Auf der Suche nach dem Eckspringer

von Johannes Fischer
07.01.2015 – Ein Springer, der etwas auf sich hält, will nicht in die Ecke. Denn da ist er unbeweglich, eingeschränkt, unbeholfen und steht im Abseits. Doch wie schlimm ist ein Springer auf a8 wirklich? Steht man gleich auf Verlust oder gibt es noch Hoffnung? Und haben die Weltmeister ihre Springer nie nach a8 gestellt? Johannes Fischer hat nachgeforscht. Mehr...

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Der Computer machte Probleme, das Festnetztelefon funktionierte nicht, bei der Hotline hieß es warten, lange warten, sehr lange warten, von schrecklicher Musik berieselt, unterbrochen von gelegentlichen Bitten einer viel zu freundlichen Stimme um Geduld. Also: Ärger und zu viel davon. Das merkte auch ein Bekannter, dem ich wenig später und auf einem funktionierenden Computer eine Email schrieb. Er schrieb zurück und meinte, ich "klinge wie ein Springer auf a8".

Ein passender Vergleich. Wenn ein Springer am Rand schon "Kummer und Schand" bringt, was soll dann der arme Eckensteher sagen? Ein Randspringer hat mindestens drei, manchmal vier Felder zur Auswahl, ein Springer auf a8 nur zwei, c7 und b6. Wie soll man da gute Laune haben?

Allerdings machte mich diese Bemerkung auch neugierig: Ist die Lage wirklich so schlimm, wenn der schwarze Springer auf a8 oder der weiße Springer auf a1 landet? Müsste es nicht Partien geben, in denen die Seite mit dem Eckspringer gewinnt? Ein Blick in die ChessBase Mega-Database half weiter.

Die Mega-Database 2015 enthält über sechs Millionen Partien, doch zum Glück kann das Programm suchen. Nach dem Öffnen der Datenbank wählt man "Liste filtern" und bekommt ein Dialogfeld, in dem man verschiedene Suchkriterien eintragen kann. Mich interessierten Partien starker Gegner, also wählte ich Elo "Beide 2400 oder mehr" und "Schwarz gewinnt".

Mit Hilfe der Funktion "Stellung" kann man nach Partien suchen, in denen zu irgendeinem Zeitpunkt der Partie ein schwarzer Springer auf a8 gestanden hat. Dazu schnappte ich mir aus der Auswahl rechts neben dem leeren Brett einen schwarzen Springer und stellte ihn nach a8.

Dann startete ich die Suche und bekam eine ziemlich lange Liste illustrer Namen. Na also, kein Grund zu verzweifeln, so schlimm ist ein Springer auf a8 auch nicht. Karpov konnte damit sogar im WM-Kampf gegen Kortschnoi in Baguio 1978 gewinnen - wenn auch mit Glück.

 

Interessant verlief auch eine Begegnung zwischen Bronstein und Tal. Nach wechselvollem Verlauf mit originellen Züge und Manövern setzte Tal seinen Gegner mit Hilfe eines Springers auf a8 Matt.

 

 

David Bronstein - (fast) immer auf der Suche nach originellen Zügen

Mihail Tal - (fast) immer auf der Suche nach dem Matt

Nach dieser kleinen Forschungsreise in die Schachgeschichte und die Tiefen der Mega war meine Laune beträchtlich gestiegen und ich dachte mir, ich könnte doch einmal schauen, wie das Ganze aussieht, wenn Weiß einen Springer auf a1 hat. Also, noch einmal "Liste filtern" aufrufen und die entsprechenden Sucheinstellungen ändern. Der schwarze Springer auf a8 wird durch einen weißen auf a1 ersetzt und dieses Mal gewinnt nicht Schwarz, sondern Weiß. Den Elo-Schnitt der beiden Gegner habe ich beibehalten.

Wieder förderte der Computer eine beruhigend lange Liste von Weißsiegen zutage. Und wieder war Mihail Tal dabei, dieses Mal mit einem Sieg gegen den isländischen GM Johann Hjartason. Eine wirklich bemerkenswerte Partie, die all denen Mut machen sollte, die schon einmal mit einem Rand- oder Eckspringer spielen bzw. leben mussten.

 

 

Zum Abschluss wollte ich dann noch wissen, wie oft ein Springer auf a8 in den Partien der Weltmeister auftaucht. Im Suchfeld gab ich deshalb unter dem Stichwort "Schwarz" den Namen des jeweiligen Weltmeisters ein, "Farben ignorieren" deaktivierte ich.

Hier will ich wissen, ob der für sein harmonisches Spiel bekannte Capablanca jemals einen Springer nach a8 gestellt hat.

Antwort: "Ja", gegen Aljechin, im Weltmeisterschaftskampf in Buenos Aires 1927.

Das - zumindest mich - überraschende Ergebnis: Von Steinitz bis Carlsen hat jeder Weltmeister im Laufe seiner Karriere mit Schwarz in mindestens einer ernsthaften Turnierpartie einen Springer nach a8 gestellt. Nur einer nicht: Bobby Fischer.

"Putting my knight on a8? Are you joking?"

 

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Johannes Fischer, Jahrgang 1963, ist FIDE-Meister und hat in Frankfurt am Main Literaturwissenschaft studiert. Er lebt und arbeitet in Nürnberg als Übersetzer, Redakteur und Autor. Er schreibt regelmäßig für KARL und veröffentlicht auf seinem eigenen Blog Schöner Schein "Notizen über Film, Literatur und Schach".

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