In den 1980er und 1990er Jahren gab es im Mittelweg eine in Hamburger
Schachkreisen bekannte Anlaufstelle für Schachfreunde - das Notariat
Biermann-Ratjen. Viele prominente Schachspieler gaben sich bei Matthias Biermann-Ratjen
die Klinke in die Hand. Robert Hübner, der seinerzeit für den Hamburger
Schachklub im Hamburger Sportverein spielte und dort Training gab, war zum
Beispiel ein gern gesehener und häufiger Gast des Notars. Dem Hamburger Schach
ging es nämlich gut zu jener Zeit. Es fand mit dem damaligen Präsidenten des
HSV, Dr. Wolfgang Klein, mit dem HSV-Manager Felix Magath oder eben auch mit
Matthias Biermann-Ratjen wohlwollende Unterstützer. Als Garry Kasparov seine
ersten Besuche in Hamburg absolvierte, fand auch er selbstverständlich den Weg
ins Notariat am Mittelweg. Mit Boris Spasski spielte Biermann-Ratjen Tennis.
Biermann-Ratjen gründete auch einen Schachverein, die SG Mittelweg und nahm
mit dieser am Hamburger Ligabetrieb teil, zuletzt in der Hamburger Stadtliga. Zu
Anfang spielte in der Mittelweg-Mannschaft ein schon älterer Herr mit, dessen
Name im Schach einen guten Klang hat, von dem die meisten Schachfreunde
vermutlich aber wenig wissen -
Martin
Beheim-Schwarzbach. Der Schriftsteller, 1900 auf einem Schiff im Londoner
Hafen geboren, weshalb er die britische Staatsbürgerschaft besaß, wuchs am
Mittelweg auf, emigrierte aber während der Nazizeit nach England. Zuvor war er
in Deutschland unter anderem als Übersetzer der Romane "Vom Winde verweht",
"Oliver Twist" oder "Tom Sawyer und Huckleberry Finn" bekannt geworden. Nach der
Rückkehr nach Deutschland veröffentlichte der Schachliebhaber das "Knaurs
Schachbuch", dessen feuilletonistischer Zugang zum Schach viele beeinflusst
haben, nicht zuletzt auch Helmut Pfleger. Als alter Herr besetzte der inzwischen
80-Jährige Beheim-Schwarzbach am Mittelweg noch eines der hinteren Bretter und
"gewann so gut wie jede Partie", wie sich Matthias Biermann-Ratjen später
erinnerte.
Die Mittelweg-Mannschaft trug ihre Wettkämpfe im Notariat aus, über zwei
Räume verteilt, wobei "der Notar", wie Matthias Biermann-Ratjen der Einfachheit
halber genannt wurde, seine Partie selbstverständlich an seinem geräumigen
Schreibtisch spielte. Die Brettreihenfolge war daher bei den SG
Mittelweg-Heimkämpfen nicht ganz linear - mittendrin war das Brett von
Mannschaftsführer Biermann-Ratjen an dessen unverrückbarem Schreibtisch
aufgebaut.
Ein besonderer Heimvorteil der SG Mittelweg bestand auch darin, dass die Häuser
dieser Straße nicht wie sonst üblich auf der einen Seite mit den geraden,
auf der anderen Seite mit den ungeraden Hausnummern nummeriert ist. Stattdessen
sind die Grundstücke am Mittelweg auf der einen Seite die Straße hoch, auf der
anderen Seite die Straße wieder hinunter durchgezählt. Wer das Prinzip nicht
gleich versteht, weil es ja auch völlig unüblich ist, konnte bei der
vergeblichen Suche der richtigen Adresse des SG Mittelwegs, bzw. des Notariats
Biermann-Ratjen unter Umständen wahnsinnig werden. Die Mannschaften der
Hamburger Stadtliga wussten natürlich größtenteils Bescheid, aber mancher
unkundige Aufsteiger lief in diese Falle und kam dann schon mal reichlich zu
spät.
In der Küche des Notariats konnte geraucht werden, allerdings musste man sich
mit einem dort stehenden Schlagzeug der Jazz-Band des Notars arrangieren. Der Jazz-Musik gilt
die zweite große Liebe "des Notars". Er spielt Kontrabass. Als Biermann-Ratjen in den Ruhestand ging
und sein Notariat schloss, war auch Schluss mit der SG Mittelweg.
Kürzlich hat Matthias Biermann-Ratjen ein Schachbuch veröffentlicht. Es heißt
"Schachprotokolle", umfasst 144 Seiten und enthält eigene Schachpartien. Im
Laufe der Geschichte haben schon viele Schachspieler Sammlungen ihrer Partien
herausgegeben, zuletzt blieb dies allerdings den Topspielern oder Profis
vorbehalten. Das Bedrucken von Papier kostet schließlich Geld und man braucht
einen Verleger, der dies bezahlt und sich Rendite erhofft. Wahrscheinlich
träumen aber doch viele, auch weniger gute Schachspieler davon, die eigenen
Partien zu veröffentlichen, zumindest die guten Partien. Die Schachspieler sind
doch alle sehr stolz auf ihre Leistungen und Erfolge. Matthias Biermann-Ratjen
hat es einfach gemacht.
Die Sammlung enthält Schachpartien aus den 60 Jahren, über die sich
Matthias Biermann-Rajen sich mit Schach beschäftigt hat, wobei der Notar eine
scharfe Klinge führt. Wenn die richtige Stellung auf dem Brett ist, dann müssen
auch deutlich bessere Gegner auf der Hut sein und im Laufe der Zeit hat
Biermann-Ratjen auch einige bessere Spieler mit seinen kombinatorischen
Feuerwerken zur Strecke gebracht oder ihnen wenigstens ein Remis abgejagt.
Die ersten Partien stammen aus dem Jahr 1955. Mit einem Freund spielte Mattias
Bierman-Ratjen diese im Landschulheim Louisenlund und schrieb sie damals schon
auf. Später spielte der Notar bei Vereinsmeisterschaften, Hamburger
Einzelmeisterschaften und regelmäßig auf Open mit. Die Sammlung enthält aber
auch eine Reihe von Partien gegen prominente Gegner, so zwei Partien, die
Biermann-Ratjen gegen Martin Beheim-Schwarzbach Anfang der 1960er Jahre spielte.
Mir ist sonst keine Quelle bekannt, in der man Partien des Schriftstellers
nachspielen könnte. Man findet Partien gegen Frank Waligora, der lange Jahre die
Schachspalte der Zeitschrift "Hör Zu" leitete, und andere lokale Hamburger
Schachgrößen. Häufig nahm der Notar an Simultanveranstaltungen teil, zum
Beispiel gegen Boris Ivkov, Fernschachweltmeister Jakov Estrin, Robert Hübner
(Blindsimultan) oder Viktor Kortschnoj. Die Partien wurden von Biermann-Ratjens
Schachfreund und Mannschaftskollegen Rolf Gehrke unter Zuhilfenahme einer
Schachengine kommentiert.
In seinem Geleitwort hat Robert Hübner die Sammlung treffend skizziert: "Wie
kaum eine andere Liebhaberei ist das Schachspiel geeignet, den Menschen das
ganze Leben lang zu begleiten," und: "Nicht nur die Spitzenspieler leisten
Bemerkenswertes, auch die Partienmasse eines unbekannten Spielers enthält
manches Lehrreiche."
In diesem Sinne sei das Büchlein allen empfohlen, die mit Matthias Biermann-Ratjen
die Liebe zum Schach teilen.
André Schulz
Matthias Biermann-Ratjen: Schachprotokolle
22 Euro
Verlag: Adlibri Verlag Gmbh & Co. Kg (April 2013)
ISBN-10: 3899270371
ISBN-13: 978-3899270372
Zum Beispiel bei
Amazon.de...
oder bei Niggeman.com...