Arthur Fischer (1942-2021)
"Ich bin in Frankfurt geboren und lebe dort, aber eigentlich komme ich aus Bornheim – einem Stadtteil Frankfurts. Ich bin Europäer, ich bin Deutscher, ich bin Frankfurter, aber im Herzen bin ich Bornheimer", erklärte Arthur Fischer 2018 in einem Interview mit der Schachzeitschrift Karl ("Ich wollte, dass in Frankfurt eine Schachkultur entsteht", Karl 02/2018, S. 44-50. Alle folgenden Zitate stammen ebenfalls aus diesem Interview).
Geboren wurde Fischer Ende 1942 während des Zweiten Weltkriegs. Er wuchs in schwierigen Verhältnissen auf.
Meine Eltern haben sich früh scheiden lassen, mein Vater war schlimmer Alkoholiker. Allerdings mussten meine Mutter und mein Vater auch nach der Scheidung noch eine Zeitlang in der gleichen Wohnung leben, denn meine Mutter konnte nicht wegziehen, da sie als Verkäuferin einfach ein zu geringes Einkommen hatte. ... So hat mein Vater dafür gesorgt, dass ich schon früh ein ziemlich unregelmäßiges Leben geführt habe. Er kam jeden Morgen gegen zwei, drei oder vier betrunken nach Hause, ging auf sein Zimmer und fing kurz darauf an zu singen. Nicht gut, aber laut, und davon bin ich wach geworden.
Trotz aller Schwierigkeiten macht Fischer mit Hilfe von Stipendien Abitur und studiert anschließend in Frankfurt Psychologie.
Arthur Fischer 1967
Nach dem Studium gründet er die Marktforschungsfirma Psydata, mit der er 1981 für Aufsehen sorgt: Im Auftrag des Ölkonzerns Shell veröffentlicht Fischer die sogenannte Shell-Jugendstudie, die einen von ihm konzipierten neuen Ansatz der Sozialforschung verfolgte und für weitere Jugendstudien und Nachahmer sorgte.
Durch den Erfolg der Psydata kann Fischer seiner Leidenschaft für das Schach nachgehen, das er sich mit zehn Jahren selber beigebracht hatte.
Da ich immer mit großer Begeisterung mit meiner Oma Mühle gespielt habe, bekam ich einmal eine Spielesammlung geschenkt, und in dieser Spielesammlung gab es Mühle, Dame und Schach. Schach konnte ich nicht, aber ich habe mir die Regeln durchgelesen und das Spiel schließlich gelernt. Ich war fasziniert, denn das war eine Sportart, bei der man sich wenig bewegen musste.
Durch Zufall stößt Fischer in Frankfurt auf eine Anzeige, in der die Schachabteilung der Frankfurter Turngemeinschaft (FTG) neue Mitglieder sucht. Die Schachabteilung dieses großen Frankfurter Sportvereins hatte damals nur vier Mitglieder und spielte im Schachleben Frankfurts keine Rolle, aber Fischer sieht in dem Verein eine Möglichkeit, das Schach in Frankfurt zu fördern:
Ich schmiedete damals schon den Plan, in die Bundesliga zu kommen. ... [Aber] ich wusste auch, dass die guten Schachspieler nicht kommen, weil ich so einen schönen Namen habe. [...] Geld muss fließen. Hier verfiel ich auf ein ungewöhnliches Finanzierungsmodell: Ich wollte, dass die Leute zu Turnieren fahren und besser werden, und sorgte deshalb dafür, dass der Verein die Hälfte der Turnierkosten übernahm. Jedes Vereinsmitglied aus jeder Mannschaft konnte jedes Turnier mitspielen und der Verein – das heißt ich – erstattete die Hälfte der Kosten. Ich wollte etwas Neues ausprobieren und wollte einen Verein, der dem Frankfurter Schach Impulse gibt. [...] Ich wollte, dass in Frankfurt so etwas wie eine Schachkultur entsteht.
Anfangs scheint der Plan aufzugehen. Immer mehr Spieler kommen zur FTG und in der Saison 1990/1991 spielt die erste Mannschaft tatsächlich in der 1. Bundesliga. An den Spitzenbrettern spielen Alexander Khalifman, Eric Lobron, Lev Gutman und Raj Tischbierek.
Doch Fischer unterstützt nicht nur die Mannschaft der FTG, sondern organisiert auch, internationale Turniere in Frankfurt.
Das letzte internationale Turnier in Frankfurt ... wurde 1930 gespielt. Mein Traum war, irgendwann einmal jedes Jahr ein Großmeisterturnier in Frankfurt stattfinden zu lassen. Das erste FTG-Turnier fand 1988 statt ... nach Elo-Schnitt war es ein Turnier der Kategorie 2. ... Ein Jahr später erreichten wir schon Kategorie 4 mit einem Elo-Schnitt von 2343. ... Das dritte, stärkste und letzte Turnier folgte dann 1990. Wieder waren 14 Teilnehmer dabei, aber mit einem Schnitt von 2412 Elo kamen wir bereits auf Kategorie 7.
Arthur Fischer und Wolfgang Uhlmann, Frankfurt 1990
Doch 1992 kommt es zur Krise und all das, was sich Fischer mit der Psydata und der Förderung des Schachs aufgebaut hatte, wird in kurzer Zeit zerstört:
Alles lief gut, die FTG hatte sieben Mannschaften, die erste Mannschaft spielte schon die zweite Saison in der Ersten Bundesliga und die zweite Mannschaft in der Zweiten Liga. Aber die Schachabteilung war eine One-Man-Show, und das war nicht gut.
Die Nachteile der "One-Man-Show" zeigen sich, als der Psydata wichtige Kunden weg brechen und die Firma in eine "finanzielle Schieflage" gerät. Zudem wird bei Arthur Fischer 1992 Diabetes diagnostiziert und während eines dreiwöchigen Krankenhausaufenthalts beschließt er, die Förderung des Schachs vollkommen einzustellen. Seine Bilanz fällt ernüchternd aus:
Was das Schach in Frankfurt oder in der Bundesliga betrifft, so ist von der FTG nichts geblieben. Es floss kein Geld mehr, die Leute sind gegangen und Vieles fiel auseinander. Die erste Mannschaft hat sich aus der Ersten Liga zurückgezogen und die FTG ist dann noch aus der Zweiten Liga abgestiegen.
Wenig später geht der Psydata das Geld aus und Fischer muss Konkurs anmelden.
Ich war wieder bei Null: Ich war zuckerkrank, die Psydata war Pleite gegangen und ich hatte all mein Geld verloren. Denn das Vermögen, das ich im Laufe der Jahre ansammeln konnte, hatte ich für den Bankkredit der Psydata verpfändet. Es war von heute auf morgen weg. Doch ich habe das sehr gelassen hingenommen. Ich habe mir gedacht, erst kommen die fetten Jahre, dann die mageren. Den Zustand, kein Geld zu haben, kannte ich aus meiner Kindheit.
Mit Hilfen von Freunden kommt Fischer finanziell bald wieder auf die Beine. Er unterrichtet an der Universität und ist angesehener Fachmann für die Auswertung statistischer Analysen.
Schach genießt er mit Hilfe seiner umfangreichen Bibliothek, aber er selber spielt nur noch selten. In dem 2018 mit dem Karl geführten Interview berichtete Fischer noch von seinen Plänen, sich "intensiv mit der Lyrik von Gottfried Benn und Bertolt Brecht" zu beschäftigen. Doch dazu kommt er nicht mehr. Im September 2020 wird er mit Anzeichen von Demenz in ein Frankfurter Pflegeheim eingeliefert, wo er am 21.01.2021 gestorben ist.
Karl 02/2018...