Ströbecker Schachfest 2010 -
Eine Premiere und vier Berliner Siege
Von Dagobert Kohlmeyer

Über Ströbeck und
das Schach zu reden, heißt Eulen nach Athen bzw. Brett und Figuren in den
Nordharz zu tragen. Das kleine Dorf an der westlichen Peripherie von Halberstadt
hat es durch das königliche Spiel längst zu Weltruhm gebracht. Es gibt wohl kaum
eine Zeitung unseres Landes, die nicht schon mal über Ströbeck berichtet hat.
Grund genug für
den Reporter, der sonst mehr die Großen des Schachs in der Welt begleitet, das
legendäre Dorf endlich zu besuchen. Zumal ich einen Teil meiner Kindheit in der
Nähe von Halberstadt verbracht habe. Es war also eine echte Premiere für mich,
als ich mit Berliner Schachfreunden am vergangenen Wochenende nach Ströbeck zum
Schachfest 2010 fuhr. Wir nahmen Quartier im Nachbarort Derenburg und sahen uns
nach dem Einchecken und Abendessen schon mal in Ströbeck um. Das Dorf mit
weniger als 1 200 Einwohnern war herausgeputzt, an vielen Häusern leuchteten
Schachsymbole.

Seit fast 20
Jahren trägt der Ort die offizielle Bezeichnung „Schachdorf Ströbeck“. 1991 gab
es einen Bürgerentscheid, der sich mit 99,5 Prozent dafür aussprach. „Ein
überwältigendes Bekenntnis der Leute zum königlichen Spiel“, sagt Rudi Krosch,
der langjährige Bürgermeister.

Rudi Krosch

Renate Krosch

Wir treffen ihn
im Schachladen, wo seine Frau Renate an diesem Wochenende unzählige Kunden hat.

Seit Beginn des
Jahres gehört Ströbeck zu Halberstadt, es wurde eingemeindet, erzählt uns das
Ehepaar. Das Schachmuseum kann jetzt auf mehr Unterstützung von „nebenan“
hoffen. „Wir Ströbecker wollen in die UNESCO-Liste des immateriellen
Weltkulturerbes“, sagt Rudi Krosch. Es kann erfahrungsgemäß aber sehr lange
dauern, ehe so ein Antrag bearbeitet und befürwortet wird.
Die Sage von Guncelin
Für alle, die
nicht wissen, wie das Schachspiel vor langer Zeit nach Ströbeck kam, hier
nochmal die Legende: Im Jahre 1011 wurde Graf Guncelin vom Halberstädter Bischof
in das kleine Dorf verbannt. Als Gefangener in einem Turm lehrte er seine
Wächter und die Bauern das Schachspiel. Diese gaben ihr Wissen an die Kinder und
Enkel weiter, darum lebt das Spiel in Ströbeck bis zum heutigen Tag.

Wenn ein
Reisender in Ströbeck Halt machte, wurde ihm eine Partie Schach gegen den
Dorfschulzen angeboten. So auch 1773 dem Preußenkönig Friedrich II., der auf dem
Wege von Halberstadt nach Goslar in Ströbeck seine Pferde wechseln ließ. Ab dem
17. Jahrhundert musste ein junger Mann vor der Hochzeit eine Partie Schach gegen
den Dorfschulzen erspielen. Verlor der Bräutigam, musste er ein Strafgeld in die
Gemeindekasse zahlen. Dieser Brauch hat sich nicht erhalten, jedoch im Juni 2007
spielte erstmals wieder ein Bräutigam gegen den Bürgermeister. Nicht schlecht,
wenn man seine Ehetauglichkeit erst im Schachspiel beweisen muss.

1823 wurde Schach
in Ströbeck obligatorisches Unterrichtsfach. Das war verbunden mit dem
jährlichen Wettstreit um ein spezielles Schachbrett und Figuren. Viele
Schachsymbole an den Häusern zeugen von dem Stolz der Gewinner. Die
Sekundarschule des Ortes, nach dem einzigen deutschen Schachweltmeister Dr.
Emanuel Lasker benannt, ist im Jahr 2004 wegen zu geringer Schülerzahlen
geschlossen worden. So verblieb nur noch die Grundschule, um die Kinder im
Schachspiel zu unterrichten. Es steht nach wie vor auf dem Stundenplan.
Beim Rundgang
durch den über tausend Jahre alten Ort fallen die vielen liebevoll restaurierten
Fachwerkhäuser ins Auge.

Überall Schach



Es gibt einen
„Gasthof zum Schachspiel“ sowie den „Platz zum Schachspiel“. Dort wurden zum
Schachfest auch zwei Lebendschach-Partien gespielt. Die Kostüme der Darsteller
sind sehenswert und werden sorgsam gehütet. Viele beginnen ihre Karriere als
kleiner Bauer und wachsen dann in die Rolle der Figuren bzw. von Dame und König
hinein.


Lebendschach in Ströbeck

Bauer beim Lebendschach

Ein Turm

König und Dame

Läufer
In der
Mittagspause des Turniers war Zeit zu einem Besuch im restaurierten
Schachmuseum, in dem kostbare Schätze, darunter Schachspiele aus aller Welt, zu
sehen sind und wo es sogar ein Trauzimmer gibt. Im Medienraum kann man sich
einen Film über Ströbeck und seine Geschichte ansehen. Das Schachdorf ist
weltweit der einzige Ort, der ein solches Museum besitzt.




Die alte Wetterfahne vom Kirchturm
Das Mai-Schachturnier
Nun zum
Hauptereignis des Ströbecker Schachfestes, dem Mannschaftsturnier, das auch
schon eine eigene Geschichte hat. Immerhin feierte es diesmal seinen 50.
Jahrestag. Das Turnier wurde anlässlich der Schacholympiade 1960 in Leipzig im
gleichen Jahr als "Kleine Schacholympiade" zunächst für das Nordharzgebiet ins
Leben gerufen.

Ein Schachtisch der Schacholympiade Leipzig 1960
Am ersten Event
nahmen damals sechs Mannschaften teil, und zwar aus den Vereinen Einheit
Halberstadt, Schachverein Ströbeck, Motor Osterwieck, Traktor Derenburg, Empor
Hessen, Traktor Badersleben.
Seit fünf Jahrzehnten lockt das Turnier inzwischen Schachfreunde nach Ströbeck.
Die Anzahl der Teams vergrößerte sich von Jahr zu Jahr. Nur dreimal fiel das
Turnier aus. Insbesondere nach der Wiedervereinigung Deutschlands nahm die
Teilnehmerzahl sprunghaft zu, der Kreis erweiterte sich mit Mannschaften aus
den alten Bundesländern und dem Ausland. Aus dem ostdeutschen Turnier wurde ein
gesamtdeutsches mit internationaler Beteiligung. Längst gibt es Stammgäste, auch
aus dem Ausland. So kommen jedes Jahr Spieler aus Wijk aan Zee (Holland) oder
Balatonfüred in Ungarn.
Inzwischen
erhalten jedes Jahr etwa 50 Mannschaften eine Einladung. Mehr lassen die
Ströbecker Raumkapazitäten nicht zu. Neue Mannschaften können aus diesem Grund
leider nicht aufgenommen werden, bedauern die Veranstalter. Das Turnier hat sich
für Ströbeck zu einem bedeutenden Ereignis entwickelt, weil zum gleichen
Zeitpunkt auch ein dreitägiges Volks-und Heimatfest gefeiert wird. Wie das
Schachspielen mit lebenden Figuren und der Schachunterricht in der Schule zählt
auch das Maiturnier zu den tragenden Säulen der Ströbecker Schachtradition.
Der neue
Ortsbürgermeister Jens Müller hatte an diesen Tagen viele Termine. So begrüßte
er die fast 250 Teilnehmer des Maiturniers, zeichnete die Sieger der Kinder- und
Jugendturniere aus und eröffnete die Lebendschach-Partien.

Der Bürgermeister mit Siegern
Viermal Berlin!
Der Spielmodus
des beliebten Turniers ist seit Jahr und Tag derselbe. Die Teilnahme erfolgt auf
Einladung durch den Vorstand des Schachvereins Ströbeck. Es ist ein
Mannschaftsturnier, bestehend aus vier Spielern pro Team. Gespielt wird in vier
Leistungsgruppen, wobei in der A-Gruppe die stärksten Mannschaften vertreten
sind. Jedes Team spielt ein Match gegen die übrigen Mannschaften. Die Bedenkzeit
beträgt 10 Minuten pro Spieler und pro Partie. Gewertet wird nach Mannschafts-
und Brettpunkten. Das Siegerteam der Gruppe A erhält den Wanderpokal des
Schachdorfes Ströbeck. Dieser bleibt im Besitz einer Mannschaft, die in drei
aufeinanderfolgenden Jahren bzw. fünfmal in unterbrochener Reihenfolge den Sieg
errungen hat. Die drei Erstplatzierten jeder Gruppe erhalten eine Urkunde.
Besonderheit und Anreiz für die teilnehmenden Mannschaften bestehen darin, dass
die Erstplatzierten (zwei bis drei Mannschaften) der Gruppen B, C und D beim
folgenden Turnier in die nächste Leistungsgruppe aufsteigen, während die
Letztplatzierten der Gruppen A B und C absteigen.
In diesem Jahr
passierte etwas Unglaubliches. In allen vier Gruppen gewannen Mannschaften aus
Berlin. Das gab es zuvor noch nie und wird sicher nicht so schnell wieder
vorkommen. Sieger in der A-Gruppe wurde das Team von Berlin-Friedrichshain (SC
Zugzwang) in der Besetzung Peter Hintze, August Hohn, Jürgen Wilhelm und
Wolfgang zum Winkel. In der B-Gruppe dominierte Berlin-Giesensdorf I, in der
C-Gruppe der Nichtraucherklub und in der D-Gruppe Berlin-Giesensdorf II.
Giesensdorf ist ein Teil von Lichterfelde im Süden der Hauptstadt, wo
Schachorganisator Detlef Getzuhn wohnt.

Ulrich Fitzke, Detlef Getzuhn
Detlef nimmt
seit 1990 (!) nonstop am Ströbecker Turnier teil, was ebenfalls ein Rekord ist.
Bei der Zusammenstellung der beiden Teams bewies er ein glückliches Händchen.
Der Berichterstatter selbst war in der Mannschaft von Berlin-Giesensdorf II. Er
kam bei seiner Premiere in Ströbeck ungeschoren über alle Runden und damit in
den Genuss eines Viertels der Siegertorte. Auch das gehört zu den Ströbecker
Traditionen: Jedes Gewinnerteam erhält eine Marzipan-Torte mit Schachmotiven.

Ein Team aus Appeldorn
Da die
Guncelin-Legende aus dem Jahre 2010 stammt, gibt es also nächstes Jahr in
Ströbeck eine 1000-Jahr-Feier. Die Organisatoren um Reinhold Gädecke beginnen
schon jetzt mit der Vorbereitung des großen Schachfestes. Wo sonst kann man wie
in Ströbeck auf ein Jahrtausend Schachtradition zurückblicken? „Das soll richtig
gefeiert werden wie 2006 zum Treffen der Europa-Dörfer", kündigte
Ortsbürgermeister Jens Müller an. Dafür werden nun fleißig Ideen gesammelt.
Vertreter der Vereine und andere Interessenten waren am Montag zu einer ersten
Beratung eingeladen.

Dagobert Kohlmeyer in Ströbeck
Ehrentafel der Gewinner des
Wanderpokals
1960 Einheit
Halberstadt
1961 Einheit Halberstadt
1962 Einheit Halberstadt
1963 Einheit Halberstadt
1964 Motor Wernigerode
1965 Einheit Halberstadt
1966 Einheit Halberstadt
1967 Stahl Blankenburg
1968 Stahl Blankenburg
1969 Motor Osterwieck
1970 Stahl Thale
1971 Turnier ausgefallen
1972 Einheit Quedlinburg
1973 Einheit Halberstadt
1974 Einheit Quedlinburg
1975 Einheit Quedlinburg
1976 Motor Wernigerode
1977 Motor Wernigerode
1978 Motor Wernigerode
1979 Einheit Halberstadt
1980 WBK Halle-Neustadt
1981 Einheit Quedlinburg
1982 Turnier ausgefallen
1983 Traktor Ströbeck
1984 WBK Halle- Neustadt
1985 Wissenschaft Quedlinburg
1986 Turnier ausgefallen
1987 WBK Halle-Neustadt
1988 Motor Wernigerode
1989 Traktor Ströbeck
1990 TSG Berlin Oberschöneweide
1991 TSG Berlin Oberschöneweide
1992 TSG Berlin Oberschöneweide
1993 Schachverein Dresden-Leuben
1994 TSG Berlin Oberschöneweide
1995 Schaakgenootschap Amersfoort/Niederlande
1996 Schaakgenootschap Amersfoort/Niederlande
1997 Schachverein Ströbeck
1998 Schachverein Ströbeck
1999 Braunschweiger Schachfreunde
2000 Schachklub Bad Harzburg
2001 Schachverein Dresden-Leuben
2002 Schachverein Dresden-Leuben
2003 Schachverein Dresden-Leuben
2004 Schachverein Dresden-Leuben
2005 Schachverein Dresden-Leuben
2006 Schachverein Dresden-Leuben
2007 Schachverein Dresden-Leuben
2008 Schachverein Caissa Wolfenbüttel
2009 Schachverein Dresden-Leuben
2010 Berlin Friedrichshain


Sieger Friedrichshain


Sieger Berlin-Giesendorf


Sieger Nichtraucher SC Berlin


Berlin Giesendorf II