Abschied von Günther Möhring
Am Samstag, dem 14.
Januar 2006, verstarb unser lieber Schachfreund, inoffizieller
Mannschaftsleiter, Trainer und erfolgreichster Spieler unserer Vereinsgeschichte
IM Günther Möhring. Er verließ uns unerwartet, unvorbereitet. Noch am 11. Januar
versandte er die Mail zum nächsten Punktspiel, Mannschaftsaufstellung, neuste
Partieanalysen, alle guten Wünsche für das neue Jahr. Seine E-Mail begann wie
zumeist mit der Begrüßung „SchlichtLiebe Schachfreunde“. Vielleicht als kleiner
Seitenhieb auf den „Eifer“ mit welchem wir die Analysen unserer Partien
studierten…
Günther wurde 69
Jahre alt. Er liebte das Schachspiel, betrachtete es aus der Sicht eines
Wissenschaftlers. Günthers schachliche Karriere begann in den 50iger Jahren in
der DDR. Sein Studium der Mathematik absolvierte er eher halbherzig, doch mit
großer Leidenschaft vertiefte er sich in das Königliche Spiel. Er nahm an der
Studentenweltmeisterschaft teil, durfte sogar einmal ins nichtsozialistische
Ausland. Ein Privileg, welches Günther durch systemkritische Töne schnell
verloren ging. Es kam für ihn nicht in Frage in „die“ Partei einzutreten, sich
auf diese Weise ins „System“ einzufügen. 1963 errang Günther Möhring den
DDR-Meister-Titel. Er wurde sogar für einige Jahre Schachprofi, offiziell mit
„Lehrer“ umschrieben. In seinen erfolgreichsten Jahren kreuzte er die Klingen
mit allen Größen des DDR-Schachs, spielte gegen Tal, Smejkal, Tukmakov,
Sveshnikov und etliche Großmeister mehr und errang den Titel Internationaler
Meister. Besonders sehenswert sind seine Gefechte mit Wolfgang Uhlmann. Günther
begann erfolgreich Fernschach zu spielen. Als er vermutete, dies wirke sich
negativ auf sein Turnierschach aus, beendete er jedoch den Postkartenversand.
Außerordentlich bemerkenswert, ja kurios ist der 1968 erreichte
DDR-Meister-Titel im Go.
Ich lernte Günther
Möhring erst 1995 kennen. Es ist mir daher nicht möglich, die verschiedenen
Eskapaden und Ereignisse die sein Schachleben in der DDR prägten wahrheitsgetreu
wiederzugeben. In unseren Gesprächen erzählte mir Günther, dass sogar bei
DDR-Meisterschaften das Wertungssystem mitunter flexibel blieb, bis klar war,
wer der Sieger ist bzw. sein sollte. Von Partieabsprachen für die Erfüllung von
Titelnormen ganz zu schweigen. Und letztlich stand natürlich stets die Frage,
wer welche Turniereinladungen erhielt und dann auch teilnehmen durfte. Betreffs
dieser Themen gäbe es sicher viele Anekdoten zu erzählen…
Meine erste
Begegnung mit Günther Möhring war bei ihm zu Hause. Er gab Training für die
erste Mannschaft des BSV 63 Chemie Weißensee e.V. Ich erinnere mich noch, wie
ich einige Züge vorschlug und Ungläubigkeit erntete. Dies sei nicht
stellungsgemäß, antipositionell oder gehe nicht war die Antwort. Ich hielt an
meinem Zuge fest, wollte die Variante ausspielen. Manchmal ließ sich Günther
dann breitschlagen und ich musste irgendwann doch klein beigeben. Das gemeinsame
Training erlangte Beständigkeit. Immer Donnerstags, von 18 Uhr oft bis weit in
die Nacht hinein analysierten wir Partien und unterhielten uns. Der Analysemodul
wurde unser ständiger Begleiter. Dies mag kein Ruhmesblatt sein, aber Günther
ging es vor allem um den Wahrheitsgehalt der Analysen und taktische Übersehen
lassen sich ohne Computerprogramme nun einmal kaum vermeiden. Günthers Akribie
war einer seiner herausstechenden Charakterzüge. Bezeichnend hierfür waren seine
Analysen zum geliebten Jänisch-Gambit. ChessBase hatte hinsichtlich einer
Veröffentlichung angefragt. Nach monatelanger Arbeit, der Abgabetermin war weit
überschritten, verwarf Günther alle Publizitätsabsichten. Die Analysen seinen
nicht vollständig genug, dies könne er ernsthaften Schachspielern nicht zumuten
und zudem könne Weiß Vorteil erreichen. Ja, Entscheidungen fällte er nicht
leichtfertig. Oft diskutierten wir bis Mitternacht hinein. Bis von seiner Frau
die Aufforderung zur Ruhe kam. Sie hatte es nicht immer leicht mit uns. Günther
führte mich in die Endspielkunst ein, erklärte mir positionelle Grundsätze des
Schachs. Sein Engagement für das Jugendtraining in unserem Verein und ebenso für
die erste Mannschaft war gewaltig. Gemessen an Günthers Arbeit und Mühen trug
sein Trainerhonorar höchstens noch symbolischen Charakter. Für unser Training
lehnte er es sogar ab Geld zu nehmen.
Wir fuhren zusammen
zu Turnieren. Schon die Autofahrt dorthin war ein „Erlebnis“. Besonders bei
Dunkelheit waren Straße und Farbahnmarkierung für Günther schwer zu erkennen. Er
fuhr daher sehr vorsichtig. Eine Geduldsprobe. Die gemeinsamen Zeiten während
der Open-Turniere waren wunderbar. Lange Spaziergänge, viele Diskusionen und
Schachanekdoten. Günther hatte einen feinen Sinn für Humor. In der
Partievorbereitung überredete er mich einmal ein Bauernopfer anzubieten. Dies
war kein leichtes, da ich streng materialistische Maßstäbe ansetzte und die
Computeranalyse nur unklares Spiel ergab. Schließlich versprach er mir eine
Niederlage gehe auf seine Kappe. Ich spielte die vorbereitete Variante, der
Gegner lehnte das Bauernopfer als zu gefährlich ab und verlor schnell. Als ich
stolz meine Partie präsentierte und sagte, der Gegner habe die Annahme des Opfer
überhaupt nicht erwogen erwiderte Günther: „Das hätte ich dir gleich sagen
können.“ Bei einer lange dauernden Partieanalyse vernahm ich plötzlich ein
leises Schnauben, nein Schnarchen. Günther war im Sitzen eingeschlafen, es war
spät.
Irgendwann wuchs
meine Elozahl über die seine. Ich glaube, er freute sich sehr, als ich endlich
das erste Brett übernahm und er an zwei rutschte.
Ein Thema, das ihm
sehr am Herzen lag war die unsägliche Bedenkzeitverkürzung. Es tat ihm weh zu
verfolgen, dass selbst auf allerhöchstem Niveau die Endspielkunst verblasste,
dass keine Zeit mehr war, Endspiele ordentlich zu behandeln. Bis zuletzt hoffte
er auf die Rückkehr der Hängepartien. Wohl ein hoffnungsloser Traum. Ich
erzählte Günther einmal, dass es Ein-Minuten-Weltmeisterschaften gebe. Er dachte
ich würde ihn auf den Arm nehmen. Was hätte das mit Schach zu tun? Turniere mit
nur 30 min Zeitgutschrift nach dem 40. Zug lehnte Günther kategorisch ab. In
Erstaunen mag es da versetzen, das er in den 70iger Jahren auch ein starker
Blitzspieler war.
Günther Möhring hat
seine letzte Turnierpartie gewinnen können. Ich werde sein Lächeln, seine
Begrüßung, seine guten Stellungen neben meinem Brett vermissen. Ein lieber
Freund hat Abschied genommen, für immer. Möge das, was er im Leben geleistet hat
viele Schachfreunde inspirieren.
Norman Thielsch
BSV 63 Chemie Weißensee e.V.