Aljechin rockt die Philidor-Verteidigung

von Stephan Oliver Platz
24.10.2020 – Der große Aljechin und die Philidor-Verteidigung - kann das wahr sein? Ja! Stephan Oliver Platz hat die Partien recherchiert, die Aljechin mit dieser lange Zeit nicht besonders beliebten Eröffnung gespielt hat, und zeigt uns in seinem Beitrag: Der ehemalige Weltmeister war damit äußerst erfolgreich!

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Nach den Zügen 1.e4 e5 2.Sf3 kann Schwarz durch 2. ... d6 dem Weißen die Tour vermasseln, wenn dieser gerne Spanisch, Schottisch, Italienisch oder das Evans-Gambit spielt. Der Preis, den er dafür zahlt, besteht in einer etwas beengten Stellung, weil der Bauer d6 den Läufer f8 am Herausziehen hindert. Dass dies nicht unbedingt viel heißen muss, zeigt die beeindruckende Bilanz von Weltmeister Alexander Aljechin (1892 - 1946) mit dieser Eröffnung. Wie spielte Aljechin die Philidor-Verteidigung und warum war er damit so erfolgreich?

"Moderne Schacheröffnungen" spricht in Rätseln

Als ich neulich in der ersten deutschen Ausgabe des Standardwerks "Moderne Schacheröffnungen" von Walter Korn und Larry Evans aus dem Jahre 1967 blätterte, stieß ich auf folgende, erstaunliche Behauptungen:

"Philidor hat die Philidor-Verteidigung nie gespielt! Nimzowitsch (ausgerechnet er!) fand, sie sei zu exzentrisch! Und Aljechin erlebte mehr als einmal das Schlimmste, wenn er sie spielte." (a)

Das klingt ja nicht gerade einladend. Wenn man den Autoren glauben möchte, scheint Philidor so wenig Vertrauen in seine eigene Eröffnung gehabt zu haben, dass er sie selbst niemals spielte. Und Aljechin, oh je, dem muss es ja wirklich an den Kragen gegangen sein, wenn er sie anwandte. Doch ich bin von Natur aus skeptisch und halte mich hier wie auch sonst gerne an einen nützlichen, von dem russischen Meister E. A. Snosko-Borowsky aufgestellten Grundsatz, der da lautet: "Nimm nichts auf Treu und Glauben hin, sondern prüfe und überlege selbst!" (b) Fragen wir uns daher: Stimmt das alles?

Spielte Philidor 2. ... d6?

Der Komponist und Musiker André Danican Philidor (1726 - 1795) galt als der stärkste Schachspieler des 18. Jahrhunderts. Er bevorzugte einen positionellen Spielstil und legte besonderen Wert auf die richtige Bauernführung. Von ihm stammt der Ausspruch "Die Bauern sind die Seele des Spiels". Kombinatorisch stand er nicht auf der gleichen Höhe und verpasste mitunter günstige taktische Gelegenheiten. Gegen das Königsspringerspiel 1.e4 e5 2.Sf3 empfahl er die Verteidigung 2. ... d6, die er für so stark hielt, dass er davon abriet, 2.Sf3 zu spielen. Sollte er tatsächlich seine eigene Verteidigung nie gespielt haben?

In der MEGA Database von ChessBase fand ich insgesamt 39 Partien, in denen Philidor Schwarz hatte. Leider sind 27 von ihnen Vorgabe-Partien. In den meisten von ihnen spielte Philidor entweder mit einer Figur weniger oder ohne den Bauern f7. Durch dieses damals gängige Verfahren versuchte man, Unterschiede in der Spielstärke auszugleichen. Damit bleiben allerdings nur noch 12 reguläre Partien übrig, von denen noch dazu keine einzige mit dem Königsspringerspiel eröffnet wurde. Fünfmal sehen wir das Königsläuferspiel 2.Lc4, dreimal das Königsgambit 2.f4. Dreimal verteidigte sich Philidor Sizilianisch 1.e4 c5, und einmal kam das angenommene Damengambit 1.d4 d5 2.c4 dxc4 aufs Brett.

Aufgrund dieser spärlichen Datenbasis zu schlussfolgern, dass Philidor niemals seine eigene Verteidigung spielte, erscheint mir jedoch zumindest abenteuerlich. Philidor hat in seiner langen Laufbahn sicher mehr als nur 12 Partien ohne Vorgabe mit Schwarz gespielt, von denen die meisten entweder nicht aufgezeichnet wurden oder jedenfalls nicht erhalten geblieben sind. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit befanden sich darunter auch etliche, die mit 1.e4 e5 2.Sf3 d6 begannen. In seinem 1749 erschienenen Werk "Analyse du jeu des Echécs" (Analyse des Schachspiels) bringt er jedenfalls vier Musterpartien, die allesamt mit einem Sieg von Schwarz endeten, ohne jedoch anzugeben, von wem diese gespielt wurden. (c) Es würde mich nicht wundern, wenn er eigene Partien zur Grundlage seiner Ausführungen genommen hätte.

Philidors und Aljechins unterschiedliche Strategie

Wenn wir uns Aljechins Behandlung der Philidor-Verteidigung ansehen und sie mit der von Philidor empfohlenen vergleichen, so bemerken wir einen grundlegenden Unterschied. Philidor spielte 2. ... d7-d6, um anschließend mit 3. ... f7-f5 fortzusetzen und auf diese Weise das weiße Zentrum zu erschüttern. Die moderne Eröffnungstheorie weiß, dass dies zu riskant ist. Kein Wunder, denn f7-f5 schwächt den Königsflügel, und Schwarz spielt als Nachziehender auch noch mit einem Tempo weniger! Das kann nur gut gehen, wenn Weiß nicht die stärkste Fortsetzung trifft, was bei dem damaligen Niveau der Schachspieler sicher häufig vorkam.

Aljechin dagegen vermied ein frühzeitiges f7-f5 und deckte stattdessen den Bauern e5 durch Sb8-d7, wodurch Schwarz unter einigen Mühen seinen Zentrumsstützpunkt behauptet. Dieses Verfahren im Zusammenhang mit den weiteren Zügen c7-c6 und Dd8-c7 wurde ursprünglich von dem Amerikaner J. M. Hanham (1840 - 1923) empfohlen. Es ist damit weitaus defensiver als Philidors ursprünglicher Plan. Wenn wir diese Vorgehensweise als die "moderne" Behandlungsweise verstehen, so lässt sich schon eher behaupten, dass Philidor die Philidor-Verteidigung (in ihrer heutigen Form) wahrscheinlich niemals spielte. Warum wohl?

Auf den ersten Blick sieht die nach 1. ... e7-e5, 2. ... d7-d6 und 3. ... Sb8-d7 entstehende Stellung wie ein schlechter Witz aus. Schwarz schließt freiwillig beide Läufer ein, nur um auf e5 einen Bauern im Zentrum zu behaupten. Die damaligen Schachspieler hätten so eine verkniffene Eröffnung wohl kaum ernst genommen, galt es doch, den Angriff und das "freiere Spiel" zu erlangen. Wenn man bedenkt, dass Aljechin am Brett erheblich stärkeren Gegnern gegenübersaß als seinerzeit Philidor, würde es niemanden wundern, wenn er mit so einer Strategie "mehr als einmal das Schlimmste erlebte". Wenn man sich jedoch seine Partien ansieht, so ergibt sich ein völlig anderes Bild.

Alexander Aljechin | Foto: Wikimedia

Aljechin zerlegt seine Gegner mit 2. ... d6

Ob Großmeister Aaron Nimzowitsch (1886 – 1935) die Philidor-Verteidigung für "zu exzentrisch" hielt, weiß ich nicht. Jedenfalls hat er sie laut der MEGA Database von ChessBase in Turnieren und Wettkämpfen (mindestens) 13-mal mit Schwarz gespielt und dabei ein Ergebnis von +4 -3 =6 erzielt. Noch weitaus erfolgreicher war allerdings Weltmeister Alexander Aljechin: In den mir zugänglichen Quellen (4 Bücher von Aljechin, MEGA Database und ChessBase DVD "Weltmeister Aljechin" von Robert Hübner) fand ich insgesamt 15 Partien, in denen Aljechin die Philidor-Verteidingung anwandte, davon zehn in Turnieren und Wettkämpfen gespielte. Von diesen zehn Turnier- und Wettkampfpartien gewann Aljechin sieben, remisierte zwei und verlor nur eine einzige. Ein solches Ergebnis von 80 % aller möglichen Punkte kann sich sehen lassen!

Die übrigen fünf Partien, darunter zwei Fernpartien, eine Schaupartie, eine Simultan- und eine Blindpartie, gewann Aljechin allesamt. Das macht zusammen 12 Siege bei nur einer Niederlage, und das mit Schwarz und der Philidor-Verteidigung! Wenn dies alle Partien sind, in denen er sich dieser Verteidigung bediente, dann hätte Walter Korn unrecht, wenn er behauptet, dass Aljechin "mehr als einmal das Schlimmste erlebte, wenn er sie spielte". Kennt irgendein Leser eine zweite Verlustpartie? Zweimal ist ja immerhin mehr als einmal, aber so schlimm wäre das auch wieder nicht und sicher kein Argument gegen die Philidor-Verteidigung.

Aljechins schöner Sieg gegen Blumenfeld

Sehen wir uns eine typische Aljechin-Partie mit dieser Eröffnung an. In der folgenden Wettkampfpartie wird der ursprünglich aus Polen stammende und später in Moskau ansässige Meister und Schachtheoretiker Benjamin Blumenfeld (1884 - 1947) Opfer eines überraschenden Mattüberfalls, den Aljechin mit einem Damenopfer krönt:

 
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1.e4 e5 2.Nf3 d6 3.d4 Nd7 4.b3 Als schärfste Fortsetzung gilt 4.Bc4 , aber auch der Textzug, der die Flankierung des Damenläufers vorbereitet, ist nicht schlecht. 4...c6 Sb8-d7, c7-c6 und Dd8-c7 mit Behauptung des Bauern e5 bilden die Grundidee der Hanham-Variante. 5.Bb2 Qc7 6.Nbd2 Ne7 7.Be2 Ng6 8.0-0 Be7 9.a4 Ein häufig gespielter Zug in derartigen Stellungen, um b7-b5 zu verhindern. Aljechin hielt ihn hier allerdings für einen Tempoverlust, weil er sowieso nicht b7-b5 gespielt hätte (vgl. hierzu A. Aljechin, "Meine besten Parien 1908 - 1923", Berlin und New York 1978, S. 92-95). 0-0 10.Nc4 Rd8 11.Qc1 Aljechin empfahl stattdessen 11.Re1 , um im Falle von Sg6-f4 den Läufer nach f1 zurückziehen zu können. 11...Nf4 12.Re1 Nxe2+ 13.Rxe2 f6 14.Nh4 14.Ne3!? 14...Nf8 15.Ne3 Ne6 16.dxe5 Keine gute Idee, dem schwarzen Turm die d-Linie zu öffnen. Besser sieht 16.Nhf5 Bf8 17.Rd2! g6 18.Ng3= aus. 16...dxe5 17.Nhf5 Bb4 18.c3 Nf4! 19.Rd2 Bxf5 20.Nxf5 Bc5 Sofort 20...Bf8! würde ein Tempo einsparen. 21.b4 Bf8 22.Rxd8 Rxd8 23.Qc2 Qd7 Schwarz steht nun besser dank seiner auf der offenen d-Linie verdoppelten Schwerfiguren. 24.Rf1? 24.g3!? 24...Qd3 25.Qb3+! 25.Qxd3 Rxd3! 25...Kh8 26.Ng3 h5 27.Bc1? 27.h4 (Aljechin) 27...h4! Das Vorrücken dieses Bauern entscheidet nun überraschend schnell die Partie: 28.Bxf4 exf4 29.Nf5 h3! 30.Qe6? Ermöglicht eine hübsche Schlusskombination. Blumenfeld hätte die Dame noch ein Feld weiter ziehen sollen: 30.Qf7! hxg2 31.Qh5+ Kg8 32.Kxg2 Qxe4+ 33.f3 Qe8 34.Qxe8 34.Qg4 Rd3 34...Rxe8 35.Rd1 und Schwarz muss das Endspiel mit einem Bauern mehr erst noch gewinnen. 30...hxg2 31.Kxg2 31.Rc1 Qd2!-+ 31...f3+! 32.Kg1 Qxf1+! Eine böse Überrraschung für Blumenfeld. Wahrscheinlich rechnete er nur mit 32...Qxc3 33.Nh4 Bxb4 34.Ng6+ Kh7 35.Qf5! Kg8 35...Qd2 reicht auch nur zum Remis, denn nach 36.Nf4+ Kg8 37.Qe6+ muss Schwarz mit seinem König auf die h-Linie zurück, denn Kf8? scheitert an 38.Ng6# 35...Kh6? verliert sogar: 36.Nf4 mit undeckbarem Matt auf g6! 36.Qe6+ Kh7 37.Qf5!= 33.Kxf1 Rd1# 0–1
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Blumenfeld,B-Aljechin,A-0–11908C41Match Aljechin-Blumenfeld +4-1=12

Blumenfeld war kein schwacher Spieler. 1906 belegte er bei einem Turnier in Moskau hinter Georg Salwe den geteilten zweiten Platz, punktgleich mit Großmeister Akiba Rubinstein. Von ihm stammt das Bauernopfer 1.d4 Sf6 2.c4 e6 3.Sf3 c5 4.d5 b5!? ("Blumenfeld-Gambit"), das Aljechin selbst im Jahre 1922 gegen den deutschen Großmeister Dr. Siegbert Tarrasch mit Erfolg anwandte.

Aljechins Verlustpartie gegen Schlechter

1910 verlor Aljechin tatsächlich einmal mit der Philidor-Verteidigung, und zwar gegen den WM-Kandidaten Carl Schlechter:

 
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1.e4 e5 2.Nf3 d6 3.Nc3 Nd7 Damit geht Aljechin in die Hanham-Variante über. Er hätte auch 3...c5!? oder 3...Nf6 spielen können. 4.Bc4 c6 5.d4 Be7 6.dxe5 dxe5 7.Ng5 Bxg5 Nach 7...Nh6 kann Weiß mit 8.Ne6!? fxe6 9.Bxh6 Nb6! 10.Qh5+ unter Figurenopfer auf Angriff spielen: Kf8 11.Bb3! gxh6 12.Rd1 Qc7!?∞ 8.Qh5 Qf6? Heute weiß man, dass Schwarz mit 8...Qe7! 9.Bxg5 oder 9.Qxg5 Ngf6! 9...Ngf6 den weißen Vorteil minimieren kann 8...g6? führt nach 9.Qxg5 Qxg5 10.Bxg5± zu einem für Weiß günstigen Endspiel. 9.Bxg5 Qg6 10.Qh4 Nc5 10...Ngf6!? 11.Be3 Be6 12.Be2! Nd7 13.0-0 Ngf6 14.Rad1 0-0 15.Rd6! Mit der schwarzen Dame auf e7 wäre dieser Zug nicht möglich gewesen. h6 15...Ne8? 16.Bh5 Qf6 17.Bg5+- 16.Rfd1 Nb6 Etwas besser ist wohl 16...Rfc8 mit dem Plan b7-b5 und a7-a5. Weiß verhindert dies am besten durch 17.a4!± 17.b3 Sichert c4. Ne8 18.R6d3 f5 19.Bc5! Durch das Fehle n seines schwarzfeldrigen Läufers hat Schwarz eine Schwäche auf den schwarzen Felden. fxe4 Oder 19...Qf6 20.Qxf6 Rxf6 21.Rd8! Rxd8 22.Rxd8 Kf7 23.Rb8 Nd7 23...Bc8? 24.Bxb6 24.Rxb7+- mit Fesselung des Springers d7 und Gewinnstellung für Weiß. 20.Rd8! Rf4 21.Qh5 21.Qg3!? Qxg3 22.hxg3+- Rf7? 23.Bxb6! 21...Qxh5 22.Bxh5 Rxd8 23.Rxd8 Bf7 24.Rxe8+! Bxe8 25.Bxe8 Weiß droht jetzt einfach durch g2-g3 den Turm von der vierten Reihe zu verscheuchen und anschließend mit Sc3xe4 den Bauern e4 einzuheimsen. Dummerweise hat Schwarz dagegen keine ausreichende Verteidigung. Nd5 26.g3 Rf5 26...Rg4 27.Bd7+- 27.Nxe4 Nf6 28.Nxf6+ Rxf6 29.Bxa7 Rf8 30.Bg6 Ra8 31.Bb6 Rxa2 32.Kf1 32.Bc7 geht auch, aber Schwarz kann den Bauern e5 sowieso nicht mehr verteidigen. 32...Ra6 oder 32...Ra1+ 33.Ke2 Rh1 34.h4 Kf8 35.Bc7+- 33.Bc7 c5 34.Bd3! und Schwarz gab auf, denn die Deckung des Bauern e5 durch 34.Bxe5? Rxg6 34...Re6 scheitert an 35.Bc4 Kf7 36.Bxe5! 1–0
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Schlechter,C-Aljechin,A-1–01910C41DSB Kongress-17 Meisterturnier1

Eine interessante Partie, welche schön die Ausützung positioneller Schwächen (schwarze Felder, 8. Reihe) zeigt. Die moderne Theorie hat, wie wir in der Analyse gesehen haben, inzwischen eine Verstärkung des schwarzen Spiels gefunden. Aber auch sonst brauchte sich Aljechin über diese Niederlage nicht allzusehr zu grämen, denn der Wiener Großmeister Carl Schlechter (1874 – 1918) spielte damals in der Form seines Lebens. Im selben Jahr hielt er einen Wettkampf um die Weltmeisterschaft gegen Emanuel Lasker unentschieden, führte vor der letzten Runde sogar mit 1:0 bei 8 Remisen.

Aljechin gewinnt zu Null gegen die Moskauer Schachelite

Im Dezember 1919 nahm Aljechin außer Konkurrenz an der Moskauer Schachmeisterschaft teil. Dabei erzielte er ein phänomänales Ergebnis von 11:0. Keine einzige seiner Partien endete remis! Sehr turbulent ging es dabei in seiner Schwarz-Partie gegen Boris Lyubimov zu. Erneut kam dabei die Philidor-Verteidigung zum Einsatz:

 
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1.e4 e5 2.Nf3 d6 3.d4 Nf6 4.dxe5 4.Nc3 Nbd7 führt zur Hanham-Variante. 4...Nxe4 5.Bc4 5.Qd5!? Nc5 6.Bg5 5...c6! 6.exd6 Bxd6 7.Be3 0-0 8.Nbd2 Nc5 8...Nf6!? 9.Ng5 Qe7?! Damit beschwört Aljechin einen gefärlichen weißen Angriff herauf. 9...h6? kostet nach 10.Nxf7 Rxf7 11.Bxf7+ Kxf7 12.Nc4 noch besser als 12.Bxc5 12...Ne4 13.Qf3+ Nf6 14.0-0-0 eine Figur Besser als der Textzug wäre aber wohl 9...Qf6 10.Qh5 10.Nde4!? Nxe4 11.Nxe4 Bb4+ 12.c3 Qg6!= 10...Bf5 11.0-0-0 Na4 mit der Falle 12.c3? 12.Bxf7+!∞ 12...Qxc3+! 13.bxc3 Ba3# 10.Qh5! Jetzt wird es spannend. Wie soll Schwarz das auf h7 drohende Matt decken? h6! Anders als in der eben untersuchten Variante wäre nun 10...Bf5? ein schwerer Fehler wegen 11.Nxf7 Rxf7 12.Qxf5+- 11.h4 Hier kam auch 11.0-0-0!? in Frage, denn nach hxg5? 12.Bxc5 Bxc5 13.h4! g4! 14.Rhe1 Qd6 14...Be6? 15.Bd3 g6 16.Bxg6!+- 15.Ne4 Qh6+ 16.Qxh6 gxh6 17.Nxc5 gewinnt Weiß die geopferte Figur vorteilhaft zurück. 11...Nbd7! Nicht 11...hxg5? 12.hxg5 mit undeckbarem Matt. 12.Qg6 Erneut droht Matt auf h7, und weiterhin darf der Springer g5 nicht genommen werden. Nf6 13.0-0-0 b5 Um den Läufer c4 von der Diagonalen nach f7 zu vertreiben, so dass f7xg6 folgen könnte. 14.Bxc5? Ein Fehler, für den sich Aljechin jedoch postwendend revanchiert. Nach 14.Bxf7+! Rxf7 15.Nc4 oder sogar 15.Rhe1!?∞ 15...bxc4 16.Qxf7+ Qxf7 17.Nxf7 Bf8 18.Nd6 wären die Aussichten gleich. 14...Bxc5? Aljechin verpasst die Gelegenheit zu 14...bxc4! , wonach die weiße Dame, der Läufer c5 und der Springer g5 hängt. Weiß hat keine ausreichende Verteidigung, z. B. 15.Bxd6 oder 15.Nxf7 Rxf7 16.Bxd6 Qxd6 17.Nxc4 Qf4+ 18.Ne3 Qxf2 19.Rd8+ Rf8-+ 15...Qxd6 16.Nge4 Qxd2+! 17.Nxd2 fxg6 18.Nxc4-+ 15.Bxf7+?! 15.Bb3! 15...Rxf7 16.Rhe1 Qf8 17.Nxf7 Qxf7 18.Qg3 18.Qxf7+ Kxf7 19.Re2 Be6 18...Bg4 19.f3 Bf5 20.Qe5 Nd7 21.Qc7? Die Stellung ist sehr kompliziert, und beiden Seiten unterlaufen Fehler. 21.Qf4! 21...Qxa2 22.Qxc6 Rd8? 22...Rf8! 23.Nb3! Ba3! 24.Qc3? Der Textzug verliert ebenso wie auch 24.bxa3? Qxa3+ 25.Kb1 25.Kd2 Ne5+ 25...Qxb3+ doch durch 24.Qd5+! konnte Weiß die gefährdete Partie retten: Kh8 25.Qxf5 Qxb2+ 26.Kd2 Bb4+ 27.Ke2 Re8+ 28.Kf1 Rxe1+ 29.Rxe1 Bxe1 30.Kxe1 Qc3+ 31.Kd1 Qc6= 24...Bxc2! 25.Kxc2! Besser als 25.Qxc2 Bxb2+ 26.Kd2 Bc3+! 27.Kc1! 27.Kxc3? Rc8+ 27...Qa3+ 28.Kb1 Bxe1 29.Rxe1 Nb6-+ oder 25.bxa3 Qb1+ 26.Kd2 Bxd1 27.Rxd1 Nb6+ 28.Nd4 Qa2+ 29.Ke1 Qxg2-+ 25...Bxb2! 26.Nc1! 26.Qxb2? Rc8+ 26...Bxc3+ 27.Nxa2 Bxe1 28.Rxe1 a5 und Aljechin gewann die Partie dank seiner beiden verbundenen Freibauern, aber ich bin mir nicht sicher, ob Lyubimov jetzt schon aufgab. Jedenfalls endet hier die überlieferte Partienotation. Eine sehr turbulente Partie, in der Lyubimov durch sein mutiges und aktives Angriffsspiel nahe daran war, dem Favoriten Aljechin ein Remis abzutrotzen. 0–1
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Lyubimov,B-Aljechin,A-0–11919C41Moscow-ch01

Wie wichtig ist die Eröffnung?

Woran liegt es, dass Aljechin mit der Philidor-Verteidigung so erfolgreich war? An ihm oder an der Eröffnung? Wenn man bedenkt, dass Aljechin 1927 den als unschlagbar geltenden kubanischen Weltmeister José Raúl Capablanca (1888 - 1942) mit 6:3 bei 25 Remisen niederrang und unzählige weitere Turnier- und Wettkampfsiege erzielte, so liegt die Antwort am nächsten, dass ein starker Spieler mit jeder halbwegs passablen Eröffnung erfolgreich sein kann. Auch der deutsche Weltmeister Dr. Emanuel Lasker (1868 - 1941) spielte des öfteren und mit großem Erfolg Eröffnungsvarianten, die als ungünstig galten. In seinem Werk "Der Weg zur Meisterschaft" beschäftigte sich der holländische Internationale Meister Hans Bouwmeester mit diesem Phänomen: "Etwas besser oder schlechter stehen - was ist das eigentlich? - sei für einen starken Spieler nicht so wichtig, meint Lasker. Die meisten Partien würden gewonnen durch Aufmerksamkeit und Genauigkeit in den kritischen Phasen." (c)

So wird es wohl auch in den Partien Aljechins gewesen sein. Gerade in den komplizierten und unübersichtlichen Stellungen wie sie sich nach der Deckung des Bauern e5 durch d7-d6 und Sb8-d7 ergaben, fand er sich besser zurecht als die meisten seiner Gegner.

Aljechin (links) und Capablanca | Foto: Wikimedia

Alles Wissenswerte zur Philidor-Verteidigung und über Weltmeister Alexander Aljechin enthalten die folgenden Chessbase-DVDs:

Die Philidor-Verteidigung ist viel besser als ihr Ruf und bietet dem Schwarzspieler flexible Möglichkeiten, positionell oder taktisch zu Gegenspiel zu kommen.

Phantastische Taktik und glasklare Technik. Das waren die Markenzeichen auf Aljechins Weg zum WM-Titel 1927. Das Team Rogozenco, Marin, Reeh und Müller stellt Ihnen den 4. Weltmeister und sein Schaffen vor. Inkl. interaktivem Test zum Mitkombinieren!

Fast alle verfügbaren Partien von Philidor, Aljechin und Nimzowitsch enthält die MEGA Database:

Die ChessBase Mega Database 2020 ist mit über 8 Mio. Partien aus dem Zeitraum 1560 bis 2019 im ChessBase Qualitätsstandard die exklusive Schachdatenbank für höchste Ansprüche.

Quellen und Anmerkungen:

(a) Walter Korn, "Moderne Schacheröffnungen", erste deutsche Ausgabe, Hamburg 1967, S. 112. Großmeister Larry Evans ist insoferne als Co-Autor anzusehen, da die deutsche Übersetzung auf der von ihm bearbeiteten englische Ausgabe beruht.

(b) E. A. Snosko-Borowsky, "So darfst Du nicht Schach spielen", Düsseldorf 1986, S. 17.

(c) Mir liegt das Werk in einer englischen Übersetzung vor: A. D. Philidor, "Analysis of the Game of Chess", London 1777, S. 32 – 48. Die insgesamt vier Beispielpartien mit der Philidor-Verteidigung sind im "Third Game" zusammengefasst (ein Hauptspiel mit drei zusätzlichen "Back-Games").

(d) Hans Bouwmeester, "Der Weg zur Meisterschaft", Heidelberg 1980, S. 23.


Stephan Oliver Platz (Jahrgang 1963) ist ein leidenschaftlicher Sammler von Schachbüchern und spielt seit Jahrzehnten erfolgreich in der mittelfränkischen Bezirksliga. Der ehemalige Musiker und Kabarettist arbeitet als freier Journalist und Autor in Hilpoltstein und Berlin.

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