
Das folgende Interview erschien in
Neues Deutschland, Ausgabe vom 4./5.September 2004. Nachdruck mit
freundlicher Genehmigung des Autors.
Eine Frau
kämpft für Bobby Fischer: „Bobby fürchtet um sein Leben, wenn er in US-Haft
kommt“
Ohne diese Frau säße Robert
James Fischer, genannt „Bobby“, wahrscheinlich schon lange in einem US-Knast.
Miyoko Watai kämpft seit dem 13. Juli, als der ehemalige Schachweltmeister auf
Tokios Flughafen Narita verhaftet worden ist, gegen die Auslieferung ihres Idols
an die Vereinigten Staaten. Fischer soll sich vor einem amerikanischen Gericht
verantworten, weil er 1992 im damaligen Jugoslawien einen Wettkampf gegen seinen
alten Rivalen Boris Spasski ausgetragen hat. Begründung: Bruch eines
Wirtschaftsembargos gegen Belgrad, als Siegprämie kassierte Fischer nämlich drei
Millionen Dollar.
Zwischenzeitig hat ein
heftiges Tauziehen um Fischer begonnen. Der 61-jährige ist im
Internierungszentrum Ushiku bei Tokio festgesetzt worden; der notorische
Exzentriker hat seinerseits einseitig die US-Staatsbürgerschaft aufgegeben.
Japans Behörden versuchten ihrerseits vor wenigen Tagen, in einer
Nacht-und-Nebel-Aktion den lästigen Gast los zu werden; Fischer sollte innerhalb
weniger Stunden außer Landes geschafft werden, obwohl über seine eingelegten
Rechtsmittel noch nicht entschieden worden ist. Das Manöver hätte klappen
können, wäre da nicht Miyoko Watai gewesen. Die Fischer-Unterstützerin
alarmierte ihre beiden Anwälte, und mit einer Eilentscheidung vom Bezirksgericht
Tokio konnte sie die Deportation in letzter Minute stoppen.
Miyoko Watai ist Präsidentin
des japanischen Schachverbandes, eines verschworenen Zirkels von rund 600
Mitgliedern in einer Nation, wo 20 Millionen das heimische Strategiespiel Shogi
vorziehen. Die 59-jährige interessiert sich aber nicht nur als Funktionärin für
das Schachgenie von einst: Die gelernte Pharmazeutin hat angekündigt, dass sie
Bobby Fischer heiraten will. Der Autor Dr. René Gralla hat mit Miyoko Watai ein
Telefoninterview geführt. Miyoko Watai hat übrigens einen neuen wichtigen
Verbündeten gewonnen: den früheren stellvertretenden Außenminister Ichiji Ishii.
Der Gründer eines elitären Schachklubs bietet sich als Fischers „Bürge“ an. Der
70-jährige verfügt über gute Kontakte und hat bereits einen komplizierten Kasus
gelöst: Als sich Perus Ex-Präsident Alberto Fujimori nach Japan absetzte, wehrte
Ichiji Ishii erfolgreich alle Vorstöße aus Lima ab, das flüchtige
Staatsoberhaupt in der Andenrepublik zurück zu schaffen und dort hinter Gitter
zu bringen.
Tokios
Behörden wollten Bobby Fischer in einer Blitzaktion an die USA ausliefern.
Obwohl noch sein Einspruchsverfahren gegen die Abschiebung läuft: Warum diese
Eile?
Tokio folgt ganz einfach der
amerikanischen Rechtsauffassung. Deswegen versuchen unsere Behörden, alles im
Schnellverfahren abzuwickeln.
Sollen
Fakten geschaffen werden - da Fischer, wenn er erst einmal in einem
amerikanischen Gefängnis sitzt, ja keine Chance mehr hat, die Maßnahme
rückgängig zu machen?
Die japanische Regierung kann
wohl nichts machen: Offenbar muss sie den Wünschen aus Washington nachkommen.
Wissen Sie: Als Bobby die Schweiz besuchte, hat die US-Regierung niemals
versucht, ihn verhaften zu lassen. Obwohl er sogar die amerikanische Botschaft
in der Schweiz zweimal aufgesucht hat und dort seinen Pass vorgelegt hat, um den
Ausweis zu verlängern. Aber die Schweiz ist eben ein neutrales Land, deswegen
ist Bobby dort unbehelligt geblieben.
Japan ist
doch eine große stolze Nation. Warum zeigt sich Tokio im Fall Fischer gegenüber
Washington derart willfährig?
Denken Sie daran, wie
Premierminister Junichiro Koizumi unsere Armee in den Irak geschickt hat – auf
Druck der Amerikaner …
… obwohl
die japanische Bevölkerung mehrheitlich gegen den Kriegskurs gewesen ist. Wie
geht der juristische Kampf um Fischer jetzt weiter?
Er hat in Japan Asyl
beantragt. Aber es ist sehr schwer, das durchzukriegen. Deswegen versuchen wir,
ein drittes Land zu finden, das Bobby Asyl gewährt - um seine Menschenrechte zu
bewahren. Denn was hat er eigentlich verbrochen? Er hat nur Schach gespielt,
1992 im damaligen Jugoslawien. Und sehen Sie: An diesem Wettkampf sind auch
andere Menschen beteiligt gewesen, Bobbys Gegner Boris Spassky und der
Schiedsrichter, Großmeister Lothar Schmid aus Deutschland. Aber diese Leute
werden dafür nicht belangt!
Man darf
nicht vergessen: Fischer hat sich wiederholt offen antisemitisch geäußert. Ist
es nicht angebracht, sich dafür zu entschuldigen?
Ich nehme nicht an, dass er
das tun wird: Bobby ist Bobby. Ich weiß, dass man in Deutschland den Vorgang
unter diesem Gesichtspunkt auf keinen Fall sehen, geschweige denn überhaupt
diskutieren darf. Aber Bobby – und in diesem Zusammenhang lege ich Wert darauf
zu betonen, dass ich insofern allein den persönlichen Standpunkt von Bobby
Fischer wiedergebe - glaubt davon ausgehen zu können, dass er bloß sein Recht
auf freie Meinungsäußerung wahrgenommen hat.
Außerdem
hat Fischer die Anschläge vom 11. September 2001 als Lektion für die USA
begrüßt: eine weitere schwere Entgleisung, die ihm den Zorn der Amerikaner
eingebracht hat. Und die ein weiterer sehr schwerer Fehler gewesen ist …
… das denke ich auch, ja. Er
hätte seine Ansichten für sich behalten oder meinetwegen nur im privaten Kreis
äußern sollen. Er hätte darüber aber niemals öffentlich reden dürfen.
Wäre es
dann nicht an der Zeit, wenigstens diese anti-amerikanischen Ausfälle vor der
Welt und dem Volk der Vereinigten Staaten zurückzunehmen? Vielleicht könnte
Fischer so auch seinen Fall günstig beeinflussen?!
Dazu kann ich nichts sagen,
kein Kommentar.
Aus
Serbien-Montenegro soll es Signale geben, man könnte Fischer dort vielleicht als
politisch Verfolgten aufnehmen?
Das stimmt. Aber wie ich
gleichzeitig aus gewissen Quellen erfahren habe, versucht die US-Regierung nun,
das zu verhindern. Indem sie als Druckmittel das Geld einsetzt, mit dem sie
jährlich den Teilstaat Montenegro unterstützt.
Der
deutsche Schachpromoter Hans-Walter Schmitt, der sich besonders engagiert für
das von Fischer erfundene „Fischer Random Chess“ - und das neue Konzept unter
dem Namen „Chess960“ propagiert - hat eine Kampagne „Free Bobby Fischer“
gestartet …
… das habe ich im Internet
gelesen.
Schmitt
hat einen offenen Brief an Bundesinnenminister Otto Schily geschrieben und
angeregt, dass Deutschland den Ex-Weltmeister aufnehmen möge. Erste Reaktion aus
Berlin: Fischer solle sich direkt an die deutschen Behörden wenden. Haben Sie in
diese Richtung schon Schritte unternommen?
Wir versuchen, einen deutschen
Pass für Bobby zu bekommen, unter Hinweis auf seine deutschen Vorfahren. Wir
haben alle dafür notwendigen Dokumente vorgelegt und das deutsche
Außenministerium kontaktiert. Aber das alles geht sehr langsam: Momentan warten
wir auf eine Antwort.
Sie, Frau
Watai, haben angekündigt, dass Sie Bobby Fischer heiraten wollen. Wie lange
kennen Sie Ihren Verlobten?
Seit langer Zeit, seit 1973.
Und seit vier Jahren leben wir zusammen.
Davon hat
die Öffentlichkeit aber bisher nichts erfahren …
… weil wir unsere Beziehung
geheim gehalten haben.
Sie können
sich leicht vorstellen, dass böse Zungen nun unterstellen werden, Ihre
Heiratspläne seien bloß ein Trick, um Fischers Auslieferung an die USA zu
verhindern.
Sollen die Leute sagen, was
sie wollen. Wir glauben aneinander, und wir vertrauen einander. Er hat seine
Mutter verloren und seine ältere Schwester: er hat keine Familie mehr gehabt –
und jetzt sind wir zwei zusammen.
Sind Sie,
Frau Watai, schon früher einmal verheiratet gewesen?
Nein.
Jeder
weiß, dass Fischer kein leichter Mensch im Umgang ist. Er ist etwas exzentrisch
– trotzdem wollen Sie ihn heiraten?
Ja. Außerdem: Im Privatleben
ist er ganz anders, als ihn die Öffentlichkeit kennt.
Spielt er
noch immer Schach?
Ja, er mag Schach noch immer.
Sie beide
sind Schachspieler, Bobby Fischer und Sie, Frau Watai. Wie sollen wir uns eine
Ehe zwischen Ihnen beiden vorstellen: Wird das nicht eine äußerst spezielle
Beziehung werden – in der Sie beide im Wesentlichen ständig Schach spielen?
Das glaube ich kaum
(lacht).
Ohnehin
haben wir gehört, dass Bobby Fischer nur noch das von ihm erfundene „Fischer
Random Chess“ spielen soll; dabei werden bekanntlich die Anfangspositionen von
Offizieren und König von Partie zu Partie verändert.
Ja. Bobby sagt, das normale
Schach sei tot.
In Japan
ist eine eigene und wunderbare Schachvariante viel populärer als das
internationale Schach: Die heißt Shogi. Spielt Bobby
Fischer
jetzt auch Shogi?
Nein.
Das Shogi
interessiert ihn nicht?!
Nein! Er sagt, er sei zu alt,
um noch Shogi zu studieren.
Wie oft
sehen Sie Bobby Fischer?
Ich besuche Bobby jeden Tag im
Internierungszentrum. Das liegt zwei Fahrstunden von Tokio entfernt. Ich will
Bobby aufmuntern und ihm seelische Kraft geben.
Wie ist
seine Stimmung?
Er ist verzweifelt; denn die
ständige Drohung, dass er deportiert werden kann, heute oder morgen, belastet
ihn sehr stark. Er fürchtet um sein Leben, wenn er in amerikanische Haft kommt.
Der
Weltschachbund FIDE schweigt zur Verhaftung seines ehemaligen Weltmeisters. Ist
es nicht beschämend, dass sich FIDE-Präsident Kirsan Iljumschinow nicht dazu
aufraffen kann, ein Wort der Verteidigung für Bobby Fischer zu finden?
Ich stimme Ihnen zu: Das ist
eine Schande, wie sie Bobby behandeln. Obwohl er so viel für das Schach getan
hat: Er hat sein ganzes Leben für Schach geopfert.
Sie sind
Präsidentin der Japanischen Schachverbandes. Wenn Sie Herrn Fischer heiraten und
ein drittes Land nimmt dann Ihren Ehemann als Asylanten auf: Würden Sie, Frau
Watai, Ihrem Mann folgen und Japan tatsächlich verlassen?
Eins nach dem anderen: Darüber
können wir später nachdenken.
Wie
schätzen Sie die Lage insgesamt ein: Sind Sie optimistisch, dass Fischers
Auslieferung an die USA verhindert werden kann?
Wir wollen den Kampf gewinnen,
deswegen muss ich Optimistin sein. Andernfalls haben wir bereits von vorneherein
verloren.
Interview:
Dr. René Gralla