Jean
Dufresne: Trotz Schicksalsschlägen ein heiteres Gemüt
Ein Interview mit
Andreas Saremba
Von Johannes Fischer
Andreas
Saremba, Sie sind Mitglied der Lasker-Gesellschaft in Berlin und Autor der
kleinen Broschüre "Jean Dufresne: Schachautor wider Willen?" Die meisten
Schachspieler kennen Dufresne nur als Autor des "Lehrbuch des Schachspiels" und
als Verlierer der "Immergrünen Partie" gegen Adolph Anderssen. Was an Dufresne
ist noch interessant?
Seine Persönlichkeit z.B.. Am
14. Februar 1829 als Sohn eines reichen jüdischen Kaufmanns in Berlin geboren
war er hochintelligent, kultiviert, verfügte über eine gute Ausbildung und hatte
eine glänzende Karriere vor sich. Dann verlor der Vater 1852 sein Vermögen,
später wurde Dufresne noch krank, und trotz dieser Schicksalsschläge hat er sich
nicht umwerfen lassen, sondern versucht, sein Leben mit Würde zu gestalten. Er
war vielseitig interessiert, gebildet, tiefgründig und hat nicht einfach in den
Tag hinein gelebt.
Er hat sich mit publizistischen
Arbeiten über Wasser gehalten und lebte sehr bescheiden. Er arbeitete als
Journalist für etliche Zeitungen, schrieb Bücher über Schach, Rätsel und Spiele,
und gab Werke wie Knigges Über den Umgang mit Menschen, Ernest Renans
Das Leben Jesu und Ernst Freiherr von Feuchtersleben Diätetik der Seele
heraus. Die Behauptung im Oxford Companion to Chess, er hätte unter dem
Pseudonym E.S. Freund schriftstellerische Tätigkeit entfaltet, konnte ich
allerdings nicht belegen. Zwar erschien unter diesem Namen ein von Dufresne
geschriebenes Rätselbuch, aber Ausflüge in den Bereich der Belletristik sind
nicht nachweisbar. Zuzutrauen wäre es ihm allerdings, große Spuren hat er jedoch
nicht hinterlassen.
1874 wurde Dufresne fast
vollständig taub und damit war seine journalistische Laufbahn beendet. Er
verdiente sich nun seinen Lebensunterhalt als freier Schachschriftsteller,
schrieb weiter Bücher und versorgte etliche Zeitungen mit Schachkolumnen.
Aber trotz aller
Schicksalsschläge spricht z.B. aus seinem Vorwort und seinen Anmerkungen in
Feuchterslebens Diätetik der Seele eine heitere Gelassenheit. Dufresne
wirkt darin nicht wie ein verbitterter Mensch, sondern macht den Eindruck, als
hätte er die Widrigkeiten seines Leben auf einer höheren geistigen Ebene
verarbeitet.
Warum ist er bei so viel
Produktivität und Verdiensten dann doch fast in Vergessenheit geraten?
Als Schachspieler hat Dufresne
eben keine so große Bedeutung. Er konnte das, was in ihm steckte, nicht aus sich
herausholen, obwohl er damals sicher einer der besten Spieler der Welt war. Aber
als Spieler war Dufresne nur eine kurze Karriere beschieden. Eigentlich dauerte
sie nur 4-5 Jahre. Gegen Harrwitz gewann er 1848 als 19-jähriger eine glänzende
Partie und das Turnier der Berliner Schachgesellschaft gewann er 1853. Das war's
dann im Wesentlichen auch schon. Warum er sich vom Turnierschach zurückgezogen
hat, darüber gibt es keine konkreten Angaben. Es hatte wohl mit seiner
Gesundheit zu tun, aber konkret wird hier niemand.
Im kleinen Kreis spielte er
natürlich weiter Schach, z.B. einen Wettkampf gegen Anderssen 1868 im Hause des
Bankiers Marx, den er 3,5:2,5 gewann. Auch wenn dies kein offizieller Wettkampf
war, so bleibt das eine hervorragende Leistung, denn ich nehme einmal an, dass
sich Anderssen auch in diesen Wettkämpfen angestrengt hat - und 1868 gehörte er
immer noch zu den besten Spielern der Welt.
Es
wird immer geschrieben, und Dufresne selbst hat das auch getan, Dufresne sei
"Schüler von Anderssen" gewesen; nun Anderssen war nur zwölf Jahre älter. Ich
nehme an, dass Anderssen eher ein Mentor war. Auch hier weiß man nicht viel, die
Quellenlage ist dünn, aber mit Sicherheit hatten sie auch privat Kontakt.
Anderssen kam ja regelmäßig nach Berlin, hat dort Hof gehalten und war der große
Mann. Dufresne und er hatten sicherlich ein gutes Verhältnis, aber mehr weiß man
nicht. Anderssen hat Dufresne sicher sehr geschätzt und sich ihm zumindest bei
einer wichtigen Entscheidung anvertraut. Vor dem Londoner Turnier 1851 überlegte
Anderssen, ob er nicht nach London ziehen sollte, um dort sein Leben mit dem
Schach zu verdienen. Aber nach seiner Rückkehr aus London entschied sich
Anderssen doch seinen erlernten Beruf als Lehrer auszuüben, denn die Aussicht
auf das unsichere Bohemienleben eines Schachprofis hatte ihn zu sehr
abgeschreckt.
Ich finde es immer wieder
bemerkenswert, wie durch eine genauere Betrachtung der Dinge gängige Klischees
zurecht gerückt werden. So wird Anderssen immer als Prototyp des idealistischen
Amateurs dargestellt, der seinem Beruf als Lehrer nachging und das Schach nur
als Hobby betrieb. Aber ein so reiner Idealist war er nicht, denn immerhin hat
er mit dem Gedanken gespielt, Schachprofi zu werden. All das steht übrigens in
der Literatur, wird aber selten zur Kenntnis genommen.
Aber
während Anderssens Bedeutung in seiner Stärke als praktischer Spieler liegt,
liegt Dufresnes Bedeutung in seiner Leistung als Schachschriftsteller. Und die
Wirkung seines zentralen Werks, des "Kleinen Lehrbuch des Schachspiels", ist
gewaltig. Der Dufresne war auch eines der ersten Schachbücher, die ich gelesen
habe. Ein anderes war Knaurs Schachbuch von Martin Beheim-Schwarzbach,
das mich wirklich begeistert hat, vor allem durch die Art, wie
Beheim-Schwarzbach die Partien literarisch kommentiert. Dufresne ist da
trockener, aber im deutschen Sprachraum ist sein Buch von ungeheurer Bedeutung.
So führte die Wiener Schachzeitung 1929 eine Leserbefragung durch und bei der
Frage: "Was war Ihr erstes Schachbuch?" gewann das "Kleine Lehrbuch" mit
überwältigendem Abstand. Nun, heute würde die Frage sicher anders beantwort
werden, aber dies zeigt, welchen Einfluss das Buch hatte. Immerhin feiert es
bald 125-jähriges Jubiläum und erscheint mittlerweile in der 30. Auflage. Nach
Dufresne und Mieses setzte Rudolf Teschner die Arbeit fort – und das seit fast
fünfzig Jahren!
Wie kam es denn zur
Beschäftigung mit Dufresne?
Zur Beschäftigung mit Dufresne
kam ich eigentlich wie die Jungfrau zum Kinde. 2002 suchten die Mitglieder der
Lasker-Gesellschaft auf dem Jüdischen Friedhof in Berlin-Weißensee das Grab von
Berthold Lasker, dem Bruder von Emanuel Lasker. Ich hatte die Idee, mich vorher
über Berliner Friedhöfe zu informieren, lieh mir ein paar Bücher aus und
entdeckte, dass Dufresne auch auf diesem Friedhof lag. Sein Grab haben wir
damals allerdings nicht gefunden. Aber René Schilling, ebenfalls Mitglied der
Lasker-Gesellschaft, hatte kurze Zeit später beruflich auf einem dieser
Friedhöfe zu tun und in den sorgfältig geführten Archivalien war Dufresne
tatsächlich verzeichnet.
Aber die Beschäftigung mit
solchen Dingen entsteht natürlich nicht aus dem Nichts. So habe ich mich schon
immer für die Arisierung des Lehrbuchs in der Nazizeit interessiert. Ich
wollte mehr über Max Blümich erfahren, der das Lehrbuch im Sinne der
Nazis redigiert hat. Da lässt sich nichts wirklich Sensationelles finden, aber
ein paar Details sind interessant.
Bis 1935 war Mieses noch
Herausgeber, 37 und 39 brachten die Nazis dann inhaltlich unveränderte
Neuauflagen heraus, beseitigten aber die Verweise auf Mieses als Herausgeber.
Dufresne ließen sie stehen, vermutlich wegen seines französischen Namens. Und
sie haben noch etwas übersehen: So wurde der Name von Mieses überall getilgt,
nur unten auf den Druckbögen, wo Titel und Autor stehen, haben sie vergessen,
ihn zu entfernen.
1941 kam die von Blümich
arisierte Ausgabe. Hier sind jüdische Schachmeister nur mit Niederlagen
vertreten. Blümich war ein strammer Nazi, aber im Schach ungeheuer engagiert. So
war er nicht nur aktiver Spieler, Organisator, sondern auch Mitherausgeber und
Bearbeiter des Partienteil der Deutschen Schachzeitung. Außerdem hatte er noch
einen Beruf und verfälschte nebenher die Schachgeschichte. Der Mann muss
bienenfleißig gewesen sein.
Aber
bei seinen Tilgungen der Erfolge jüdischer Schachspieler entging ihm zum
Beispiel die berühmte Remispartie Aljechin – Botwinnik, Nottingham 36.
Bemerkenswert auch, dass eine Gewinnpartie von Ignaz von Kolisch gegen Gustav
Neumann erhalten blieb. Denn Kolisch entsprach als von Rothschild geförderter,
reich gewordener Bankier ja nun dem Naziklischee eines Juden.
Nachdem Sie entdeckt
hatten, dass Dufresne in Berlin begraben liegt und das Forscherinteresse geweckt
war, wie ging es dann weiter?
Ich habe Material gesucht, aber
leider gibt es zu Dufresne nur relativ wenig. Unschätzbare Hilfe bei der Suche
hat mir Rudolf Reinhardt geleistet, in dessen Bibliothek ich vor allem geforscht
habe, und der sehr viel Material herausgesucht hat. Reinhardt kennt sich in
seinen Büchern sehr gut aus, er sammelt sie nicht nur, er weiß auch, was drin
steht. Er wies mich auch darauf hin, dass Dufresne bei seiner journalistischen
Arbeit keineswegs ein großer Idealist war, dem es um die reine Wahrheit ging.
Dufresne hat öfter schlampig gearbeitet und einmal sogar falsch von sich selber
abgeschrieben. Und auch wenn diese alten Bücher für uns oft Schätze darstellen,
so war für viele Autoren das Schreiben damals eben auch nur Broterwerb, bei dem
es schnell gehen musste.
Außerdem habe über ich das
Internet in Antiquariaten gesucht und einige Auflagen des Lehrbuchs
günstig erworben. Dann habe ich Bibliotheken besucht, und etliche Kolumnen, die
Dufresne in der Zeitschrift Über Land und Meer veröffentlicht hat,
durchgesehen. Aber das war leider wenig ergiebig. Ich hatte gehofft, er würde
zeitgenössische Partien bringen, aber er hat sich im Wesentlichen auf
Problemschach beschränkt. Möglich, dass man mehr herausbekommt, wenn man hier
systematisch nachforscht, aber die Frage bleibt natürlich, in welchem Verhältnis
Aufwand und Ergebnis stehen.
Ich glaube, man muss sich
einfach damit abfinden, dass man viele Dinge nicht herausbekommt und sie mit der
Zeit verloren gehen.
Partien von Dufresne...
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