Aktiv gegen Katalanisch!

von ChessBase
22.07.2020 – No risk, no fun! So könnte das Motto von Lars Schandoffs Eröffnungsartikel im neuen ChessBase Magazin #196 lauten. Abweichend von der Praxis der Elitegroßmeister schlägt er mit 5...a6 und 6...Sc6!? eine "unterhaltsamere Variante" gegen Katalanisch vor. Im ersten Teil untersucht der dänische GM den Hauptzug 7.e3. Spannend und empfehlenswert für alle, die mit Schwarz nicht mit einem Remis als Maximalziel zufrieden sind!

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Aktiv gegen Katalanisch!

Lars Schandorff zeigt ein Repertoire mit 5...a6 und 6...Sc6!? (Teil I)

"Wie bekämpft man das immer beliebtere Katalanisch?", das ist zweifellos eine Frage, die sich viele Schwarzspieler heutzutage stellen. Die Wahl fällt schwer. Auf absoluter Spitzenebene herrscht offenbar eine Übereinkunft, dass sich Schwarz für 1.d4 d5 2.c4 e6 3.Sf3 Sf6 4.g3 Le7 5.Lg2 0-0 6.0-0 dxc4 bzw. 4...Lb4+ 5.Ld2 Le7 6.Lg2 0-0 7.0-0 Sbd7 entscheiden sollte. Beide Systeme sind supersolide und gut ausgearbeitet. Trotzdem, Weiß erlangt ein kleines Plus, und realistisch gesehen hat Schwarz keinerlei Gewinnchancen. Damit können wir nicht zufrieden sein. Zumindest nicht in jeder einzelen Partie, die wir mit Schwarz spielen. Daher werde ich eine unterhaltsamere Variante für Schwarz vorschlagen. Man kann es auch kompliziertere Variante nennen. Natürlich ist sie nicht ohne Risiko, aber sie gibt mehr Gewinnchancen als die Elitehauptvarianten und, vielleicht am wichtigsten, sie zwingt Weiß aus seiner Komfortzone heraus.

Nach 1.d4 d5 2.c4 e6 3.Sf3 Sf6 4.g3 muss man 4...dxc4 ziehen, wenn man eine komplexe Partie will. Weiß kann mit 5.Da4+ reagieren und den Bauern zurückschlagen, aber das ist wirklich gar nichts. Alle Welt spielt 5.Lg2, und jetzt 5...a6 6.0-0 Sc6!?.

 

Das Decken des Bauern mit 6...b5 ist sehr weit ausanalysiert und gilt als zweifelhaft. Der Springerzug nach c6 wirkt auf den ersten Blick seltsam, da Schwarz den eigenen c-Bauern blockiert. Aber er blockiert auch die lange weiße Diagonale für den Katalanisch-Läufer, was in bestimmten Abspielen wichtig sein könnte. In manchen Varianten kann der Springer sogar nach a5 gehen und den Mehrbauern auf c4 schützen. Das wichtigste Merkmal des Zuges 6...Sc6 ist, dass er Weiß davon abhält, das wünschenstwerte Se5 zu spielen.

Moderne Hauptvariante und kritischster Zug ist 7.e3. Weiß befestigt den Bauern auf d4 und plant, mit Zügen wie De2 oder Sbd2 den c4-Bauern aufs Korn zu nehmen. Der Zug 7.e3 ist auch die Empfehlung von Boris Avrukh in der Neuausgabe seiner gelobten "1.d4"-Buchreihe. Einige frische Entdeckungen machen die Sache auch aus der Sicht von Schwarz sehr interessant. Genau das ist das Thema dieser Übersicht. Ich werde ein komplettes Schwarzrepertoire gegen Katalanisch vorstellen, das heißt, in Teil 2 im nächsten ChessBase Magazin wird von mir die alte Hauptvariante 7.Sc3 betrachtet, was übrigens in der ersten Version des Buches Avruks ursprüngliche Empfehlung war. Die Idee von Weiß lautet, im nächsten Zug einfach e4 zu ziehen und das Zentrum einzunehmen, ohne sich allzu sehr um den c4-Bauern zu kümmern. Untersuchen werde ich in Teil 2 außerdem das positionelle 7.Lg5, was wahrscheinlich beabsichtigt, e3 folgen zu lassen und dann darauf zu pochen, dass der Läufer herausgekommmen ist, bevor die Diagonale geschlossen wurde.

Nach 7.e3 antwortet Schwarz mit dem subtilen Zug 7...Tb8.

 

Die Idee lautet, den c4-Bauern mit ...b5 zu decken. Dazu ist es nötig, zuerst den Turm von der Diagonale des Katalanisch-Läufers zu evakuieren. Das sofortige 7...b5? läuft in 8.Se5! Schwarz hat allerdings eine wichtige Alternative, und zwar 7...Ld7, was sowohl den Springer auf c6 als auch den Turm auf a8 deckt und ebenso in manchen Varianten ...b5 vorbereitet. in some lines. Dieser Zug wird erwähnte in Nikos Ntirlis ausgezeichnetem 1.d4 d5-Repertoirebuch. In dieser Übersicht werde ich mich auf 7...Tb8 konzentrieren, weil sich hier heutzutage wirklich etwas bewegt.

Nach 7...Tb8 hat Weiß zwei Optionen, beides Versuche, den Bauern zurückzuerobern. Die erste ist Avruks Empfehlung und auch die beliebteste in praktischen Partien, nämlich das clevere A) 8.Sfd2 , was ...b5 verhindert und Sxc4 mit großartiger Stellung plant. Die andere ist B) 8.De2. Weiß will Dxc4 fortsetzen, lässt aber 8...b5 zu, wonach er beabsichtigt, mit b3 ein echtes Gambit zu spielen. Alle anderen Züge als diese zwei kann man als schwächer ansehen. In den meisten Fällen behält Schwarz dann einfach mit ...b5 seinen Mehrbauern und kann nach erfolgreichem Eröffnungsduell zuversichtlich auf ein aussichtsreiches Mittelspiel vorausblicken.

A) 8.Sfd2

 

8...e5! Wir werden nicht abwarten, bis Weiß Sxc4 spielt. Es ist wichtig, unsere eigenen aktiven Operationen zu starten. Der Angriff auf d4 lässt Weiß kein Gratistempo, um einfach auf c4 zu schlagen, allerdings ist der Zug ein Bauernopfer. 9.Lxc6+! Weiß sollte auch nicht nein sagen. Jetzt gewinnt er einen Bauern. Zu erwähnen ist, dass er mit 9.Sxc4 einen letzten Versuch hat, die Kontrolle zu behalten, aber nach 9...exd4 zum Rückgewinn des Bauern trotzdem den Läufer auf c6 geben muss. Dies verspricht nicht sonderlich viel, wie in der Partie Bogdanovski,V - Akobian,V ½-½ zu sehen ist.

Nach 9.Lxc6+! wird das Spiel ein paar Züge lang recht forciert: 9...bxc6 10.dxe5 Sg4 11.Sxc4 Le6.

 

Die wirkliche Ausgangsstellung für das Abspiel 7...Tb8. Weiß hat einen Bauern gewonnen, aber Schwarz besitzt trickreiches Figurenspiel. Dies gilt auch für das Endspiel: 12.Dxd8+ Txd8 13.Sbd2 Lb4 14.b3 h5! mit gutem Spiel, wie in einer Reihe von Partien zu sehen, etwa Nesterov,A - Praggnanandhaa,R 0-1. Diese liefert eine gute Illustration, wie gefährlich die Stellung für Weiß ist. Das Ziehen der Dame nach e2 oder c2 ist ebenfalls riskant, weil Schwarz sofort mit 12...h5! angreift, wie in Iskusnyh,S - Vorobiov,E 0-1.

Der beste Zug ist 12.Sbd2. Nach dem aktiven 12...Lb4 hat Weiß eine Wahl.

 

Der kann den Springer auf c4 mit 13.b3 decken oder seine Dame nach e2 bzw. c2 entwickeln. Oft interagieren diese Züge, es kommt also zu vielen Überleitungen. Betrachten wir sie der Reihe nach.

A1) 13.Dc2 ist am wenigsten populär. Schwarz antwortet 13...h5! mit gutem Spiel, siehe Raja,R - Aravindh,C 0-1.

A2) 13.De2 wird begegnet mit 13...Lxd2 14.Lxd2 und wieder dem thematischen 14...h5!.

 

Schwarz beabsichtigt ...h4 mit starker Initiative. Dass Weiß wirklich auf der Hut sein sollte, zeigt die folgende Partie perfekt. Nach dem natürlichen 15.Tad1 h4! hatte Schwarz bereits ernsthaften Angriff, Song,R - Santos Latasa,J 0-1. Weiß sollte 15.f3 wählen. Doch Schwarz hat nicht die Absicht, seine Kräfte zurückzuziehen. Vielmehr opfert er eine Figur: 15...h4! 16.fxg4 hxg3.

 

Schwarz hat genügen Kompensation. Falls Weiß versucht, mit 17.hxg3 auf Nummer sicher zu gehen, dann attackiert 17...Dd5! den Springer auf c4 und droht ein Schach auf h1, sodass Schwarz die Figure zurückgewinnt und im Endspiel etwas besser steht, Batchuluun,T - Sethuraman,S ½-½. Kritischer ist 17.b3 Txh2 18.Df3, aber auch hier ist nach 18...Txd2 19.Sxd2 Dxd2 die Stellung im Gleichgewicht, Hilby,C - Matsenko,S ½-½.

A3) 13.b3 h5! Das kennen wir mittlerweile auswendig.

 

Nun sind 14.Dc2 und 14.De2 ganz ähnlich dem, was wir bereits gesehen haben, und da Schwarz ...h4 droht, muss Weiß den lästigen Springer auf g4 mit 14.f3 oder 14.h3 vertreiben.

14.f3?! wird widerlegt durch das spektakuläre 14...Sxe3! 15.Sxe3 Dd4, wie von dem indischen Wunderkind Pragg in einer kürzlichen Partie gezeigt. Tatsächlich kopierte der gut vorbereitete Teenager einfach das Spiel des norwegischen Großmeisters Frode Urkedal, Ravi,T - Praggnanandhaa,R 0-1.

14.h3! ist kritisch und der Bereich, wo neue Funde zu erwarten sind. Nach 14...Lc3 opferte ein anderer junger norwegischer Großmeister mit 15.hxg4 die Qualität. Er gewann einen komplizierten taktischen Kampf, hätte aber auch ebenso gut verlieren können. Interessanterweise rät der Supercomputer Leela stattdessen dazu, mit 15.La3! die Qualität zu opfern, was laut meiner Analyse zu einem ausgeglichen Spiel führt. Dies ist, wo die Theorie aktuell steht, Arvola,B - Galchenko,M 1-0.

B) 8.De2 b5 9.b3 

Der einzige Weg, den weißen Aufbau zu rechtfertigen. 9...cxb3 10.axb3 Le7.

 

Weiß hat gute positionelle Kompensation, wie aus ähnlichen Stellungen bekannt ist, aber wahrscheinlich nicht mehr als das. Aus Sicht von Schwarz betrachtet, einen Mehrbauern und eine solide Position zu haben ist nicht so schlecht! Grundsätzlich stehen Weiß drei Pläne zur Verfügung: 11.Td1 nebst e4 wäre ein echtes Gambit, während 11.Lb2 oder 11.Ld2 nebst Tc1 das typische Prozedere ist, wobei Weiß entlang der halboffenen a- und c-Linie Druck entfaltet.

B1) 11.Td1 0-0 12.e4 Lb7 13.Sc3 Sb4 und in Rogule,L - Potkin,V 0-1 fühlte es sich bereits so an, als ob Weiß nicht genug für den Bauern hat.

B2) 11.Lb2 0-0 12.Tc1 Lb7 13.Sbd2 Sb4.

 

Die Stellung ist ausgewogen. Hier war 14.Se5 Lxg2 15.Kxg2 Tb6 die Folge in Erigaisi,A - Adhiban,B 0-1.

C) 11.Ld2!? 

Sieht ein bisschen seltsam aus, aber vielleicht steht der Läufer hier besser. 11...0-0 12.Tc1 Lb7 13.Se1.

 

Dies ist sehr interessant. Weiß plant Sd3 mit äußerst harmonischer Stellung. Schwarz hat einen Bauern mehr, aber es fällt noch immer nicht leicht, mit einem guten Plan aufzuwarten. Sowohl 13...Sd5 als auch 13...Sb4 ist annehmbar, aber am besten vermutlich 13...Dd7 14.Sd3 Ld6 mit komplexem Spiel, Andonovski,L - Guha,C 1-0.

Fazit: Die Variante mit 5...a6 und 6...Sc6 funktioniert gegen 7.e3 für Schwarz ziemlich gut, tatsächlich steht er nach 7...Tb8 fast besser! Weiß muss definitiv mit etwas Neuem aufwarten, um die Variante am Laufen zu halten, oder eben zu entweder 7.Sc3 oder 7.Lg5 wechseln, den Zügen, die ich im letzten Teil dieses aktiven Repertoires gegen Katalanisch untersuchen werde.

Den kompletten Artikel mit allen Partien und Analysen finden Sie in ChessBase Magazin #196 (Juli/August 2020). 

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