Atypisch typisch

von Alina L'Ami
13.06.2014 – Zum ersten Mal besuchte Alina L'Ami das Limburg Open in Maastricht und war begeistert. In einer "der typischsten niederländischen Städte", sieht man mal von einem 200 Meter hohen "Berg" in der Nähe des Ortes ab, sammelte sie bezaubernde Impressionen und ihr Gatte Erwin L'Ami sechs Punkte für den Turniersieg! Was will man mehr? Mehr...

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Atypisch typisch

Französische und belgische architektonische Einflüsse, spanische und römische Ruinen, starker südländischer oder deutscher (oder vielleicht beides?) Akzent, vom Michelin ausgezeichnete kulinarische Köstlichkeiten, 35 Grad heiß und ein 200 Meter hoher “Berg” – sind wir noch in den Niederlanden?!

"Time tunnel" von Bella Tchicourel

Das Bild hing an der Wand unseres Hotels. In den Räumen war eine ganze Ausstellung zu sehen. Dies Bild hier konnte man für 3500 Euro kaufen. Das ist ein guter Preis im Vergleich zu anderen Meisterwerken, die für bis zu 23.000 Euro angeboten wurden.

Offensichtlich ja. Doch Maastricht, die Hauptstadt der Provinz Limburg, liegt an einer historischen bedeutsamen Schnittstelle zwischen Holland, Belgien und Deutschland und gilt als Musterbeispiel für eine „nicht-holländische“ Stadt. Wirft man einen Blick auf die Karte und schaut sich an, wo Maastricht liegt, dann sieht man das wahrscheinlich ähnlich. Aber nach einem verlängerten Wochenende (vier Tage) in dieser schönen Stadt sage ich: ganz im Gegenteil – die Stadt repräsentiert DIE Quintessenz Hollands: Toleranz. Für mich ist Maastricht deshalb ein typisch holländischer Ort!

Typisches Sommer-Flair in Maastricht. Man sitzt in Biergärten,...

... Straßencafés

... und schaut den Leuten nach.


Selbst für rumänische Verhältnisse war es unglaublich heiß

Die Stadt an der Maas, der sie ihren Namen – Maastricht – verdankt, ist der Ort, an dem die „Geburtsurkunde“ der Europäischen Union unterzeichnet wurde; wo vier Hauptsprachen nicht ungewöhnlich sind: Holländisch, Englisch, Französisch und Deutsch. Dazu kommen noch der Limburger und der Maastricht Dialekt.

Diese Stadt wurde zum Symbol eines Europas ohne Grenzen, nicht nur wegen ihrer Geschichte, sondern auch wegen ihrer Gegenwart: die tolerante Politik weichen Drogen gegenüber, die Offenheit Immigranten gegenüber und die soziale Akzeptanz, die man ihnen hier entgegenbringt, der Multikulturalismus der Stadt, und ihre Fähigkeit, damit umzugehen – ein paar Tage in Maastricht zu sein und die Freiheit, Offenheit und Fortschrittlichkeit der Stadt zu spüren, war einfach ein Geschenk.

Andererseits kann ich dem Etikett „für Holland untypisch“ auch nicht ganz widersprechen. Schauen Sie doch einmal, was normalerweise passiert, wenn man zu einem Treffen mit einem in Holland Geborenen zu spät kommt oder sich mehr Zeit nimmt, als 'erlaubt' ist... Ich würde nicht auf ein reibungsloses Treffen bauen. Aber hier in Maastricht sehen die Leute Zeitpläne oder Uhren und alles, was damit zu tun, entspannter. Wer braucht denn schon Zeitmesser, hat Maastricht doch eine ganz eigene Zeit, einen Zeitplan, der sich den Leuten anpasst und nicht umgekehrt. Vielleicht ist das die größte Attraktion der Stadt und der Grund, warum Maastricht so beliebt und überfüllt ist.

Ich wage zu behaupten, dass die Touristen nicht nach Maastricht kommen, um die Schmuckstücke der Architektur zu bewundern, die übrigens, nebenbei gesagt, nicht im Verhältnis zur Größe der Stadt stehen, sondern wegen der einzigartigen Atmosphäre, der...”gezelligheid”. Womit wir wieder am Anfang wären, denn holländischer geht es kaum! Diese multikulturelle Stadt atmet mit jeder Pore joie de vivre und strahlt sie aus; sie ist entspannt und doch aufregend, alt, aber immer modern, wunderschön, reizend und mit avantgardistischem Flair, all das zur gleichen Zeit.

In Maastricht gibt es an sprichwörtlich jeder Straßenecke Kunst zu sehen.

Bewegliche und unbewegliche Objekte.

Meine bescheidenen Kenntnisse erlauben es leider nicht, irgendetwas zu erklären.

Kunstvolle Säulen

Einen weiteren wichtigen Grund, warum die Stadt so populär ist, sollte man allerdings nicht unterschätzen: die Shopping-Szene. Generell sind die Holländer keine großen Fans von riesigen Einkaufszentren, sondern kaufen ihre Sachen lieber bei gemütlichen kleinen und alternativen Läden.

Die Haupt-Einkaufsstraße von Maastricht. Ich mag solche Menschenansammlungen nicht und bleibe während der Haupteinkaufszeiten lieber weg

Bunt!

Auch in Holland ist die Fußball-WM das Thema. Einige haben sogar ihre Häuser orange gestrichen. Solche Bälle wie hier hängen überall.

Der berühmte Vritjof-Platz mit der St. Johannes Kirche (mit rotem Turm) und der St. Servatius Basilika
 

Und die Straßen von Maastricht sind mit Geschichte gesättigt und beherbergen zugleich zahllose niedliche kleine Boutiqen. So faszinierend das klingt, so hat mich das doch nicht sonderlich interessiert. Ein Laden ist ein Laden, ob in Brasilien, Honolulu oder in den Niederlanden; zumindest habe ich das geglaubt. Weit gefehlt! Eine kleine Warnung: versuchen Sie die Stadt nicht nur mit den „Augen“ von Broschüren, Reiseführern oder auch Internet zu sehen. Zur Vorbereitung ist das natürlich notwendig, aber ignorieren Sie die Tipps der Einheimischen nicht, sonst entgeht Ihnen etwas. Wie ich zu meinem Bedauern feststellen musste. So gibt es in Maastricht eine Dominikanerkirche aus dem 13. Jahrhundert, die eindrucksvoll in einen modernen Buchladen verwandelt wurde, der als einer der schönsten Buchläden der ganzen Welt gilt. Und ich...habe ihn verpasst. Zu meiner Verteidigung muss ich sagen, dass er in keiner der Listen mit „Dingen-die-man-gesehen-haben-muss“ oder der „zehn-wichtigsten-Sehenswürdigkeiten-der-Stadt“ aufgeführt war, die ich gründlich durchforstet hatte. Der Buchladen stand in der Rubrik „Shopping“, die ich, wie bereits erwähnt, keines Blicks gewürdigt habe... Vermutlich mache ich das in Zukunft anders.

Die Maas

Und die berühmte steinerne Fußgängerbrücke St. Servatius.

Quiz: Wie viele Fahrräder liegen auf dem Grund der Maas

Straßenkünstler. Die Sängerin war unglaublich gut. Wie schade, dass solche Künstler niemals "entdeckt" wurden und vor einem größeren Publikum singen dürfen.

Liebenswürdige Plätze überall.

Das Foto habe ich hier geliehen
 

Die Bischoop Mühle, gebaut im 7. Jahrhundert und immer noch in Betrieb.

Zum Glück gab es jede Menge interessante Dinge, die mich tagelang beschäftigt haben... Maastricht hat eine Reihe von Universitäten und die vielen Studenten in der Stadt sorgen dafür, dass immer etwas los ist: das Nachtleben heißt jeden rastlosen oder sozial ausgehungerten Reisenden willkommen und auf den Plätzen der Stadt gibt es oft Konzerte, Festivals, Ausstellungen, Messen, etc. Doch die pulsierende Atmosphäre macht einen seltsamerweise nicht müde! Es sei denn... man ist so unvorsichtig wie meine Wenigkeit und geht direkt vor der Runde noch sechs Stunden in gleißender Sonne spazieren. Dann ist es möglich, dass die Müdigkeit doch die Oberhand gewinnt.

Die Stadt ist einzigartig und das Limburg Open, der eigentliche Grund, warum ich überhaupt nach Maastricht gereist bin, ist es auch. Und die Organisatoren waren so warm und herzlich wie die Sonne, die für Außentemperaturen von über 30 Grad sorgte! 400 Spieler, die in vier Gruppen eingeteilt wurden, gingen beim Festival an den Start. Ungewöhnlich für ein Wochenendturnier, das von Freitag, den 6. Juni bis Montag, den 9. Juni, dauerte, war der attraktive Preisfonds: Im A-Open, in dem Spieler mit mehr als 2000 Elo an den Start gingen, winkten dem Sieger 2.250 Euro.

Alexander Fier

Für den Brasilianer lief es nicht so gut, er wirkte auch etwas ausgelaugt

Das ist seine typische Pose

Alexander Fiers Freundin Nino Maisuradze

Die französische WGM startete gut, stolperte aber über die Doppelrunden, trotzdem 4,5 aus 7 ist klasse!

An drei gesetzt: Sipke Ernst. Er wurde Achter mit 5 aus 7

Bemerkenswertes Comeback von Emanuel Berg. ERrgewann die letzten beiden Partien und wurde geteilter Zweiter!

Manchmal läuft es nicht in der Auslosung. Nach einem schwierigen Turnier wurden die beiden GMs in der letzten Runde gegeneinander gelost.

Der deutsche FM Marcel Harff spielte ein prima Turnier mit 5,5 aus 7

Der holländische GM Erik van den Doel, der sich in der Niederländischen Animal Party engagiert (PVDD)

Blick in die Turnierhalle

Erwin l'Ami und Sipke Ernst

Der Nachwuchs, mit auffälliger Brille

... und Frisur


Wegen des engen Zeitplans, der bei 'normaler' Zeitkontrolle Doppelrunden mit sich bringt, werden Wochenendturniere für gewöhnlich nicht elo-gewertet. Ganz anders bei den sieben Runden des Mini-Marathons von Maastricht. Die Partien wurden elo-gewertet und auch bei der Bedenkzeit gab es eine kleine Überraschung: wir spielten ohne Zeitaufschlag! Einfach 2 Stunden für 40 Züge, danach 30 Minuten für den Rest der Partie, wie in der guten alten Zeit.

Verrücktes Zeitnotdrama am Brett von Sipke Ernst. Schließlich remis.

Erwin L'Ami in tiefer Konzentration

Angesichts meiner schweißtreibenden Stadtrundgänge und diesem zeitlichen Arrangement fiel mir während der ersten Runde plötzlich auf, was für ein Genie Bobby Fischer gewesen war... seine Idee, dass man für jeden Zug 30-Sekunden Zeitaufschlag bekommt, hätte meinem armen Gehirn sehr gefallen. Andererseits half mir die heutzutage unübliche Bedenkzeit auch dabei, eine Runde heil zu überstehen, in der ich vollkommen auf Verlust stand, aber mein Gegner einfach keine Zeit hatte, um mich zu erledigen; so bin ich mir nicht ganz sicher, was ich davon halte. Aber diese Bedenkzeit sorgt für so manches Spektakel! Ich habe ein paar davon verfolgt und dabei sogar das Atmen vergessen. Die Spannung ist enorm und der Adrenalinausstoß so hoch, dass man manchmal einfach nicht hinschauen kann.


Rückblickend würde ich sagen, die Bedenkzeit war perfekt, vor allem in Anbetracht der Doppelrunden. Diese Ansicht wurde auch von meinem Ehemann Erwin L’Ami geteilt, der das Turnier als alleiniger Erster mit 6 aus 7 gewann.

Der Turniersieger

Erwin L'Ami

Grund zur Freude: 6 aus 7!

 

Pos ID T NAME Rtg PRtg Pts ARO
1 1 GM L'Ami, Erwin 2647 2674 6.0 2365.0
2 11 FM Van Foreest, Jorden 2448 2606 5.5 2375.7
3 8 IM Dambacher, Martijn 2491 2558 5.5 2328.4
4 28 FM Harff, Marcel 2288 2530 5.5 2299.6
5 5 GM Berg, Emanuel 2547 2519 5.5 2288.6
6 31 -- Dijkhuis, Tycho 2271 2503 5.0 2310.0
7 46 -- Beerdsen, Thomas 2205 2467 5.0 2309.3
8 3 GM Ernst, Sipke 2567 2462 5.0 2303.9
9 9 IM Ducarmon, Quinten 2483 2462 5.0 2303.7
10 10 GM Janssen, Ruud 2467 2438 5.0 2280.0
11 12 WGM L'Ami, Alina 2444 2431 5.0 2273.1
12 4 GM Van Den Doel, Erik 2553 2417 5.0 2259.3
13 56 -- Warmerdam, Max 2177 2445 5.0 2252.2
14 7 IM Hovhannisyan, Mher 2520 2381 5.0 2223.1
15 2 GM Fier, Alexandr 2580 2398 4.5 2296.3
16 24 -- Von Meijenfeldt, Bart 2322 2378 4.5 2276.0
17 35 WGM Maisuradze, Nino 2255 2377 4.5 2274.6
18 43 -- Roggeveen, Pieter 2211 2375 4.5 2273.3
19 18 IM Braun, Christian 2358 2361 4.5 2259.4
20 27 FM Driessens, Patrick 2306 2359 4.5 2256.6
21 21 FM Admiraal, Miguoel 2339 2349 4.5 2247.3
22 39 -- Bekker, Stefan 2223 2292 4.5 2234.5
23 44 -- Timmermans, Ivo 2207 2349 4.5 2223.5
24 95 -- Lentjes, Noud 2054 2348 4.5 2223.3
25 54 -- Ypma, Peter 2183 2316 4.5 2213.6
26 15 IM Goudriaan, Etienne 2408 2300 4.5 2198.3
27 22 -- Sadikhov, Ulvi 2337 2266 4.5 2164.3

... 118 Spieler

Ganze Tabelle...

 

Die geteilten zweiten Plätze werden geehrt

Alleiniger Erster Erwin l'Ami. Der Turnierdirektor behielt aus Respekt sein Jackett an, obwohl es sehr heiß war

 

L'Ami-Ducarmon

 

 

Limburg Open

 

 

Wie wahrscheinlich auch von den vielen jungen, starken, unglaublich talentierten holländischen Spielern, die so viel schneller als viele andere rechnen und deshalb wahrscheinlich gar keine zusätzliche Bedenkzeit brauchen? Die junge Generation in Holland befindet sich auf dem Vormarsch und macht bemerkenswerte Fortschritte. Ich hoffe nur, dass ich das Glück habe, eine Weile gegen keinen ihrer Vertreter gelost zu werden. Nach der zweiten Runde des Tages wollte ich einfach nur verschwinden und mir ein wenig Ruhe gönnen, doch die jungen Talente machten den Eindruck, als ob sie notfalls noch zehn weitere Partien absolvieren könnten! Kein Wunder also, dass der 15-jährige FM Jorden van Foreest mit 5,5 aus 7 Zweiter wurde. Von ihm hören Sie sicher noch eine Menge! Letztes Jahr holte er bei der Europameisterschaft U14 die Goldmedaille.

Jorden van Foreest

U14 Europameister 2013 und Zweiter im Turnier


Eine andere Sache, an der viele wahrscheinlich achtlos vorbeigehen, doch die für Ihre Autorin durchaus eine Rolle spielt, war der Frauenpreis. Der Feminismus in den Niederlanden hat die Ungleichbehandlung und die Ungerechtigkeiten, denen Frauen jahrzehntelang ausgesetzt waren, bekämpft und verhindert… allerdings hat der Triumph der Gleichberechtigung auch Nachteile: In diesem Land gibt es kaum Turniere mit Frauenpreisen. Aber wie ich angenehm überrascht feststellte, war das in Maastricht anders. Ich sehe diesen Preis nicht als Rückschlag für das Frauenschach. Manche behaupten, solche Preise machen uns faul und träge, aber ich glaube ganz im Gegenteil, dass sie motivieren und eine wichtige Rolle bei der Förderung des Frauenschachs spielen. Eine gewisse positive Diskriminierung könnte man als schwachen Trost für das Unrecht der Vergangenheit begreifen, nicht wahr?! :)

Wenn ich auf dieses typisch untypische Wochenende zurückblicke, dann verstehe ich, warum sich viele über meine Ignoranz gewundert haben, die mich daran gehindert hat, Maastricht und dieses Turnier in meinen Schachatlas einzuzeichnen. Sieben Jahre bin ich in den Niederlanden schon unterwegs und wusste nicht, was ich verpasse. Jetzt weiß ich es.

 


Noch einmal Maastricht:

Ein Sturm zieht auf

Sonnenuntergang


 

Alina l'Ami durch die Augen einer Künstlerin gesehen. Das Wesen voll erfasst.

Pia Sprong! http://piasprong.nl/


Turnierseite...

 

 


Alina L'Ami ist Schachprofi, WGM, und bringt allem, was sie macht, großen Enthusiasmus entgegen. Sie liebt es, in die entlegensten Winkel der Erde zu reisen, um dort Schach zu spielen und darüber hier bei ChessBase zu berichten.

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