Abschied von Mark Dvoretzky: Mit eigenen Worten

von ChessBase
06.10.2016 – Der Tod des einflussreichen Schachtrainers Mark Dvoretzky hat nicht nur die russische Schachwelt getroffen. Viele Spitzenspieler haben bei ihm Unterricht genommen. Vor drei Jahren erschien sein autobiografisches Werk "Für Freunde und Kollegen." Der russische Schachverband veröffentlichte zum Abschied einen Auszug daraus, den wir hier in deutscher Übersetzung wiedergeben. Man erfährt viel über das Leben in Russland und der Text schließt mit einer aufschlussreichen Weisheit über die "Parteizugehörigkeit". Mehr...

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Schuljahre

Auszüge aus dem „Buch für Freunde und Kollegen“ von Mark Dvoretsky

Das autobiographische zweibändige Werk des bedeutenden Schachtrainers wurde in den Jahren 2012-2013 von A. Elkovy herausgegeben.

Nachdruck aus dem russischen Original.

Abschied von Mark Dvoretzky

Der Anfang

Ich weiß nicht mehr an welchem Geburtstag, aber ich weiß noch genau, dass es war, bevor ich in die Schule kam, dass einer der Gäste mir nicht nur ein Schachspiel schenkte, sondern auch die Regeln erklärte. Ich spielte ein bisschen Schach und bekam sogar eine Urkunde „Für den besten jungen Schachspieler des Pionierlagers“, als ich eine der unteren Klassen der Schule besuchte. Aber das war die reinste Liebhaberei, ich beschäftigte mich nicht wirklich mit dem Schachspiel und las auch keine Bücher darüber.

In der Grundschule interessierte ich mich für alles Mögliche und gewann Olympiaden in verschiedenen Fächern. Dann hatte ich viele Jahre lang die Hauptstädte aller Staaten im Kopf, die Satelliten aller Planeten usw. Besonders gefiel mir die Mathematik. Wir hatten eine junge Lehrerin, die mein Interesse unterstützte und mich förderte. Später, als ich in die 5. oder 6. Klasse ging, verließ sie die Schule, um eine Aspirantur aufzunehmen. Den neuen Lehrer mit dem Spitznamen "Gorilla" interessierten vor allem die Kleckse in den Heften und nach einem halben Jahr hatte er es geschafft mir die Lust an der Mathematik zu nehmen. Um die entstandene Lücke zu füllen, ging ich ins Haus der Pioniere im Kalinin-Viertel (heute Lefortovo), wo damals meine Familie wohnte, und begann das Schachspiel zu erlernen.

D.h., erlernen ist nicht das richtige Wort. Die Schachabteilung wurde von einem schon ziemlich alten Schachspieler der 1. Klasse Andrey Sergejewitch Smyshlyjaev geführt. Es gab dort viele Kinder und der Lehrer schaffte es lediglich den Saal auf- und zuzuschließen, das Inventar zu sichern, die Ordnung aufrechtzuerhalten, Turniere durchzuführen und deren Resultate der Moskauer Qualifizierungskommission vorzustellen. So musste ich alles weitere selber, genauer, gemeinsam mit meinem Klassenkameraden und Freund Sasha Karasev erledigen.

Die 5. und 6. Klasse schaffte ich schnell, aber dann blieb ich ein wenig hängen und beschloss mich mit der Theorie auseinanderzusetzen. In den Sommerferien studierte ich erfolgreich das gut aufgebaute und sehr schön gestaltete Buch von Ilya Mayselis „Das Schachspiel“. Ich studierte es gründlich, für das ganze Buch reichte die Zeit nicht – das Kapitel „Eröffnungen“ blieb unerforscht. Vielleicht ist gerade das die Grundursache für meine Schwierigkeiten, die ich in der Folge ständig hatte, wenn ich mich im Anfangsstadium einer Partie befand. Die Arbeit am Schachspiel trug natürlich sofort Früchte. Im Herbst erfüllte ich die Norm der 3. Klasse (10 von 10 Punkten) und dann der 2. Klasse (10 von 11 Punkten). Ich nahm noch an zwei bis drei persönlichen und Mannschaftswettbewerben teil, aber eine weitere Vervollkommnung war im Haus der Pioniere nicht möglich – es gab nicht genug qualifizierte Schachspieler um ein Turnier der 1. Klasse zu organisieren.

1963 nahm ich dann an der „Spartakiade der Zweitklässler“ teil, die im Moskauer Pionierpalast auf den Leninbergen durchgeführt wurde. Ich fühlte mich wie jemand aus der Provinz, der wohl zum ersten Mal zu den großen Wettkämpfen in die „große Welt“ ausgezogen ist. Viele Mitstreiter lebten in dieser Welt, arbeiteten regelmäßig mit erfahrenen Trainern, Meistern oder Meisterkandidaten. Übrigens, Leute aus der Provinz sind in der Regel nicht besonders schüchtern, ich war es auch nicht. Das Turnier wurde für mich, wie lustig das jetzt auch klingen mag, eines der besten in meinem Leben, sowohl in sportlicher als auch in schöpferischer Hinsicht. Ausführlicher erzähle ich darüber im Kapitel „Wettkämpfe“. Nach dem Turnier wurden Sascha Karasev und ich dann eingeladen in Zukunft im Pionierpalast Schach zu spielen. Es begann eine neue Etappe in meinem Schachleben.

Die mathematische Schule

Nachdem ich die Norm der 1. Klasse erfüllt hatte, wechselte ich nicht nur den Ort, an dem ich Schach gespielt hatte, sondern auch den Schulort. Als ich die ganz normale 8-Klassenschule neben unserem Haus abgeschlossen hatte, erfuhr ich, dass die mathematische Schule Nr.444 in Ismailovo, eine der besten in Moskau, Schüler in die höheren Klassen aufnahm, und ich versuchte dort aufgenommen zu werden. Von den Vertretern der Schachgemeinschaft haben dort im Laufe der Jahre zum Beispiel der bekannte Schiedsrichter und Statistiker Eduard Dubov und der Vorsitzende des Aufsichtsrats der Russischen Schachföderation Arkady Dvorkovich gelernt. Letzterer wurde Ende der 2000er Jahre persönlicher Mitarbeiter des Präsidenten.

In der Schule gab es hervorragende Lehrer, deren wissenschaftlicher Leiter, Semyon Isaakovitch Shvartsburd, ein bemerkenswerter Mathematiker und Pädagoge war. Semyon Isaakovitch hatte in jungen Jahren Kinderlähmung gehabt, konnte sich sein ganzes Leben lang nur auf Krücken fortbewegen und lebte in einer kleinen Wohnung in der Nähe der Schule. Er baute das in jenen Jahren vielleicht sogar einzige Rechenzentrum in der Schule auf. Die Schüler der höheren Klassen lernten am „Ural“ programmieren, einer elektronischen Maschine von der Größe eines Zimmers. Betriebssysteme gab es damals noch nicht, die Programme wurden in Maschinensprache geschrieben und befanden sich auf Lochkarten und Streifen.

Um in der Schule aufgenommen zu werden, musste man ein nicht offizielles Examen in Form eines Gespräches absolvieren. Ich glänzte nicht und wäre wahrscheinlich nicht genommen worden, wenn Semjon Isaakovitch das Schachspiel nicht so sehr geliebt und beschlossen hätte den Schachspieler zu unterstützen. Er lud mich zu einer Übungspartie mit einem Gleichaltrigen, der ebenfalls der 1. Klasse angehörte, zu sich in seine Wohnung. Ich siegte voller Elan und damit hatte ich das Examen wohl bestanden. Drei Jahre führte ich die Schulmannschaft, 2 von 3 Malen gewannen wir die Meisterschaft unter den Moskauer Schulen. In diesem Wettbewerb gewann ich eine meiner besten Jugendpartien – sie wird in dem Buch „Schule der höheren Meisterschaft“, Band 3, im Kapitel „Angriff“ kommentiert.
 

Text zum Foto: Oberstufenschüler


Ich war ein durchschnittlicher Schüler, weil ich viel Schach spielte, aber ich ging gerne zur Schule (fuhr, genauer gesagt, mit Straßenbahn und Metro, ich brauchte eine Stunde), der Unterricht war interessant und die Atmosphäre angenehm.

Über den Nutzen der Ausbildung

Sowohl in der Schule als auch an der Universität saß ich zwischen allen Stühlen und versuchte Studium und Schachspiel miteinander in Einklang zu bringen. Die endgültige Entscheidung für das Schachspiel traf ich erst, nachdem ich das Studium beendet hatte.

Hier ist es angebracht ein wichtiges und ambivalentes Problem anzusprechen. Ist es sinnvoll, dass zukünftige professionelle Schachspieler eine qualitativ hochwertige Ausbildung erhalten und dass sie an guten Schulen und Instituten lernen (und zwar lernen und nicht nur eingeschrieben sind)? Einerseits erfordert ein ernsthaftes Studium enorm viel Zeit, von der man immer zu wenig hat. Private und Mannschaftsturniere im Wechsel mit Trainingstreffen und häuslicher Beschäftigung mit dem Schachspiel machen es schwer, Zeitfenster für Schul- und Universitätsprogramme und erfolgreiche Zwischenprüfungen und Examina zu finden.

Es ist kein Zufall, dass Jussupov und Dolmatov, die an der Moskauer Universität bis zum 3. Studienjahr durchgehalten haben, ihr Studium nicht beenden konnten. Ihr Leben für das Schachspiel war in diesen Jahren einfach schon zu inhaltsreich. Ein anderer Schüler von mir, Vadim Zvjaginsev, hat seine Ausbildung, genau wie ich, erfolgreich abgeschlossen und sein Diplom erworben (übrigens gab es für uns alle nur eine Alma Mater, die ökonomische Fakultät der Moskauer Staatlichen Universität).

Allerdings hatten weder er noch ich während des Studiums beim Schachspiel einen einzigen sichtbaren Erfolg. Wer weiß, vielleicht haben sich diese „verlorenen“ Jahre ja negativ auf meine Karriere ausgewirkt? Hätten wir sie dazu genutzt, um unser Schachspiel zu vervollkommnen, hätten wir vielleicht ein höheres Niveau der Meisterschaft erreicht. Aber wissen auf der anderen Seite wirklich viele im Vorhinein, ob sie Schachspieler werden und eine erfolgreiche Karriere machen? Das Studium an einer guten Schule lässt ihnen eine gute Hintertür offen. Außerdem besteht das Leben nicht nur aus Schachspiel, ein vielseitig gebildeter Mensch, der viele Interessen hat, findet sich im Leben in der Regel besser zurecht als ein „schmalspuriger Professioneller“. Eben jener Vadim hat mit Begeisterung viele gute Bücher verschiedenster Thematik gelesen und hat bei Weitem fundiertere ökonomische, historische und philosophische Kenntnisse als die meisten anderen.

Ich nehme an, dass es kein Patentrezept gibt. Es hängt zu viel von den konkreten Lebensumständen ab, vom kulturellen Niveau der Familie, den Kenntnissen und Fähigkeiten der Kinder in den verschiedenen Bereichen usw. Jeder muss dieses Problem selbst lösen und sich dabei auf seine innere Selbstwahrnehmung stützen sowie auf die Ratschläge seiner Eltern, Lehrer, Trainer und Freunde hören. Den überwiegenden Teil meiner Kenntnisse, die ich an der mathematischen Schule und der Universität erworben habe, habe ich im Leben nie gebraucht. Aber die Zeit des Studiums halte ich dennoch nicht für verloren. Der Umgang mit hochqualifizierten Lehrern, klugen und begabten Gleichaltrigen hat sich sicherlich positiv auf die Entwicklung von Persönlichkeit und Intellekt ausgewirkt. Die im Laufe der Ausbildung erworbenen Herangehensweisen bei der Darlegung und Aneignung von Material, die Arbeitsmethoden im Bereich der Literatur und die Zusammenfassungen sowie einige konkrete Beobachtungen, all das erwies sich als übertragbar auf ein völlig anderes Gebiet: Das Schachspiel und die Schachpädagogik.

Ich kann mich noch gut daran erinnern, dass es mir aus irgendeinem Grund nicht gelang, die Methode der mathematischen Induktion zu kapieren. Unsere junge Mathematiklehrerin Inna Ivanovna Sharoshina (die später Direktorin der Schule wurde) hat sie mir persönlich erklärt und trotzdem habe ich es nicht sofort begriffen, obwohl ich es später gar nicht fassen konnte… Was gab es da nicht zu verstehen?
Genauso ist es in der Schachpädagogik: Es ist eine Sache das eine oder andere Prinzip zu formulieren, aber eine ganz andere sein Wesen zu erfassen, seinen Anwendungsbereich und die Grenzen seiner Anwendung. Unerfahrene Schachspieler verwenden oft mechanisch die ihnen bekannten Regeln in unpassenden Situationen – mit traurigen oder komischen Resultaten.

Dem Schüler das zu vermitteln, was der Trainer selbst nur allzu gut weiß, ist nicht so einfach. Gute Schachspieler sind oft keine guten Pädagogen, weil sie gerade nicht in der Lage sind auf das andere Niveau der Wahrnehmung ihrer Schüler Rücksicht zu nehmen, weil sie wirklich nicht verstehen, dass für sie offensichtliche Dinge für andere eventuell nicht offensichtlich sind.

Übrigens, viele schwache Trainer mit hoher Schachqualifikation haben eines gemeinsam: Ihre Schüler haben das gleiche Anfängerrepertoire und eine ähnliche Spielerhandschrift. Der Trainer sagt: „Mache es so wie ich,“ anstelle jedem Schüler zu helfen seine eigenen Probleme zu lösen und seine eigenen Waffen beim Schachspiel zu schmieden.

Da kommen einem die ironischen Zeilen des Dichters Vladimir Majakovskij in den Sinn:

-Meine lieben Moskauer Dichter,
Ich möchte euch in aller Liebe eines sagen
Macht es nicht wie Majakovskij
sondert auf eure Art!

Das Fach, welches ich in der Schule wohl am wenigsten von allen konnte, war Physik. Und das gehörte natürlich zu den Fächern der Aufnahmeprüfung am Institut. Es blieb mir nichts Anderes übrig als vorher Privatstunden zu nehmen. Hier hatte ich Glück mit dem Lehrer: Ein junger Mann, Student, ich weiß nicht mehr, ob er von der Fakultät für technische Physik oder von der Fakultät für Physik an der Moskauer Staatlichen Universität war, legte in wenigen Unterrichtsstunden klar und deutlich Grundbegriffe und Ideen dar und zeigte die Wechselbeziehungen der verschiedenen Bereiche in der Physik auf. Ich konnte mich anschaulich davon überzeugen, dass selbst das Wesen einer so komplizierten Sache knapp und klar ohne Anhäufung unwesentlicher Details vermittelt werden kann. Genau diese Analyse des Materials strebte ich in der Folgezeit bei der selbstständigen Erarbeitung anderer Disziplinen an. Diese Herangehensweise übertrug ich auch auf das Schachspiel, was mir später dabei half, Vorlesungen und Unterrichtsstunden mit den Schülern effektiv aufzubauen. Bei der Aufnahmeprüfung in Physik antwortete ich auf alle Fragen richtig, bekam aber nur eine zwei, weil man bei der richtig gelösten Aufgabe eine Konstante einsetzen sollte, wenn ich mich richtig erinnere, die Masse des Elektrons. Ich hatte nie versucht mir eine solche Information zu merken, hielt es für überflüssig, der Prüfer war jedoch anderer Meinung.

Zu diesem Thema möchte ich eine kurze interessante Geschichte aus dem damals populären Sammelband „Die Physiker scherzen weiter“ erzählen.

-Ich kann nirgendwo einen Assistenten finden, - beklagte sich Edison einmal bei Einstein. Jeden Tag kommen junge Leute, aber keiner kommt in Frage.
-Wie stellen Sie denn fest, ob er geeignet ist? - fragte Einstein interessiert.

Edison zeigte ihm ein Blatt mit Fragen.

-Wer diese Fragen beantworten kann, wird mein Assistent.

«Wie viele Meilen sind es von New York bis nach Chicago?» - las Einstein und antwortete:
-Das kann man in einem Handbuch der Eisenbahn finden.

«Woraus macht man nicht rostenden Stahl?» -Das steht in einem Handbuch für Metallkunde.

Einstein überflog die restlichen Fragen und sagte:

-Ich werde nicht auf meine Ablehnung warten, ich nehme meine Kandidatur selbst zurück.

Im Buch „Die Schule der höheren Meisterschaft“ Band 1 gibt es ein Kapitel „Über den Nutzen des abstrakten Wissens“. Darin wird als Beispiel für eine schöne Endspielanalyse eine in methodischer Hinsicht wichtige und nicht ganz offensichtliche Beobachtung erörtert: Unsere theoretischen Kenntnisse – allgemeine Ideen, Regeln usw. (Es geht hier nicht um konkrete Eröffnungs- oder Endspielvarianten) werden beim direkten Spiel nicht genutzt, am Brett denken wir in der Regel nicht daran. Der Zweck ist ein anderer. Sie sollen unsere Intuition bereichern und verstärken. Gehört habe ich von dieser Idee natürlich in einer sehr viel allgemeineren Form ohne Bezug zum Schachspiel, in der Moskauer Staatlichen Universität während der Vorlesung von Professor Katsenelenbogen. Die Vorlesung handelte von der „Allgemeinen Theorie der Systeme“, von der ich natürlich nichts mehr weiß. Kluge Lehrer halten sich nur selten in den engen Rahmen ihres Faches auf, nutzen jede Gelegenheit die Vorstellungen der Zuhörer über das Leben zu erweitern. Katsenelenbogen war zweifelsohne ein kluger Lehrer, ja und darüber hinaus ein großer Wissenschaftler.

Parteilosigkeit

In der sowjetischen Zeit strebten viele Leute, um Karriere zu machen, danach Parteimitglied zu werden. Aber dort nahm man bei Weitem nicht jeden: Man schaute nach der sozialen Herkunft, der Nationalität, dem Beruf, wollte wissen, ob man der Regierung gegenüber loyal ist, ob man aktiv war und berücksichtigte Quoten und Zuweisungen. In den Verband der Komsomolzen dagegen nahm man so gut wie jeden auf, er hatte mehrere 10 Millionen Mitglieder im Alter von 14 bis 18. Ich bin nicht in den Verband der Komsomolzen eingetreten und das gewiss nicht aus ideologischen Gründen (In der Schulzeit war ich noch nicht in der Lage die Unzulänglichkeit des sozialen Systems zu verstehen, unter dem ich einen beträchtlichen Teil der mir bewilligten Lebensfrist verbracht habe.). Es war so, dass ich es von Kindheit an vermied Teil einer Menge zu sein, das zu tun, was alle machten.

Und so rief mich die Schuldirektorin zu sich und begann mir Vorhaltungen zu machen:

-Warum bist du nicht bei den Komsomolzen? Alle deine Klassenkameraden sind eingetreten, nur du nicht. Willst du nicht da sein, wo die Anderen sind? Der Komsomol hilft der Partei und du hast nicht vor am Aufbau des Kommunismus teilzunehmen? Wenn du nicht auf unserer Seite bist, bist du dann gegen uns, gegen die Sache der Partei?

Sie verstummte plötzlich, sah mich an und fuhr entrüstet fort:

-Ich spreche mit dir über äußerst wichtige Dinge und du stehst da und lächelst.

-Na, mir ist doch klar, dass Sie das nicht ernst meinen.

Da hielt sie es nicht mehr aus und lachte los.

-Natürlich war das nur ein Scherz, aber sieh zu, dass du so schnell wie möglich Komsomolmitglied wirst.

Wie ich schon erwähnt habe, verhielt man sich mir gegenüber in der Schule wohlwollend und deshalb konnte ich ihren Rat ungestraft ignorieren. Ein paar Jahre später stieß ich wieder auf dieses Problem, ungefähr ein Jahr, bevor ich mein Diplom erhielt. Es war alles in Ordnung: ich studierte eifrig, spielte für unsere Fakultät und für die Universität um die Schachmeisterschaft der Moskauer Hochschulen und trainierte mit einer Gruppe von Kindern im Schachklub der Moskauer Universität. Es stand eine Auslandsreise der Universitätsmannschaft bevor, Für die Ausreise benötigte man, wie immer, eine Beurteilung mit den Unterschriften vieler verschiedener Instanzen.
Und da bittet mich der Sekretär des Universitätskomitees des Komsomol zu sich und stellt mir eine direkte Frage: Warum bist du nicht im Komsomol? Mir war klar, dass es eine überzeugende Antwort, die ihn zufrieden stellen würde, nicht gab. Ich versuchte es mit ein paar ausweichenden Erklärungen. Er lässt keine Ruhe und schließlich wird klar, dass er meine Beurteilung für die Ausreise nicht unterschreiben wird. Da ging ich zum Angriff über.
-Was muss ich denn sagen, damit ich mich der Reise als würdig erweise? Es sieht ja so aus, als wären weder mein Studium noch meine gesellschaftliche Arbeit von Bedeutung, wenn ich kein Komsomolze bin.
Darauf fiel ihm keine ehrliche Antwort mehr ein, diese offensichtliche Tatsache konnte er natürlich nicht laut zugeben. Wir trennten uns ohne etwas erreicht zu haben.

Ich berichtete dem Leiter unseres Schachklubs, Professor Gorshkov von der chemischen Fakultät, von dem Vorfall, der Mitglied der Parteileitung der Moskauer Universität war. Ein paar Tage später sagte er zu mir:
-Da kann ich nichts machen: Der junge Mann ist dagegen und weigert sich kategorisch die Beurteilung zu unterschreiben.
-Na gut, dann sollen die Komsomolzen den Unterricht im Klub durchführen und für die Mannschaft spielen, ich werde dann am Schachleben der Universität nicht mehr teilnehmen.
Und so machte ich es, das ganze letzte Jahr besuchte ich nur meine Fakultät und spielte nur für sie.

Zum Thema Parteimitgliedschaft gibt es eine Anekdote, die meiner Überzeugung nach in den meisten Fällen für eine objektive Bewertung von Menschen, von denen hier die Rede ist, geeignet ist:

-Es gibt drei Eigenschaften, die sich in keinem Fall miteinander verbinden lassen: Klugheit, Ehrlichkeit und Parteizugehörigkeit.
Wenn ein Mensch Parteimitglied und klug ist, kann er nicht ehrlich sein.
Ist er ehrlich und Parteimitglied, ist er offensichtlich nicht gescheit.
Ein kluger und ehrlicher Mensch aber wird nicht Parteimitglied.

 

Original beim russischen Schachverband...

Das zweibändige Werk "Für Freunde und Kollegen" erschien 2011/2012 auch in deutscher Sprache. Bei Schach Niggemann bestellen...

 


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