Akiba Rubinstein, Georg Rotlewi und Ernst Jünger

von André Schulz
18.08.2019 – Den Namen von Georg (Gersz) Rotlewi kennen viele Schachfreunde aus der berühmten Partie Rotlewi-Rubinstein, Lodz 1907. Von ihm selbst weiß man wenig. Sein Freund Ernst Jünger erwähnte ihn immerhin in seinen autobiografischen Schriften. Heute jährt sich Rotlewis Geburtstag zum 130sten Mal. | Foto: Boris Maliutin und Gersz Rotlewi

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Eine der berühmtesten Partien der Schachgeschichte ist die Partie Rotlewi-Rubinstein. Sie wurde 1907 bei einem Turnier in Lodz gespielt. Der große Akiba Rubinstein beginnt in fast symmetrischer Stellung einen Angriff, den er nach einem Damen- und Turmopfer mit Matt abschließt. Es ist eine der schönsten Kombinationen der Schachgeschichte.

 

Mit dieser Partie wurde auch der Name des besiegten Rotlewi unsterblich, mehr aber auch nicht. Nur wenig ist über Georg Rotlewi bekannt. Seine Schachkarriere währte allerdings auch nur sechs Jahre.

Georg (eigentlich: Gersz) Rotlewi wurde am 18. August 1889 in Warschau in einer jüdischen Familie geboren. Heute jährt sich sein Geburtstag zum 130-sten Mal. Er wuchs in Lodz auf. 1904 begab er sich 14-jährig auf eine Reise in die USA, um dort in New York seinen Onkel B. Laski zu besuchen. Rotlewis Name befand sich auf der Passagierliste der Pretoria, die am 1. April 1904 Hamburg in Richtung New York verließ.

Die Pretoria, 1897 bei Blohm & Voss gebaut und in Dienst gestellt. 1919 von den USA beschlagnahmt. 1920 an England übergeben, 1921 außer Dienst gestellt. Quelle:  www.navsource.org

Rotlewi hatte später offenbar auch die Absicht, dauerhaft in die USA auszuwandern, doch dazu kam es nicht mehr.

Aufstieg zur Weltklasse

Lodz war in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Metropole des polnischen Schachs. Zu den bekannten Spielern aus und in Lodz gehörten unter anderem Gersz Salwe (1862-1920), David Janowski (1868-1927) Salomon Szapiro (1882-1944) oder Dawid Daniuszewski (1907-1944). 1903 zog auch Akiba Rubinstein nach Lodz und trainierte mit Salwe. Rotlewi wiederum war mit großer Wahrscheinlichkeit ein Schüler von Rubinstein. 

Akiba Rubinstein

Seine ersten schachlichen Spuren hinterließ Rotlewi als 17-Jähriger bei einem doppelrundigen Turnier in Lodz 1906, das er zwar als Letzter abschloss, bei dem er aber den Turniersieger Akiba Rubinstein (*1880) einmal schlagen konnte.

Beim Turnier in Lodz im folgenden Jahr 1907, aus dem die berühmte Partie überliefert ist, erreichte Georg Rotlewi schon den 3. Platz und ließ dabei unter anderem Gersz Salwe hinter sich. 1907-08 nahm er an den 5. Gesamtrussischen Meisterschaften in Lodz teil, wurde Sechster bei 13 Teilnehmern und überflügelte dabei unter anderem Fedor Dus-Chotomirsky. 1908 spielte er an einem internationalen Turnier in Prag mit, konnte sich dort aber nicht für die Finalgruppe qualifizieren. 1909 wurde Georg Rotlewi hinter Alexander Aljechin Zweiter bei den Gesamtrussischen Amateurmeisterschaften in St. Petersburg. Ein großer Teil Polens und auch Lodz waren vor dem Ersten Weltkrieg ein Teil Russlands.

In St. Petersburg produzierte Rotlewi folgendes "Kunstwerk":

 

1910 organisierte Walter Robinow in Hamburg den 17. DSB-Kongress. Carl Schlechter gewann das Meisterturnier. Der inzwischen 21-jährige Georg Rotlewi gewann das Hauptturnier vor Carl Carls und Carl Ahues. Edward Lasker wurde dort Fünfter. Im gleichen Jahr gewann Georg Rotlewi zusammen mit Akiba Rubinstein ein Turnier in Warschau (13,5/15). Nachdem Rotlewi auf einen Stichkampf verzichtete, wurde Rubinstein zum Turniersieger ernannt. Für seinen Sieg über den späteren WM-Herausforderer Efim Bogoljubov erhielt Rotlewi den Schönheitspreis.

 

Anlässlich seines 50sten Geburtstages organisierte der Kölner Schachklub 1911 ein Jubiläumsturnier, bei dem Rotlewi im Hauptturnier teilnahm und Zweiter wurde. Am Rande des Turniers spielte er auch eine freie Partie gegen Alexander Aljechin, die er aber verlor.

 

Rotlewi teilte den ersten Platz mit Simon Alapin beim Viermeisterturnier in München 1911 und nahm dann am Turnier in Karlsbad 1911 teil. Bei 26 Teilnehmern, darunter die versammelte Weltelite, erreichte Georg Rotlewi mit dem vierten Platz die beste Turnierleistung seiner Schachkarriere.

Nur Richard Teichman, Akiba Rubinstein und Carl Schlechter waren am Ende besser als er. Nach der 17. Runde lag Rotlewi zusammen mit Teichmann und Schlechter noch mit 1,5 Punkten Vorsprung in Führung, ließ dann aber nach. Rotlewi besiegte unter anderem Schlechter, Marshall und Nimzowitsch.

Seine Partie gegen Marshall erinnert in ihrem trockenen, sachlichen Stil sehr an Akiba Rubinstein.

 

 

Die Teilnehmer des großen Turniers von Karlsbad 1911

Hinten: Chajes, E. Cohn, Leonhardt, Aljechin, Fahrni, Jaffe, Rotlewi; Dritte Reihe: Dr. Tartakower, P. Johner, Dr. Perlis, L. Hoffer, H. Fähndrich, Dr. v. Gottschall, Spielmann, Süchting, Marco, Rabinowitsch, Salwe; Zweite Reihe: Dr. Vidmar, Burn, Rubinstein, N. Tietz*), Schlechter, Duras, Marshall, Nimzowitsch, Alapin; Vorne: Kostić, Löwenfisch, Dus Chotimirski, A. Havasi

Rotlewi lebte offenbar in sehr ärmlichen Verhältnissen und erschien zum Turnier in Karlsbad in abgerissener Kleidung und mit einer Hose, die er sich von seinem jüngeren Bruder geliehen hatte. Als sich abzeichnete, dass Rotlewi unter den Preisträgern sein würde, gaben der Organisator Viktor Tietz ihm einen Vorschuss auf sein Preisgeld, damit er sich ordentliche Kleidung für die Preisverleihung kaufen konnte. Rotlewi tat dies, soll sich mit dem übrigen Geld aber "auf dandyhafte Weise" vergnügt haben, womit sein Leistungsabfall zum Ende des Turniers erklärbar wäre.

Das vorzeitige Ende der Schachkarriere

Bald nach dem Erfolg in Karlsbad endet Rotlewis Turnierkarriere abrupt. Er wurde das Opfer eines Nervenleidens, das zu Depressionen mit Angstzuständen führte.

Im Oktober 1911 spielte Rotlewi in Hamburg noch einen Miniwettkampf gegen Paul Leonhardt (0.5:1,5). Im Dezember 1911 begann er in Amsterdam einen Wettkampf gegen Dr. Johannes Esser, zugleich sein Arzt, den er aber nach fünf Partien mit drei Remis und zwei Niederlagen abbrach und die Stadt verließ. 1912 berichtete Dr. Esser in der Wiener Schachzeitung, dass Rotlewi in ein Sanatorium überwiesen wurde. Eigentlich war Rotlewi nach seinem Erfolg in Karlsbad als einer der Teilnehmer für das Turnier in San Sebastian 1912 vorgesehen gewesen. Auch ein geplanter Wettkampf mit Marshall musste abgesagt werden.

Freundschaft mit Ernst Jünger

Aus dem Jahr 1911 ist eine freie Partie gegen Ernst Georg Jünger (1868–1943) überliefert, gespielt in Jüngers Domizil in Rehburg.

 

Ernst Georg Jünger war der Vater von Ernst Jünger (1895-1998), der nach dem Ersten Weltkrieg unter anderem mit seinen Kriegserlebnissen ("In Stahlgewittern") als Schriftsteller Weltruhm erlangte. 

Ernst Georg Jünger war Apotheker und Chemiker und war am Steinhuder Meer mit dem Kalibergbau erfolgreich gewesen. Zudem war er ein begeisterter Schachfreund und lud häufig andere Schachspieler zu gemeinsamen Schachabenden in sein Haus nach Rehburg ein. Auch Georg Rotlewi war dort zu Gast, nachdem Jünger senior und er sich wohl 1910 im Romanischen Café in Berlin kennengelernt hatten. Rotlewi freundete sich mit den Söhnen seines Gastgebers  an, besonders mit dem sechs Jahre jüngeren Ernst Jünger. Dieser erwähnt seine Begegnung mit Georg Rotlewi in seiner autobiographischen Erzählung "Subtile Jagden" (Klett-Cotta): "Rotlewi war lang, dünn und krank; seine Nase ragte wie ein Papageienschnabel aus seinem olivgrünen Gesicht."

Schach wurde im Hause Jünger groß geschrieben. Außer dem Vater Ernst Georg Jünger spielten auch seine Söhne Schach. Der Illustrator und Maler A. Paul Weber, ein Freund von Ernst Jünger, malte ihn 1935 beim Schach mit seinem Bruder Friedrich Georg Jünger. 

A. Paul Weber: Ernst Jünger beim Schach mit seinem Bruder Friedrich Georg, 1935

Georg Rotlewi starb 1920, im Alter von 31 Jahren, in Lodz an den Folgen von Tuberkulose.

Ein Artikel über Gregor Rotlewi von Harald Ballo erschien in polnischer Sprache, hier http://szachowavistula.pl/vistula/rotlewi.htm


André Schulz, seit 1991 bei ChessBase, ist seit 1997 der Redakteur der deutschsprachigen ChessBase Schachnachrichten-Seite.

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