Belgrad: Knapper Sieg für die UdSSR

von André Schulz
03.04.2020 – Die letzte Runde des Wettkampf zwischen der UdSSR und einer Weltauswahl endete 5:5. Larsen (gegen Stein) und Uhlmann punkteten für die Welt, Smyslov und Keres für die UdSSR. Damit geht die Sowjetmannschaft als knapper Sieger mit 20,5:19,5 vom Tisch.

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Knapper Sieg für die UdSSR

Die Schlacht ist geschlagen. Es war tatsächlich ein einzigartiges intellektuelles Ringen der Schachgiganten. Die besten Spieler der Welt traten in einem Wettkampf UdSSR gegen den Rest der Welt an. Als Kampfplatz hatte man sich die jugoslawische Hauptstadt Belgrad ausgesucht  - neutraler Boden sozusagen.

Die UdSSR führte in ihrer Mannschaft nicht weniger als fünf Weltmeister ins Feld: Botvinnik, Smyslov, Tal, Petrosian und Spassky. Also alle Weltmeister seit Ende des Zweiten Weltkrieges. Die übrigen fünf Spieler waren auch nicht von schlechten Eltern: Keres, der ewige Zweite- manche sagen, er hätte den Titel verdient gehabt, musste jedoch zurückstehen, Kortschnoi, hinter Fischer zusammen mit Spassky die Nummer zwei in der Welt - er wird sicher bald um den Titel mitspielen, Taimanov, Polugajevsky und Geller.

Auf der anderen Seite die beiden Besten der übrigen Welt Bent Larsen und Bobby Fischer - in falscher Reihenfolge. Aber Larsen forderte das erste Brett oder gar nichts und Fischer stimmte zu. Man wunderte sich. Aber jemand erzählte, Fischer sei gar nicht so erpicht gewesen, an Eins zu spielen, weil er ja noch nie gegen Spassky gewonnen hatte. Und wenn er gegen Petrosian verloren hätte, hätte er immer auf fehlende Vorbereitung verweisen können. Aber er hat ja nicht verloren. Im Gegenteil: Er hat Petrosian eine schmerzhafte Lektion erteilt.

Larsen aber rechtfertigte seine Forderung nach dem ersten Brett. Er spielte gegen Spassky Unentschieden und gewann in Runde vier gegen Leonid Stein.

Der Ungar Lajos Portisch an drei, als drittbester Spieler außerhalb der UdSSR. Vlastimil Hort an vier, als viertbester Spieler.  Gligoric und Reshevsky an fünf und sechs. Beide haben das gleiche hohe Rating von 2590 Elo. Uhlmann, Matulovic, Najdorf, Ivkov liegen alle dicht beieinander.

Vor dem Wettkampf im Dom Sindikata wurde ein hoher Sieg der Sowjetmannschaft erwartet. Spassky hatte sich entsprechend geäußert: "Nach Computerberechnungen gewinnen wir mit drei Punkten Unterschied. Warum sollen wir den Maschinen nicht glauben". Die Frage war nur: Haben es sowjetische oder amerikanische Maschinen berechnet.

Vor der letzten Runde führten die Sowjets aber nur mit einem Punkt Vorsprung. Mit einem hohen Sieg in diesem Wettkampf sollte die Überlegenheit der sowjetischen Arbeiterklasse demonstriert werden. Nach außen hin, aber auch zuhause. Wo aber war die Überlegenheit? Die Sowjets hatten vor dem letzten Spieltag ziemlich weiche Knie. Ein Spieler flüsterte mir im Flur zu: "Das ist eine Katastrophe. Sie verstehen zuhause nicht, was hier passiert. Sie denken, mit der sowjetischen Kultur ist etwas nicht in Ordnung." 

Die Schlussrunde wurde vom jugoslawischen Fernsehen anderthalb Stunden lang live übertragen. 

In der 4. Runde gab es zwei Änderung in der Mannschaft: Leonid Stein spielte für Spassky an eins gegen Larsen. Es heißt, Spassky sei krank. Wollte die Sowjetdelegation eine zweite Niederlage ihres Weltmeisters vermeiden? Und Fridrik Olafsson ersetzte Reshevsky.

Um es vorweg zu nehmen: Beide Ersatzleute verloren. Insgesamt gab es am letzten Spieltag vier Entscheidungen und ein 5:5.

Larsen hatte Weiß gegen Stein und brachte den Schnellspieler im Endspiel in Zugzwang:

 

Nach 71. Kf3. Schwarz kann nicht mehr gleichzeitig g3 und d8 decken und verlor den Bauern g3. Larsen führte die Partie danach mühelos zum Sieg.

Fridrik Olafsson wurde mit Schwarz in der Katalanischen Eröffnung völlig überspielt.

 

Kann man mit Schwarz schlechter stehen?

Smyslov (O.Masek)

Smyslov setzte pragmatisch mit 35. De2 fort. Olafsson wich dem Damentausch aus, gab später einen Springer um die weißen Vorposten loszuwerden, musste letztlich aber seine Niederlage quittieren. 

Uhlmann (O. Masek)

Einen ähnlichen Verlauf nahm die Partie zwischen Uhlmann und Taimanov mit dem besseren Ende für den Ostdeutschen. 

 

Der Springer g4 hat sich verlaufen. Nach 21.h3 begann Taimanov mit 21...g5 Nebelbomben zu werfen, geriet aber in eine schlechte Stellung. 

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Keres sorgte gegen Ivkov für den Ausgleich und den Endstand von 5:5.

 

Ivkov ist eine "Stange" verloren gegangen, aber er hofft noch auf Td1 matt.Dem Traum bereitete Keres aber mit 37...Le3 ein jähes Ende. 

Fischer hatte gegen Petrosian mit Schwarz nach dem Abbruch ein etwas schlechteres Endspiel zu verwalte. Er analysierte alleine bis vier Uhr in der Nacht und ging dann zu seinem Sekundanten Larry Evans, um mit diesem noch einmal die Analysen zu bespreche. Evans erzählte mir beim Frühstück, dass Fischer an der Tür von Petrosians Zimmer gelauscht hatte und ständiges Telefonklingeln hörte. Offenbar analysierte die ganze sowjetische Mannschaft und auch noch einige Spieler zu Hause mit. 

 

Die Abbruchstellung. Weiter ging es mit 41.Lc6, später Remis.

Bobby Fischer

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Fischer bevorzugt übrigens bei seinen Partien einen besonderen Cocktail. Er trinkt Milch mit Mineralwasser. Zwischen den Runden war er häufig im Gespräch mit den Organisatoren zu sehen und verhandelte wohl über die Bedingungen. Unter anderem war der Amerikaner genervt, dass er ständig Interview-Anfragen von Journalisten bekam und fragte seinen jugoslawischen Freund Bjelica, ob es in Jugolslawien gegen das Gesetz verstößt, wenn man Journalisten erschießt. 

Am Ende war der Sieg der Sowjetmannschaft nur denkbar knapp: 20,5:19,5.

Ergebnisse: 

UdSSR gegen den Restder Welt: Gesamt: 20.5-19.5

Runde 1: 5,5-4,5
Runde 2: 6-4
Runde 3: 4-6
Runde 4: 5-5

Es gabe zwei zusätzliche Sonderpreise: Der Sieger an Brett 1 erhielt einen Fiat, also Larsen. Für den Sieger an Brett zwei, Fischer, gab es einen Moskovich. 

Am Rande des Turnier gab es eine Befragung unter den Spielern, ob sie mit dem Format für die Durchführung der Weltmeisterschaften zufrieden seien. 15 der 20 Spieler äußerten sich negativ. Außerdem gründeten sie hier eine Spielergewerkschaft, "Council of Grandmasters", mit Spassky, Larsen, Keres, Gligoric und Robert Byrne als Vorstand.   

Einzelergebnisse:


1 Spassky =10* Larsen =01*
   Stein ***0      Larsen ***1

2 Petrosian 00== Fischer 11==

3 Kortschnoj ==0= Portisch ==1=

4 Polugajevsky 0=== Hort 1===

5 Geller 1=== Gligoric 0===

6 Smyslov =10* Reshevsky =01*
1 Smyslov ***1 Olafsson ***0

7 Taimanov 11=0 Uhlmann 00=1

8 Botvinnik 1=== Matulovic 0===

9 Tal =01= Najdorf =10=

10 Keres =1=1 Ivkov =0=0

 

Rating 1970


 1 Fischer, Robert James g USA 2720
 2 Korchnoi, Viktor g URS 2670
   Spassky, Boris V. g URS 2670
 4 Geller, Efim P. g URS 2660
 5 Larsen, Bent g DEN 2650
    Petrosian, Tigran g URS 2650
    Botvinnik, Mikhail g URS 2640
    Polugajevsky, Lev g URS 2640
  9 Portisch, Lajos g HUN 2630
10 Smyslov, Vassily g URS 2620
    Stein, Leonid g URS 2620
12 Hort, Vlastimil g CSR 2610
13 Keres, Paul g URS 2600
    Taimanov, Mark E. g URS 2600
15 Krogius, Nikolai V. g URS 2590
    Tal, Mikhail N. g URS 2590
    Reshevsky, Samuel H. g USA 2590
    Gipslis, Aivars g URS 2580
    Gligoric, Svetozar g YUG 2580
20 Najdorf, Miguel g ARG 2570
    Uhlmann, Wolfgang g GDR 2570
    Bronstein, David I. g URS 2570
    Furman, Semyen A. g URS 2570
    Ivkov, Borislav g YUG 2570
25 Olafsson, Fridrik g ISL 2560
    Kholmov, Ratmir D. g URS 2560
    Savon, Vladimir A. m URS 2560
    Evans, Larry M. g USA 2560
    Matulovic, Milan g YUG 2560
    Darga, Klaus g GER 2550
    Unzicker, Wolfgang g GER 2550
    Antoshin, Vladimir S. g URS 2550
    Averbakh, Yuri L. g URS 2550
    Vasiukov, Evgeni g URS 2550
    Zaitsev, Alexander g URS 2550
 

 

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André Schulz, seit 1991 bei ChessBase, ist seit 1997 der Redakteur der deutschsprachigen ChessBase Schachnachrichten-Seite.

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