PRICKELNDE MOMENTAUFNAHMEN AM BRETT
Martin
Breutigam präsentiert in seinem Band „Todesküsse am Brett“ einen spannenden,
unterhaltsamen Mix aus Anekdoten, Rätseln und Kurzbiografien Von Peter Münder
Schachprobleme in den Rätselecken kennen wir alle, langatmige Biografien der
alten Meister oder monothematisch strukturierte Theoriebände von Benoni bis
Zukertort ebenfalls. Da ist es besonders erfreulich, so wie Martin Breutigam es
macht, in 140 Rätseln (mit Diagrammen) und Geschichten faszinierende Momente am
Brett einzufangen und ganz locker noch biografische Eckdaten und
Charakteristika der vorgestellten Spieler einfließen zu lassen.
Wer wusste schon, dass der hochtalentierte Engländer William Conquest seit
Jahren an seinem großen Roman herumtüftelt? Oder dass Peer Steinbrück auf der
Regierungsbank gerne Schachrätsel löst und ein starker Turnierspieler ist? Wer
kennt schon den auf „hochprozentige“ Konstellationen spezialisierten Schläfer
Vladislav Tkachiev, EM von 2007, der seinen Vollrausch gern am Brett- sogar bei
hochklassigen internationalen Mannschaftskämpfen- ausschläft und den niemand
dann mehr wecken kann? Nach 90 minütigem Koma-Schlaf nebst Zeitüberschreitung
und Punktverlust sowie verbiestert-hämischen Kommentaren mußte man den Kasachen
dann aus dem Turniersaal in Kalkutta tragen.
Vielleicht war das Schachspiel für ihn zu stressig geworden?
Neben den in kritischer Phase vor den Gewinnzügen gezeigten Partien von Judit
Polgar, Magnus Carlsen, Kramnik, Anand, Kortschnoi, Kasparaov und anderen Promis
zeigt Breutigam hier auch eine selten präsentierte Partie von Bobby Fischer aus
dem Kandidatenturnier in Sousse, das er ja nach Disputen mit den Organisatoren
trotz deutlichem Vorsprung vorzeitig abgebrochen hatte.
Der im Buchtitel angesprochene „Todeskuß“ war natürlich der berühmte Blackout
von Kramnik während seines gigantischen 1-Milliondollar-Duells 2006 in Bonn
gegen Deep Fritz. Wie konnte er das Matt auf h7 übersehen, das Deep Fritz mit
der Dame und seinem auf f8 postierten Springer mit urplötzlichem
Killer-Instinkt realisierte? Die banale „Lösung“ scheint zu sein, dass ein
weißer Springer auf f8 eher selten anzufinden ist... Aber natürlich bleibt ein
Blackout auch für einen GM ein Blackout!
IM Breutigam ist Journalist und Bundesligaspieler, er schreibt
Schachreportagen und Kolumnen für den Berliner „Tagesspiegel“ und die
„Süddeutsche Zeitung“. Seine literarischen Preziosen sind locker, aber doch sehr
informativ geschrieben und die zu jeder Kolumne passenden Problem-Diagramme
sind extrem hilfreich- Lösungen mit Varianten werden gleich mitgeliefert. Auch
das ist ein guter Mix: Manche Problemstellungen sind eben sehr komplex, andere
einfacher und naheliegend.
Außerdem hat Martin Breutigam einen prächtigen Sinn für Humor. Mit diesen
wunderbaren Schach-Kolumnen hat Breutigam sich jedenfalls neben dem fabelhaften
Kommentator Helmut Pfleger („Die Zeit“) in die Top-Liga abgeklärter, brillanter
Schach-Kommentatoren geschrieben. Fazit: Tolles, unterhaltsames Buch mit großem
praktischen Nährwert!
Martin Breutigam: Todesküsse am Brett.
140 Rätsel und Geschichten der Schachgenies von heute. Verlag Die Werkstatt,
Göttingen, 160 S., mit Fotos, 9,90,- Euro