Zum 10. Todestag von David Bronstein
Nach Meinung von Boris Spassky gab es im sowjetischen Schach vier Titanen: Mikhail Botvinnik, Wassily Smyslov, Paul Keres und David Bronstein. Jeder, der die Schachgeschichte etwas kennt, erinnert sich, wenn er den Namen Bronstein hört, sogleich an seinen dramatischen WM-Kampf 1951 gegen Botvinnik oder an seine einzigartigen Kombinationen. Der kleine Mann mit der unglaublichen Phantasie war einer der ganz Großen der Schachgeschichte. Als David Bronstein am 5. Dezember 2006 starb, trat mit ihm einer der letzten Romantiker des modernen Schachs von der Bühne ab. Er hinterließ der Welt ein schöpferisches Erbe, das seinesgleichen sucht. Bronstein war nicht nur ein origineller Spieler mit großer Kampfeslust, sondern auch ein kühner Vorreiter und kluger Querdenker.
In frühen Jahren
Alexej Suetin schrieb in einer Biographie über den Figurenkünstler: „Aus historischer Sicht ist Bronstein einer der markantesten Vertreter des in unserer pragmatischen Zeit so seltenen romantischen Stils, ein Nacheiferer der Ideen Anderssens, Zukertorts, Tschigorins und Aljechins.“ Er habe gemeinsam mit dem älteren Keres und dem jüngeren Tal die ruhmreichen Traditionen der Kunst im Schach fortgesetzt.
David Bronstein wurde am 19. Februar 1924 in der ukrainischen Stadt Belaja Zerkow geboren. Später siedelte seine Familie nach Kiew über, wo sich der Junge ernsthaft mit Schach beschäftigte. David hatte Glück und kam in die Hände des hervorragenden Trainers Alexander Konstantinopolski, der ihn förderte. Schon als Jugendlicher zeigte Bronstein sein außergewöhnliches Talent. 1940 wurde er als 16-Jähriger Zweiter in der ukrainischen Meisterschaft hinter Isaak Boleslawski. 1944 erregte David Bronstein Aufsehen durch einen Sieg über den späteren Weltmeister Michail Botvinnik. Im Jahr darauf wurde er Dritter in der UdSSR-Meisterschaft.
1948 gewann Bronstein das Interzonenturnier in Saltsjöbaden und teilte 1948 und 1949 jeweils den ersten Platz bei der sowjetischen Landesmeisterschaft. Im WM-Kandidatenturnier 1950 von Budapest teilte er den Sieg mit Isaak Boleslawski und gewann den notwendigen Stichkampf. Dadurch wurde er 1951 Herausforderer von Weltmeister Botwinnik. Das Duell um die Krone fand in Moskau statt und ging über 24 Partien. Nach 22 Runden führte Bronstein mit 11,5:10,5 Punkten. In der vorletzten Partie musste er sich jedoch geschlagen geben und konnte auch das letzte Spiel nicht gewinnen, so dass Botwinnik mit 12:12 seinen Weltmeistertitel verteidigte. Es gab immer wieder Gerüchte, dass Bronstein von Staatsfunktionären unter Druck gesetzt worden sei, das Match absichtlich zu verlieren. Er selbst äußerte sich später in der Öffentlichkeit ausweichend darüber. Auf jeden Fall war es d i e Tragödie seiner Karriere, die ihn bis ans Lebensende stark beschäftigte.
Botvinnik-Bronstein
Im Jahre 1953 wurde Bronstein beim Kandidatenturnier in Zürich Zweiter hinter Wassily Smyslov. Sein Buch über dieses Ereignis zählt wegen der hohen Qualität der Kommentare zu den Perlen der Schachliteratur. 1955 gewann Bronstein das Interzonenturnier in Göteborg, vermochte sich aber ein Jahr später beim Kandidatenturner in Amsterdam nicht mehr für einen WM-Kampf zu qualifizieren. Doch auch in der Folgezeit konnte er noch immer internationale Turniere gewinnen und jedem Gegner gefährlich werden. David Bronstein pflegte einen sehr dynamischen Stil und fühlte sich besonders in komplizierten Stellungen wohl. Er spielte romantische Eröffnungen wie das Königsgambit und bereicherte auch moderne Systeme wie die Königsindische Verteidigung mit vielen Ideen. Bekannt ist sein Satz: „Das Königsgambit ist meiner Meinung nach die einzige Eröffnung, wegen der es sich lohnt, Schach zu spielen.“
David Bronstein
Immer ging es ihm darum, die Sportart Schach attraktiver zu machen. Viele seiner Ideen und Anregungen sind heute verwirklicht. Das sehr populäre Schnellschach ist eindeutig ein Kind Bronsteins. Auch bei bedeutenden Turnieren bis hin zu WM-Kämpfen wurde inzwischen der Spielrhythmus verkürzt. David Bronstein gab den Anstoß dafür. Auf einen Vorschlag von ihm geht auch die Regel zurück, dass man nur unmittelbar mit Ausführung eines Zuges Remis anbieten darf. Außerdem entwickelte er maßgebliche Gedanken zur Abschaffung von Hängepartien.
Der Autor dieser Zeilen hatte das Glück, David Bronstein kennenzulernen und einige Male zu treffen. Unsere erste Begegnung war im Juni 1989 im Zentralen Schachklub der UdSSR in Moskau. Dabei stellte ich ihm die nicht sehr originelle Frage, wer für ihn die besten Schachspieler aller Zeiten sind. Bronstein erwiderte mit verschmitztem Lächeln: „Alle, die mit L anfangen: von La Bourdonnais bis Larsen.“ Der kleine Mann mit dem großen Können hatte wirklich speziellen Humor. Als ich Hunger bekam, führte er mich netterweise auf den Gogol-Boulevard zu einem Imbissstand. Beim Abschied schenkte mir Bronstein sein signiertes Schach-Lehrbuch, das wenig später unter dem Titel „Wege zum erfolgreichen Spiel“ auch in Deutsch erschien.
Dagobert Kohlmeyer und David Bronstein, Moskau 2002
Die Liebe des begnadeten Großmeisters zum Schach war bis zuletzt ungebrochen. Nach dem Wegfall der Reisebeschränkungen reiste er oft nach Westeuropa und spielte in Open-Wettbewerben. In Tilburg erlebte ich im Herbst 1997, wie er am Rande des dortigen Superturniers gemeinsam mit Garri Kasparow lange Zeit eine interessante Stellung analysierte. Im September 2002 sah ich David Ionovich im Moskauer Kreml zum letzten Mal, als er Ehrengast beim Match-Turnier Russland gegen die Welt war. Wir wurden Augenzeigen, wie die Schachnation Nr. 1 knapp geschlagen wurde. Bronstein starb am 5. Dezember 2006 in Minsk, wo ihm eine würdevolle Grabstelle errichtet wurde.
Will man David Bronsteins Bedeutung für die Entwicklung des „neuen Schachs“ verstehen, sollte man sich seine Partien und Kombinationen genauer ansehen. Nach ihrem Studium bekommt man eine Vorstellung davon, warum dieser außergewöhnliche Figurenkünstler einer der Wegbereiter des modernen dynamischen Stils ist. Seinen Hauptbeitrag leistete er auf dem Gebiet der Taktik. Mehr über den modernen Schach-Romantiker David Bronstein und seine Meisterstücke kann man in dem Buch „Attacke“ erfahren, das vor kurzem im Verlag Chaturanga erschienen ist und aus dem hier einige Textpassagen zitiert wurden.
Alexej Suetin brachte Bronsteins Credo auf den Punkt:„Wie ein echter Ritter beharrte Bronstein auf seiner schöpferischen Konzeption, ohne Schwert und Schild zu wechseln.“ - Hier sind zwei Kostproben von David Bronsteins Schachkunst: ein Frühwerk und eine Partie, die er im reiferen Alter spielte.
Pachman – Bronstein, Prag 1946
Bronstein – Ljubojevic, Petropolis 1973
Und hier die Tür zum 10. Dezember. Zur Weihnachtszeit wird immer besonders viel verschickt.