Dortmunder Schachtage, vierter Spieltag, Pressezentrum. Großmeister Dr. Helmut
Pfleger kommentiert dieses Mal nicht fürs Publikum im Schauspielhaus. Heute
Nacht, 1.10 Uhr, wird er eine Schachsendung im WDR moderieren, vielleicht die
vorletzte. Bevor er zum Sender fährt, berichtet er über seine Arbeit als Zeitungskolumnist
und Fernsehmoderator:
...für die "Zeit" schreibe ich seit 24 Jahren eine wöchentliche Schachspalte,
für die "Welt" auch. Außerdem für das Ärzteblatt (Pfleger praktiziert als Internist,
Anm. der Red.) und eine Gewerkschaftszeitung. Im Ärzteblatt bemühe ich mich,
medizinische Themen aufzugreifen, in der "Zeit" eher feuilletonistische.
Ihre Schachaufgaben in der "Zeit" sind nicht ohne.
Manche sagen, das ist mir zu einfach, andere findens zu schwer. Ich kann es
nicht allen recht machen. Der ehemalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker
schreibt mir ab und zu, was mich sehr freut. Von Weizsäcker sagt, etwa ein Drittel
könne er lösen, der Rest sei zu schwer trotz allen Bemühens. Herr von Weizsäcker,
durchaus ein guter Amateurspieler, ist allerdings sehr bescheiden.
Für das Dortmunder Schachpublikum müssen Sie die Zügel wahrscheinlich anziehen.
Nicht unbedingt. Hier sind etliche Leute, die Schachatmosphäre schnuppern
wollen. Für die müssen wir eine Mischung machen. Wir erzählen Geschichten und
unternehmen Ausflüge in die Schachgeschichte, die Schachkultur. Nur Springer
f3, Läufer c6 und sowas, da schaltet irgendwann jeder ab.
In neun Stunden, nach 1 Uhr, sehen wir Sie im Fernsehen. Sind Sie vorbereitet?
Noch nicht. Nachher im Zug schaue ich mir die Partien ein bisschen an. Die Auswahl
ist groß - und schwierig, weil das Turnier hier so kämpferisch verläuft. Später
treffe ich Vlastimil Hort, der mit mir kommentiert, und den Redakteur Dr. Claus
Spahn, und wir entscheiden, was wir reinnehmen. Die Sendung dauert eine Stunde,
meist ist das viel zu kurz für komplette Partien. Wir zeigen die Highlights.
Früher kam mehr Schach im Fernsehen.
30, 40 Schachsendungen im Jahr, alle dritten Programme, ZDF, 3Sat - die goldenen
Zeiten. Das ist viel, viel weniger geworden und droht zu verschwinden. Claus
Spahn ist schon im Ruhestand.
Und das soll keine gute Nachricht für die Zuschauer sein?
Spahn ist der Zuständige beim WDR, und wenn der Zuständige kein Schach macht,
dann kommt kein Schach im Fernsehen. Vor diesem Problem stehen wir jetzt. Eine
ähnliche Situation gabs vor Jahren mal beim NDR. Die wöchentliche Sendung über
die Weltmeisterschaft sollte gestrichen werden. Richard von Weizsäcker hat den
Intendanten angerufen und gesagt, dass ihm die Schachsendung gefällt. Sie blieb
drin. Aber solchen Beistand hat man nicht alle Tage.
Sie sollten Richard von Weizsäcker mit Fritz Pleitgen verbinden.
An solche ultima ratio denke ich sehr wohl. Peer Steinbrück hat uns ja hier
besucht, ein begeisterter und guter Schachspieler. Dummerweise kein Ministerpräsident
mehr. Gegen seinen Vize Michael Vesper habe ich neulich bei einem Simultan gespielt.
Beide sind nicht mehr im Amt, Schachspieler Otto Schily bald auch nicht mehr,
fürchte ich. Steinbrück, den hätten wir gefragt, ob man das beim WDR irgendwie
hinkriegen kann, und ich nehme an, da wäre was gegangen.
Und die Quote?
Die Schachsendungen hatten ordentliche Quoten - zu ordentlichen Sendezeiten.
Mit der Quote kann man sogar argumentieren. Bis zu eine Million Leute haben
zugeschaut, und es hat den Sender fast nichts gekostet. Billiger geht es nicht,
aber trotzdem (klopft auf den Tisch) hängt es dann immer an irgendeinem Redakteur,
der sich die Sache zu Eigen macht und im Sender dafür ficht. Oder, noch besser,
ein Intendant oder Programmdirektor setzt sich ein.
Kennen Sie einen?
Nein.
Poker und Darts senden die.
Poker oder Eisstockschießen, die haben sich eingekauft. Viele bezahlen die Privaten,
um ins Fernsehen zu kommen. Mit Horst Metzing habe ich darüber gesprochen, dem
Geschäftsführer des Deutschen Schachbunds. Schach hat bislang nicht bezahlt.
Irgendwann ist es beim Bayerischen Rundfunk rausgeflogen und beim NDR. Beim
WDR ist es geblieben dank Claus Spahn. Auch bei den Zeitungen wird es weniger.
Meine Kolumne in der "Welt" ist jetzt kürzer wegen irgendeines Zahlenrätsels,
einfach so. Vielleicht kann der Schachbund was machen. Ich mag Metzings Optimismus,
vielleicht weil ich oft so skeptisch bin. Horst, sage ich immer, dieser Saustall
im Weltschach und so.
Die Fotoreportage (mit Fotos vom 4. Spieltag):
"Wenn der Zuständige kein Schach macht, kommt kein Schach im Fernsehen"
Peter Leko
"Schachspieler Otto Schily ist bald nicht mehr im Amt, fürchte ich"
Emil Sutowski (stehend, vorne) hat gerade gegen Etienne Bacrot keine Ausrede
gefunden und aufgegeben. Er schaut kurz auf die anderen Partien, dann verlässt
er die Bühne. Bacrot, Schwarzsieger des Tages, ist längst draußen, gibt ein
Interview...
...und erscheint im TV-Chessbase-Studio bei Oliver Reeh (rechts).
Charmant am Schachstand.
"Leichenfledderei" wäre es, sagte Klaus Bischoff (links), Gewinnvarianten für
Bacrot gegen Sutowski vorzuführen. Zu klar stehe der Franzose auf Gewinn. (Von
links) Oliver Reeh und Christopher Lutz haben nicht widersprochen.
Michael Adams (mit Dagobert Kohlmeyer), nicht zufrieden mit dem Weißremis gegen
Naiditsch.
Gute Laune am Spielfeldrand: Marion van Wely hat ihren Mann Loek nach Dortmund
begleitet.
Veselin Topalow will lieber als Marion van Wely fotografiert werden (sagt sie).
Peter Heine Nielsen hält den Druck Topalows aus: remis.
Zu spät: Peter Swidler wartet auf Loek van Wely.
Arkadij Naiditsch (rechts) hielt mit Schwarz gegen Michael Adams stand, ohne
in Bedrängnis zu geraten.
Michael Adams
Peter Leko wartet auf ein vertrautes Gegenüber.
Immer von vorne.
Kopfhörer aufsetzen, zurücklehnen, Schach.
Veselin Topalow brauchte viel Zeit für sein Damengambit.
Laptopvergleich mit (von vorne) Benjamin Bartels, Dagobert Kohlmeyer und dem
australischen Großmeister Ian Rogers.
Carsten Hensel (links) im Gespräch mit Oliver Reeh.
Nielsen guckt Spanisch.
Und spielt Damengambit.
"Wie fühlen Sie sich?" Etienne Bacrot im Interview nach der Partie.
Unklares Spiel am Kopfhörerstand.
Vladimir Kramnik
(Fotos: Alexandra Buck, Text: Conrad Schormann)
Und noch einmal zur Erinnerung: Heute nacht, 1.10, WDR, berichtet Helmut Pfleger
über das Turnier in Dortmund.