Besuch auf dem Beth Olom Friedhof
in Queens (New York)
Guten Tag, Herr Dr. Lasker, es war so
schwierig und mühsam Ihr Grab zu finden, wie Ihr geniales Schachspiel zu
verstehen. In der Tat hat dieser Zentralfriedhof fast die Ausmaße einer kleinen
Stadt.
Sie brauchen mir nicht zu antworten, aber
ich möchte Ihnen einige Gedanken vortragen, die ich mir während der langen Reise
machte, um Sie an dieser Stätte zu besuchen. Anmerkung: wenn ich an das Grab
meiner Mutter in Deutschland gehe, spreche ich auch immer ganz offen, wobei ich
aber darauf achte, dass mir niemand zuhört.
Diese
Freiheit nehme ich mir hier auch und in Begleitung meiner Frau und “Assistentin”
in Sachen Schach. Jetzt befinde ich vor Ihrem Grabstein und kann mir kaum
erklären, warum darauf nicht Ihr Geburts- und Sterbedatum stehen. Vielleicht hat
Ihr liebe Familie die Daten einfach weggelassen, damit Sie immer unter uns sind,
ohne Begrenzung durch die Zeit.
(Die Bedeutung der hebräischen Zeichen
oberhalb Ihres Namenzuges verstehe nicht, und sie werden sicher ihre
Begründung haben, die ich noch herausfinden muss.)
Wie Sie sich sicher denken können, bin ich aufgrund meines Vor- und Nachnamens
ein Landsmann von Ihnen. Obwohl ich ein bescheidener Schachspieler sein mag und
nicht so viel von Schach verstehe, haben mich Ihre Partien doch immer fasziniert
und manchmal habe ich sie sogar verstanden.
Übrigens sprach Ihr im März 1942 verstorbener Freund Raúl Capablanca ständig mit
einem großen Respekt von Ihnen und dann pflegte er zu sagen: “DER GROSSARTIGE
LASKER”.
Capablanca – Lasker 1925 in Moskau
Weiter
untenstehend gebe ich Ihre 1. Partie der Weltmeisterschaft von 1907 gegen Frank
Marshall wieder mit sehr verständlichen Erklärungen von Capablanca anlässlich
einiger elementarer Lehrstunden für Schach im amerikanischen Rundfunk.
Marshall,Frank James - Lasker,Emanuel [C65], World Championship 7th USA (1),
26.01.1907...
Erfreulicherweise haben Sie in den letzten Jahren Ihres Leben das Rauchen
aufgegeben, da ich den Rauch Ihrer Zigarren auch nicht vertragen könnte, mit dem
Sie Ihre Gegner “einnebelten”.
In diesem Augenblick stelle ich mir Ihr verschmitztes Lächeln vor, weil ich wohl
einer Ihrer kleinen Geheimnisse entdeckt habe.
Sicher werden Sie mir kaum glauben, wenn ich Ihnen erzähle, dass
- als Sie uns am 11. Januar 1941 verliessen, der damalige
Weltmeister Alexander Aljechin, als er von der traurigen Nachricht erfuhr, ein
schwarzes Tuch auf das Brett seines Reiseschachs warf, worauf er zufällig eine
mit Ihnen gespielte Partie analysierte und sich damals “ in extremis” mit einem
schmeichelhaften Unentschieden rettete.
- Ihre unglaublichen 27 Jahre Herrschaft als Weltmeister
niemals erreicht wurden.
- der Verbleib auf dem Thron während einer so langen
Zeitspanne Ihnen einen herausragenden Platz in der Geschichte des Schachs
einräumt.
Ihr Stil von der damaligen Zeit nicht verstanden wurde und heute immer noch
Zweifel und irrige Meinungen bestehen.
- heutzutage
argumentiert wird, wenn Sie 100 Jahre später geboren wären, Sie anhand der
derzeitigen Schachdateien und inzwischen gewonnenen Erkenntnisse die besten
Spieler der Welt in den Schatten stellen könnten.
Ich
stelle mir vor, dass Sie wieder etwas lächeln, aber aufgrund Ihrer bekannten
Bescheidenheit dazu auch nichts sagen. Gern möchte ich Ihnen noch so viel
erzählen, aber würde Sie sicher in Ihrer Ruhe stören. Andererseits werde ich Sie
jedoch um eine Partie Schach in dem ’anderen Leben bitten, wenn wir uns
dort begegnen. Nun, ich bin mir ganz sicher, dass ich kaum eine Chance gegen Sie
hätte, aber für einen begeisterten Schachfreund wäre es eine große Ehre. Jetzt
fühle ich Ihr Schweigen und deute es dankend als Ihr Einverständnis.
Auf Wiedersehen, Herr Dr. Emanuel Lasker!
Ihr treuer Bewunderer Frank Mayer
P.S.: Eine Stätte wie diese hat mich doch ziemlich berührt, und ich
verabschiedete mich mit Tränen in den Augen.
New York, den 4. Mai 2006
Emanuel Lasker
* 24. Dezember 1868, Berlinchen
+ 11.Januar 1941, New York
Begraben auf dem Beth Olom Friedhof in
Queens, Queens County, New York, USA