Album 61: Gelfands Schachkarriere als Film

von Albert Silver
13.08.2015 – 2012 spielte Boris Gelfand gegen Vishy Anand in Moskau um die Weltmeisterschaft und verlor denkbar knapp. Während des Matches wurde Gelfand von einem Filmteam begleitet, das die Atmosphäre des Matches einfangen wollte. Daraus wurde der preisgekrönte Film Album 61, der zeigt, wie Gelfand zu dem Schachspieler wurde, der er heute ist. Mehr...

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Fast drei Jahre hat es gedauert, ehe der Film dem Publikum gezeigt werden konnte. Doch das Ergebnis ist beeindruckend. Regisseur Halil Efrat hat einen ausgezeichneten Dokumentarfilm gedreht, der nicht nur die Entwicklung eines Champions zeigt, sondern auch Einblicke in ein System und eine Struktur des Schachtrainings gibt, über die Menschen aus dem Westen nur staunen können.

Zu Beginn des Films sieht man, wie Boris Gelfand im Inneren eines nicht näher definierten Gebäudes auf den Aufzug wartet. Gelfand ist eine Mischung aus Ruhe und Nervosität: Auftreten und Körpersprache signalisieren, dass er sich vollkommen unter Kontrolle hat, aber dann wiederum geht er beim Warten auf den Fahrstuhl immer wieder nervös auf und ab.

Bald zeigt sich, wo er hin will: zur ersten Partie des Finales der Schachweltmeisterschaft 2012. Und ob er den WM-Kampf gewinnt oder verliert, alleine dadurch, dass er um die Weltmeisterschaft spielt, zählt er zu der kleinen Schach ausgesuchter Schachspieler, die es geschafft haben, alle Rivalen zu besiegen und alle Hindernisse zu überwinden, um am Ende um die Weltmeisterschaft zu spielen.

Im Hintergrund erläutert GM Ilya Smirin, welche Bedeutung dieser Wettkampf für Boris Gelfand hat.

Dabei schwenkt die Kamera auf Dokumente, Statistiken, Anmerkungen zu Größe, Gewicht, ja, sogar Schuhgröße von Boris Gelfand.
Der Zuschauer fragt sich, was das zu bedeuten hat. Ist das eine Geheimakte, die der
KGB über Gelfand angelegt hat? Schließlich verweisen die Jahreszahlen auf eine Zeit, in der es die Sowjetunion noch gab.

Die Mannschaft, die Gelfand beim WM-Kampf unterstützt, spielt ebenfalls eine Rolle. Die Schachspieler in
Gelfands Mannschaft sind der israelische GM Rodshtein sowie der russische Großmeister Evgeny Tomashevsky
und GM Pavel Eljanov aus der Ukraine.

Doch Gelfands Team ist noch größer. Leute, die sich besonders um seine mentale Fitness und
sein generelles Wohlbefinden kümmern, sind ebenfalls dabei.

Der Film versammelt viele Beiträge ehemaliger Weltmeister, zum Beispiel Garry Kasparov
und Vladimir Kramnik. So erzählt Kramnik, dass er sich während des Wettkampfs gegen Kasparov
genauso ernährt hat wie sonst und auch keinerlei Sport betrieben hat, aber während des Matches
dennoch zehn Kilo Gewicht verloren hat.

Dann schwenkt die Kamera wieder auf Alben, aber dieses Mal sind sie viel privaterer Natur:
Sie zeigen Babyfotos von Boris, der dem heutigen Boris bereits ähnelt.

Diese Fotos gehören zu den Dokumenten, die der Vater von Gelfand sorgfältig gesammelt und aufbewahrt hat.

Vater Gelfand erwies sich dabei als leidenschaftlicher Sammler. Er sammelte nicht nur Fotos und
Zeitungsausschnitte, sondern von Flugtickets bis zu Schlüsselkarten von Hotels einfach alles.
Das war sein Hobby und seine Leidenschaft und im Laufe seines Lebens kam so die beeindruckende
Zahl von 60 Alben zusammen. Hätte Gelfands Vater den WM-Kampf noch erlebt, hätte er
damit sicher das 61. Album gefüllt.

Boris Gelfands Vater hat das Talent seines Sohnes früh erkannt, denn damals lebte die Familie in der Sowjetunion und Schachtalent wurde damals einfach nicht übersehen. Als Boris Gelfand sechs wurde, besuchte er eine spezielle Schachschule, die von Schachtrainer Eduard Zelkind geleitet wurde.

Zelkind erkläutert, dass der Druck, erfolgreich zu sein, sehr groß war. Doch nicht die Eltern,
sondern der Staat übte diesen Druck aus. Der Staat finanzierte auch die Schule.

Mittlerweile lebt Zelkind in den USA und unterrichtet dort schon seit 25 Jahren Schach.
Im Nachhinein betrachtet erscheint ihm das damalige System unglaublich. Die Kinder
mussten schon früh auf die besondere Schule gehen, und wer in einer Mannschaft war,
kam fünf Mal die Woche und trainierte drei Stunden pro Tag. Neben dem ganz gewöhnlichen
Schulbesuch.

Diese auf das Schach ausgerichtete Erziehung gibt es immer und manche Familien hoffen, dass
ihre Kinder mit der richtigen Untertstützung ganz nach oben kommen können.

Gelfands Kampf um die Weltmeisterschaft war der Lohn für viel Arbeit und viele Opfer.

Viele der Trainer, Betreuer und Freunde von damals spielen im heutigen Leben Gelfands
keine große Rolle mehr, aber sie haben wesentlich dazu beigetragen, dem in der Sowjetunion
geborenen Israel zu dem Schachspieler zu machen, der er heute ist. Der Film zeigt viele emotionale
Momente, in denen sich ehemalige Wegbegleiter an den jungen Gelfand erinnern.

Gelfand erzielte schon früh herausragende Ergebnisse und durfte deshalb die Sowjetunion
verlassen und Turniere im Ausland spielen. Damals ein seltenes Privileg. Gelfands Vater bat
seinen Sohn, ihn die Welt jenseits des Eisernen Vorhangs durch die Augen seines Sohnes zu sehen.

Am Ende hat Gelfand das letzte Ziel nicht erreicht, aber der Film lädt dennoch nicht dazu ein,
Mitleid mit Gelfand zu haben. Im Gegenteil: die Hingabe, Fürsorge und Liebe seiner Familie und Freunde
für ihn sind rührend. Hier sieht man wie Gelfands Mutter ihrem Sohn zuzwinkert - Sekunden vor dem
entscheidenden Tie-Break.

Und Gelfand hat das gesehen und Kraft daraus geschöpft. Eine Qualität des Films besteht darin,
solche Momente einzufangen.

Der Wettkampf wird auf der ganzen Welt verfolgt.

Wie wir wissen, konnte Boris Gelfand den Titel nicht gewinnen, aber knapper hätte das Ergebnis nicht sein können.
Bei seiner Rückkehr aus Moskau bereitet man ihm in Israel einen begeisterten Empfang.

Der Film gewann den "Art Direction" Preis beim Film Festival in Jerusalem und wurde beim São Paulo Filmfestival zum besten Film gewählt. Ein 2014 auf ChessPro.ru veröffentlichtes Interview zeigt den Film. Er dauert etwas über eine Stunde.


Albert Silver ist Redakteur und Autor. Er lebt in Rio de Janeiro in Brasilien.

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