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So aufregend können Radiosendungen sein: „Across the Board“ nennt sich die 15 Minuten lange Sendung, die ab 30. Dezember eine Woche lang von BBC Radio 4 übertragen wurde und jetzt in der BBC- Mediathek mit den entsprechenden Notationen der Partien abrufbar und nachspielbar ist. Bei diesem Chess Chat hatte jeder Spieler eine halbe Stunde Bedenkzeit, aber die prominenten Gäste sollten sich während des Spiels über die Bedeutung des Schachspiels in ihrem Leben äußern.
Der Moderator Dominic Lawson, ehemaliger Herausgeber des Magazins „The Spectator“ und Kolumnist bei verschiedenen Zeitungen, ist selbst ein starker aktiver Clubspieler. Er hatte eine bunt gemischte Gruppe eingeladen: Den ehemaligen britisch-kanadischen Schwergewichts- Boxweltmeister Lennox Lewis, die Labour- Wirtschafts-Schattenministerin Rachel Reeves- eine ehemalige britische U14-Titelträgerin- sowie die 19jährige chinesische Frauen-Weltmeistern Hou Yifan, außerdem Nathan Sharansky, einen ehemaligen sowjetischen Dissidenten, der nach Israel auswanderte und Politiker wurde, sowie John Healy, der jahrelang obdachlos und alkoholabhängig war.
Er ist in dieser Runde der exotische Außenseiter: Healy geriet als Sohn irischer Einwanderer früh auf die schiefe Bahn, war regelmäßig in Schlägereien verwickelt, landete mehrmals wegen kleinerer Diebstähle im Knast und lernte im Londoner Pentonville-Gefängnis von einem anderen Insassen das Schachspielen- was sein Leben grundlegend veränderte: „Schach war die reine Magie! Einen Plan entwickeln, alles im voraus berechnen und vorhersehen, einfach Wahnsinn! Den König killen, die Dame klauen, die Bauern auch noch mitnehmen- das alles war für mich viel spannender als das Saufen. Ich brauchte plötzlich keinen Alkohol mehr, weil mich die Spannung auf dem Brett elektrisierte und ich nur noch für das Schach lebte“.
Healy entwickelte ein so großes Schachtalent, dass er bald blind simultan gegen sechs Gegner spielte und unbedingt den GM-Titel erwerben wollte. „Doch ich hielt den Nervenkitzel auf dem Brett einfach nicht mehr aus und musste meine GM-Pläne bald begraben“, erklärte er beim Spiel gegen Nigel Lawson. Vor 20 Jahren veröffentlichte er seine beeindruckende Autobiographie „Grass Arena“, die inzwischen in einer Neuauflage erschienen ist.
Die heikle Gratwanderung zwischen lockerer Plauderei über den biographischen Hintergrund der eingeladenen Gäste und einem anspruchsvollen Spiel, das von GM Daniel King souverän mit eingestreuten Kommentaren begleitet wurde, hat Lawson brillant gemeistert, auch wenn sich einige Gäste nach einer Niederlage gegen Lawson beschwerten, dass sie an Gespräche beim Schachspiel nicht gewohnt seien und sie dadurch stark irritiert worden wären.
Der britische GM Jon Speelman äußerte sich in einem „Independent“- Kommentar begeistert darüber, dass nun an die alte Tradition der Schach-Radiosendungen angeknüpft wurde: Schließlich gab es ja schon im 3. Programm der BBC von 1958-1964 regelmäßige Schachsendungen. Und Speelman wies auch daraufhin, dass Schachboxen als neuester Trend in der Londoner City gerade extrem angesagt sei: Viele Banker wollen offenbar beweisen, dass sie nicht nur clevere Kombinierer und Zahlenjongleure sind, sondern auch robuste Kämpfer, die im Ring schon mal einen Leberhaken wegstecken können.
Damit sind wir auch schon bei der zweiten schillernden Figur unter den prominenten Studiogästen: Beim ehemaligen Box- Schwergewichtsweltmeister Lennox Lewis, 48, 1,95 Meter groß, der im Juni 2002 Mike Tyson mit einem K.O.-Schlag in der 8. Runde besiegt hatte.
Vor dem WM-Kampf hatte es bei der Pressekonferenz eine Massenschlägerei gegeben, nachdem der ausgerastete Tyson seinen Gegner in den Oberschenkel gebissen und angekündigt hatte, die Kinder von Lewis aufzufressen und Lewis das Herz herauszureißen.
Lewis hatte dann ein Jahr später auch Vitali Klitschko besiegt- auch Klitschko ist ja Schachspieler. Beim Spiel mit Lawson wies Lennox darauf hin, dass ihm das beim Schach erlernte strategische Denken im Ring sehr geholfen habe: Nicht das plumpe Draufhauen sei oft entscheidend gewesen, sondern eine langfristig angelegte, gut vorbereitete kämpferische Taktik. Tyson sei nur eine brutale Dumpfbacke gewesen, meinte Lennox, dem jedes strategische Denken gefehlt habe. Lennox selbst sei beim Schachspiel immer vom „ mentalen Krieg“ fasziniert gewesen.
Als ziemliche Langweilerin entpuppte sich dagegen die humorlose Labour- Politikerin Rachel Reeves, die sich vor allem über ihre anstrengende Arbeit im Wahlkreis ausließ und zum Schachspiel eigentlich gar nichts zu sagen hatte. Sehr bewegend dagegen der kurze Rückblick des lange in der Sowjetunion inhaftierten Dissidenten Natan Sharansky, der nach Israel auswanderte und dort Politiker wurde:
Er habe die Einzelhaft und die Gulag-Strapazen nur überlebt, weil er, ohne Lektüre, ohne Schachbrett oder irgendwelche anderen Gegenstände, mit denen er sich hätte beschäftigen können, in dunklen Zellen im Kopf gegen sich selbst Schach spielen konnte. Das erinnert zwar stark an Stefan Zweigs „Schachnovellle“- aber „Überleben mit Schach“- das ist in unserer verspielten, übersättigten Epoche doch eine überraschende und anrührende Erkenntnis.
Mein Fazit: „Across the Board“ ist eine extrem spannende Sendung, ein aufregendes Experiment, das unbedingt fortgesetzt werden sollte!
Fotos: BBC