Alle reden vom Schach - wir nicht

von André Schulz
22.03.2018 – Das Kandidatenturnier in Berlin hat Schach wieder einmal in den Mittelpunkt des Interesses gerückt. Alle reden vom Schach. Alle? Nein! Einige von unbeugsamen Bürokraten bevölkerte Informationsverwaltungsanstalten hört nicht auf Widerstand zu leisten.

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Die schönsten Bahnstrecken statt Schach

Wenn die Schachweltmeisterschaften gespielt werden, dann herrscht in den Sportredaktionen der großen Internet-Portalen Alarmstimmung. Die großen Schachschlachten sorgen regelmäßig für ein riesiges Interesse, und zwar nicht nur bei den organisierten Schachfreunden, sondern bei vielen anderen auch, die Schach für eine spannende und geistreiche Angelegenheit halten. Inzwischen wird auch schon von den großen Turnieren intensiv berichtet, jetzt gerade vom Kandidatenturnier in Berlin. 

Hohe Zugriffszahlen bei den Online-Portalen

Alle Portale, die auf sich halten und vielleicht auch auf ein intellektuelleres Lesepublikum zielen, haben inzwischen Schach im Blick: Spiegel-online, Die Zeit, die Frankfurter Allgemeine, die Süddeutsche Zeitung, in Österreich der Standard, in der Schweiz die Neue Zürcher Zeitung. Die Bild-Zeitung nicht.

Der Spiegel hat die regelmäßige Schachberichterstattung 2013 in seine Sportredaktion gehievt. Natürlich hat der Aufstieg von Magnus Carlsen geholfen. Der Norweger Anfangs wurde nur von den Weltmeisterschaften berichtet, 2013 und 2014 von den Wettkämpfen Carlens gegen Anand. Das Interesse war gewaltig.

Die Schachgemeinde ist zwar nicht so groß wie die Fußballgemeinde, aber sie ist sehr treu. Der Spiegel installierte mit seinem Kooperationspartner ChessBase eine Reihe von Angeboten, Videoanalysen mit Daniel King, Nachspielbretter, befeuerte einen Liveticker. Dann traute sich die Redaktion an das erste "normale" Turnier heran, das Norway Chess Turnier, mit Magnus Carlsen. Das Interesse war gewaltig.

Derzeit berichtet der Spiegel mit großem Aufwand vom Kandidatenturnier in Berlin - zum ersten Mal über ein Schachturnier ohne Carlsen. Und? Das Interesse ist erneut gewaltig.

Die Zugriffszahlen auf die verschiedenen Angebote übertreffen sogar noch die Erwartungen., die man in der Spiegel-online-Sportredaktion aus den Erfahrungen vorheriger Berichtsstrecken hatte. Und bei Spiegel-online ist man durchaus von hohen Zugriffszahlen verwöhnt. Das Thema Schach will man bei Spiegl-online in der Zukunft sogar noch intensiver bedienen. 

Auch die anderen schlafen aber nicht. Die Zeit hat Magnus Carlsen gleich zweimal nach Hamburg geholt, zu einem großen Simultan anlässlich des 70sten Geburtstages der Wochenzeitung 2016 und im letzten Jahr noch einmal als Gesprächspartner für eine Gesundheitskonferenz.

Schach hat den großen Vorteil, dass es viele Facetten hat. Schach ist oft Sport, ist aber auch Teil der Kultur, hat eine große Geschichte und hilft bei Erziehung und Bildung. Es gibt viel zu berichten. Alle sprechen über Schach. Alle? Nein! Einige von unbeugsamen Bürokraten bevölkerte Informationsverwaltungsanstalten hört nicht auf Widerstand zu leisten. 

Die Schachweltmeisterschaft zwischen Magnus Carlsen und Sergey Karjakin im November 2016 in New York entwickelte sich zu einem Thriller, bei dem alle mitfieberten. Fast alle: Die deutschen Fernsehanstalten entdecken das Thema erst ganz zum Schluss und meldeten das Ergebnis. Schach ist kein Fußball, wissen die Fernsehmacher. Beim Fußball werden auch die Ergebnisse in den dritten Ligen gemeldet, aber wer will schon etwas über Schach wissen? Jedenfalls hier in Deutschland. In Norwegen reißen sie sich um die Rechte an der Berichterstattung von Turnieren mit Magnus Carlsen.

Das war nicht immer so. Früher gab es im dritten Programm des WDR regelmäßige Schachsendungen. Der WDR-Kulturredakteur Dr. Claus Spahn sorgte für Berichterstattungen von einigen großen Turnieren, zum Beispiel in Dortmund oder bei Weltmeisterschaften, und lud zudem einmal im Jahr zu einer Live-Schachpartie ein, in der Sendung "Schach der Großmeister". Alles, was Rang und Namen im Weltschach und im deutschen Schach hatte, war hier im Verlauf von 20 Jahren wenigstens einmal zu Gast. In der Rückbesinnung auf diese Zeit ist die Sendung, bei der Helmut Pfleger und Vlastimil Hort kommentierten, heute Kult. Stundenlang wurde dort über die besten Züge beraten, niemals war es langweilig. Aber das ist schon lange her. Und was einmal beim Fernsehen rausgeflogen ist, das findet so schnell nicht wieder hinein. 

Die ARD hat alleine hat einen Gesamtetat von 6,5 Mrd. Euro, der zu 85% aus aus einer zwangsweise erhobenen Rundfunkabgabe bestritten wird. Dies beträgt 17,50 Euro pro Haushalt und muss bezahlt werden, so wie die Müllabfuhr. Die meisten jungen Menschen wissen von der Existenz der Rundfunkanstalten überhaupt nur durch diesen monatlichen Gebührenbescheid. Alle Anstalten, aber besonders ARD und ZDF kämpfen mit dem hohen Durchschnittsalter ihrer Zuschauer, ca. 60 Jahre im Schnitt. 

Briefe an die Redaktion

Wieso gibt es kein Schach im deutschen Fernsehen, obwohl sich doch alle Welt für die großen Schachturniere und gerade jetzt für die spannenden Partien beim Kandidatenturnier in Berlin zu interessieren scheint? Das fragte sich Manja Albrecht und schickte diese Frage an einige Fernseh- und Rundfunkanstalten. Im Februar 2018 schrieb sie die Sender ARD, ZDF und den WDR an:

"Sehr geehrte Damen und Herren,

warum gibt es seit der letzten Sendung „Schach der Großmeister“ im Jahre 2005 überhaupt keine Schachsendung mehr im Fernsehen?

Es laufen Sendungen wie "die schönsten Bahnstrecken Deutschlands". Für Schachsendungen dürfte es doch deutlich mehr Interessenten geben. Woran scheitert eine neue Initiative für eine regelmäßige Schachsendung im öffentlich rechtlichen Rundfunk?

Mit freundlichen Grüßen

Manja Albrecht"

Die ARD antwortete:

Sehr geehrte Frau Albrecht,

vielen Dank für Ihre Nachricht und Ihr Interesse an unserem Programm. Ihre Kritik an unserer Sportberichterstattung bedauern wir sehr. Das Erste berichtet in seinem Programm insgesamt über rund 50 Sportarten. Leider kann dabei nicht jede Sportart in gleichem Umfang berücksichtigt werden, weil die Sendezeit für Sport begrenzt ist. Fußball und Wintersport liegen in der Gunst der Zuschauer nach wie vor ganz vorne.
 
Um auch den etwas weniger populären Sportarten Übertragungszeit einzuräumen, versucht die ARD, die Berichterstattung sinnvoll zwischen dem Ersten und den Dritten Programmen aufzuteilen. Insgesamt berichtet die ARD in ihren Hörfunk- und Fernsehprogrammen über rund 100 Sportarten.
 
Öffentlich-rechtliches Fernsehen ist ein Drahtseilakt. Damit die Beitragszahler den öffentlich-rechtlichen Rundfunk auch weiterhin finanzieren wollen, muss es ein Ziel unserer Arbeit sein, den Bedürfnissen unseres Publikums möglichst umfassend gerecht zu werden. Die Zuschauer zahlen nicht nur dafür, dass im Ersten Sport übertragen wird. Diese Aufgabe ist selbstverständlich sehr wichtig, aber sie ist nur ein Teil des Programmauftrags. Daher müssen wir auch in Zukunft bei der Übertragung von Sportereignissen eine Auswahl treffen.
 
Mit freundlichen Grüßen
Programmdirektion 
Zuschauerredaktion Das Erste

Das ZDF antwortete:

Sehr geehrter Frau Albrecht,
 
vielen Dank für Ihre E-Mail an das ZDF.
 
Ihre Anregung haben wir in unsere Auswertung der aktuellen Zuschauerreaktionen aufgenommen. Diese wird in der internen Auseinandersetzung mit dem Programmangebot berücksichtigt. Bitte beachten Sie aber, dass uns jeden Tag zahlreiche Hinweise und Wünsche zu den Sendungen und der Programmgestaltung erreichen. Von daher können wir Ihnen heute nicht sagen, ob bzw. wann Ihre Anregung realisiert werden kann.
 
Mit freundlichen Grüßen
Ihr Zuschauerservice

Der WDR antwortete:

Sehr geehrte Frau Albrecht,

vielen Dank für Ihre Nachricht und Ihr Interesse am Programm des Westdeutschen Rundfunks! Es ist schön zu sehen, dass unsere Zuschauer an der Programmgestaltung teilhaben möchten und so haben wir auch durch Sie wieder eine interessante Anregung erhalten. In der Tag gab es seit der Absetzung der Sendung "Schach der Großmeister“ keine eigene Schachsendung mehr im Westdeutschen Rundfunks.
 
Uns erreichen leider sehr wenige Einsendungen, die ein Aufleben einer Schachsendung im WDR fordern – im gesamten Jahr 2017 waren es drei Mails. Daraus können wir leiten, dass kein gesteigertes Interesse an einem Schach-Format besteht. Die Zeiten von Kasparow, Kramnik und Fisher sind leider vorbei und Schach ist keine Massensportart, die maximal während der Weltmeisterschaft ein größeres Publikum findet.
 
Wir haben Ihren Vorschlag jedoch selbstverständlich gerne an unsere Programmredaktion weitergeleitet. Bitte bedenken Sie jedoch, dass wir nicht jeden Wunsch unserer Zuschauerinnen und Zuschauer berücksichtigen können.
 
Wir hoffen, wir konnten Ihnen behilflich sein und würden uns freuen, Sie auch in Zukunft zu unseren treuen Zuschauerinnen zählen zu dürfen.
 
Mit freundlichen Grüßen,
  
Ihr
Westdeutscher Rundfunk
HA Programmmanagement Fernsehen
Programmkoordination und -verbreitung

An alle Schachfreunde in Deutschland: Schreibt in großer Zahl Briefe an eure Sender, besonders die Öffentlich-Rechtlichen, und fordert Schachsendungen - sonst gibt es weiter nur "die schönsten Bahnstrecken Deutschlands".

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André Schulz, seit 1991 bei ChessBase, ist seit 1997 der Redakteur der deutschsprachigen ChessBase Schachnachrichten-Seite.

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