Ein Bilderbogen aus Sofia
Text und Fotos: Dagobert Kohlmeyer
Die bulgarische Hauptstadt vereint jedes Jahr im Mai sechs Supergroßmeister
beim M'tel Masters, was auch Schachjournalisten aus aller Welt veranlasst, die
"Topalow-Spiele" live zu verfolgen. Bisher konnte der bulgarische Vorkämpfer
alle Events gewinnen. Dieses Jahr aber gibt es einen, der ihm die Suppe versalzen
will. Wassili Iwantschuk aus der Ukraine, der so fulminant mit 5 aus 5 startete,
liegt derzeit noch immer mit einem Punkt Vorsprung vor Topalow.
Vor dem Kampf
Gespielt wird erstmalig im Zentralen Militärklub, einem eindrucksvollen Palast
im Zentrum der Stadt, nicht weit vom Grand Hotel, wo die Spieler und Ehrengäste
wohnen und wo in den Vorjahren auch das Turnier stattfand.
Der Zentrale Militärklub
Natürlich prangen Flaggen am Militärklub
Bei meiner Ankunft nach Halbzeit des Wettbewerbs regnet es etwas, aber an den
nächsten Tagen gibt es nur noch Sonne in Sofia. Vom Appartement inmitten der
Hauptstadt kann man über die Dächer hinweg auf die Kuppeln der berühmten Alexander-Newski-Kathedrale
sehen.
Eine klassische russische Kirche
Über den Straßen liegt ein typischer Geruch von feinem Staub, geschäftige Menschen
eilen an einem vorbei, aber es gibt auch Müßiggänger, vor allem ältere Leute,
die in den Parks gern in der Sonne sitzen.
Der Zentrale Militärklub hat mehrere Eingänge. Am linken Tor steht eine Tafel,
die darauf verweist, dass es hier um eine Einrichtung des Verteidigungsministeriums
handelt. Es ist der falsche Eingang für Reporter. Also zur nächsten Tür. Dahinter
befindet sich eine Whisky & Sushi-Bar mit dem schönen Namen "Black Label".
Das rechte Tor schließlich führt zum Spielsaal, in dem Iwantschuk, Topalow,
Aronian und Co ihre Figuren setzen.
Es ist ein prächtiges Ambiente, in dessen Mitte ein riesiger Glaskasten steht.
Die Spieler sind hermetisch von den Zuschauern abgeschirmt, kein Laut dringt
von außen nach innen in ihr "Aquarium". Erinnerungen an Sveti Stefan und Belgrad
1992 werden wach, als Bobby Fischer und Boris Spasski dort ihr Re-Match spielten
und der Amerikaner verlangte, dass eine Glaswand zwischen Spielern und Zuschauern
eingezogen wird. Auch im World Trade Center von New York konnten wir 1995 Garri
Kasparow und Vishy Anand bei ihrem WM-Match in einem Glashaus beobachten. So
eine Konstruktion erschwert zwar die Arbeit der Fotografen (das Glas reflektiert
jeden Blitz sehr stark), wird aber billigend in Kauf genommen. Organisator Silvio
Danailow und seine Crew gehen mal wieder neue Wege, um auf Schach aufmerksam
zu machen. Die Sofia-Regel (Remisvereinbarungen betreffend) hat sich ja seit
Jahren auch eingebürgert und findet international immer mehr Anhänger.
Der Schachgott aus Frankreich
Boris Spasski ist seit Dienstag Ehrengast des Turniers und absolviert jeden
Tag eine Reihe hochkarätiger Termine. Der Exweltmeister war auch schon beim
Präsidenten des Landes zur Privataudienz. Beide Herren sollen dabei dem Vernehmen
nach viel gescherzt haben. Landesvater Georgi Parvanov ist wie immer Schirmherr
des Turniers und bezeichnet das M'tel Masters in seinem Grußwort im Programmhaft
als eines der wichtigen Sportereignisse des Jahres neben den Olympischen Spielen
und der Fußball-Europameisterschaft. Die bulgarischen Massenmedien tun ihr Übriges,
um das Turnier so breit wie möglich darzustellen. Es gibt zum Beispiel am Nachmittag
Liveübertragungen (!) im Fernsehen und jeden Abend eine halbstündliche Zusammenfassung
des Spielgeschehens. Davon können wir in Deutschland nur träumen.
Der immer gut aufgelegte Boris Spasski spielte am Freitagvormittag gegen 18
bulgarische Journalisten von Zeitungen, Rundfunk und Fernsehen simultan. Nicht
weniger als achtmal wählte er dabei sein geliebtes Königsgambit. Keiner schiebt
so locker und elegant die Figuren übers Brett wie der Exweltmeister.
Zumeist erfolgen die Züge sehr schnell, bei manchem Brett bleibt Boris aber
schon mal drei Minuten stehen, um den besten Zug zu finden. Nach den Partien
sagte er seinen Gegnern auf charmante Art, was sie falsch gemacht haben.

Spasski hat Spaß am Simultan
Und er macht manchmal nach eigener Aussage "grobe Züge", um im Endspiel seinen
Vorteil zu verwerten. Das Ergebnis war standesgemäß, der Maestro gab nur drei
Remis ab. Glücklich über sein Unentschieden war Georgi Spasov, Chefredakteur
eines Militär-Fernsehkanals. Er hatte Caro-Kann gespielt, nach 23 Zügen wurde
die Friedenspfeife geraucht. Es fiel uns auf, dass Spasski nur männliche Gegner
hatte.
Im Grand Hotel hatte der 10. Schachweltmeister tags zuvor eine herzliche Begegnung
mit der bulgarischen Fußball-Ikone Christo Stoichkov. Der frühere Nationalspieler
und -coach spielte in seiner Glanzzeit für den FC Barcelona. 1994 war er WM-Torschützenkönig
und Europas Fußballer des Jahres.
(Neben Spasski und Stoitschkow sitzen Schiedsrichter Faik Gasanov und Turnierdirektor
Silvio Danailow).
Die Sofioter Zeitungen brachten heute die Nachricht über das Treffen der beiden
Sportlegenden und das Foto ebenso.
Apropos Ikone. Auch für den Sieger des Jahrgangs 2008 gibt es traditionell eine
solche.
Wird es diesmal Iwantschuk sein, der sie mit nach Hause nimmt, oder schaltet
Topalow in den letzten drei Runden wieder seinen berühmten Turbo ein, um seine
Kollektion von Heiligenbildern zu komplettieren?

Plamena Andreeva...
... scheint einen klaren Favorit zu haben.
In der gestrigen siebenten Runde teilten Iwantschuk und Topalow den Punkt. Der
Ukrainer drückte mit Weiß lange Zeit auf die Stellung des Bulgaren. Spasski,
der dem Kommentatoren-Team beisprang und die Partie für die Zuschauer erläuterte,
konstatierte, dass Weiß die angenehmere Position habe, kritisierte aber einige
Turm- und Springermanöver Iwantschuks.

Spasski im Kommentatorenraum
Wassili räumte auf der anschließenden Pressekonferenz ein, nicht immer die optimalen
Züge gefunden zu haben, um seinen Vorteil in einen Punkt umzumünzen.
An den Gesamtsieg denke er jetzt noch nicht, noch seien drei Runden zu spielen.
Das Rennen um den Titel von Sofia bleibt also weiterhin spannend, auch die Situation
hinter den beiden Spitzenreitern.
Iwan Cheparinow, der zweite Lokalmatador, trennte sich zuletzt von Levon Aronian
remis. Die bulgarische Nr.2 behauptet vor der achten Runde weiterhin den dritten
Rang, muss ihn aber jetzt mit Teimur Radjabow teilen.

Zwei Bulgaren. Noch steht Cheparinov im Hintergrund
Der Mann aus Baku will, angespornt durch seinen Sieg über den Chinesen Bu Xiangzhi,
ebenfalls weiter nach vorn. Levon Aronian spielt hier unter seinen Möglichkeiten,
und Bu, einstmals jüngster Großmeister der Welt, hat bisher nur ein mageres
Pünktchen auf seinem Konto. Er ziert mit großem Abstand das Tabellenende, bleibt
aber gelassen und freundlich. Der freundliche Großmeister stammt aus der Millionenstadt
Qing Dao im Osten Chinas und wohnt heute wie alle Spitzenspieler in Peking.
Xiangzhi freut sich auf den Länderkampf im August an zehn Brettern gegen die
deutsche Nationalmannschaft, ehe es dann im November nach Dresden zur Schacholympiade
geht. Vor zwei Jahren beim Turnier der Nationen in Turin saß Bu am Spitzenbrett
des chinesischen Teams und holte mit ihm die Silbermedaille.
Zur Erdbebenkatastrophe in China sagte er uns, dass sein Heimatland derzeit
von der Natur wahrlich nicht mit Glaceehandschuhen angefasst werde. Glücklicherweise
seinen keine Verwandten und Freunde von ihm unter den Opfern.
Neben Spasski gibt es beim M'tel Masters in Sofia noch andere Ehrengäste, zum
Beispiel Gennadi Sosonko. Der ehemalige St. Petersburger Großmeister mit Wohnsitz
in Holland freute sich wie sein Landsmann Spasski am Mittwochabend über den
UEFA-Cup-Sieg von Zenit St. Petersburg über die Glasgow Rangers.
Gennadi Sosonko
Sosonko und Zurab Azmaiparashvili