhängt (dabei
könnte man sogar noch verlieren)…oder nehmen wir an, ein Mannschaftsmitglied hat
eine forcierte Variante gefunden und gewonnen – wie gut fühlen sich dann die
anderen, die wissen, dass sie jetzt mehr Möglichkeiten haben, ruhig zu spielen
oder sogar, wenn nötig, Remis machen können. Deshalb ist Schach ein
Mannschaftssport, bei dem es auf Strategie ankommt. Und ich hatte das Glück,
einen wunderbaren Mannschaftsgeist zu erleben, obwohl unser Ergebnis besser
hätte sein können. Wir haben zwar keinen einzigen Mannschaftskampf gewonnen,
aber gegen die Ukraine, die Meistermannschaft, Unentschieden gespielt!
Vielleicht war die kalte Luft Kasachstans für die manchmal
katastrophalen Entscheidungen am Brett verantwortlich. Gefühle und Druck gehören
zum Spiel dazu, also soll mir niemand erzählen, er oder sie hätte die wunderbare
Organisation der Frauen-Mannschafts-WM nicht genossen! Was mich zu einem anderen
Detail dieses Turniers bringt: Live-Übertragungen mit Computeranalyse. Natürlich
ist das eine phantastische Erfindung, die Schach dem großen Publikum näher
bringt und dafür sorgt, dass jetzt sogar meine Mutter versteht, was auf dem
Brett geschieht. Aber was die Spielerinnen betrifft…sie müssen sich weit mehr
Kritik als früher gefallen lassen, vor allem, wenn man sieht, wie die Engine
verrückt spielt und von +5 auf -5 springt. Ich ertappe mich selbst immer wieder
dabei, wie ich als Erstes, wenn ich eine Partie verfolge, prüfe, was der
Computer sagt, ohne wirklich zu versuchen, allein herauszufinden, welche
Gefahren und Feinheiten die Stellung enthält. Und dann ist es natürlich leicht
zu reden und zu kritisieren, wobei die Dinge in einer wirklichen Partie dann
doch ein wenig anders liegen.
Die Goldmedaille ging an die Ukraine
Hoch den Pokal!
Die drei besten Spielerinnen an Brett eins
Und an Brett zwei
Irina Krush
Das also hilft gegen das kalte Wetter in Astana!
Irina gewann die Goldmedaille für das beste Ergebnis am zweiten Brett und kam
dabei auf eine Performance von 2607! Besser war nur Ju Wenjun, die mit einer
Performance von 2651 das beste Ergebnis an Brett eins erzielte! Das waren die
beiden einzigen Performances über 2600.
Musik,...
... Tanz,...
... und Artistik bei der Abschlussfeier.
Natürlich ist Computeranalyse eine revolutionäre Erfindung und ich bin
sehr froh darüber. Aber man sollte nicht mit Steinen werfen, bevor man selbst
herausgefunden hat, was im Glashaus geschieht. Es sei denn…die Figuren tanzen
wie wild übers Brett und werden scheinbar ohne jede logische Erklärung auf
verminte Felder gesetzt. Und dennoch kann Schach so befriedigend sein, wenn die
rechte Hand nicht mit der Maus den Bildschirm hinunter scrollen kann, um zu
sehen, wie die Engine die Stellung einschätzt … Bei solch einem analogen
Vorgehen begreifen wir womöglich leichter, dass alle Züge aus einem bestimmten
Grund gespielt werden. Lange Zeit bevor es Schachengines gab, war Bobby Fischer
phantastisch gut darin, verdammt gute Züge zu finden und Fehler in den Partien
und Kommentaren anderer Spieler zu entdecken; aber bei allem gebotenen Respekt:
Psychologie spielt eine Rolle im Schach!
Das Turnier ist vorbei...
... Zeit zur Entspannung :)
Übersetzung: Johannes Fischer