Neue Ideen in alter Remisvariante?
Vor mehr als 140 Jahren, 1870 (Megabase) oder "spätestens 1872" (Wikipedia), haben Carl Hamppe, "der Vater der Wiener Partie" und Philip Meitner, der Vater der Kernphysikerin Lisa Meitner, in Wien eine kurze, aber taktisch inhaltsreiche Partie gespielt, die gerne "Unsterbliche Remispartie" genannt wird.
C. Hamppe - P. Meitner
Bis heute inspiriert diese Begegnung Schachspieler aus aller Welt. So listet die Mega 2017 37 Partien mit der zwischen Hamppe und Meitner diskutierten Variante auf, die aktuellste dieser Partien wurde im Juli 2016 gespielt. Theoretisch gesehen weist das von Hamppe und Meitner gewählte Abspiel trotz aller Schärfe und taktischen Verwicklungen allerdings eine ausgeprägte Remistendenz auf: 36 der 37 Partien in der Mega folgten Zug für Zug dem historischen Vorbild und endeten Unentschieden.
Ein besonders erbittertes Duell lieferten sich dabei die griechischen Meister Hristos Banikas und Iannis Nikolaidis. Am 20. August 2008 spielten sie in der vierten Runde des Opens von Aigialis gegeneinander und wandelten bis zum 17. Zug auf den Spuren von Hamppe und Meitner. Dann allerdings sahen sie sich außerstande, das Spiel der alten Meister zu verbessern und trennten sich Remis. Nicht ganz vier Monate später, am 8. Dezember 2008, trafen Banikas und Nikolaidis in der griechischen Meisterschaft wieder aufeinander und wieder spielte Banikas mit Weiß.
Offensichtlich hatten beide die Variante in der Zwischenzeit gründlich untersucht und waren bereit für ein weiteres theoretisches Duell. Einmal mehr vertrauten sie 17 Züge lang den Ideen der Wiener Meister, um dann jedoch ernüchtert feststellen zu müssen, wie schwer es ist, in bekannten Varianten durchschlagende Verbesserungen zu finden - und so war das Remis nach 18.Kc6 Lb7+ beschlossene Sache.
C. Hamppe - P. Meitner (sowie eine Reihe anderer Partien), Stellung nach 17...Lb7+
Neue Wege gingen dann Davide und Francesco Zampaglione in einer am 2. September 2010 im Amantea B-Open gespielten Partie. Vielleicht war der Begegnung ein kleinerer oder größerer Familienstreit vorausgegangen, vielleicht hatte Davide, der mit Weiß spielte, am Brett auch nur vergessen, was er in den Büchern gelesen und zu Hause analysiert und vorbereitet hatte. Wie auch immer: 16 Züge imitierten beide die Partie Hamppe gegen Meitner, dann wich Weiß von den zahlreichen Vorgängerpartien ab und nach das angebotene Läuferopfer mit 17.Kxb7?? an. Eine unglückliche Idee, denn nach 17...Kd7 18.Dg4+ Kd6 konnte er das mit 19...Thb8# drohende Matt nicht mehr verhindern und gab auf.
Davide Zampaglione - Francesco Zampaglione, Amantea 2010, Stellung nach 18...Kd6
Doch womöglich wären all diese Partien nicht gespielt worden, hätten sich die Anhänger dieser Variante mit Fernschach beschäftigt. So überraschte M. Wind seinen Gegner T. Winckelmann in einer Fernpartie von 1993 mit einer Neuerung, die ihm einen schnellen Sieg bescherte.
Eine leicht modifizierte Version dieses Artikels erschien zuerst im Schachkalender 2014, S. 44-45