Andreas Saremba über Jean Dufresne

von ChessBase
02.03.2005 – Jean Dufresnes Lehrbuch des Schachspiels kennt jeder deutsche Schachfreund. Kürzlich ist der Klassiker in der 30sten Auflage erschienen. Über den Autor selbst weiß man leider sehr wenig. Als Schüler von Adolf Andersson spielte der Sohn eines jüdischen Kaufmanns Mitte des 19.Jahrhunderts mit vierl Erfolg einige Schachturniere, zog sich aber bald, wahrscheinlich aus gesundheitlichen Gründen, vom Turnierschach zurück und begann mit Publikationen Geld zu verdienen. Wegen seines französischen Namens entging er der arisierenden Geschichtsfälschung der Nazis, die jüdische Autoren und Spieler auch aus Schachbüchern tilgten. Kürzlich entdeckte die Forscher der Lasker-Gesellschaft sein Grab auf dem Jüdischen Friedhof in Berlin-Weißensee und Andreas Saremba veröffentlichte eine Broschüre: Jean Dufresne: Schachautor wider Willen?" Johannes Fischer führte mit dem Autor ein Interview über eine fast schon vergessene Persönlichkeit der Schachgeschichte. Interview...

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Jean Dufresne: Trotz Schicksalsschlägen ein heiteres Gemüt
Ein Interview mit Andreas Saremba
Von Johannes Fischer

Andreas Saremba, Sie sind Mitglied der Lasker-Gesellschaft in Berlin und Autor der kleinen Broschüre "Jean Dufresne: Schachautor wider Willen?" Die meisten Schachspieler kennen Dufresne nur als Autor des "Lehrbuch des Schachspiels" und als Verlierer der "Immergrünen Partie" gegen Adolph Anderssen. Was an Dufresne ist noch interessant?

Seine Persönlichkeit z.B.. Am 14. Februar 1829 als Sohn eines reichen jüdischen Kaufmanns in Berlin geboren war er hochintelligent, kultiviert, verfügte über eine gute Ausbildung und hatte eine glänzende Karriere vor sich. Dann verlor der Vater 1852 sein Vermögen, später wurde Dufresne noch krank, und trotz dieser Schicksalsschläge hat er sich nicht umwerfen lassen, sondern versucht, sein Leben mit Würde zu gestalten. Er war vielseitig interessiert, gebildet, tiefgründig und hat nicht einfach in den Tag hinein gelebt.

Er hat sich mit publizistischen Arbeiten über Wasser gehalten und lebte sehr bescheiden. Er arbeitete als Journalist für etliche Zeitungen, schrieb Bücher über Schach, Rätsel und Spiele, und gab Werke wie Knigges Über den Umgang mit Menschen, Ernest Renans Das Leben Jesu und Ernst Freiherr von Feuchtersleben Diätetik der Seele heraus. Die Behauptung im Oxford Companion to Chess, er hätte unter dem Pseudonym E.S. Freund schriftstellerische Tätigkeit entfaltet, konnte ich allerdings nicht belegen. Zwar erschien unter diesem Namen ein von Dufresne geschriebenes Rätselbuch, aber Ausflüge in den Bereich der Belletristik sind nicht nachweisbar. Zuzutrauen wäre es ihm allerdings, große Spuren hat er jedoch nicht hinterlassen.

1874 wurde Dufresne fast vollständig taub und damit war seine journalistische Laufbahn beendet. Er verdiente sich nun seinen Lebensunterhalt als freier Schachschriftsteller, schrieb weiter Bücher und versorgte etliche Zeitungen mit Schachkolumnen.

Aber trotz aller Schicksalsschläge spricht z.B. aus seinem Vorwort und seinen Anmerkungen in Feuchterslebens Diätetik der Seele eine heitere Gelassenheit. Dufresne wirkt darin nicht wie ein verbitterter Mensch, sondern macht den Eindruck, als hätte er die Widrigkeiten seines Leben auf einer höheren geistigen Ebene verarbeitet.

Warum ist er bei so viel Produktivität und Verdiensten dann doch fast in Vergessenheit geraten?

Als Schachspieler hat Dufresne eben keine so große Bedeutung. Er konnte das, was in ihm steckte, nicht aus sich herausholen, obwohl er damals sicher einer der besten Spieler der Welt war. Aber als Spieler war Dufresne nur eine kurze Karriere beschieden. Eigentlich dauerte sie nur 4-5 Jahre. Gegen Harrwitz gewann er 1848 als 19-jähriger eine glänzende Partie und das Turnier der Berliner Schachgesellschaft gewann er 1853. Das war's dann im Wesentlichen auch schon. Warum er sich vom Turnierschach zurückgezogen hat, darüber gibt es keine konkreten Angaben. Es hatte wohl mit seiner Gesundheit zu tun, aber konkret wird hier niemand.

Im kleinen Kreis spielte er natürlich weiter Schach, z.B. einen Wettkampf gegen Anderssen 1868 im Hause des Bankiers Marx, den er 3,5:2,5 gewann. Auch wenn dies kein offizieller Wettkampf war, so bleibt das eine hervorragende Leistung, denn ich nehme einmal an, dass sich Anderssen auch in diesen Wettkämpfen angestrengt hat - und 1868 gehörte er immer noch zu den besten Spielern der Welt.

Es wird immer geschrieben, und Dufresne selbst hat das auch getan, Dufresne sei "Schüler von Anderssen" gewesen; nun Anderssen war nur zwölf Jahre älter. Ich nehme an, dass Anderssen eher ein Mentor war. Auch hier weiß man nicht viel, die Quellenlage ist dünn, aber mit Sicherheit hatten sie auch privat Kontakt. Anderssen kam ja regelmäßig nach Berlin, hat dort Hof gehalten und war der große Mann. Dufresne und er hatten sicherlich ein gutes Verhältnis, aber mehr weiß man nicht. Anderssen hat Dufresne sicher sehr geschätzt und sich ihm zumindest bei einer wichtigen Entscheidung anvertraut. Vor dem Londoner Turnier 1851 überlegte Anderssen, ob er nicht nach London ziehen sollte, um dort sein Leben mit dem Schach zu verdienen. Aber nach seiner Rückkehr aus London entschied sich Anderssen doch seinen erlernten Beruf als Lehrer auszuüben, denn die Aussicht auf das unsichere Bohemienleben eines Schachprofis hatte ihn zu sehr abgeschreckt.

Ich finde es immer wieder bemerkenswert, wie durch eine genauere Betrachtung der Dinge gängige Klischees zurecht gerückt werden. So wird Anderssen immer als Prototyp des idealistischen Amateurs dargestellt, der seinem Beruf als Lehrer nachging und das Schach nur als Hobby betrieb. Aber ein so reiner Idealist war er nicht, denn immerhin hat er mit dem Gedanken gespielt, Schachprofi zu werden. All das steht übrigens in der Literatur, wird aber selten zur Kenntnis genommen.

Aber während Anderssens Bedeutung in seiner Stärke als praktischer Spieler liegt, liegt Dufresnes Bedeutung in seiner Leistung als Schachschriftsteller. Und die Wirkung seines zentralen Werks, des "Kleinen Lehrbuch des Schachspiels", ist gewaltig. Der Dufresne war auch eines der ersten Schachbücher, die ich gelesen habe. Ein anderes war Knaurs Schachbuch von Martin Beheim-Schwarzbach, das mich wirklich begeistert hat, vor allem durch die Art, wie Beheim-Schwarzbach die Partien literarisch kommentiert. Dufresne ist da trockener, aber im deutschen Sprachraum ist sein Buch von ungeheurer Bedeutung. So führte die Wiener Schachzeitung 1929 eine Leserbefragung durch und bei der Frage: "Was war Ihr erstes Schachbuch?" gewann das "Kleine Lehrbuch" mit überwältigendem Abstand. Nun, heute würde die Frage sicher anders beantwort werden, aber dies zeigt, welchen Einfluss das Buch hatte. Immerhin feiert es bald 125-jähriges Jubiläum und erscheint mittlerweile in der 30. Auflage. Nach Dufresne und Mieses setzte Rudolf Teschner die Arbeit fort – und das seit fast fünfzig Jahren!

Wie kam es denn zur Beschäftigung mit Dufresne?

Zur Beschäftigung mit Dufresne kam ich eigentlich wie die Jungfrau zum Kinde. 2002 suchten die Mitglieder der Lasker-Gesellschaft auf dem Jüdischen Friedhof in Berlin-Weißensee das Grab von Berthold Lasker, dem Bruder von Emanuel Lasker. Ich hatte die Idee, mich vorher über Berliner Friedhöfe zu informieren, lieh mir ein paar Bücher aus und entdeckte, dass Dufresne auch auf diesem Friedhof lag. Sein Grab haben wir damals allerdings nicht gefunden. Aber René Schilling, ebenfalls Mitglied der Lasker-Gesellschaft, hatte kurze Zeit später beruflich auf einem dieser Friedhöfe zu tun und in den sorgfältig geführten Archivalien war Dufresne tatsächlich verzeichnet.

Aber die Beschäftigung mit solchen Dingen entsteht natürlich nicht aus dem Nichts. So habe ich mich schon immer für die Arisierung des Lehrbuchs in der Nazizeit interessiert. Ich wollte mehr über Max Blümich erfahren, der das Lehrbuch im Sinne der Nazis redigiert hat. Da lässt sich nichts wirklich Sensationelles finden, aber ein paar Details sind interessant.

Bis 1935 war Mieses noch Herausgeber, 37 und 39 brachten die Nazis dann inhaltlich unveränderte Neuauflagen heraus, beseitigten aber die Verweise auf Mieses als Herausgeber. Dufresne ließen sie stehen, vermutlich wegen seines französischen Namens. Und sie haben noch etwas übersehen: So wurde der Name von Mieses überall getilgt, nur unten auf den Druckbögen, wo Titel und Autor stehen, haben sie vergessen, ihn zu entfernen.

1941 kam die von Blümich arisierte Ausgabe. Hier sind jüdische Schachmeister nur mit Niederlagen vertreten. Blümich war ein strammer Nazi, aber im Schach ungeheuer engagiert. So war er nicht nur aktiver Spieler, Organisator, sondern auch Mitherausgeber und Bearbeiter des Partienteil der Deutschen Schachzeitung. Außerdem hatte er noch einen Beruf und verfälschte nebenher die Schachgeschichte. Der Mann muss bienenfleißig gewesen sein.

Aber bei seinen Tilgungen der Erfolge jüdischer Schachspieler entging ihm zum Beispiel die berühmte Remispartie Aljechin – Botwinnik, Nottingham 36. Bemerkenswert auch, dass eine Gewinnpartie von Ignaz von Kolisch gegen Gustav Neumann erhalten blieb. Denn Kolisch entsprach als von Rothschild geförderter, reich gewordener Bankier ja nun dem Naziklischee eines Juden.

Nachdem Sie entdeckt hatten, dass Dufresne in Berlin begraben liegt und das Forscherinteresse geweckt war, wie ging es dann weiter?

Ich habe Material gesucht, aber leider gibt es zu Dufresne nur relativ wenig. Unschätzbare Hilfe bei der Suche hat mir Rudolf Reinhardt geleistet, in dessen Bibliothek ich vor allem geforscht habe, und der sehr viel Material herausgesucht hat. Reinhardt kennt sich in seinen Büchern sehr gut aus, er sammelt sie nicht nur, er weiß auch, was drin steht. Er wies mich auch darauf hin, dass Dufresne bei seiner journalistischen Arbeit keineswegs ein großer Idealist war, dem es um die reine Wahrheit ging. Dufresne hat öfter schlampig gearbeitet und einmal sogar falsch von sich selber abgeschrieben. Und auch wenn diese alten Bücher für uns oft Schätze darstellen, so war für viele Autoren das Schreiben damals eben auch nur Broterwerb, bei dem es schnell gehen musste.

Außerdem habe über ich das Internet in Antiquariaten gesucht und einige Auflagen des Lehrbuchs günstig erworben. Dann habe ich Bibliotheken besucht, und etliche Kolumnen, die Dufresne in der Zeitschrift Über Land und Meer veröffentlicht hat, durchgesehen. Aber das war leider wenig ergiebig. Ich hatte gehofft, er würde zeitgenössische Partien bringen, aber er hat sich im Wesentlichen auf Problemschach beschränkt. Möglich, dass man mehr herausbekommt, wenn man hier systematisch nachforscht, aber die Frage bleibt natürlich, in welchem Verhältnis Aufwand und Ergebnis stehen.

Ich glaube, man muss sich einfach damit abfinden, dass man viele Dinge nicht herausbekommt und sie mit der Zeit verloren gehen.

 

Partien von Dufresne...

Zur Lasker-Gesellschaft

 

 

 


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