Belgrad: Fischer düpiert Petrosian, Spassky vernichtet Larsen

von André Schulz
01.04.2020 – Der Wettkampf zwischen der UdSSR und dem Rest der Welt bot gestern einen ereignisreichen zweiten Spieltag. Robert Fischer gewann erneut gegen Tigran Petrosian. Boris Spassky spielte eine Glanzpartie gegen Bent Larsen. Der Däne nahm es sportlich. Die Weltauswahl unterlag erneut knapp.

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Das ist eine Wahnsinnsatmosphäre hier in Belgrad. Die Jugoslawen sind schon schachverrückt. Der große Saal im Dom Sindikat ist für 2000 Leute konzipiert. Vlastimil Hort, mit dem ich gestern vor der Runde kurz sprechen konnte, meinte, es seien jeden Tag mindestens 1000 mehr Zuschauer darin. Draußen vor dem Haus drängen sich noch einmal einige Hundert Zuschauer. Milan Bertok kommentiert in einem Nebenraum die Partien. Mit moderner Technik werden seine Kommentare auf Lautsprecher nach draußen übertragen, damit die Zuschauer dort auch verstehen, was da auf den Brettern vor sich geht. Das jugoslawische Atomzentrum hat eine hochmoderne Projektionsanlage bereitgestellt, mit dem die Brettstellungen auf einer Leinwand gezeigt werden.

Der Platz vor dem Haus heißt Marx-Engels-Platz. Das Andenken an die beiden deutschen Vordenker, die bekanntlich auch gerne Schach spielten, wird auch in Jugoslawien hoch gehalten, aber nicht so hoch wie anderswo. Josip Broz Tito geht mit seinem Land einen eigenen Weg und laviert es geschickt zwischen den beiden Blöcken hindurch. Doch viele Jugoslawen mit denen ich gesprochen habe fürchten, dass der Vielvölkerstaat nach Titos Tod, er ist jetzt 78 Jahre alt, wieder auseinander brechen werde. Zu unterschiedlich sind Geschichte und Kultur von Serben, Slowenen, Kroaten oder Bosniern.

Die Spieler im Dom Sindikat, die besten Spieler der UdSSR und der übrigen Welt, rechtfertigen mit ihren Partien das große Interesse. Am ersten Spieltag, es werden vier Runden gespielt, unterlag die Weltauswahl knapp mit 4,5:5,5. Wenn Lajos Portisch gegen Viktor Kortschnoj seine Chancen besser genutzt hätte, der Ungar stand auf Gewinn, dann wäre es Unentschieden ausgegangen.

Bobby Fischer glänzte mit einem Sieg über den Tigran Petosian. Die scheinbare Leichtigkeit, mit der der einstige "Wonderboy" aus den USA - inzwischen auch schon 27 Jahre alt, den Ex-Weltmeister wahrlich vom Brett fegte, ist beeindruckend. Wenn Fischer sich nicht bei vielerlei Gelegenheiten nicht selber im Wege gestanden hätte, müsste er schon längst Weltmeister sein.

Es ist ja eine große Überraschung, dass er hier überhaupt mitspielt. Das ist ein Erfolg von FIDE-Präsident Max Euwe, der Fischer sogar überreden konnte an Brett zwei zu spielen, weil der starrköpfige Bent Larsen das erste Brett nicht räumen wollte. Max Euwe hat bei seiner Aufstellung die neue Wertungsformel nach Professor Arpad Elo zugrunde gelegt. 

Das ist die aktuelle Liste:

 1 Fischer, Robert James g USA 2720
 2 Korchnoi, Viktor g URS 2670
 2 Spassky, Boris V. g URS 2670
 4 Geller, Efim P. g URS 2660
 5 Larsen, Bent g DEN 2650
 5 Petrosian, Tigran g URS 2650
 7 Botvinnik, Mikhail g URS 2640
 7 Polugaevsky, Lev g URS 2640
 9 Portisch, Lajos g HUN 2630
10 Smyslov, Vassily g URS 2620
10 Stein, Leonid g URS 2620
12 Hort, Vlastimil g CSR 2610
13 Keres, Paul g URS 2600
13 Taimanov, Mark E. g URS 2600
15 Krogius, Nikolai V. g URS 2590
15 Tal, Mikhail N. g URS 2590
15 Reshevsky, Samuel H. g USA 2590
18 Gipslis, Aivars g URS 2580
18 Gligoric, Svetozar g YUG 2580
20 Najdorf, Miguel g ARG 2570
20 Uhlmann, Wolfgang g GDR 2570
20 Bronstein, David I. g URS 2570
20 Furman, Semyen A. g URS 2570
20 Ivkov, Borislav g YUG 2570
25 Olafsson, Fridrik g ISL 2560
25 Kholmov, Ratmir D. g URS 2560
25 Savon, Vladimir A. m URS 2560
25 Evans, Larry M. g USA 2560
25 Matulovic, Milan g YUG 2560
30 Darga, Klaus g GER 2550

Man sieht, Fischer ist die klare Nummer eins. Er gab aber nach und hat ja auch in den letzten 18 Monaten nur eine Partie gespielt. Ich traf ihn im Hotel Metropol im Aufzug und fragte, was ihn dazu bewegt hätte, an Brett zwei zu spielen. "Ich muss mal meine Kopf untersuchen lassen," lautete seine Antwort.

Gestern, im zweiten Umgang des Wettkampfes, besiegte Fischer Tigran Petrosian dann erneut. In einer Englischen Eröffnung wählte Fischer einen flexiblen Aufbau.

 

Als dann ein weißer Bauer auf c5 auftauchte, fasste Fischer den einfachen Plan, diesen zu erobern. Gesagt - getan.

Ein paar Züge später:

 

22... Sxc5 23.Sxc5 Txc5 24.Txc5 Lxc5 25.Sd3 Lxd3 26.Dxd3 Td8 und Schwarz hat einen gesunden Mehrbauern. Später bekam Petrosian den Bauern zurück, hatte aber ein verlorenes Endspiel. Die technische Phase spielt Fischer unglaublich präzise.

 

53... Kd6 54.f4 Sd7 55.Lb1 Sc5 56.f5 Sa6 57.g4 Sb4 58.fxg6 hxg6 59.h5 gxh5 60.gxh5 Ke6 61.Kd2 Kf6 62.Kc3 a2 63.Lxa2 Sxa2+ 64.Kb2 Sb4 65.Kc3 Sc6 66.Kc4 Sd4 0-1

Eine beeindruckende Leistung. Zwischen Fischer und Petrosian steht es nun schon 2:0. Man kann für den Ex-Weltmeister nur hoffen, dass er nicht später einmal gegen Fischer in einem Wettkampf spielen muss. Er hätte wohl keine Chance.

Spassky und Larsen

Trotzdem gelang es gestern Boris Spassky Fischer die Show zu stehlen. Bent Larsen wollte die Bühne für eines seiner Eröffnungsexperimente nutzen. Doch der Schuss ging furchtbar nach hinten los. 

Die Partie ist so kurz, dass man sie fast im Kopf nachspielen kann:

Larsen-Spassky

1.b3 e5 2.Lb2 Sc6 3.c4 Sf6 4.Sf3? Der Beginn des kommenden Unglücks 4... e4 5.Sd4 Lc5 6.Sxc6 dxc6 7.e3 Lf5 8.Dc2 De7 9.Le2 0–0–0 10.f4 Sg4 11.g3 h5 12.h3

 

12... h4! 13.hxg4 hxg3 14.Tg1

 

14... Th1!! 15.Txh1 g2 16.Tf1 Dh4+ 17.Kd1 gxf1D+ 0–1

Eine Hinrichtung erster Klasse. 

Larsen war leider nicht der einzige der Weltauswahl, der eine Niederlage kassierte. Reshevsky unterlag Smyslov. Taimanov gewann erneut gegen Uhlmann. Und Keres besiegte Ivkov. Durch Najdorfs Sieg über Tal hält sich die Gesamtniederlage in Grenzen. 

Aus der sowjetischen Delegation hört man, dass Tal wohl nicht ganz auf der Höhe ist. Überhaupt scheint die Stimmung im sowjetischen Team nicht wirklich gut zu sein. Als er einmal an einem stillen Ort unbeobachtet war, berichtete mir einer der sowjetische Spieler, dass die Hälfte des UdSSR-Teams nicht mehr miteinander spricht.

Paus Keres

Die Weltauswahl liegt hinten und muss sich strecken.

Im jugoslawischen Fernsehen erschien dieser Tage das folgende Interview. Aber irgendwie geht das Gespräch am Thema vorbei.

 

Partien

 

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André Schulz, seit 1991 bei ChessBase, ist seit 1997 der Redakteur der deutschsprachigen ChessBase Schachnachrichten-Seite.

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