Alexander Münninghoff (1944-2020)

von Stefan Löffler
05.05.2020 – Vor wenigen Tagen starb der Biograf von Max Euwe und Jan Hein Donner, Mitarbeiter von New in Chess und Schaakbulletin, Autor eines Bestsellers über seine Familie, für seine Reportagen preisgekrönte Politikredakteur, Moskau-Korrespondent und romantische Angriffsspieler. Stefan Löffler blickt zurück auf ein ereignisreiches Leben. | Foto: Koninklijk 's-Gravenhaags Schaakgenootschap Discendo Discimus

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Zum Tode von Alexander Münninghoff

Er ging noch aufs Gymnasium, als er Stadtmeister von Den Haag wurde. Damals träumte Alexander Münninghoff kurze Zeit davon, Weltmeister zu werden. Er verstand aber schnell, dass andere mehr Talent, mehr Ausdauer und eine Liebe zum Schach besaßen, die keine Bedingungen stellte. Wäre es nach seinem Großvater Joannes Münninghoff gegangen, hätte er eines Tages das Firmenimperium der Familie übernehmen sollen. Er war ja der Stammhalter, das einzige männliche Kind, das Joannes´ Söhne zustande brachten. Aber der Großvater starb, lange bevor Alexander mündig war, und das schon vom Krieg zerflederde Vermögen zerbröckelte in den Händen des Vaters und von dessen Brüdern.  

Der Großvater hatte nach dem Ersten Weltkrieg sein Glück in Lettland gesucht, wo er sich erst als Kaufmann, dann auch als Fabrikant ein Vermögen teils erarbeitete, teils ergaunerte. Er half dem lettischen Premier Karlis Ulmanis mit Geld aus der Patsche und bekam dafür später ein Geschäft nach dem anderen zugeschanzt. Seine Großmutter Erica war eine russische Gräfin. Sie weckte seine Liebe zur russischen Sprache und Kultur. Dank seiner Russischkenntnisse begann er sein Berufsleben beim niederländischen Geheimdienst MID.

Als die Leidener Schachgesellschaft 1970 ihr 75jähriges Bestehen mit einem hochrangigen Turnier feierte, kam Münninghoff wie gerufen. Es wurde nämlich ein des Russischen mächtiger Chauffeur und Begleiter für Mihail Botvinnik und Boris Spassky gesucht. Spassky hatte eigentlich keine Lust auf Schach. Da traf es sich, dass Münninghoff auch ein passabler Tennispartner war. Er schaffte es, den Weltmeister zwei Wochen bei Laune zu halten, und am Ende gewann der damalige Weltmeister den Vierkampf, an dem auch Bent Larsen und Jan Hein Donner teilnahmen, standesgemäß.  

Botvinnik, Spassky, Larsen, Münninghoff, 1970 in Leiden | Foto: Archiv Allard Hoogland

Spassky hat Journalismus studiert aber den Beruf nie ausgeübt. Münninghoff studierte Slawistik und wurde Redakteur beim Haagse Courant. Gerne wäre er schon in den Siebzigerjahren in die Sowjetunion gereist, aber man ihm ein Visum. Münninghoff hatte das damals offiziöse Sowjetmagazin 64 zu heftig kritisiert. Also übernahm er für seine Tageszeitung andere Auslandseinsätze. Auch Kriegsschauplätze im Libanon, Iran und Irak, in El Salvador und Kambodscha waren dabei. Für eine Serie Reportagen über die Türkei, die er 1982 verfasste, wurde er mit dem Prijs voor de Dagbladjournalistiek ausgezeichnet, dem renommiertesten Journalistenpreis der Niederlande.

Dass der angesehene Journalist auch gelegentlich über seine Jugendliebe, das Schachspiel, schrieb, war der Existenz eines ungewöhnlichen Schachmagazins zu verdanken. Das Schaakbulletin hatte zwar brav begonnen, indem es im Unterschied zum Verbandsblatt Schakend Nederland ganze Partien analysierte und der Hoofdklasse, der höchsten niederländischen Liga, Aufmerksamkeit schenkte. Doch schon bald scharten sich immer mehr sprach-, schach- und meinungsbegabte Autoren um das unabhängige Blatt und fütterten es mit originelleren Inhalten. Hans Ree und Max Pam begründeten im Schaakbulletin ihre Karriere als Edelkolumnisten. Ihr Lehrmeister, der für diverse Intelligenzblätter schreibende Donner, stieß dazu. Tim Krabbé fand in Schachkuriosa seine Nische. Jan Timman sorgte für hohes schachliches Niveau.

Radioreportage, mit Hans Böhm und Viktor Kortschnoj| Foto: Archiv Allard Hoogland

Bevor Genna Sosonko in die Niederland immigrierte, war Münninghoff für russische Nachrichten und Kontakte zuständig. Sein vielleicht bestes Stück hieß „Parfum für Klara Schaganowna“ und handelte von einem nicht zustande gekommenen Interview mit dem damaligen WM-Kandidaten Garri Kasparow (Klara Schaganowna ist der Vor- und Vatersname seiner Mutter) war für Schaakbulletin geplant, erschien aber erst 2007 in der Zeitschrift "Matten". 1984 ging aus Schaakbulletin das Magazin New in Chess hervor. Der Chefredakteur hieß in beiden Fällen Jan Timman. Münninghoff steuerte ein großartiges Interview mit Botwinnik bei, den er vom Turnier 1970 kannte, und er editierte eine Sammlung der besten Artikel aus Schaakbulletin.
 

“Alexander war sehr charmant und konnte sich besser auf andere Menschen einstellen als jeder andere in der Schachszene“, sagt New in Chess-Herausgeber Allard Hoogland.


1986 erfüllte sich ein Traum. Münninghoff wurde Korrespondent in Moskau. Um die Kosten seines Büros zu decken, berichtete er nicht nur für den Haagse Courant sondern auch fürs Radio. Als erster westlicher Korrespondent berichtete er über Gorbatschows Reformen, die Perestroika. Ein weiterer Weltprimeur gelang ihm, als er den einseitigen Abbau der in Europa stationierten SS 20-Raketen meldete. Aber es war auch eine schwere Zeit für Familie Münninghoff, die in Russland ein neugeborenes Kind verlor.  

Simultan gegen Karpov | Foto: Archiv Allard Hoogland

1991 kehrte er nach Den Haag zurück und wurde wieder Mitglied bei Discendo Discimus 1852, dem ältesten niederländischen Schachverein, kurz DD. Nun wurde er auch jedes Jahr zum von der Versicherung AEGON gesponserten Mensch-Computer-Turnier eingeladen, wo ich ihn kennenlernte. Die Computer waren noch nicht überlegen aber wurden Jahr zu Jahr spürbar stärker. Als aussichtsreichstes Rezept galt, jede Komplikation zu vermeiden, Figuren zu tauschen und ein Endspiel anzustreben. Oder die Stellung zu schließen und langsam einen Angriff vorzubereiten, den die Maschine nicht kommen sieht. Beides war nichts für den Gambitspieler Münninghoff. Sein wildromantischer Sieg gegen den Saitek RISC 1993 war viel mehr nach seinem Geschmack und beim AEGON-Turnier Tagesgespräch.

 

Münninghoff arbeitete nun nebenbei auch fürs Fernsehen und verfasste Bücher, darunter Biografien von Max Euwe und Hein Donner. Letztere ist weit unterhaltsamer, weil Donner kein Biedermann sondern ein bunter Vogel war, ein Provo, der sich als leidenschaftlicher Nonkonformist aber nicht der Provo-Bewegung anschloss. Donner lebte und breitete seine Macken öffentlich aus und inszenierte manche Fehde, um darüber schreiben zu können. Diese wunderbare Biografie liegt seit kurzem auf Englisch vor und ist um ein Interview mit dem Schriftsteller Harry Mulisch ergänzt, der mit Donner befreundet war und ihn in seinem Bestseller „Die Entdeckung des Himmels“ als Onno Quist verewigt hat.

Auch als Münninghoff offiziell in Rente ging, blieb er nicht untätig. Ein alter Schachfreund, Jan Nagel, übrigens der Schwiegervater von Yasser Seirawan, überredete ihn, bei der Gründung der Partei 50plus, also einer Partei, die sich den Interessen der über 50-Jährigen verschrieb, zu helfen. 50plus ist heute mit Abgeordneten in beiden Kammern des niederländischen Parlaments und im Europäischen Parlament vertreten. Er verbrachte ein Jahr in St Petersburg, um dort ein Niederländisches Institut aufzubauen, gestaltete ein Radioprogramm über Zeitgeschichte und recherchierte und schrieb viele Jahren an einer Familienchronik.   

2014 erschien „De Stamhouder“ und schlug voll ein. Münninghoff hatte lange darunter gelitten und fast niemand erzählt, dass sein Vater sich freiwillig zur SS gemeldet hatte und er zuhause jahrelang dessen Kriegserlebnissen hatte anhören müssen. Dazu kam, dass Münninghoff am Tag vor seinem siebten Geburtstag aus der Wohnung seiner in Deutschland lebenden Mutter entführt wurde und mit seinem an ihm nicht interessierten, traumatisierten, alkoholabhängigen Vater und dessen zweiter Frau aufwuchs, weil der Großvater es so wollte. Seine geliebte leibliche Mutter sah Münninghoff erst Jahrzehnte später wieder.

Das Buch wurde aber keine Abrechnung sondern erzählt zurückhaltend, was sich wie und warum abspielte in den Jahren bevor und nachdem er an einem 13. April - das ist auch Kasparows Geburtstag - in Posen, polnisch Poznan, also auf halber Strecke zwischen Lettland und der Niederlande, zur Welt kam. Die ungewöhnliche Familienchronik wurde ein Bestseller und sowohl mit dem Libris-Preis für Geschichtsschreibung als auch dem Littéraire Witte Prijs ausgezeichnet. Als „Der Stammhalter“ ist bei C.H.Beck-Verlag die deutsche Übersetzung erschienen.

Schach ist darin nur zweimal kurz erwähnt. Das Spiel half Münninghoff, seine merkwürdige Kindheit zu überstehen. Und er blieb ihm auch im Alter treu. Bei einem Mannschaftskampf vor einem Jahr gelang ihm noch eine hübsche Miniatur: Bauernopfer, Angriff, Damenfang mitten auf dem Brett.

 

Vor einigen Monaten wurde Krebs diagnostiziert. Die Behandlung schlug nicht mehr an. Der großartige Journalist und Autor starb vorigen Dienstag im Kreise seiner Familie.

 


Stefan Löffler schreibt die freitägliche Schachkolumne in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und ist in Nachfolge von Arno Nickel Herausgeber des Schachkalender. Für ChessBase berichtet der Internationale Meister aus seiner Wahlheimat Portugal.

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