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Beim kürzlich abgedrehten Tegernsee Masters 2020 musste Ashot Parvanyan, Nr.3 der deutschen Juniorenrangliste, bei seiner Hauptwaffe gegen geschlossene Eröffnungen fünfmal hinter sich greifen. Was ist passiert? Lag es an der Eröffnung, oder waren die Gegner zu stark? Einige ungefragte Überlegungen.
Eine spielstarke Engine anschmeißen und in einer Datenbank stöbern, um damit die scheinbare „Wahrheit“ zu ergründen ist ein erster Schritt. Aber das ist deutlich zu wenig, wenn man sich verbessern will. Wichtiger ist es, Schlüsse aus den gefundenen Erkenntnissen zu ziehen. Aber wie soll man dabei vorgehen? Es folgt ein kleine Methodik zur Selbstanalyse. Für unsere Überlegungen nutzen wir die neuesten Partien des deutschen Talents aus dem Norden.
Bei der einen Monat zuvor gespielten Deutschen Meisterschaft 2020 war Ashot Parvanyan als guter Fünfter durch das Ziel gegangen und hatte zu Beginn sogar das Feld angeführt. Er ist nach Luis Engel (2002) und Vincent Keymer (2004) aktuell die deutsche Nummer 3 im Juniorenbereich aus dem Jahrgang 2001 und bereits Internationaler Meister.
Die Aufgabe für Ashot
Das Turnier in Bayern war ein geschlossenes Turnier, in zweierlei Hinsicht. Von den 48 gespielten Partien begannen nur vier Partien mit dem Königsbauern. Die Vorliebe für die Eröffnungszüge 1.d4, 1.c4 und 1.Sf3 der Spieler war natürlich vorher bekannt. Es kam also auf die Vorbereitung gegen geschlossene Spieleröffnungen an. Zum Vergleich: Beim diesjährigen German Masters waren 1.e4 und 1.d4 gleichberechtigt vertreten. Bei der zeitgleichen Deutschen Meisterschaft dominierte der Königsbauer sogar das Geschehen.
Ashot setzte bei diesem Turnier auf genau eine Eröffnung, seine Hauptwaffe: Königsindisch. Dabei hatte er schon bei der deutschen Meisterschaft zuletzt zwei Niederlagen mit dieser Struktur hinnehmen müssen (gegen Alexander Graf gegen eine englische Struktur und Julius Muckle).
King's Indian: A modern approach
Bologan: "Wenn Sie diese DVD sorgfältig studieren und die interaktiven Aufgaben lösen, dann erweitern Sie ihr Schachverständnis und Ihr Königsindisch-Vokabular und gewinnen mehr Partien."
Ashot war der einzige Spieler, der in Bayern neun Partien spielte. Das war die Folge des quarantänebedingten Ausscheidens von Vincent Keymer nach der ersten Runde in der Ashot mit den schwarzen Steinen gegen das deutsche Ausnahmetalent antrat. Die Auslosung hatte ergeben, dass bei Ashot eine weitere Schwarzpartie gegen den Italiener Pier Luigi Basso folgte. Kein einfacher Start also in das mit Abstand am stärksten besetzte Turnier, das Ashot bisher mitspielen durfte. In Runde 4 folgte eine weitere Schwarzpartie gegen den tschechischen Großmeister Nguyen, ebenfalls Jahrgang 2001. In Runde 6 war Matthias Bluebaum der Gegner und in der Vorschlussrunde folgte der belgische Jungstar Daniel Dardha, Jahrgang 2005. Zwischendurch, in Runde 5, spielte Ashot gegen Liviu-Dieter Nisipeanu, diesmal als Weißer gegen Königsindisch. Die Ausbeute für Ashot im Königsinder lag am Ende bei Null aus 6.
Die Königsindische Verteidigung ist im Spitzenschach ein eher seltener Gast. Die meisten Spieler der zweiten Reihe (sagen wir ab 2700) setzen auf diese kämpferische Struktur vor allem, wenn sie einen vollblütigen Kampf gegen schwächere Spieler wünschen. Daher ist die Königsindische Verteidigung in Open-Turnieren öfter zu sehen als in geschlossenen Wettbewerben. Als einzige Waffe setzt in der erweiterten Weltspitze kaum jemand noch auf Königsindisch – selbst Gawain Jones stellte sein Repertoire zuletzt um. Das fehlende Engagement der Topspieler in dieser Eröffnung mag mehrere Gründe haben, über die hier nur kurz spekuliert werden soll: Moderne Engines mögen die zunächst kampflose Aufgabe des Zentrums nicht – es sollte daher nicht verwundern, wenn manche Engines nach 1.d4 d6 2.Sf3 den Zug 2...d5 vorschlagen. Zudem, und das ist sicher das gewichtigere Argument, stehen Weiß mehrere gute Bekämpfungsmethoden zur Verfügung – einige sehen wir später bei unserer Auswahl.
Neben Ashot und Nisipeanu spielte der Brasilianer Alexander Frier zweimal den Königsinder und holte einen halben Punkt. Die Gesamtausbeute am Tegernsee aus schwarzer Sicht lag bei anderthalb Punkten aus acht Partien. In den meisten Partien waren aus der Eröffnung heraus bereits die Weichen für Schwierigkeiten des Nachziehenden gestellt.
Zur Bewertung der Eröffnungsduelle wollen wir zunächst die Partien ab dem zwanzigsten Zug von Schwarz genauer anschauen. Das garantiert in der Regel eine noch recht junge Phase im Mittelspiel. Wie ist Ashot bis zu diesem Zeitpunkt aus der Eröffnung gekommen? Hinweis: Der zwanzigste Zug ist ein zufällige, aber begründete Wahl gewesen. Genauso hätte man den 19. oder 21. Zug wählen können. Bei offenen Spielen kommt ein etwas früherer Moment für solch eine Betrachtung in Frage, da hierbei der „Feindkontakt“ früher zu erwarten ist.
Zunächst werten wir die Meinung zweier spielstarker Engines nach dem zwanzigsten Zug von Schwarz aus. Hier die Zusammenfassung vorab: In drei seiner fünf Schwarzpartien hatte der Schwarzspieler zu diesem Zeitpunkt bereits eine klar schlechtere (Bluebaum) oder gar aus Rechnersicht bereits verlorene Position (Keymer, Nguyen). Gegen Basso war die Kompensation knapp, aber greifbar. Nur gegen Dardha sah der Rechner zu diesem Zeitpunkt Ashot etwas im Plus, wobei der neue Zug von Weiß im 19. Zug erfolgte. Die Weißpartie gegen Liviu-Dieter Nisipeanu sah ebenfalls zu Beginn deutlich besser für Weiß aus.
Keymer – Parvanyan
Gegen Vincent hatte Ashot die klar schlechteren Chancen, aber Vincent versäumte seine Entwicklung konsequent abzuschließen. Ashot erreichte dann nach einer weiteren Ungenauigkeit etwa gleiche Chancen, verlor dann jedoch bei einigen taktischen Verwicklungen den Überblick und verlor klar.
Basso – Parvanyan
Gegen Pier Luigi Basso wählte der Italiener seine Hauptfortsetzung. Ashot setzte auf Kompensation für einen geopferten Bauern. Es sah lange Zeit so aus, als könne der deutsche Spieler die Partie ausgeglichen gestalten, aber dann folgte eine Unaufmerksamkeit im 27. Zug und die Partie war verloren, eigentlich. Nach einer weiteren Ungenauigkeit entstand ein Turmendspiel mit beiderseits Freibauern und der Italiener gewann überraschend klar.
Nguyen – Parvanyan
Nguyen-Parvanyan
In seiner nächsten Begegnung mit den schwarzen Steinen hatte es Ashot mit dem tschechischen Großmeister Thai Dai Van Nguyen zu tun. Wie in den Partie gegen Vincent spielte in dieser Partie das Thema Königssicherheit eine wichtige Rolle. Vermutlich gab es schnellere Gewinnmöglichkeiten für Ashots Gegner. Am Ende gab es noch einen kleinen Theorietest, den der Großmeister ohne Probleme absolvierte.
Bluebaum – Parvanyan
Gegen Matthias Bluebaum ging es nach dem zwanzigsten Zug plötzlich ganz schnell. Der deutsche Spitzen-Großmeister konnte recht früh eincashen. Interessanterweise gab die Datenbank (Mega 2020) wenig her, um zu erahnen, welche Variante auf den Tisch kommen würde. Ähnlich ging es Ashot vermutlich bei seiner Vorbereitung gegen Vincent.
Dardha - Parvanyan
Gegen Daniel Dardha stand das Brett im zwanzigsten Zug bereits in Flammen. Wie sich herausstellte, folgten beide Spieler bis zum 19. Zug Vorbildern. Es folgten beidseitig in verwickelter Stellung einige Ungenauigkeiten. Erneut hatte Ashot letztlich das schlechtere Ende in der Hand.
Parvanyan – Nisipeanu
Als Bonus betrachten wir die sechste Königsindisch-Partie von Ashot. Im zwanzigsten Zug stand der jüngere Spieler noch besser. Kurz zuvor hatte er sogar die Chance auf Mehr gehabt. Ashot unterschätzte offenbar die strategische Bedeutung eines Blockadespringers und verlor später.
Alle Partien komplett, mit Theoriehinweisen