Auch Dvorkovich distanziert sich von Putins Krieg

von André Schulz
15.03.2022 – Das US-Magazin "Mother Jones" beschäftigte sich in einem aktuellen Artikel auf seiner Webseite mit den Stellungsnahmen des Weltschachbundes und vieler Schachspieler zum Krieg in der Ukraine und insbesondere mit FIDE-Präsident Arkadij Dvorkovich (Foto), einst Stellvertretender Russischer Ministerpräsident, der in seinen Erklärungen den Krieg verurteilt. | Foto: Fide

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Der Weltschachbund FIDE hat seit 1995 einen russischen Präsidenten. Bis 2018 war das Kirsan Iljumzhinov, Geschäftsmann und zeitweise auch kalmückischer Staatspräsident, seit 2018 ist es Arkady Dvorkovich.

Dvorkovichs Vater Vladimir war ein bekannter Schachschiedsrichter. Oft nahm er seinen Sohn Arkady mit auf die Turniere und dieser lernte dabei viele Schachspieler kennen. Vladimir Dvorkovich hat unter anderem auch Turniere und Wettkämpfe geleitet, an denen Garry Kasparov teilgenommen hat. Vladmir Dvorkovich und Garry Kasparov pflegten ein freundschaftliches Verhältnis und es gibt sogar Gerüchte, dass Kasparov das Studium von Vladimir Dvorkovichs Sohn Arkady mitfinanziert haben soll.

Arkady Dvorkovich studierte bis 1994 an der Lomonossow-Universität Wirtschafts-Kybernetik und anschließend an Moskauer New Economic School Wirtschaftswissenschaften. Sein Studium schloss er 1997 in den USA mit einem Master in Wirtschaftswissenschaften an der renommierten Duke-Universität in Durham (North Carolina) ab. Von 2008 bis 2012 war Arkady Dvorkovich, der zum Umkreis von Dmitry Medvedev gehörte, einer von fünf Beratern des russischen Präsidenten. Von 2012 bis 2018  war er einer der Stellvertretenden Ministerpräsidenten von Russland. 2017 wurde er Aufsichtsratsmitglied der staatlichen russischen Landwirtschaftsbank. 

Von 2006 bis 2009 war Arkady Dvorkovich im Vorstand der Russischen Fußball-Union als Leiter der Jugendabteilung tätig. 2018 war er Chef des Organisationskomitees für die Fußballweltmeisterschaft in Russland.

Im Schach ist Dvorkovich seit 2007 aktiv, anfangs als Vizepräsident des Russischen Schachverbandes. Von 2010 bis 2014 war er Vorsitzender im Aufsichtsrates des Schachverbandes.

Nachdem Kirsan Ilyumzhinov wegen einer Beteiligung an einer russischen Bank und Geschäften derselben mit Syrien auf die schwarze Liste des US-Schatzamtes geraten war und die Sanktionen auch auf die FIDE Auswirkungen hatten, trat er als FIDE-Präsident zurück. 2018 standen Präsidiumswahlen an, in denen sich Dvorkovich sich gegen Georgios Makropoulos durchsetzte. Als neuer FIDE-Präsident holte Dvorkovich eine Reihe von Fachleuten an die Schaltstellen, organisierte die FIDE straffer und befreite den Weltschachbund von Filz und Korruption. Von vielen Seiten wird ihm gute Arbeit bescheinigt.

Unter anderem wurde die FIDE auch von russischem Geld unabhängiger gemacht. Zu Ilyumzhinovs Zeiten finanzierte die FIDE ihre großen Turniere vielfach mit Hilfe von staatlichen oder halbstaatlichen russischen Firmen. Wenn sich kein Ausrichter, zum Beispiel für eine Weltmeisterschaft fand, sprang Russland ein, z.B. 2014 bei der Weltmeisterschaft zwischen Carlsen und Anand in Sotschi. Damals besuchte Putin persönlich die Preisverleihung. Unter der Präsidentschaft von Dvorkovich konnten für die FIDE neue Finanzierungsquellen auch außerhalb Russlands erschlossen werden. 

Mit dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine hat sich die Situation auch im Schach grundlegend geändert. Die European Chess Union mit dem georgischen Präsidenten Zurab Asmaiparashvili hat die russischen und weißrussischen Schachspieler von ihren Turnieren ausgeschlossen und ist damit dem Beispiel anderen großen Sportverbänden gefolgt. Die FIDE ist diesen Schritt bisher nicht gegangen. Nur einige in Russland geplante FIDE-Turniere, zum Beispiel die Schacholympiade, wurden wegverlegt. Die russischen Spieler können aber weiter an Turnieren teilnehmen, auch an offiziellen FIDE-Turnieren, nur nicht unter russischer Flagge. Die FIDE bot zudem ein einfaches Verfahren an, mit denen russische Schachspieler den Verband wechseln können. Einige russische Spieler haben bereits einen Verbandswechsel vorgenommen.

Russische und ukrainische Schachspieler kennen sich von vielen gemeinsamen Turnieren sehr gut und sind vielfach miteinander befreundet. Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine hat eine Reihe von bekannten russischen Spielern auf der russischen Sportseite Championat den Angriff verurteilt und einen Friedensappell unterschrieben. Ukrainische Schachspieler, die selber oder deren Familien dem russischen Bombenterror ausgesetzt sind, sagen, das ist zu wenig, fordern den Ausschluss der russischen Spieler und den Rücktritt von Dvorkovich.

Nach dem russischen Angriff auf die Ukraine kam auch der russische FIDE-Präsident unter Druck. Bei einer dringlichen Präsidiumssitzung kurz nach Kriegsbeginn soll auch die Frage von Dvorkovichs Rücktritts diskutiert worden sein. Das FIDE-Präsidium beließ es zunächst bei einer Erklärung gegen die russische kriegerische Aggression. Garry Kasparov, der sich auf vielen Kanälen zu Wort meldet, schrieb, dass er Dvorkovich nicht um dessen momentane Situation beneide.

Daniel King, nicht der englische Schachgroßmeister, sondern ein US-Journalist gleichen Namens, hat unter anderem mit Arkady Dvorkovich Kontakt aufgenommen und ihn für einen Beitrag, der im US-Magazin "Mother Jones" erschien, zu seiner Einstellung zu diesem Krieg gefragt. Dvorkovichs Antwort fiel eindeutig aus:

"Kriege sind das Schlimmste, was man im Leben erleben kann … einschließlich dieses Krieges. Meine Gedanken sind bei der ukrainischen Zivilbevölkerung", sagte Dvorkovich. "Kriege töten nicht nur unbezahlbare Leben. Kriege töten Hoffnungen und Bestrebungen, frieren oder zerstören Beziehungen und Verbindungen." 

Der US-Journalist Daniel King führte für seinen Artikel bei "Mother Jones" insgesamt 36 Kurzinterviews mit führenden Schachspielern und Offiziellen zum Krieg Russlands gegen die Ukraine, darunter neben Dvorkovich mit ECU-Präsident Zurab Asmaiparashvili ("Nur die vollständige Isolierung von der gesamten zivilisierten Gemeinschaft wird die Angreifer zum Nachdenken bringen."), Wesley So ("Mein Herz ist gebrochen für die Menschen in der Ukraine und die Menschen in Russland, die sich dieser Invasion widersetzen. Was tun uns die alten Männer an?"), Anand ("Ich freue mich, dass sich die Mehrheit der russischen Schachspieler gegen den Krieg ausgesprochen hat."), Gata Kamsky ("Der russische Führer muss endgültig den Bezug zur Realität verloren haben."), Veselin Topalov ("Ich glaube, russische Schachspieler sollten von allen internationalen Veranstaltungen ausgeschlossen werden, nicht weil sie alle die russische Aggression unterstützen, sondern weil sie so schnellstmöglich gestoppt werden kann."), Ruslan Ponomariov ("Meine Eltern und meine Schwester waren in Kiew, und am 3. März beschlossen sie, zu evakuieren, obwohl mein Vater bis zum letzten Moment in seinem Haus bleiben wollte.") und viele weitere mehr.

Das linksliberale US-Magazin "Mother Jones" erscheint alle zwei Monate als Print mit einer Auflage von etwa 230.000 Heften und wird von der Foundation for National Progress in San Francisco herausgegeben. Benannt ist das Magazin Mary Harris „Mother“ Jones, einer amerikanischen Gewerkschafterin. "Mother Jones" wurde in den USA mehrfach als bestes Magazin ausgezeichnet. 

Beitrag bei Mother Jones...


André Schulz, seit 1991 bei ChessBase, ist seit 1997 der Redakteur der deutschsprachigen ChessBase Schachnachrichten-Seite.

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