Schach über Weihnachten am Mittelmeer
Von Dagobert Kohlmeyer
Während in Europa ständig bedeutende
Schachturniere stattfinden, backen die Anhänger des königlichen Spiels im
arabischen Raum etwas kleinere Brötchen. Aber auch dort wird Schach von je
her mit Leidenschaft und großem Engagement gespielt. Bespiele dafür sind die
am Montag (21.12.) begonnene arabische Einzelmeisterschaft in Tunesien und
die gerade beendete Klubmeisterschaft der Region.
Austragungsort beider Turniere ist in
diesem Jahr Tunis, wo der einheimische Großmeister Slim Bouaziz die
organisatorischen Fäden zieht.
Slim Bouaziz
Im Hotel Phebus vor den Toren der Hauptstadt,
direkt am Mittelmeer, rauchen in den Tagen um Weihnachten viele Köpfe. Nur
wenige Kilometer von den Ruinen Karthagos entfernt, suchen Spielerinnen und
Spieler aus 12 Nationen nach den besten Zügen.
Der Reporter aus Deutschland tauschte die
Eiseskälte gern mit dem milden Klima, auch wenn seine Anreise etwas
beschwerlich war.
So gibt es keinen Direktflug mehr von Berlin mit Tunis
Air. Bei dem notwendigen Trip via Frankfurt/Main, wo chaotische Zustände
herrschten, ging mein Koffer verloren. So etwas kennen wir schon. Dafür gab
es unterwegs eine nette Begegnung. Der Flieger war voll mit tunesischen
Familien, die in Deutschland arbeiten und nach Hause in den Urlaub wollten.
Neben mir saß Haifa, eine Frau von 29 Jahren, die zum Jahreswechsel in Tunis
heiraten will. Sie wurde in Deutschland geboren, spricht vier Sprachen und
arbeitet im Management einer großen Firma. Vater, Mutter und Schwester
begleiteten Haifa, die am Silvestertag mit ihrem tunesischen Bräutigam zum
Standesamt gehen wird. Das Hochzeitskleid wird gerade gefertigt. Sie wollen
einige Tage durchfeiern. Etwa 400 Gäste werden zur Hochzeit erwartet,
darunter 50 aus Deutschland. So viele Freunde hat Haifa hier. Der tunesische
Ehemann kommt dann mit ihr, sie wollen in Deutschland leben.
Und was tat mein Koffer inzwischen? Das
gute Stück traf einen Tag später als ich wohlbehalten in Tunis ein. Da war
die Siegerehrung für die arabische Klub-Meisterschaft schon über die Bühne
gegangen. Meine Kamera habe ich ja immer im Handgepäck. Insgesamt 16
Mannschaften aus zehn Ländern kämpften um den Pokal. Zu jedem Team gehörten
vier Spieler und ein Ersatzmann. Gespielt wurden neun Runden im Schweizer
System. Am Ende setzten sich mit den beiden ägyptischen Mannschaften die
Favoriten durch.
Das Team 1 mit Großmeister Ahmed Adly am Spitzenbrett holte
den Pokal und erhielt die vergleichsweise bescheidene Siegprämie von 2 000
Dollar.
Ahmed Adly
Für die Fotografen
Team Ägypten
Einmal aber strauchelte der frühere Juniorenweltmeister, als er in
der vorletzten Runde dem kurdischen IM Noah Ali Hussein unterlag. Der Mann
aus dem Nordirak wurde zur Siegerehrung für die beste Leistung am ersten
Brett geehrt, Adly als Zweitbester. Hier ist die Partie der beiden.
Noah Ali
Hussein – Ahmed Adly
Sizilianisch B28
1.e4 c5 2.Sf3 a6 3.c3 d6
4.d4 Sd7 5.Ld3 e6 6.0-0 Se7 7.Sbd2 b5 8.a4 c4 9.Lc2 Lb7 10.b3 d5 11.bxc4
bxc4 12.e5 Da5 13.Sb1 h6 14.h3 Sc8 15.Sh4 Le7 16.Dg4 g5 17.Sf3 Scb6 18.Dh5
Tf8 19.La3! Lxa3 20.Txa3 0-0-0 21.Dxh6 Th8 22.Dxg5 Tdg8 23.Df4 Tg7 24.Sg5
Kb8 25.De3 Sa8 26.f4 Dd8 27.Sd2 Sc7 28.Ta2 Lc6 29.Sdf3 Ka7 30.Sd2 La8 31.Tb2
De7 32.Tfb1 Tgg8 33.Ld1 a5
34.Lf3! Diesen Zug
bezeichnete der Sieger später als wichtigsten in der Partie.
34. …Tb8 35.Txb8 Txb8
36.Txb8 Kxb8 37.h4 Lc6 38.Sxc4 Lxa4 39.Sxa5 Da3 40.Le2 Lb5 41.Lxb5 Sxb5
42.Sc6+ Kc7 43.Sb4 Sxc3 44.Sd3 Da4 45.Kh2 Sb5 46.h5 Dxd4 47.Dxd4 Sxd4 48.h6
Sf8 49.h7 Sxh7 50.Sxh7 Kc6 51.Sg5 Kb5 52.Sxf7 Kc4 53.Se1 Sc6 54.Sg5 d4
55.Sxe6 d3 56.Sxd3 Kxd3 57.g4 Ke4 58.Kg3 Se7 59.Sg5+ Kd5 60.Sf3 Ke6 61.f5+
Kf7 62.Kf4 Sd5+ 63.Kg5 Sc3 64.Sd4 Se4+ 65.Kf4 Sc5 66.e6+ Ke7 67.g5 Sd3+
68.Ke4 Sc5+ 69.Kd5 Sd3 70.f6+ Ke8 71.Sf5 Sf4+ 72.Kd6 Kf8 73.Kd7 Sg6 74.e7+
1-0
Schach in Kurdistan
Neugierig
geworden, sprach ich
mit dem Sieger. Wir wissen bei uns ja recht wenig über diese Region. Kurdistan
ist ein
autonomes Gebiet
im Norden
Iraks.
Sie
haben eine eigene Flagge, eine eigene Verfassung sowie
Hymne.
Noah Ali Hussein wohnt in der Hauptstadt Erbil. Der Name bedeutet so viel
wie "Stadt der vier Götter". Die babylonische Göttin Ischtar siedelte sich
bereits vor mehr als 4.000 Jahren dort an, danach folgten Judentum,
Christentum und Islam. „Wir Kurden sind stolz auf unsere Autonomie“, sagt
Noah. Das Land will endlich frei sein von seiner tragischen Geschichte und
von den großen Nachbarn, den Arabern und Türken, die sich nur zu gern in
ihre Angelegenheiten einmischen. In Erbil spürt man von den Erschütterungen
im Irak wenig, die Kämpfe sind weit weg. Ausländische Unternehmen zieht es
bereits in den ruhigen Teil des Iraks, wo ehrgeizige Projekte das Leben der
Menschen verbessern sollen.
Noah Ali Hussein
„Das alles ist gut für unser Schach, auch
wenn wir sehr wenig aktive Spieler haben“, sagt der 39-jährige Noah, der
erste Internationale Meister Kurdistans. Es gibt bei ihnen keine Schachcafes
wie in Europa, aber Klubs. Husseins Verein heißt Peshmerge Club. Das Team
belegte hier in Tunis Platz 9. In diesem Jahr hat Noah die kurdische
Landesmeisterschaft gewonnen. Vorher war er schon fünfmal irakischer
Einzelmeister. Das erste Mal gelang ihm dies 1989 mit 19 Jahren. Viermal
spielte er ab 2000 für Irak bei Schacholympiaden. An das vorjährige Turnier
der Nationen in Dresden hat er gute Erinnerungen: „Ich habe alle elf Runden
bestritten und 7 Punkte erzielt. Deshalb hatte ich leider nicht so viel
Zeit, mir die schöne Stadt anzusehen“.
Noah sieht sich nicht als Schachprofi. Er
hat einen Halbtagsjob in einem Büro der Stadtverwaltung von Erbil.
Nachmittags geht er noch in die Universität und studiert Jura. Er kann sich
vorstellen, dass in Kurdistan demnächst auch internationale Schachturniere
stattfinden. „Wir haben einen eigenen Flughafen, die Gäste können sich
sicher fühlen.“
Nach der Abschlusszeremonie hatten wir auch
Gelegenheit mit Großmeister Ahmed Adly zu sprechen. 2007 gewann er als
erster und bisher einziger Afrikaner den WM-Titel U 20. Inzwischen hat der
22-jährige Ägypter das Spielerhotel schon wieder verlassen. Warum er nicht
auch noch an der arabischen Einzelmeisterschaft teilnimmt, erzählt er uns im
folgenden Interview.
Ahmed Adly: „Ich bin so gern in Hamburg“
Glückwunsch zum
Turniersieg! Bist du rundum zufrieden?
Ja. Es war eines der stärksten Turniere in
der Geschichte der arabischen Team-Liga. Hier spielten die besten 16
Schachklubs aus der Region. Der Wettbewerb war ganz schön hart.
Wie bewertest du die
Organisation?
Tunesien ist ein schachfreundliches Land.
Sie haben sich viel Mühe gegeben, uns gute Spielbedingungen zu schaffen.
Ist Schach in Ägypten
auch sehr populär?
Nicht so sehr. In letzter Zeit ist das
Interesse aber etwas größer geworden. Als ich im Jahre 2007
Juniorenweltmeister wurde, hat die Öffentlichkeit das schon registriert.
Einen Schachboom löste es aber nicht aus.
Du hast dich bei der
Siegerehrung in zwei verschiedene Fahnen gewickelt. Warum?
Die eine ist unsere Nationalflagge, die
andere die Fahne unseres Klubs Sharkia Dokhan (eine Tabakfirma).
Ein Wort zu deinem
persönlichen Abschneiden in Tunis.
Ich holte 7,5 Punkte aus neun Partien, was
ja nicht schlecht ist und gewann etliche ELO-Punkte hinzu. Es gab nur den
einen Ausrutscher in der achten Runde, so etwas kann passieren.
Warum spielst du hier
nicht auch noch das Einzelturnier mit?
Es liegt an unserem engen Terminplan.
Anfang Januar findet in der Türkei schon die Mannschafts-WM statt. Ägypten
ist als Afrika-Meister dafür qualifiziert. Wir müssen uns deshalb noch gut
vorbereiten. Auch wenn wir bei der WM Außenseiter sind, wollen wir unseren
Kontinent würdig vertreten.
Du bist Mitglied beim
Hamburger SV und dort seit 2008 in der Bundesliga engagiert. Wann kann man
dich dort wieder sehen?
Vielleicht im Frühling. Ich bin sehr gern
in Hamburg, weil ich dort viele Freunde habe, nicht nur im Bundesligateam.
Ich habe dort immer sehr viel Spaß. Und schachlich kann man in der stärksten
Liga der Welt eine Menge lernen.
Du warst in Hamburg ja
schon sehr erfolgreich.
2008 habe ich dort ein internationales
Turnier gewonnen. Ein Grund mehr für mich, so oft wie möglich wieder zu
kommen.
Wo feierst du
Weihnachten?
Zu Hause in Ägypten. Ich grüße die
Schachfans in Deutschland und besonders die Hamburger! Allen wünsche ich
frohe Weihnachten!
Leichte Kavallerie
In der folgenden Partie gewann der
ägyptische Großmeister locker und leicht. Ein netter Springertanz beendete
den ungleichen Kampf.
Ahmed Adly - Khalil Al-Subaihi
Englisch A 39
1.Sf3 Sf6 2.c4 c5 3.g3 g6 4.Lg2 Lg7 5.0–0
0–0 6.d4 cxd4 7.Sxd4 Sc6 8.Sc3 a6 9.c5 Dc7 10.Sb3 b6 11.Lf4 Da7 12.cxb6 Dxb6
13.Tc1 Lb7 14.Sa4 Dd8 15.Sbc5 Lc8 16.Lxc6 dxc6 17.Dxd8 Txd8 18.Sb6 Lh3
19.Tfd1 Txd1+ 20.Txd1 Te8 21.Sxa6 Le6 22.Sc7 Tb8 23.Sxe6
1-0
ARAB
CLUB CHAMPIONSHIP |
|
|
|
|
|
Endstand |
|
|
|
|
|
|
|
Rank |
Team |
Gam. |
+ |
= |
- |
MP |
SB. |
Pts. |
1 |
Sharkia Dokhan (EGY) |
9 |
9 |
0 |
0 |
18 |
181.00 |
27 |
2 |
Dakhlia Club (EGY) |
9 |
6 |
2 |
1 |
14 |
129.25 |
26½ |
3 |
Omal Essekek (SYR) |
9 |
5 |
2 |
2 |
12 |
106.00 |
20½ |
4 |
Kamaran Club (YEM) |
9 |
6 |
0 |
3 |
12 |
98.00 |
23 |
5 |
Alkahraba Club (IRQ) |
9 |
5 |
0 |
4 |
10 |
86.50 |
18½ |
6 |
Mouthafi Alamana (JOR) |
9 |
4 |
2 |
3 |
10 |
83.25 |
16½ |
7 |
Almohafatha Club (SYR) |
9 |
3 |
3 |
3 |
9 |
84.25 |
18 |
8 |
La Tour Blanche (TUN) |
9 |
4 |
1 |
4 |
9 |
63.50 |
17 |
9 |
Peshmerge Club (IRQ) |
9 |
4 |
1 |
4 |
9 |
61.00 |
20 |
10 |
Alriady Club (LIB) |
9 |
4 |
1 |
4 |
9 |
55.50 |
20½ |
11 |
General Security (LBA) |
9 |
2 |
4 |
3 |
8 |
55.50 |
15 |
12 |
Club Sfaxien (TUN) |
9 |
3 |
2 |
4 |
8 |
52.50 |
17½ |
13 |
Alahly Club (SUD) |
9 |
3 |
1 |
5 |
7 |
42.50 |
13 |
14 |
Aldhara Club (LBA) |
9 |
1 |
3 |
5 |
5 |
31.50 |
13 |
15 |
Azoun Club (PLE) |
9 |
1 |
2 |
6 |
4 |
22.50 |
13½ |
16 |
Dubai Club (UAE) |
9 |
0 |
0 |
9 |
0 |
0.00 |
8½ |
In Tunis war FIDE-Vertreter Geoffrey Borg
aus Malta einige Tage zu Gast. Er besuchte den arabischen Team Cup und
führte Gespräche mit dem tunesischen Schachverband. Dessen Geschicke werden
seit einigen Jahren von Frau Doktor Ferial Al Baji geleitet.
Geoffrey Borg und
Ferial Al Baji
Gemeinsam mit
einem Vertreter des tunesischen Sportministeriums nahm die
Verbandspräsidentin die Siegerehrung vor. Die Gewinner und Platzierten
wurden mit großem Applaus bedacht. Die Ägypter schwenkten bei der Zeremonie
stolz ihre Landes- und Klubfahnen. Den dritten Platz teilten zwei
punktgleiche Klubs aus Syrien und Jemen.
Borg ist auch Generalssekretär des
Schachverbandes der Mittelmeerländer. Dieser hat 22 Mitglieder. Der Malteser
erklärte, wie es dazu kam: „Bei der Schacholympiade 2002 in Bled haben wir
unsere Föderation gegründet. Makropoulos fragte mich damals, wie ich die
Idee eines solchen Verbandes finde und ob ich dort mitarbeiten möchte. Wir
haben inzwischen schon viel auf die Beine gestellt. Den Anfang machte eine
Jugendmeisterschaft der Mitgliedsländer in Libyen, dann kam die Männer- und
Frauenmeisterschaft unseres Verbandes in Libanon. Jedes Jahr gab es Events.
Zuletzt hatten wir die 7. Einzelmeisterschaft in Kroatien. Dort hat Ahmed
Adly gewonnen. Das nächste Turnier wird in Italien stattfinden, und die
Jugendmeisterschaft 2010 gibt es in Griechenland. Wir haben sehr aktive
Föderationen. Unsere Mitgliedsländer haben 2004 (in Calvia) und 2006 (in
Turin) die Schacholympiade ausgerichtet. Auch 2012 (in Istanbul) wird das
wieder der Fall sein.“
In der FIDE ist Geoffrey Borg Commercial
Director. Er zeigte sich zufrieden, dass der WM-Vertrag für Sofia
unterzeichnet ist. Wir fragten ihn, ob das Match zwischen Anand und Topalow
seiner Meinung nach im Frühjahr reibungslos über die Bühne gehen wird. Die
Antwort: „Ja sicher. Zumindest in finanzieller Hinsicht, was die Börse von
zwei Millionen Euro angeht. „Wenn eine Regierung wie die bulgarische das
Preisgeld garantiert, dann sehe ich keine Schwierigkeiten. Bei ihnen geht es
ja um politisches Prestige. Und da macht Sofia keine Ausnahme. Etwas anderes
ist es, wenn private Sponsoren im Boot sind. Die können immer mal
abspringen. In der heutigen Zeit ist es sehr schwer, Privatleute zu finden,
die einen Millionenbetrag für Schach auf den Tisch legen. Ein Turnier für
100 000 Euro stellen Mäzene schon mal auf die Beine, aber viel mehr Geld ist
selten zu holen.“
Bei den arabischen Meisterschaften in Tunis
geht es in diesen Tagen nicht um hohe Beträge. Unter den Spielern vom
Mittelmeer, Roten Meer oder der Golfregion dominiert die reine Freude am
Schach.
Nach den Mannschaftskämpfen beginnen die Einzelwettbewerbe. Zu diesen
erschienen mit Mohammed al-Modhiaki und Zhu Chen auch schon einige
Prominente.
Mohammed al-Modhiaki
Erster Zug am Brett von Zhu Chen