Good
Morning, Germany!
Von Bernd Rosen
Mit einem kräftigen und langgezogenen „Good Morning,
Vietnam!“ begrüßte Robin Williams in dem gleichnamigen Film als Radiomoderator
seine Hörer. In der Folge hatte er immer mehr Probleme damit, sein Auditorium
mit schmissigen Hits und positiven Stories bei Laune zu halten und die
schmutzige Wirklichkeit des Krieges auszublenden – ich hoffe, im Verlauf dieses
Turnieres nicht ähnliche Schwierigkeiten zu haben, gute Nachrichten zu
verbreiten. Bis jetzt fällt es mir leicht, denn alle sind wohlbehalten in
Vietnam angekommen und die Stimmung ist gut.
Alle sind gut angekommen? - Fast alle. Ein Bisschen
Schwund ist immer, und das traf auch auf unsere Delegation zu. Ein für vier
Turnierteilnehmer engagierter Privattrainer kam ohne Reisepass zum Flughafen in
Frankfurt („So etwas besitze ich gar nicht!“) und musste zu Hause bleiben.
Inzwischen kam die Nachricht, dass er die nötigen Formalitäten inzwischen
erledigt hat und morgen nachkommen wird.
Der Rest der Truppe traf gestern nach einem ruhigen Flug
planmäßig in Ho Chi Minh City ein, wie das frühere Saigon heute heißt. Gleich
vier freundliche junge Damen empfingen uns am Flughafen:
Auch unseren Teilnehmerinnen waren die Strapazen der
Anreise nicht anzumerken:
Sonja Bluhm – Diana Hannes
Ein Erlebnis für sich war die anschließende Busfahrt zum
Hotel. Eine unüberschaubare Flut von zwei- und vierrädrigen Fahrzeugen ergoss
sich mit ohrenbetäubendem Lärm durch die Straßen. Ein Gaspedal und eine Hupe –
mehr braucht es ja eigentlich auch nicht, um vorwärts zu kommen. Vier Personen
auf einem Motorrad, Hund auf dem Motorrad, Frau auf dem Sozius mit Baby im
Schoss, Rikscha mit fünf Fahrgästen in einem Korb, in dem bei uns zu Hause
vielleicht ein Hund Platz fände ... das alles und noch viel mehr haben wir mit
Faszination und Grauen aus der sicheren Höhe unseres Sitzplatzes im Bus
beobachten können.
Anschließend großer Empfang im Hotel, Gläser mit Fruchtsaft
wurden gereicht (hieß es nicht, Eiswürfel können auch schon gefährlich sein? -
zu spät!), ein Kamerateam filmte unsere Ankunft, ein Dolmetscher stand bereit –
ein beeindruckendes Zeichen der vietnamesischen Gastfreundschaft, von der ich
schon vorher viel gehört und gelesen habe.
Training, Erholung und Anpassung an die wirklich tropischen
Temperaturen standen für heute auf dem Programm. Am Nachmittag warfen wir dann
einen ersten Blick in den Turniersaal. „So tolle Rahmenbedingungen habe ich noch
nicht gesehen!“ lautete der spontane Kommentar von Großmeister Thomas Pähtz, als
er die Halle sah, in der die Vorbereitungen für die Eröffnungsfeier auf
Hochtouren liefen. Rund um das Gebäude, das anscheinend nagelneu ist, sind noch
einige Arbeiten im Gange. Hier noch einige Eindrücke vom ersten Tag:
Auch wenn das Turnier erst morgen beginnt, so können wir uns über mangelnde
Abwechslung nicht beklagen. Ein ereignisreicher Tag begann zunächst jedoch mit
Warten: Auf einen Bus, der uns zur Akkreditierung bringen sollte, dann aber doch
nicht kam. Nach einer guten Stunde stellte sich plötzlich heraus, dass es doch
ausreicht, wenn der Delegationsleiter mit den Passfotos alleine zum Turnierbüro
fährt. Die gewonnene freie Zeit nutzte Thomas Pähtz zu einer Erforschung der
näheren Umgebung. Hier ein malerischer Schnappschuss vom Hafen:
Delegationsleiter Hartmut Jorczik und ein unverhofft zum „Technical
Officer“ beförderter Bernd Rosen fuhren am Nachmittag zur Willkommensparty des
Organisationskomitees. Der Sportminister, der Präsident der Provinz Vung Tau,
FIDE-Generalsekretär Ignatius Leong, der Vorsitzende des vietnamesischen
Schachverbandes und weitere Würdenträger hatten zu einem Umtrunk mit kaltem
Büffett eingeladen. Auch die gefürchteten Reden der Offiziellen waren angenehm
kurz von geringer Anzahl, als der Provinzpräsident zum zweiten Mal das
Rednerpult erklomm, schwante mir Böses, aber er beschränkte sich darauf, das
Büffett für eröffnet zu erklären.
Ungewohnt für mich war die Anwesenheit zahlreicher
aktueller und (pardon, offensichtlich) ehemaliger Schönheitsköniginnen, darunter
zu meinem großen Erstaunen auch zwei Blondinen. Ob es sich um echte Blondinen
oder echte Vietnamesinnen handelt, war nicht zu klären.
Ich freundete mich derweil mit meiner Kollegin als „Technical
Officer“ aus dem Jemen an: Die achtjährige Nadya Ahmed Salah und ihr Vater sind
die einzigen Vertreter ihres Heimatlandes bei diesem Turnier. Vermutlich hat der
Vater einfach Glück, dass er wenigstens nach Außen hin der Chef sein darf...
Hier also ein Gruppenfoto der kompletten Delegation aus dem Jemen:
Währenddessen plauderte Hartmut Jorczik mit GM Stellan
Brynell von der schwedischen Delegation, die erst kurz vorher vor Ort
eingetroffen war.
Auch die übrigen deutschen Teilnehmer machten sich auf den
Weg zur Eröffnungsfeier:
Was dann über uns hereinbrach, ist kaum zu beschreiben –
keiner von uns erinnert sich, ähnliches erlebt zu haben. Zunächst begrüßten uns
zu beiden Seiten des Weges Drachen, die begleitet von einem ohrenbetäubenden
Trommelwirbel wild umhertanzten.
Die Halle, in der das Turnier stattfindet, war hell
erleuchtet und mit riesigen Transparenten geschmückt.
Eine lange Schlange weißgekleideter junger Mädchen – es
müssen weit über hundert gewesen sein – bildeten links und rechts ein Spalier
und winkten uns freundlich zu.
Ein riesiger Fesselballon schwebte vor der Halle.
Die Zuschauerränge der riesigen Halle waren bis auf den
letzten Platz besetzt.
Erneut schloss sich eine lange Wartezeit an, die selbst für
unsere DEM-gestählten Teilnehmer eine harte Probe darstellte. Schließlich bat
die Moderatorin um fünf Minuten weitere Geduld, man warte auf den Beginn der
Liveübertragung der Veranstaltung im vietnamesischen Fernsehen. Wie bei der DEM
bewährt, führte ein Moderatorenduo durch die Veranstaltung. Ich denke, Jörg
Schulz und Raphael Müdder werden sich, wenn sie diese Bilder sehen, im nächsten
Jahr auch ein wenig mehr aufbrezeln!
Danach reihte sich eine farbenprächtige Darbietung an die
nächste: Akrobatik, Tanz, noch einmal die Schönheitsköniginnen („war das
eigentlich eine Modenschau?“), eine Kapelle, Auftritte der popolärsten
vietnamesischen Musiker – wirklich unglaublich!
Stolz gaben die Moderatoren bekannt, dass insgesamt 1600
Personen (Teilnehmer und Begleiter) an dieser Meisterschaft teilnehmen.
Stellvertretend für die fünf Kontinente Amerika, Asien, Afrika, Europa und
Australien kamen je ein Vertreter auf die Bühne.
Beim Verlassen der Halle war Fahnenträger Julian Jorczik
plötzlich umringt von einer Schar junger Vietnamesinnen, die ihn um seine
Emailadresse baten – dabei hatte es vorher sanften Druckes bedurft, ihn zur
Übernahme dieses ehrenvollen Amtes zu bewegen („Blasen am Fuss“ waren seine im
wahrsten Sinne des Wortes lahme Ausrede).
Anschließend kamen wir gerade rechtzeitig, um ein
gigantisches Feuerwerk zu bewundern.
Die Eröffnungsfeier, vermutlich aber vor allem das
Feuerwerk, zog die Bevölkerung von Vung Tau in Massen an – es müssen
zehntausende gewesen sein, die zu Fuß und in Fahrzeugen aller Art angereist
waren, um diesem Spektakel beizuwohnen. Auch der Verkehrsstau nach der
Veranstaltung war riesig – die Polizei bahnte uns schließlich eine Gasse durch
die dichte Masse der Motorräder, sonst wären wir nicht zu unserem Bus gelangt.
Und das alles aus Anlass eines Schachturniers!
Leider wurde Stimmung in unserer Gruppe durch einen
ernsthaften Zwischenfall arg getrübt: Herrn Osmanodja wurde im Gedränge die
Geldbörse mit einem größeren Geldbetrag und sämtlichen Papieren gestohlen. Sehr
ärgerlich! Doch die Extreme an diesem Abend lagen dicht beieinander. Es stellte
sich heraus, dass Jonathan Carlstedt an diesem Tag 18 Jahre alt geworden war –
hier das Geburtstagskind , daneben der Autor dieser Zeilen.
Abschließend noch weitere Fotos dieser denkwürdigen
Eröffnungsfeier:
Bericht: Bernd Rosen
Fotos: Thomas Pähtz, Bernd Rosen