Anstoß zu einer Diskussion

von André Schulz
19.11.2015 – Roven Vogels Sieg bei der Jugendweltmeisterschaft war ein großer Erfolg, doch die Erklärung seiner Eltern macht nachdenklich. Diese übten Kritik an Art und Umfang der Jugendförderung im Schachbund. Das Thema der erfolgreichen Nachwuchsförderung ist komplex und hat viele Facetten und ist eng mit der Frage verbunden, ob man in Deutschland als Profi existieren kann. Diskutieren Sie mit...

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Anstoß zu einer Diskussion um Talentförderung,
Spitzenschach und Profitum in Deutschland

 

 

Tim Nottke

 

Bei der jüngst in Porto Carras durchgeführten Jugendweltmeisterschaft wurde Roven Vogel in der Altersklasse U16 Weltmeister. Eine tolle Leistung, über den sich der junge Spieler, seine Eltern und die deutschen Schachfreunde sehr gefreut haben. Schon im Mai des Jahres durften sich die deutschen Schachfreunde über eine Goldmedaille freuen: Leonid Sawlin gewann, ebenfalls in der Altersklasse U16, Gold bei der Jugendeuropameisterschaft.

Das sind schöne Erfolge im Jugendbereich für das deutsche Schach und den Deutschen Schachbund, zwar nicht vergleichbar mit den Ergebnissen der Top-Nationen - der indische Nachwuchs holte fünf Goldmedaillen bei dieser Jugendweltmeisterschaft - aber doch bessere Ergebnisse als in anderen vergleichbaren Ländern. So gibt es beispielsweise in England keinen einzigen jungen Spieler mehr, der überhaupt einen Titel führt.

Wie schwierig es ist, sich mit den weltweit besten Kindern und Jugendlichen erfolgreich zu messen und eine Medaille zu gewinnen, musste auch unser Riesentalent  Vincent Keymer feststellen. Kasparov hatte vorausgesagt, dass er es bei der Jugend-Weltmeisterschaft schwer haben würde, nicht, weil andere Kinder talentierter wären, sondern weil sie besser trainiert sind.

Erfolge im Jugendbereich sind eine Sache, Erfolge im professionellen Spitzenschach eine andere. Nachdem der Schachbund vor ein paar Jahren eine gewisse Flaute im Nachwuchsbereich festgestellt hatte, rief er eine Kadettengruppe ins Leben, die so genannte "Prinzengruppe". Diese wurde gefördert und entwickelte sich prächtig. Junge Spieler wie Dennis Wagner, Matthias Blübaum, Rasmus Svane oder Alexander Donchenko tragen nun den Großmeistertitel und sind für jeden Spieler, auch internationale Spitzenspieler, ernstzunehmende Gegner, obwohl sie eigentlich mangels systematischen Trainings und Turnierteilnahmen ihr Potenzial noch nicht einmal voll ausgeschöpft haben. Dennis Wagner berichtete letztes Jahr im Portrait von Johannes Fischer für das Magazin Karl, dass er bis dato erst drei (!) Rundenturniere gespielt hat. Aber wie geht es mit den jungen Großmeistern weiter? Wer wird Profi, wer geht in einen anderen Beruf und wird zum Hobbyspieler?

Wer wissen will, wie populär Schach sein kann, wenn man im Land einen wirklichen Topspieler hat, schaut nach Norwegen. Norwegen war nie ein Schachland, die Großmeister konnte man an einer Hand abzählen. Dann kam Magnus Carlsen. Er wurde Weltmeister und nun buhlen die norwegischen TV-Sender um das Recht, die Partien ihres Schachstars stundenlang live übertragen zu dürfen und erzielen damit phantastische Einschaltquoten.

In Deutschland geht der Trend eher in die andere Richtung. Der große, 1972 durch Fischer begründete, Schachboom geht zu Ende. Mit den Mitgliedern sterben auch manche Schachclubs. Es gibt eine recht aktive Schulschachbewegung, doch diese findet oft ohne Beteiligung der Schachclubs statt. Die Schüler lernen Schach, finden aber den Weg in die Schachclubs nicht oder sind dort mitunter gar nicht willkommen. Die Schachclubs haben durch die Möglichkeiten im Internet zudem ihre Monopolstellung verloren. Viele Clubs tun sich schwer, die neuen Möglichkeiten in ihr Angebot zu integrieren. Der Deutsche Schachbund finanziert sich aus den Beiträgen seiner Mitgliederverbände, diese aber aus den Beiträgen der Mitglieder in den Schachclubs. Ohne Schachclubs also am Ende auch kein Schachbund.

Es ist offensichtlich, dass ein deutsche Topspieler, er muss ja nicht einmal Weltmeister sein, das Interesse am Schach deutlich beleben würde. Diesen Effekt, nach dem Tennis Boom in den 1980er Jahren gerne Boris-Becker-Effekt genannt, kann man auch anderswo beobachten, nicht nur in Norwegen.

Talente sind da, einige Erfolge auch. Doch darüber, wer für die Erfolge verantwortlich ist, gibt es jedoch schon unterschiedliche Sichtweisen. Nach dem Titelgewinn bei der Jugendweltmeisterschaft haben auch Roven Vogels Eltern eine Erklärung abgegeben und sich über mangelnde Unterstützung, finanzieller und personeller Natur, beklagt. Roven Vogels Erfolg ist - neben seiner eigenen Leistung - das Ergebnis des privaten finanziellen Engagements seiner Eltern, die nicht nur seinen Aufenthalt in Griechenland bezahlt haben, sondern auch den eines Betreuers sowie die Kosten für Training und Trainer. Auch die anderen Eltern der deutschen Delegation in Porto Carras, deren Kinder vielleicht keine Medaille geholt, aber nicht minder engagiert gespielt haben, mussten tief in die Tasche greifen, um ihren Kindern die Teilnahme zu ermöglichen. Vincent Keymers Eltern - beides keine Schachspieler - wissen um die Begabung ihres Sohnes, stehen aber ebenfalls vor der Frage, wie die Reisen, die Turnierteilnahmen und das notwenige Training bezahlt werden sollen.

Der Deutsche Schachbund und die Landesverbände helfen, wie sie können. Der Schachbund beschäftigt einen eigenen Nachwuchstrainer, der sich um die Jugendlichen kümmert, es gibt Trainingsangebote, Angebote von Turnierteilnahmen und eine begrenzte finanzielle Unterstützung im Rahmen der Möglichkeiten, die der Gesamtetat bietet. Ebenso in den Landesverbänden. Die Mittel sind jedoch in jeder Hinsicht begrenzt. Es gibt viel zuwenig Geld zur Unterstützung aller Talente, ihres Trainings, ihrer Reisen zu den Turnieren. Versuche, den Etat zu erhöhen, indem man die Mitgliedsbeiträge erhöht, stießen auf Widerstand. Das Schach generell hat auch zu wenig Sponsoren. Und wenn die Mittel begrenzt sind, gibt es immer einen Kampf um deren Verteilung. Die einen möchten das Leistungsschach fördern, die anderen sind dagegen und gucken lieber auf das Breitenschach.

Hinzu kommt, dass es auch zu wenig Manpower gibt. Das gilt für alle Bereiche im Schach, für die Vereine, Landesverbände, den Schachbund. Die Arbeit lastet meist auf wenigen Schultern. Viele Leistungen im Schachbund, in den Landesverbänden, in den Vereinen basieren auf ehrenamtlicher Arbeit. Ehrenamt heißt: Es gibt keine finanzielle Vergütung, allenfalls einmal eine kleine Aufwandsentschädigung. Das Ehrenamt kostet viel Zeit, manchmal gibt es ein Schulterklopfen und am Ende eine Ehrennadel, oft aber nur Kritik von Besserwissern, die selber nichts machen. Die Arbeitswelt hat sich in den letzten Jahren zudem massiv verändert. Den Menschen bleibt neben der Arbeit immer weniger Freizeit. Immer weniger Schachliebhaber sind bereit, oder können es sich leisten, ihre Liebe zum Schach in einem Ehrenamt zu verwirklichen. Weniger Ehrenamtliche heißt aber, dass die Arbeit dann auf noch weniger Schultern ruht.

Um hier etwas zu bewegen, müsste mehr Geld in die Hand genommen werden. Schach ist aber kein Zuschauersport, bei dem die Zuschauer bereit sind etwas zu bezahlen. Es gibt zwar bisweilen viele Zuschauer, doch diese bleiben im Internet unsichtbar. So gibt es nur wenige professionelle Sponsoren. Ein paar, meist regionale Gönne,r bewegen in ihrem Bereich immerhin etwas.

Die Talente, die in Deutschland groß geworden sind und die das Potenzial hätten als Profis mitzuspielen, hören mit dem Turnierschach auf oder gehen weg. Gäbe es in Deutschland eine bessere Förderung, dann würden die jungen Spieler, und Talente, die es im Schachland Deutschland in großer Zahl gibt und geben muss, ihr Potenzial viel besser ausschöpfen. Sie könnten vielleicht bis in die Weltspitze vorstoßen, dank lukrativer Turnierteilnahmen dann als Profis ihr Leben bestreiten, wobei es in Deutschland dann mehr Rundenturniere geben müsste und vielleicht auch geben würde, und würden mit ihren Erfolgen für allgemeine Aufmerksamkeit sorgen. Da Schach ständig ein Thema in den Medien wäre, würden ihnen viele nacheifern wollen und in die Schachclubs eintreten. Neue Talente würden sich zeigen. Und weil Schach so populär wäre, interessierten sich auch mehr Sponsoren dafür.

Das wäre die Traumvorstellung.

Diskutieren Sie mit

Dies ist eine kurze und natürlich sehr oberflächliche Darstellung der Situation. Viele direkt Beteiligte - Spieler, Jugendbetreuer, Trainer, Funktionäre, Eltern und Unterstützer - wissen es viel besser. Teilen Sie im Kommentarbereich dieses Artikel doch ihre persönlichen Erfahrungen und ihre Meinung mit.

Was ist in den Vereinen los? Bekommt man Jugendliche noch an die Schachbretter?

Wie sieht es im Jugendbereich und in der Nachwuchsförderung wirklich aus? Wo knackt es? Was kann man mit den vorhandenen Ressourcen besser machen? Wie könnte man die Ressourcen verbessern?

Ist es möglich in Deutschland als Profi zu existieren? Ab welcher Spielstärke? 

Wie kann man Schach besser in die Medien bekommen?  Oder wird Schach immer nur eine Randsportart für wenige Spezialisten bleiben? Wie kann man mehr Sponsoren gewinnen?

Welche Rolle soll und kann der Schachbund übernehmen?

Was kann man organisatorisch verbessern, um zu einer besseren Talentförderung zu kommen?

Berichten Sie von Ihren Erfahrungen. Sagen Sie ihre Meinung, hier und jetzt!

 


André Schulz, seit 1991 bei ChessBase, ist seit 1997 der Redakteur der deutschsprachigen ChessBase Schachnachrichten-Seite.

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