Robert Hübner als
Schachhistoriker und Simultangeber in Berlin
Von Dagobert Kohlmeyer
Robert Hübner ist immer
für eine Überraschung gut. Bei einem zweitägigen Gastspiel in Berlin
erklärte er seine aktive Schachlaufbahn als beendet. Noch bis 2006 im Kader
des Bundesliga-Primus OSC Baden-Baden zu finden, gehört der Doc heute keinem
Verein mehr an. Dass die DSB-Teams gerade auf dem Weg nach Kreta zur Team-EM
waren, nahm Hübner mit Erstaunen zur Kenntnis, ihn interessiert jetzt mehr
die Vergangenheit des Schachs. Robert beschäftigt sich nach seinen eigenen
Worten nur noch mit der Schachgeschichte.
Gesagt, getan. Am
ersten Abend lauschte ein erlesenes Publikum im Dorland Haus am
Leuschnerdamm im Berliner Stadtbezirk Kreuzberg dem ehemaligen
WM-Kandidaten, der im Gespräch mit Paul Werner Wagner über Emanuel Lasker
und andere historische Persönlichkeiten des Schachs referierte. Die Lasker
Gesellschaft hat seit Ende 2005 ihr Domizil im Dorland Haus und ihre Räume
erst vor kurzem umgestaltet.

Schachfreund Ulrich
Fitzke informierte über einen launigen Abend, an dem knapp
40 Interessenten dem Dialog von Moderator Wagner
und Hübner folgten. Zu Beginn wurde klargestellt, dass im Gespräch mit
Hübner ausschließlich historische Themen behandelt werden sollten.

Michael Müller (Neues Deutschland) und Paul-Werner Wagner
„Wagner
bezeichnete den Gast bei der Begrüßung als zweitgrößten deutschen
Schachspieler aller Zeiten nach Lasker. Der so Geehrte protestierte
erschrocken mit dem Hinweis auf den noch besseren Siegbert Tarrasch. Es
folgten Betrachtungen über die Entwicklung des jungen Lasker und über den
WM-Kampf 1894 zwischen Steinitz und Lasker. Hier sei Steinitz im ersten und
dritten Drittel Lasker durchaus ebenbürtig gewesen (je 3:3), aber in der
Mitte des WM-Duells hatte sich Lasker mit 6:1 durchgesetzt, so dass dieser
Kampf um die Schachkrone in drei nordamerikanischen Städten insgesamt mit
12:7 endete. Aber auch die Rolle von Carl Schlechter wurde gewürdigt, dessen
fehlende Aggressivität zu vielen Remisen führte und der durch diese
Grundeinstellung keine Chance auf den Schacholymp besessen hatte.“
Verwiesen
wurde auf Laskers Langlebigkeit als Schachprofi, der auch nach dem Verlust
des WM-Titels im Jahre 1921 noch weiter zur Weltspitze gehörte. Weil er das
Spiel auch aus psychologischer Sicht als Kampf zweier Charaktere
betrachtete. Die philosophischen Leistungen Laskers schätzte Hübner als
nicht so bedeutend ein. Ähnliches hatte der Doc schon im Januar 2001 bei
seinem viel beachteten Vortrag zur Lasker-Konferenz in Potsdam festgestellt.
Das aktuelle Schachgeschehen wurde an diesem Abend nicht besprochen. Die
Zuschauer konnten zwar Fragen stellen, aber persönliche Dinge blockte Hübner
wie erwartet ab. Ihm sei es zeitlebens immer nur um die Faszination des
Schachs gegangen, nie aber um damit verbundenen Ruhm oder gar um finanzielle
Aspekte. Er wurde gefragt, ob er bei den WM-Kandidatenmatches der siebziger
Jahre Freude oder Triumphgefühle wegen seiner großen Erfolge gehabt habe.
Das verneinte er nach einigem Nachdenken und räumte lediglich ein, dass es
ihm Genugtuung gewesen ist, gegen zugegebenermaßen geistvolle Spieler
antreten zu dürfen. Er fand auch, dass Schach mehr der Kultur als dem Sport
zuzuordnen sei.
Bei der
häuslichen Analyse von Schachpartien arbeitet Hübner zunächst ohne Computer,
prüft aber anschließend sein eigenes Denken unter Anwendung der Technik
nach. „Das mag zeitraubender sein, als wenn man gleich zur Elektronik
greift, aber auf diesem Wege dringt man tiefer in die Partie ein“, sagte er.
Einen Tag später gab es dann an
gleicher Stelle eine Simultanveranstaltung. Zu Beginn teilte Werner Wagner
mit, dass Hübner derzeit mit einem internationalen Team an einer
Lasker-Biographie arbeitet. Die Organisation des Projekts hat Michael Negele
aus Leverkusen übernommen, der Hübner in Berlin begleitete. Michael
überreichte dem Hausherren Stefan Hansen (Dorland und Lasker-Gesellschaft)
die Zweitausgabe von Tarraschs Buch „Das Großmeisterturnier zu St.
Petersburg 1914“.

Lasker-Biographie
mit sicheren Fakten
Während die
Simultan-Vorstellung lief, erläuterte Michael Negele uns das neue
Buchprojekt von Hübner & Co näher.

Michael Negele
„Lasker Biographie“
lautet sein Arbeitstitel. Wie es dann endgültig heißen wird, entscheiden die
Autoren am Schluss. Die Idee stammt von Stefan Hansen. Als im Oktober 2005
die Räume der Lasker-Gesellschaft eingeweiht wurden, erklärte ich mich
bereit, die Organisation des Projekts zu übernehmen. Das Buch besteht aus
drei Teilen: ein biographischer, ein schachlicher und eine Partiesammlung.
Die Biographie wird das Leben Laskers in all seinen Facetten zeigen,
und zwar chronologisch.
Wie wird sich euer
Projekt von der bekannten Hannak-Biographie unterscheiden?
Ich hoffe, in ihrer
Objektivität und in der Standfestigkeit der Fakten. Alles wird noch einmal
recherchiert. Wobei ich sagen muss, dass auch das Buch von Dreyer/Sieg, das
kurz vor der Potsdamer Lasker-Konferenz 2001 herauskam, eine sehr solide
Datenlage geschaffen hat. Aber dieses Werk ist eben sehr wissenschaftlich
und damit für den historischen Laien schwer lesbar.
Ihr wollt es für ein
breiteres Publikum schreiben?
Es soll ein Schachbuch
sein, das für einen breiten Kreis gedacht ist. So möchte es Stefan Hansen (Lasker
Gesellschaft), der das Projekt unterstützt. So ist es auch aufgebaut. Es
soll Emanuel Laskers Persönlichkeit möglichst verständlich darstellen. Auch
seine Philosophie, so dass auch du und ich es lesen wollen und wir es nicht
beiseite legen und sagen: „Was soll ich damit?“
Wer sind die
wichtigsten Autoren?
Unser Team ist recht
groß, es umfasst 18 Leute. Die Biographie schreibt Johannes Fischer, den
Schachteil Robert Hübner. Die Partiensammlung wird von Raj Tischbierek
betreut. Das sind die schachlichen Pfeiler. Dann gibt es einzelne Beiträge
von bekannten Schachhistorikern aus aller Welt. Sie kommen vor allem aus den
Ländern, wo Lasker gelebt hat, also Polen, Deutschland, Niederlande,
England, Russland, USA. Das erschien uns ganz wichtig, damit nicht nur ein
deutscher Blickwinkel auf Emanuel Lasker gesetzt wird. Die Palette reicht
von John Hilbert (USA) über Toni Gillen (England) bis zu Isaak Linder
(Russland). Alles berühmte Namen, die für Qualität bürgen.
Im Nebenraum sprachen
indessen die Figuren. Hübners Simultan hatte Schachfreunde unterschiedlicher
Stärke nicht nur aus Berlin. 18 Amateure wagten den Kampf gegen den früheren
WM-Kandidaten, der seine große Karriere zwar beendet hat, aber die
Holzklötzchen noch immer gern zu einem guten Zweck bewegt.

In gespannter Erwartung

Dr. Robert Hübner

Stefan Hansen
Neben dem Vorsitzenden
der Lasker-Gesellschaft Paul Werner Wagner hatten bekannte Berliner
Schachfreunde wie Hans-Peter Ketterling oder Bernhard Riess sich auf das
Spiel mit Hübner eingelassen.

Paul-Werner Wagner (li.)

Hans-Peter Ketterling (li.)
Als erster Teilnehmer
musste Professor Stefan Edlich schon nach einer halben Stunde die
Überlegenheit des Großmeisters anerkennen.

Professor Stefan Edlich (li.)
Der ehemalige Zehlendorfer Klubspieler, er lehrt Informatik an der TFA
Berlin, kommt heute kaum noch zum Spielen und ist darum etwas aus der Übung.
In der Eröffnung hatte sich Schachfreund Edlich einen Patzer erlaubt, sein
Läuferausflug nach f5 und die anschließenden Züge sind nicht zur Nachahmung
empfohlen: 1.d4 d5 2.c4 c6 3.Sc3 Sf6 4.Sf3 Lf5 5.Db3 b6 6.cxd5 cxd5 7.Se5 e6
8.e4 Lxe4 9.Lb5+ Sbd7 10.Sxe4 dxe4 11.Lg5 (Schwarz ist an Händen und Füßen
gefesselt) 1-0
Deutlich besser erging
es dem Berliner Steffen Lohse, der sein Kommen vor dem Spiel so begründete:
„Mich begeistern Robert Hübners analytische Tätigkeit und seine tiefsinnige
Betrachtung des Schachs. Es ist eine Freude für mich, gegen so einen
scharfen Denker zu spielen“.

Steffen Lohse (li.)
Noch mehr freute sich
Steffen ein paar Stunden später, als er dem Schachidol nach interessantem
Partieverlauf einen halben Punkt abgeknöpft hatte. „Damit konnte ich vorher
natürlich nicht rechnen“. Steffen spielt in Berlin in der zweiten Mannschaft
von SV Osram Betriebsschach und hat eine DWZ von 1714. Apropos
Betriebsschach: Berlins Spielleiter und Webmaster Bernhard Riess war an
diesem Abend auch dabei, ohne dem Großmeister jedoch ein Bein stellen zu
können.
Den weitesten Weg hatte
Frank Jarchov, der von seinem Arbeitsort Ulm in die Hauptstadt gekommen war.

Frank Jarchov reiste aus Ulm an
Dem engagierten
Schachfreund imponieren vor allem Hübners konstante Leistungen über 30 Jahre
hinweg. „Darum bin ich heute extra von Ulm nach Berlin gereist, um gegen ihn
spielen zu können. Ich habe nur 1345 DWZ und deshalb so gut wie keine
Chance. Es wird ein harter Kampf für mich“.
Die Sportfreunde
Nord-Ost Berlin waren gleich mit drei Spielern angetreten, und ihr Bester,
Jens-Uwe Jaeschke (DWZ 2175), schaffte ein Remis. Held des Abends aber war
Patrick Böttcher (Zitadelle Spandau, DWZ 2116), der Robert Hübner bezwingen
konnte. 15 Siege waren dennoch standesgemäß für den „nichtaktiven“
Großmeister.