Als Amateur bei der Europameisterschaft

von ChessBase
16.03.2023 – Die Europameisterschaft 2023 in Vrnacka Banja in Serbien war Teil des Weltmeisterschaftszyklus. Die besten 23 qualifizierten sich für den World Cup, wo man sich für das Kandidatenturnier qualifizieren kann. Aber trotzdem war die Europameisterschaft offen für alle. Roger Lorenz (Bild), ein Amateur mit einer Elo-Zahl von 2180, hat die Gelegenheit genutzt, bei diesem Spitzenturnier dabei zu sein. Mit 5 aus 11 blieb er knapp unter 50%, aber gefallen hat ihm das Turnier und die Atmosphäre dort trotzdem. | Foto: Turnierseite EICC

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Eindrücke von der Schacheuropameisterschaft in Vrnjacka Banja

Text und Fotos: Roger Lorenz (wenn nicht anders angegeben)

Auf der Suche nach einem interessanten Schachturnier zum Mitspielen bin ich Anfang des Jahres auf die Schacheuropameisterschaft gestoßen. Dieses Turnier wird jährlich von der Europäischen Schachföderation veranstaltet und fand dieses Jahr Anfang März in dem serbischen Kurort Vrnjacka Banja statt. Da es ein Qualifikationsturnier für den Weltcup ist, wo es dann um Plätze für das Kandidatenturnier geht, ist das Teilnehmerfeld sowohl in der Spitze als auch in der Breite sehr stark. Und zu meiner Überraschung stellte ich fest, dass es für die Teilnahme keine Kriterien zu erfüllen gab; jeder Schachspieler, der einem europäischen Schachverband angehört, ist teilnahmeberechtigt.

Die Aussicht, bei diesem Turnier gegen starken Spieler antreten zu können und zusätzlich noch Gelegenheit zu haben, bei den Partien der Topspielern zuschauen zu können, hat mich nicht lange zögern lassen. Bei der Turnieranmeldung habe ich dann auch direkt ein Einzelzimmer im Spielhotel mitgebucht und mir einen Platz in dem kostenlosen Shuttlebus des Veranstalters vom Flughafen Belgrad reserviert.

So bin dann am Vorabend der ersten Vrnjacka Banja angekommen. Der Ort ist bekannt für seine heißen Quellen, die schon die Römer schätzten. Im Sommer wird er ein pulsierender Urlaubsort sein. Anfang März war es jedoch noch sehr ruhig. Immerhin hat das Wetter mitgespielt. Während meine Frau zuhause nochmal Schnee schippen musste, konnte ich mich bei strahlendem Sonnenschein in einem Café mit einem original italienischen Espresso auf die nächste Runde einstimmen.  

Entspannte Vorbereitung auf die nächste Runde

Im Hotel wurde man auf Schritt und Tritt daran erinnert, dass man an einem ernsthaften Schachturnier teilnimmt. Jede verfügbare Sitzecke wurde von den Spielern für die Vorbereitung genutzt. Auch der Autor hat da keine Ausnahme gemacht.

Roger Lorenz bei der Vorbereitung auf die Partie

Die intensiven Vorbereitungen führten zu einem hohen Datenverkehr, dem das Hotel WLAN nicht mehr gewachsen war. Aber an jeder Ecke konnte man für kleines Geld eine Prepaid SIM Karte kaufen, um seinen eigenen Hotspot zu betreiben.

Auch im Wellnessbereich konnte man erkennen, dass man an einem ernsthaftem Schachturnier teilnimmt. In der Regel hatte man den Pool und die Sauna für sich alleine, da alle anderen mit der Vor- oder Nachbereitung beschäftigt waren.

Wellness

Das Turnier hatte dann einige Überraschungen für mich parat. Mit Anti-Cheating-Maßnahmen wie Zutrittskontrollen mit Scannern hatte ich natürlich gerechnet. Aber die konkrete Umsetzung hat mich dann doch überrascht. Zum einen war es noch nicht mal gestattet seine analoge Uhr oder einen Stift mitzubringen. Und zum anderen war man verpflichtet, sofort nach Beendigung seiner Partie den Turnierbereich zu verlassen. Auch gab es keinen Analyseraum, wo man nach der Partie mit seinem Gegner zusammen die Partie hätte anschauen können.

Somit scheiterte auch mein Plan, mir Spitzenpartien live anzuschauen. In der siebten Runde habe ich mich dann aber nach Beendigung meiner Partie nicht an die Regeln gehalten und bin im Turniersaal geblieben. Für dieses Fehlverhalten wurde ich dann mit folgendem Finish in der Partie Kobalia gegen Shevchenko belohnt.

Shevchenko nahm hier mit der Dame den Turm und spielte dann anschließend e3. Kobalia konnte nicht glauben, dass er danach keinen vernünftigen Zug mehr hatte und ließ seine Uhr runterlaufen.

Eine weitere Überraschung für mich war die große Anzahl junger Spieler, die an dem Turnier teilnahmen. Diese waren in der Regel mit einem Elternteil unterwegs. Während normalerweise Eltern versuchen, die Benutzung sozialer Medien einzuschränken, waren es hier Schach Apps, die die Kinder in ihren Bann zogen und das Missfallen der Eltern erregten.

Meinen ersten jungen Gegner hatte ich in der zweiten Runde mit Read Samadov. Ein junger Mann aus Aserbaidschan, der mit 15 Jahren schon fast eine Elo von 2500 aufweist. So einen Gegner unterschätzt man natürlich nicht und glücklicherweise konnte ich bei der Vorbereitung in seinem Repertoire eine Lücke finden, die ich dann zum einem Remis mit Schwarz ausnutzen konnte. Die entsprechende Partie findet man wie auch allen anderen besprochenen Partien am Ende des Artikels.

Das folgende Bild (*) und das nachfolgende Diagramm zeigen die Partiestellung nach meinem Remisangebot nach dem letzten Zug Tfd8, das mein jugendlicher Gegner nach langem Nachdenken annahm.

Roger Lorenz in Runde 1 | Foto: Turnierseite EICC

Das war für mich natürlich ein super Start in das Turnier. In den nächsten Runden ging es erwartungsgemäß nicht so gut weiter. So hatte ich nach 6 Runden 1,5 Punkte auf dem Konto und bekam dann einen jungen Mann aus der Türkei (Jahrgang 2011) mit einer Elo von 1961 zugelost. Bei einem Elo Vorteil von 200 Punkten und dem Anzugsvorteil sah ich die Chance, meinen Punktstand zu verbessern.

Natürlich habe ich meinen Gegner nicht unterschätzt. Bei einem so jungen Mann rechnete ich mit einem Taktiker und habe die Partie daher sehr solide angelegt, um ihn dann positionell zu überspielen. Genauso wie es vor vielen Jahrzehnten die erfahrenen Spieler mit mir als Jugendlichen gemacht haben. Der Plan ging aber nicht auf. In der folgenden Stellung hatte mein Gegner gerade a tempo Sfd7 gespielt.

Hier wurde mir klar, dass ich in eine Vorbereitung reingelaufen war. Auf den natürlich aussehenden Zug Sxc4 würde e5 folgen. Und Weiß hätte gegenüber einer bekannten Varianten aus der slawischen Verteidigung (1.d4 d5 2.c4 c6 3.Sf3 Sf6 4.Sc3 dxc4 5.a4 Lg4 6.Se5 Lh5 7.f3 Sfd7 8.Sxc4 e5) einen Zug weniger und der schwarze Läufer ist in vielen Varianten besser auf f5 als auf h5 platziert. Daher musste ich notgedrungen auf d7 tauschen. In der Folge konnte ich zu keinem Zeitpunkt Druck auf meinem Gegner ausüben.  Am Ende musste ich dann noch aufpassen, dass ich nicht verliere. Nachdem mein Gegner dann seine Gewinnversuche einstellte, war er sichtbar enttäuscht, dass es gegen mich nicht zu mehr gereicht hatte.

Aber nicht nur ich hatte meine Schwierigkeiten mit jugendlichen Gegnern mit niedriger Elo Zahl. Der italienische GM Godena hatte es in der 4. Runde mit Oksana Goriachkina (Jahrgang 2010) zu tun, die mit einer ELO von 1759 in das Turnier gestartet war, also 800 Punkte schlechter als ihre bekannte Schwester. Auch Godena konnte Anzugs- und Elo-Vorteil nicht zu einem Sieg ausnutzen. Ihm ging es ähnlich wie mir. Er versuchte positionellen Druck aufzubauen, aber seine Gegnerin konnte alle Versuche einfach abwehren. Die Partie ist leider nur als Fragment erhalten; ich konnte sie aber beobachten, da ich in der Nähe spielte. Oksana hat mich in der Partie auch mit ihrer ruhigen und selbstsicheren Art beeindruckt.

Das hat aber dem Turnier für Godena nicht verdorben. Am Ende wurde er Dritter in der Kategorie Ü50 und stand bei der Abschlussfeier auf der Bühne.

Die drei Erstplatzierten in der Kategorie Ü50: Iwantschuk (2. von links), Gelfand (3. von links) und Godena (4. von links).

Mit der Abschlussfeier wurde das Turnier beendet. Mein persönliches Resümee zu dem Turnier ist sehr positiv. Das Turnier war sehr gut organisiert und an den Bedingungen vor Ort wie Spielsaal, Unterbringung und Verpflegung gab es kaum etwas zu kritisieren. Mir hat gefallen, dass ich 11 Partien auf hohem Niveau spielen konnte und dabei 4 Gegner (davon 2 GM) über 2400 hatte. Das hat meine Erwartung sogar übertroffen. Ich plane auf jeden Fall, bei der nächsten Europameisterschaft, die in Israel stattfinden wird, wieder mit dabei zu sein.

Partien

 

 

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