Berliner Siege in Ströbeck

von ChessBase
03.06.2010 – Ströbeck im Ostharz dürfte der einzige Ort in der Welt sein, der das Schachspiel durch Aufnahme in den offiziellen Namen des Ortes ehrt: "Schachdorf Stöbeck". Der Sage zufolge wurde im Jahr 1011 Graf Guncelin vom Halberstädter Bischoff nach Ströbeck verbannt und vertrieb sich die Zeit durch Schach spielen mit seinen Wärtern. Das neue Spiel machte auf die Stöbecker einen so großen Eindruck, dass sie es fortan durch ein Fest ehrten - bis heute. Seit 1960 gibt es in ununterbrochener Reihenfolge auch ein Mannschafts-Schachturnier, das in ein großes Schachfest eingebettet wird. In diesem Jahr räumten dort die Berliner Mannschaften gründlich ab. Dagobert Kohlmeyer vom Siegerteam (D-Gruppe) berichtet. 999 Jahre Schachdorf...

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Ströbecker Schachfest 2010 - Eine Premiere und vier Berliner Siege
Von Dagobert Kohlmeyer

Über Ströbeck und das Schach zu reden, heißt Eulen nach Athen bzw. Brett und Figuren in den Nordharz zu tragen. Das kleine Dorf an der westlichen Peripherie von Halberstadt hat es durch das königliche Spiel längst zu Weltruhm gebracht. Es gibt wohl kaum eine Zeitung unseres Landes, die nicht schon mal über Ströbeck berichtet hat.  

Grund genug für den Reporter, der sonst mehr die Großen des Schachs in der Welt begleitet, das legendäre Dorf endlich zu besuchen. Zumal ich einen Teil meiner Kindheit in der Nähe von Halberstadt verbracht habe. Es war also eine echte Premiere für mich, als ich mit Berliner Schachfreunden am vergangenen Wochenende nach Ströbeck zum Schachfest 2010 fuhr. Wir nahmen Quartier im Nachbarort Derenburg und sahen uns nach dem Einchecken und Abendessen schon mal in Ströbeck um. Das Dorf mit weniger als 1 200 Einwohnern war herausgeputzt, an vielen Häusern leuchteten Schachsymbole.

Seit fast 20 Jahren trägt der Ort die offizielle Bezeichnung „Schachdorf Ströbeck“. 1991 gab es einen Bürgerentscheid, der sich mit 99,5 Prozent dafür aussprach. „Ein überwältigendes Bekenntnis der Leute zum königlichen Spiel“, sagt Rudi Krosch, der langjährige Bürgermeister.


Rudi Krosch


Renate Krosch

Wir treffen ihn im Schachladen, wo seine Frau Renate an diesem Wochenende unzählige Kunden hat.

Seit Beginn des Jahres gehört Ströbeck zu Halberstadt, es wurde eingemeindet, erzählt uns das Ehepaar. Das Schachmuseum kann jetzt auf mehr Unterstützung von „nebenan“ hoffen. „Wir Ströbecker wollen in die UNESCO-Liste des immateriellen Weltkulturerbes“, sagt Rudi Krosch. Es kann erfahrungsgemäß aber sehr lange dauern, ehe so ein Antrag bearbeitet und befürwortet wird.

Die Sage von Guncelin

Für alle, die nicht wissen, wie das Schachspiel vor langer Zeit nach Ströbeck kam, hier nochmal die Legende: Im Jahre 1011 wurde Graf Guncelin vom Halberstädter Bischof in das kleine Dorf verbannt. Als Gefangener in einem Turm lehrte er seine Wächter und die Bauern das Schachspiel. Diese gaben ihr Wissen an die Kinder und Enkel weiter, darum lebt das Spiel in Ströbeck bis zum heutigen Tag.

Wenn ein Reisender in Ströbeck Halt machte, wurde ihm eine Partie Schach gegen den Dorfschulzen angeboten. So auch 1773 dem Preußenkönig Friedrich II., der auf dem Wege von Halberstadt nach Goslar in Ströbeck seine Pferde wechseln ließ. Ab dem 17. Jahrhundert musste ein junger Mann vor der Hochzeit eine Partie Schach gegen den Dorfschulzen erspielen. Verlor der Bräutigam, musste er ein Strafgeld in die Gemeindekasse zahlen. Dieser Brauch hat sich nicht erhalten, jedoch im Juni 2007 spielte erstmals wieder ein Bräutigam gegen den Bürgermeister. Nicht schlecht, wenn man seine Ehetauglichkeit erst im Schachspiel beweisen muss.

1823 wurde Schach in Ströbeck obligatorisches Unterrichtsfach. Das war verbunden mit dem jährlichen Wettstreit um ein spezielles Schachbrett und Figuren. Viele Schachsymbole an den Häusern zeugen von dem Stolz der Gewinner. Die Sekundarschule des Ortes, nach dem einzigen deutschen Schachweltmeister Dr. Emanuel Lasker benannt, ist im Jahr 2004 wegen zu geringer Schülerzahlen geschlossen worden. So verblieb nur noch die Grundschule, um die Kinder im Schachspiel zu unterrichten. Es steht nach wie vor auf dem Stundenplan.

Beim Rundgang durch den über tausend Jahre alten Ort fallen die vielen liebevoll restaurierten Fachwerkhäuser ins Auge.


Überall Schach

Es gibt einen „Gasthof zum Schachspiel“ sowie den „Platz zum Schachspiel“. Dort wurden zum Schachfest auch zwei Lebendschach-Partien gespielt. Die Kostüme der Darsteller sind sehenswert und werden sorgsam gehütet. Viele beginnen ihre Karriere als kleiner Bauer und wachsen dann in die Rolle der Figuren bzw. von Dame und König hinein.


Lebendschach in Ströbeck


Bauer beim Lebendschach


Ein Turm


König und Dame


Läufer

In der Mittagspause des Turniers war Zeit zu einem Besuch im restaurierten Schachmuseum, in dem kostbare Schätze, darunter Schachspiele aus aller Welt, zu sehen sind und wo es sogar ein Trauzimmer gibt. Im Medienraum kann  man sich einen Film über Ströbeck und seine Geschichte ansehen. Das Schachdorf ist weltweit der einzige Ort, der ein solches Museum besitzt. 




Die alte Wetterfahne vom Kirchturm

Das Mai-Schachturnier

Nun zum Hauptereignis des Ströbecker Schachfestes, dem Mannschaftsturnier, das auch schon eine eigene Geschichte hat. Immerhin feierte es diesmal seinen 50. Jahrestag. Das Turnier wurde anlässlich der Schacholympiade 1960 in Leipzig im gleichen Jahr als "Kleine Schacholympiade" zunächst für das Nordharzgebiet ins Leben gerufen.


Ein Schachtisch der Schacholympiade Leipzig 1960

Am ersten Event nahmen damals sechs Mannschaften teil, und zwar aus den Vereinen Einheit Halberstadt, Schachverein Ströbeck, Motor Osterwieck, Traktor Derenburg, Empor Hessen, Traktor Badersleben.

Seit fünf Jahrzehnten lockt das Turnier inzwischen Schachfreunde nach Ströbeck. Die Anzahl der Teams vergrößerte sich von Jahr zu Jahr. Nur dreimal fiel das Turnier aus. Insbesondere nach der Wiedervereinigung Deutschlands nahm die Teilnehmerzahl sprunghaft zu, der Kreis erweiterte sich mit Mannschaften  aus den alten Bundesländern und dem Ausland. Aus dem ostdeutschen Turnier wurde ein gesamtdeutsches mit internationaler Beteiligung. Längst gibt es Stammgäste, auch aus dem Ausland. So kommen jedes Jahr Spieler aus Wijk aan Zee (Holland) oder Balatonfüred in Ungarn.

Inzwischen erhalten jedes Jahr etwa 50 Mannschaften eine Einladung. Mehr lassen die Ströbecker Raumkapazitäten nicht zu. Neue Mannschaften können aus diesem Grund leider nicht aufgenommen werden, bedauern die Veranstalter. Das Turnier hat sich für Ströbeck zu einem bedeutenden Ereignis entwickelt, weil zum gleichen Zeitpunkt auch ein dreitägiges Volks-und Heimatfest gefeiert wird. Wie das Schachspielen mit lebenden Figuren und der Schachunterricht in der Schule zählt auch das Maiturnier zu den tragenden Säulen der Ströbecker Schachtradition.

Der neue Ortsbürgermeister Jens Müller hatte an diesen Tagen viele Termine. So begrüßte er die fast 250 Teilnehmer des Maiturniers, zeichnete die Sieger der Kinder- und Jugendturniere aus und eröffnete die Lebendschach-Partien.


Der Bürgermeister mit Siegern

Viermal Berlin!

Der Spielmodus des beliebten Turniers ist seit Jahr und Tag derselbe. Die Teilnahme erfolgt auf Einladung durch den Vorstand des Schachvereins Ströbeck. Es ist ein Mannschaftsturnier, bestehend aus vier Spielern pro Team. Gespielt wird in vier Leistungsgruppen, wobei in der A-Gruppe die stärksten Mannschaften vertreten sind. Jedes Team spielt ein Match gegen die übrigen Mannschaften. Die Bedenkzeit beträgt 10 Minuten pro Spieler und pro Partie. Gewertet wird nach Mannschafts- und Brettpunkten. Das Siegerteam der Gruppe A erhält den Wanderpokal des Schachdorfes Ströbeck. Dieser bleibt im Besitz einer Mannschaft, die in drei aufeinanderfolgenden Jahren bzw. fünfmal in unterbrochener Reihenfolge den Sieg errungen hat. Die drei Erstplatzierten jeder Gruppe erhalten eine Urkunde. Besonderheit und Anreiz für die teilnehmenden Mannschaften bestehen darin, dass die Erstplatzierten (zwei bis drei Mannschaften) der Gruppen B, C und D beim folgenden Turnier in die nächste Leistungsgruppe aufsteigen, während die Letztplatzierten der Gruppen A B und C absteigen. 

In diesem Jahr passierte etwas Unglaubliches. In allen vier Gruppen gewannen Mannschaften aus Berlin. Das gab es zuvor noch nie und wird sicher nicht so schnell wieder vorkommen. Sieger in der A-Gruppe wurde das Team von Berlin-Friedrichshain (SC Zugzwang) in der Besetzung Peter Hintze, August Hohn, Jürgen Wilhelm und Wolfgang zum Winkel. In der B-Gruppe dominierte Berlin-Giesensdorf I, in der C-Gruppe der Nichtraucherklub und in der D-Gruppe Berlin-Giesensdorf II. Giesensdorf ist ein Teil von Lichterfelde im Süden der Hauptstadt, wo Schachorganisator Detlef Getzuhn wohnt.


Ulrich Fitzke, Detlef Getzuhn

Detlef nimmt seit 1990 (!) nonstop am Ströbecker Turnier teil, was ebenfalls ein Rekord ist. Bei der Zusammenstellung der beiden Teams bewies er ein glückliches Händchen. Der Berichterstatter selbst war in der Mannschaft von Berlin-Giesensdorf II. Er kam bei seiner Premiere in Ströbeck ungeschoren über alle Runden und damit in den Genuss eines Viertels der Siegertorte. Auch das gehört zu den Ströbecker Traditionen: Jedes Gewinnerteam erhält eine Marzipan-Torte mit Schachmotiven.


Ein Team aus Appeldorn

Da die Guncelin-Legende aus dem Jahre 2010 stammt, gibt es also nächstes Jahr in Ströbeck eine 1000-Jahr-Feier. Die Organisatoren um Reinhold Gädecke beginnen schon jetzt mit der Vorbereitung des großen Schachfestes. Wo sonst kann man wie in Ströbeck auf ein Jahrtausend Schachtradition zurückblicken? „Das soll richtig gefeiert werden wie 2006 zum Treffen der Europa-Dörfer", kündigte Ortsbürgermeister Jens Müller an. Dafür werden nun fleißig Ideen gesammelt. Vertreter der Vereine und andere Interessenten waren am Montag zu einer ersten Beratung eingeladen.


Dagobert Kohlmeyer in Ströbeck

Ehrentafel der Gewinner des Wanderpokals

1960   Einheit Halberstadt
1961   Einheit Halberstadt
1962   Einheit Halberstadt
1963   Einheit Halberstadt
1964   Motor Wernigerode
1965   Einheit Halberstadt
1966   Einheit Halberstadt
1967   Stahl Blankenburg
1968   Stahl Blankenburg
1969   Motor Osterwieck
1970   Stahl Thale
1971   Turnier ausgefallen
1972   Einheit  Quedlinburg
1973   Einheit Halberstadt
1974   Einheit Quedlinburg
1975   Einheit Quedlinburg
1976   Motor Wernigerode
1977   Motor Wernigerode
1978   Motor Wernigerode
1979   Einheit Halberstadt
1980   WBK Halle-Neustadt
1981   Einheit Quedlinburg
1982   Turnier ausgefallen
1983   Traktor Ströbeck
1984   WBK Halle- Neustadt
1985   Wissenschaft Quedlinburg
1986   Turnier ausgefallen
1987   WBK Halle-Neustadt
1988   Motor Wernigerode
1989   Traktor Ströbeck
1990   TSG Berlin Oberschöneweide
1991   TSG Berlin Oberschöneweide
1992   TSG Berlin Oberschöneweide
1993   Schachverein Dresden-Leuben
1994   TSG Berlin Oberschöneweide
1995   Schaakgenootschap Amersfoort/Niederlande
1996   Schaakgenootschap Amersfoort/Niederlande
1997   Schachverein Ströbeck
1998   Schachverein Ströbeck
1999   Braunschweiger Schachfreunde
2000   Schachklub Bad Harzburg
2001   Schachverein Dresden-Leuben
2002   Schachverein Dresden-Leuben
2003   Schachverein Dresden-Leuben
2004   Schachverein Dresden-Leuben
2005   Schachverein Dresden-Leuben
2006   Schachverein Dresden-Leuben
2007   Schachverein Dresden-Leuben
2008   Schachverein Caissa Wolfenbüttel
2009   Schachverein Dresden-Leuben   
                                                                          
2010   Berlin Friedrichshain
 



Sieger Friedrichshain


Sieger Berlin-Giesendorf



Sieger Nichtraucher SC Berlin


Berlin Giesendorf II

 

 

 


Die ChessBase GmbH, mit Sitz in Hamburg, wurde 1987 gegründet und produziert Schachdatenbanken sowie Lehr- und Trainingskurse für Schachspieler. Seit 1997 veröffentlich ChessBase auf seiner Webseite aktuelle Nachrichten aus der Schachwelt. ChessBase News erscheint inzwischen in vier Sprachen und gilt weltweit als wichtigste Schachnachrichtenseite.

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