Polnische
Extra-Liga 2012
Von Beata Kadziolka
Fotos:
Sylwia Rudolf
Die
ersten drei Runden der polnischen QUATRA Mannschaftsmeisterschaften fanden vom
4. bis 6. Mai in Warschau statt. Der Turniersaal war Teil des modernen
Olympiazentrums, das Schachfans durch die Europäischen
Schnellschachmeisterschaften 2005 kennen. Im letzten Jahr wurde der Modus der
polnischen Extra-Liga geändert und seitdem wird in drei Intervallen gespielt. In
jedem Intervall absolvieren alle Mannschaften drei Wettkämpfe, Gastgeber sind
jeweils die Medaillengewinner des Vorjahres. Das nächste Intervall folgt vom 14.
bis 16. September in Gorzów Wielkopolski (letztes Jahr Gewinner der
Bronzemedaille) und das letzte Intervall schließlich vom 28. bis 30. September
in Kattowitz (dem Silbermedaillengewinner des letzten Jahres). Sponsor des
ersten Intervalls war das Biuro Informacji Kredytowej BIK
(Kreditinformationsbüro), während QUATRA Namensgeber und Sponsor des gesamten
Turniers ist. Nach drei Runden liegen Wasko HetMan Szopienice Katowice und
Baszta Żnin in Führung.
In
den 90er Jahren beherrschten zwei Vereine die polnische Schachszene: Stilon
Gorzów Wielkopolski (Stilon gewann sechs Mal Gold und einmal Bronze) und Polonia
Warszawa (zwei Goldmedaillen, vier Silbermedaillen und einmal Bronze). Mit dem
Gewinn der Meisterschaft 1999 begann dann die Vorherrschaft von Polonia, bis
2007 Seriensieger der Mannschaftswettbewerbe. Mit Wasko HetMaN Szopienice
Katowice tauchte 2007 jedoch ein starker Rivale auf, denn diese Mannschaft
gewann die Liga 2007, 2008 und 2010, während Polonia die übrigen Jahre gewann.
Vor
dem Start des diesjährigen Turniers galten Wasko (Elo-Durchschnitt 2591) und
Polonia Warszawa (2575) als klare Favoriten, denen lediglich von Polonia Votum
Wrocław (2558) Gefahr drohte. Weitere Medaillenkandidaten waren Stilon Gorzów
Wielkopolski (2501), Pasjonat Dankowice (2499) und Baszta MOS Żnin (2462). Die
Elo-Zahlen der oben erwähnten Mannschaften wirken nicht sehr eindrucksvoll, aber
man sollte nicht vergessen, dass jede Mannschaft aus fünf Herren- und einem
Damenbrett besteht. Außerdem gehört Polen zu den wenigen Ländern in Europa, in
denen nur eine begrenzte Zahl von ausländischen Spielern spielen darf – bei
jedem Wettkampf darf in jeder Mannschaft nur ein einziger ausländischer Spieler
antreten. Diese Regel führt einerseits dazu, dass das Gesamtniveau niedriger
ist, da nur wenige ausländische Spitzenspieler "importiert" werden können
(anders als in der Bundesliga, wo unbegrenzt viele ausländische Spieler antreten
dürfen), aber anderseits sind die Vereine so gezwungen, in einheimische Spieler
und junge Talente zu investieren. Zu den Top-Spielern zählen Radosław Wojtaszek
(2717, Polonia Wrocław), David Navara (2706, Wasko), Mateusz Bartel (2677,
Polonia Wrocław), Yuriy Kryvoruchko (2676, Stilon), aber der Star der
diesjährigen QUATRA Extra-Liga ist zweifellos GM Anna Muzychuk (2598), die für
Polonia Warszawa eine enorme Verstärkung darstellt. Vergleicht man die
diesjährigen Mannschaftsaufstellungen mit denen des Vorjahres, so stellt man
fest, dass sie beinahe identisch sind, und nur Polonia Warszawa beschlossen hat,
ihr Frauenbrett mit Anna Muzychuk und Karina Szczepkowska‑Horowska zu
verstärken. Alles in allem treten in der Liga 32 GMs (zwei davon mit einer
Elo-Zahl von über 2700 und zehn mit einer Elo von über 2600) an, außerdem sind
21 IMs, 11 WGMs (darunter zwei GMs und zwei IMs) und 4 WIMs dabei. Die
Mannschaftsaufstellungen waren schon veröffentlicht und Schachfans freuten sich
bereits, da kündigte die Mannschaft von Pasjonat Dankowice, der man durchaus
Medaillenchancen eingeräumt hatte, kurz vor Beginn der Meisterschaften am 1. Mai
überraschend ihren Rückzug an. Da der 1. und der 3. Mai in Polen Feiertage sind,
hatten die Organisatoren Mühe, einen Ersatz zu finden. Etliche Vereine winkten
ab, doch am Ende ging der frei gewordene Platz in der QUATRA Extra-Liga an die
Mannschaft Wrzos Międzyborów, die letztes Jahr von der zweiten in die erste Liga
aufgestiegen war.
Das
erste Intervall der QUATRA Extra-Liga wurde vom Vorjahressieger Polonia Warszawa
im Warschauer Olympiazentrum organisiert. Die Spielbedingungen waren
ausgezeichnet, der Turniersaal war geräumig und offen für Zuschauer. Alle
Partien wurden ins Internet übertragen und zusätzlich wurden die wichtigsten
Partien auch noch auf einem großen Monitor in der Halle gezeigt, so dass die
Fans immer sehen konnten, was auf den Brettern vor sich ging. Parallel zum
Mannschaftswettbewerb fand ein großes Kinderturnier statt. Die Verbindung zweier
solcher Turniere muss die Organisatoren vor einige Herausforderungen gestellt
haben, aber die Mühe hat sich mehr als gelohnt. Hunderte von Zuschauern
verfolgten die Partien der QUATRA Extra-Liga, darunter sehr viele Kinder, die
das erste Mal in ihrem Leben einen leibhaftigen Großmeister am Brett bewundern
konnten. Wenn man allerdings weiß, dass diese Turniere von Maria Macieja
organisiert wurden, dann wundert man sich nicht über die gute und erfolgreiche
Organisation. Macieja hat bereits größere Turniere wie die Europäischen
Schnellschach- und Blitzmeisterschaften organisiert und man kann ruhigen
Gewissens sagen, dass sie die Schachfans an sehr gute Organisation gewöhnt hat.
Runde 1
Der
wichtigste und spannendste Wettkampf der gesamten Extra-Liga wurde bereits in
der 1. Runde gespielt, als Polonia Warszawa und Wasko HetMaN Szopienice
aufeinander trafen. Auf dem Papier waren sich die Mannschaften ziemlich
ebenbürtig:
Wasko Polonia
1.
Navara (2706) B. Macieja (2614)
2.
B. Soćko (2635) G. Gajewski (2622)
3.
K. Mitoń (2622) R. Kempiński (2606)
4.
P. Bobras (2550) M. Olszewski (2522)
5.
K. Bulski (2543) T. Warakomski (2489)
6.
M. Soćko (2484) A. Muzychuk (2598)
Vor
dem Wettkampf hoffte Wasko wahrscheinlich auf einen Punkt am Spitzenbrett,
während Polonia auf das Frauenbrett setzte. Doch der Turnierauftakt verlief für
den Gastgeber nicht so wie erhofft. Obwohl es Anna Muzychuk am Frauenbrett
tatsächlich gelang, Monika Soćko zu überspielen, revanchierte sich Wasko an den
Brettern 2, 3 und 5 und gewann den Wettkampf am Ende mit 4-2. Die
Medaillenaspiranten Polonia VOTUM Wrocław und Stilon Gorzów Wielkopolski
gewannen nach hartem Kampf beide nur knapp mit 3,5-2,5. Die Mannschaften von
Baszta MOS Żnin und IMPACT TEAM Ostróda kamen hingegen beide zu klaren 5-1
Siegen und setzten sich damit nach der ersten Runde an die Spitze.
David Navara
Runde 2
Der
interessanteste Wettkampf der zweiten Runde war die Begegnung zwischen Polonia
Wrocław und Wasko, wobei die Mannschaft von Polonia durch das Fehlen von
Radosław Wojtaszek geschwächt war und im Wettkampf wenig zu sagen hatte.
Natürlich ist Polonia Wrocław sehr stark und mit Spielern wie Wojtaszek,
Mastrovasilis, Świercz, Zawadzka, dem amtierenden polnischen Meister Bartel und
der amtierenden polnischen Meisterin Rajlich, wurden ihr gute Chancen auf den
ersten Platz eingeräumt, aber ihre Spielerdecke ist ziemlich dünn, und wenn ein
guter Spieler nicht antreten kann, dann leidet das ganze Team. Da Wojtaszek
fehlte, trat ein talentierter Jugendlicher mit einer Elo-Zahl von 2300 an Brett
4 an, während Iweta Rajlich das Frauenbrett mit einem Platz am Männerbrett
tauschte, aber das reichte nicht aus. Die Partien an den ersten drei Brettern
endeten zwar alle Remis, aber an den Brettern vier bis sechs dominierte Wasko
mit drei Siegen, die Wasko am Ende einen klaren 4,5-1,5 Erfolg einbrachten.
Jacek Tomczak
Eine
weitere interessante Begegnung war die zwischen Stilon und Baszta Żnin – zwei
Mannschaften, denen man durchaus Chancen auf eine Medaille einräumte. An Brett 1
strebte der nach Elo schlechtere GM Mirosław Grabarczyk gegen Yuriy Kryvoruchko
zielsicher eine vollkommen ausgeglichene Stellung an, die wie vier weitere
Partien Remis wurde. Den einzigen Sieg des Wettkampfes gab es am dritten Brett:
Hier vernichtete Paweł Jaracz seinen Gegner Kacper Piorun und sicherte Baszta
damit einen 3,5-2,5 Erfolg.
Bartosz Socko
Polonia Warszawa hingegen überrannte den Gegner mit 5,5-0,5. Die spannendste
Partie des Wettkampfs wurde am Damenbrett zwischen Anna Muzychuk und Anna
Szewczak gespielt. Vielleicht hat Muzychuk ihre mehr als 500 Elo-Punkte
schwächere Gegnerin ein wenig unterschätzt, denn am Ende musste sie mehr als 70
Züge lang kämpfen, um den ganzen Punkt zu bekommen. In den anderen Wettkämpfen
der Runde gewann AZS Politechnika Poznańska Pocztowiec 4-2 gegen IMPACT TEAM
Ostróda und ROTMISTRZ TWOJA SZKOŁA Grudziądz gewann gegen NADNARWIANKA Pułtusk
und zwar ebenfalls mit 4-2.
Iweta Rajlich
Runde 3
Die
dritte Runde brachte eine weitere Spitzenpaarung zwischen zwei Polonias. Dieses
Mal hatte die Mannschaft aus Wrocław durchaus gute Chancen. So zeigte sich
Mateusz Bartel, der dieses Jahr bereits das Aeroflot-Open und die Polnische
Meisterschaft gewonnen hatte, weiter in phantastischer Form und überspielte
Macieja auf hübsche Weise.
Bartlomiej Macieja
Genauso hübsch war allerdings der Sieg von Gajewski
an Brett zwei, der gegen Dariusz Świercz, den amtierenden U-20 Weltmeister,
gewann. An dreien der vier restlichen Bretter waren die Stellungen zu diesem
Zeitpunkt mehr oder weniger ausgeglichen, und so ruhten die Hoffnungen auf Iweta
Rajlich, die gegen Tomasz Warakomski, der sich in schwerer Zeitnot befand, zu
einer phantastischen Stellung mit zahlreichen Angriffsmöglichkeiten gekommen
war. Als alle schon mit einem Sieg Iwetas rechneten, verlor sie jedoch den
Faden, büßte ihren Zeitvorsprung an und ließ zu, dass ihre Dame gefangen wurde.
Erwähnt werden sollte auch die Partie zwischen Muzychuk und Zawadzka.
Muzychuk-Socko
In einem
‘Igel’ verfügte Muzychuk über typischen Raumvorteil, aber Zawadzka konnte mit
dem Vorstoß …d5 und gefälligen taktischen Motiven kontern und die Initiative
übernehmen. Doch nach einer Reihe erzwungener Abtäusche vereinfachte sich die
Stellung zu sehr, um der polnischen Großmeisterin ernsthafte Siegeschancen zu
geben. So lautete das Ergebnis am Ende The result 3,5-2,5 for Polonia Warszawa.
Krasenkow, Kadziolka
In
den anderen Wettkämpfen überrannten Wasko, Stilon und Baszta ihre Gegner jeweils
mit 4,5-1,5, wobei der 5-1 Sieg von Politechnika Poznańska Pocztowiec allerdings
noch eindrucksvoller war.
Partien:
Turnierseite:
www.ligaszachowa.pl
Ergebnisse:
http://chessarbiter.com/turnieje/2012/tdr_1038/
Zusammenfassung
Nach
den ersten drei Runden führen Wasko und Baszta Żnin die Tabelle mit je drei
Siegen an. Aber die Leistung von Wasko ist wohl etwas höher zu bewerten, denn
das Team holte seine Punkte in Direktbegegnungen gegen seine größten Rivalen.
Baszta hingegen hat es erst in den nächsten Runden mit den Favoriten zu tun. Den
dritten Platz teilen sich drei Mannschaften: Politechnika Poznańska Pocztowiec,
Polonia Warszawa und Stilon Gorzów Wielkopolski, wobei Polonia bereits gegen
Wrocław und Wasko gespielt hat. Für Polonia VOLTUM Wrocław könnten sich die
Dinge noch zum Guten entwickeln, denn sie haben zwar gegen die Favoriten
verloren, aber immer noch Chancen auf eine Medaille, da sie in den nächsten
Runden wieder durch ihr Spitzenbrett Radosław Wojtaszek verstärkt werden. Alle
nicht erwähnten Mannschaften kämpfen um den Verbleib in der Extra-Liga, wobei
IMPACT und ROTMISTRZ Grudziądz, die jeweils drei GMs in ihren Reihen haben,
damit eigentlich keine Probleme haben sollten.
Wlodomierz Schmidt
Auch
etliche Einzelergebnisse verdienen Erwähnung: Paweł Jaracz kommt auf 3 Punkte,
Mateusz Bartel, Andrei Maksimenko und Marcin Szleąg jeweils auf 2,5. Am
Frauenbrett hat Anna Muzychuk 2,5 Punkte erzielt, während alle anderen Frauen
einen Punkt oder mehr abgegeben haben. Das zeigt, dass das Niveau am letzten
Brett in etwa ausgeglichen ist – ganz anders als in den letzten zehn Jahren, in
denen Monika Soćko und Iweta Rajlich die Mannschaftswettbewerbe am Frauenbrett
dominierten und regelmäßig 8,5 oder 8 aus 9 erzielt haben.
Alles in allem, Schachfans, die sich entscheiden, einen sonnigen Mai-Nachmittag
im Olympiazentrum zu verbringen, werden es nicht bedauern. Es gab keine
schnellen Remispartien, da ein Remis vor dem 40. Zug nicht erlaubt war. Die
meisten Partien waren spannend und umkämpft und die Zuschauer sahen nicht nur
wunderschöne Angriffe und Verteidigungen, sondern auch komplizierte Endspiele.
Obwohl sich in der Mehrzahl der Partien die Favoriten durchsetzten, aber es gab
dennoch eine Reihe hübscher Überraschungen. Was die Ergebnisse betrifft, so
scheint Wasko bereits ausreichend Distanz zwischen sich und die Verfolger gelegt
zu haben, und viele glauben, dass andere Mannschaften nur noch auf ein Wunder
hoffen können, wenn sie Gold gewinnen wollen. Aber das wird man sehen. Die
entscheidenden Wettkämpfe werden im September gespielt.