1.) Wer ist Ihrer Meinung nach die a) am meisten über- und b) die am meisten
unterbewertete Persönlichkeit der Schachgeschichte?
a) Fischer ist für mich kein Mythos. Er war ein extrem starker Praktiker, hat
das Schach meiner Meinung nach aber nicht revolutioniert. Seinen Mythos hat er
dadurch geschaffen, dass er im Zenit seiner
Karriere abgetreten ist. Ich bin sicher, dass andere Champions auch mit dieser
Idee geliebäugelt, aber den rechtzeitigen Absprung verpasst haben. b) Ich denke,
dass Kramnik nicht die Würdigung erfahren hat, die er nach seinem Matchsieg über
Kasparow in London 2000 verdient gehabt hätte. Den größten Schachspieler aller
Zeiten so hilflos aussehen zu lassen – das hat mich stark beeindruckt.
( ...)
2. Was halten Sie für die schädlichste Entwicklung im modernen Schach?
Fragen wie diese! Warum sollen wir uns immer nur auf das Negative fokussieren?!
Lassen Sie uns die Frage doch andersherum stellen: Welcher Punkt in der
Geschichte des Schachs ist der interessanteste? Für mich sind wir definitiv
genau jetzt an diesem Punkt angelangt! Dank der Computer sowie einer neuen und
sehr undogmatischen Generation entwickelt sich unser Verständnis vom Schach
schneller weiter als je zuvor. Ich fühle mich privilegiert: Aufgewachsen
vor der Ära der Computer, darf ich dennoch ein Teil von ihr sein.
(...)
12. Welche Persönlichkeiten der Weltgeschichte faszinieren Sie am meisten?
Mein Blick auf die Geschichte ist im allgemeinen so, dass den Individuen eine
geringere Bedeutung zukommt und dass strukturelle Faktoren die entscheidende
Rolle spielen. Jesus Christus halte ich für die Persönlichkeit, die den größten
Einfluss auf die Geschichte hatte. Trotz all der Ungerechtigkeiten, die in
seinem Namen begangen wurden. Von den Lebenden beeindruckt mich Bill Gates am
meisten, weil er den aufrichtigen Wunsch hat, vielen Bedürftigen zu
helfen.
(...)
14. Aktuelle Frage: Wie darf man sich eine fruchtbare Zusammenarbeit zwischen
zwei starken Großmeistern vorstellen? Diskutieren sie die Themen bereits im
Vorfeld? Läuft der Computer die ganze Zeit über im Hintergrund mit? Wo treffen
sie sich normalerweise? Wer macht das Frühstück?
Im allgemeinen verschafft es einem eine Menge Inspiration, wenn man mit einem
anderen starken Spieler über Schach diskutiert. Mit einem Larsen, Anand oder
Carlsen zu arbeiten, hat mein Schachverständnis ungemein verbessert. Mit
Gustafsson läuft der Computer die ganze Zeit mit. Einmal war ich von seiner
Fähigkeit beeindruckt, eigenständig zu denken. Dann stellte sich heraus, dass er
nur eine andere Engine als ich benutzt hatte. Mit Tiger Hillarp hatte ich ein
oder zwei computerlose Sitzungen – eine interessante, doch wenig exakte
Erfahrung. Tiger ist ein ausgezeichneter Koch. Jan scheint mich für einen
ebensolchen zu halten.
(Auszüge mit freundlicher Genehmigung der Zeitschrift Schach, Berlin :
www.zeitschriftschach.de